Text and Translation submitted by Lothar Mundt.

Conspectus: Satyra prima / secunda / tertia / quarta / quinta.





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THOMAE NAOGEORGI SATYRARUM

LIBER TERTIUS.



Satyra prima.

Quum Dominus coelum quondam terramque crearet,
Spiritibus coelum angelicis extemplò replevit,
Qui sibi praestò essent fidique ad iussa ministri,
In[39] coelis si quid foret aut tellure gerendum.
Illis splendorem dederat summumque decorem
Cuncta creata inter. Praestantis gloria formae
Uni cedebat Domino, superabat caetera longè,




[...]


DER SATIREN DES THOMAS NAOGEORGUS

DRITTES BUCH.



Erste Satire

Als der Herr einst Himmel und Erde schuf, füllte er sogleich den Himmel mit Engelsgeistern, die ihm auf seine Weisungen als treue Diener zur Hand gehen sollten, falls es im Himmel oder auf der Erde etwas zu erledigen geben würde. Er hatte ihnen Glanz und unter allen Geschöpfen die größte Schönheit verliehen. Die Herrlichkeit ihrer auserlesenen Gestalt stand nur hinter dem Herrn zurück und übertraf alles übrige bei weitem:

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<97> Non tantum propter naturae munera, quantum
Iugem ob convictum Domini intuitumque propinquum.
Hinc autem multis prima immutata voluntas
Continuò inque tumorem animi crevere superbi.
Quamlibet ingenti nolebant sorte teneri.
Excelsam Domini sedem regnumque polorum
Atque affectabant mundi totius habenas.
Quos inter praestans summoque ex ordine quidam
(Cui pòst ob facinus nomen motumque superbum
Aut Satanae fuit aut colubro torvove draconi)
Collecto coetu sic dicitur esse locutus:
        „Vix equidem tenui tam longa silentia, fratres,
Et vestrûm nulli patefeci abscondita cordis
Hactenus (aut grave servitium, quod nocte dieque
Vobiscum excubiis et iugi suffero cantu,
Abieci, aut maius quicquam vobisque mihique
Dignius et cultu nostro ac splendore superbo
Prospexi), quòd[40] vestra haud dum mihi nota voluntas
Nec sat erat perspecta fides animosaque virtus.
At nunc, quum videam vobis sublimia cordi
Vosque huiusce pigere status sortisque malignae,
Audiam et assiduò vestrum per compita murmur
Servitium propter durum multosque labores,
Audacter dicam, mecum quae corde voluto.
Nostra haec maiestas, hic cultus summaque virtus,
Quîs nos aequales Domino vel cernitis ipsi,
Coelestes potius tractare merentur habenas

nicht so sehr wegen ihrer natürlichen Gaben, als vielmehr wegen ihres ständigen Umgangs mit dem Herrn und seines Anblicks aus nächster Nähe. Ebendeshalb wandelte sich aber bei vielen unaufhörlich die ursprüngliche Gesinnung, und hochmütig steigerten sie sich hinein in eine geistige Aufgeblasenheit. Sie wollten nicht an ihre Bestimmung gebunden bleiben, so gewaltig diese auch war. Es gelüstete sie nach dem erhabenen Thron des Herrn, nach der Herrschaft über den Himmel und dem Regiment über die ganze Welt. Es heißt, daß einer, der sich unter ihnen besonders auszeichnete und dem höchsten Rang angehörte (später erhielt er wegen seiner Untat und seines hochmütigen Aufruhrs den Namen Satan, Schlange oder grausiger Drache), vor einer von ihm zusammengebrachten Versammlung sich also vernehmen ließ:
        „Wahrlich, Brüder, nur mit Mühe habe ich so lange Schweigen bewahrt und niemandem von euch bislang eröffnet, was in meinem Herzen verborgen ist, weil mir eure Gesinnung überhaupt noch nicht bekannt war und ich eure Treue und beherzte Tapferkeit noch nicht recht durchschaut hatte. Ich habe nämlich den schweren Sklavendienst, in den ich mit euch gemeinsam Tag und Nacht bei Wachestehen und ständigem Gesang eingespannt bin, abgeschüttelt und nach etwas Bedeutenderem, eurer und meiner und unseres geistigen Formats und prächtigen Glanzes Würdigerem Ausschau gehalten. Nun aber, wo ich sehe, daß ihr Großes im Herzen tragt und eure gegenwärtige Situation und euer kümmerliches Los euch verdrießt, und wo ich euch an den Kreuzwegen ununterbrochen über die harte Sklaverei und die vielen Mühen murren höre, will ich dreist sagen, was ich in meinem Herzen bewege. Diese unsere Erhabenheit, diese feine Bildung und höchste Vollkommenheit, durch die wir, wie ihr selbst seht, sogar Gott gleichkommen, verdienten eher, das himmlische Regiment zu führen,

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<98> Supremumque habitare thronum dulcique potenter
Libertate frui, quàm ferre iugum atque subesse
Cuiusquam imperio tolerareque herilia iussa.
Nobiliori, haud est indignum, nobilis ut se
Sternat, maiorique minor concedat ubique:
At qui cuncta queunt, cur subsint cuncta potenti?
Cur illi, qui re similes cernuntur in omni?
Quid Dominus novit, quod non noscamus et ipsi?
Quid sapit aut quid habet, quod non luculentius ipsi?
Denique re prorsus nulla praestare videtur.
Hinc penitus mihi res illò deducere certum,
Si modò non desunt vestrae suffragia dextrae,
Ut nobiscum aequè Deus imperiumque thronumque
Dividat atque parem nobis concedat honorem.
At non facturum nostro, puto, talia suasu.
Vis adhibenda erit atque armis pugnaque parandum
Imperium. Res tanta ingenti digna periclo est.
Vincemus. Socii, quid vobis caetera dicam?
Omnia victorum nostro sub iure vehentur,
Cogeturque Deus nostras perferre catenas.
Haec ego. Vos eadem planè sentitis, opinor,
Si me non vestrae mentes et lumina fallunt.
Libertatem igitur stabilem et subducere duro
Colla iugo atque à perpetuo requiescere cantu
Rerumque excelsa condignè sede locari
Si cupitis, fortes mecum coniungite dextras.
Tenditis huc sensu certè totisque medullis.

den höchsten Thron zu besetzen und kraftvoll süßer Freiheit zu genießen, als das Joch zu tragen, als irgend jemandes Herrschaft unterworfen zu sein und uns von einem Herrn Befehle erteilen zu lassen. Es ist durchaus keine Schande, wenn ein Vornehmer sich einem Vornehmeren unterwirft und ein Geringerer einem Größeren überall den Vorrang zubilligt. Warum aber sollten diejenigen dem Allmächtigen unterworfen sein, die ihrerseits alles vermögen? Warum jene, die, wie man sieht, in jeder Hinsicht ähnlich sind? Was ist dem Herrn bewußt, was uns nicht auch selbst bewußt wäre? Was weiß er und was besitzt er, was wir selbst nicht in reicherem Maße wüßten und besäßen? Kurzum, er hat uns offenbar in schlechthin keiner Hinsicht etwas voraus. Daher bin ich, wofern ihr es nur nicht an tätiger Hilfe fehlen laßt, aufs äußerste entschlossen, die Dinge auf den Punkt zu führen, daß Gott seine Herrschaft und seinen Thron gerecht mit uns teilt und uns die gleiche Ehre zugesteht. Doch ich glaube, daß er auf unseren Rat nicht eingehen wird. Wir werden Gewalt anwenden und die Herrschaft durch bewaffneten Kampf erobern müssen. Eine so bedeutende Sache ist das ungeheure Risiko wert. Wir werden siegen! Kameraden, wozu soll ich euch noch das übrige vortragen? Alles, worüber wir den Sieg erlangt haben, wird unter unsere Botmäßigkeit gebracht werden, und Gott wird gezwungen werden, unsere Fesseln zu ertragen. Dies meine Meinung. Ich halte dafür, daß ihr schlechthin das gleiche denkt, wenn ich mich über eure Gesinnung und den Ausdruck in euren Augen nicht täusche. Wenn ihr also auf Dauer Freiheit wünscht, wenn ihr eure Hälse dem harten Joch entziehen, euch von dem ewigen Singen ausruhen und auf dem hohen Weltenthron eurer Würde entsprechend Platz nehmen wollt, so reicht mir eure starken Rechten. Gewiß strebt ihr danach mit eurem Denken und eurem ganzen Innern.

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<99> Dux tantum vobis deest et moliminis autor.
Illum ego praestabo, mihi si paretis, abundè.
Sunt vires mihi, sunt artes ter mille nocendi,
Insidias novi, sunt arma animique feroces,
Ut nihil addubitem, quin sit victoria nostra
Nostrumque imperium. Securus, cernitis, ille
Armorum bellique sedet, circum atria verò
Imbelles turbae, quas nec procul arma tueri
Posse reor, ne dum vires sufferre ruentis
Agminis adversi gladiisque occurrere strictis.
Si modò tardatis prohibente pudore metuve,
An vobis unquam contingat deinde facultas
Ponendi obsequii libertatisque parandae
Consimilisque mei ductoris copia detur,
Haud scio. Saepe solet fieri, ut, quae oblata recuses,
Pòst lachrymis frustra multis cupiasque rogesque.“
        Addidit his dictis promptae calcaria turbae
Incenditque animos, ut si quis fortè camino
Ingentes cupiens flammas infundat olivum.
Confestim ergo ducem statuunt regemque salutant.
Coniurant raptim inque novum dant nomina bellum.
Arma parant spirantque minas, rebusque Deoque
Exitium intentant extremum et magna loquuntur,
Omnibus infensi laturis fida Tonanti
Auxilia atque suo posituris claustra furori
Aut remoras, quasi et ad certos transiret honores
Quisque foretque adeò in manibus victoria clausis:

Es fehlt euch nur an einem Anführer und einem Leiter des gewaltigen Unternehmens. Diese Funktion werde ich voll und ganz übernehmen, wenn ihr euch von mir führen laßt. Ich verfüge über tausenderlei Kräfte und Praktiken, um Schaden zu stiften. Ich verstehe mich aufs Ränkespiel und besitze Waffen und wilden Kampfesmut, so daß ich überhaupt nicht daran zweifle, daß der Sieg unser ist und unser die Herrschaft. Wie ihr seht, sitzt er untätig da, unbesorgt um Waffen und Krieg. Sein Palast aber ist umgeben von unkriegerischen Truppen, die meiner Meinung nach Waffen nicht einmal von weitem sehen können, geschweige denn, daß sie imstande wären, den Streitkräften eines anstürmenden feindlichen Heeres standzuhalten und gegen gezückte Schwerter vorzurücken. Wenn ihr jetzt zaudert, weil Scham oder Furcht euch hindern, so bin ich mir gar nicht sicher, ob sich euch später jemals die Gelegenheit bieten wird, euch des Dienstes zu entledigen und die Freiheit zu erwerben, und ob ihr jemals wieder einen Anführer meines Zuschnitts finden werdet. Es pflegt oft zu geschehen, daß man etwas, was einem angeboten wird, ausschlägt und es später vergeblich mit vielen Tränen verlangt und erbittet.“
        Diesen Worten fügte er hinzu, was die willfährige Menge anspornte, und entflammte die Herzen – wie wenn jemand etwa Öl ins Kaminfeuer gießt, weil er riesige Flammen erzeugen will. Also bestimmten sie ihn sogleich zum Anführer und begrüßten ihn als ihren König. Sie leisteten eilends den Fahneneid und meldeten sich zu einem unerhörten Krieg. Sie rüsteten sich, schnaubten Drohungen, kündigten der Welt und Gott den Tod an und führten große Reden (die dem Donnerer treu ergebenen Streitkräfte seien erbittert wegen der Lasten, die sie zu tragen hätten, und würden seiner Wut Sperriegel oder Hemmschuhe anlegen), so als sei jedem der Ruhm gewiß und als habe man den Sieg schon fest in der Hand:

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<100> Sic odere moras cupidi, sic proelia poscunt.
        Senserat extemplò motum hunc rerum pater et rex,
Quem res nulla latêre potest, abscondita quamvis,
Multumque ingratis animis et corde superbo
Spirituumque illo furioso excanduit ausu.
Mox ergo spaciosi armamentaria coeli
Recludi, sanas et adhuc capere arma cohortes,
Viribus et totis contra pugnare rebelles
Imperat et cunctis Michaelem praeficit armis.
Nec mora quassatur magno coelum omne tumultu,
Armataeque ruunt acies decernere ferro.
Hos mandata urgent, spes contrà accenderat illos
Fervens imperii libertatisque cupido.
Fortibus hinc animis concurritur atque furentis
Ambiguo Mavortis opus certamine fervet,
Neutra acie meditante fugam, coelestia donec
Omnipotens multo concussit regna tonitru
Ignesque intorsit crebros flammasque vorantes
Impiaque irato perterruit agmina vultu
Arreptumque ducem coelo deiecit ab alto.
Non ita praecipiti rumpit globus aëra cursu
Bombardae horrisonae, quem vis Vulcania torquet,
Non ita nunc etiam iactat sua tela Creator
Excelsas plectens turres aedesque superbas.
Amisso duce mox reliquorum frigidus ossa
Invadit tremor, et spaciosa per aequora coeli
Defugiunt cursim, latebras tempusque pusillum,

so zuwider war ihnen in ihrer Gier jeder Aufschub, so sehr verlangten sie nach dem Kampf.
        Der Schöpfer und Lenker der Welt, dem nichts verborgen bleiben kann, sei es auch noch so sehr den Blicken entzogen, hatte diesen Aufstand sogleich bemerkt und ergrimmte sehr über die undankbare Gesinnung und das hochmütige Herz sowie jenes rasende Unterfangen der Geister. Alsbald ließ er also die Rüstkammern des weiträumigen Himmels öffnen und befahl den noch unverdorbenen Truppen, die Waffen zu ergreifen und die Aufrührer mit aller Kraft zu bekämpfen, und erteilte Michael den Oberbefehl über alle Streitkräfte. Und sogleich geriet der ganze Himmel durch großes Getümmel in Aufruhr, und bewaffnete Schlachtreihen stürmten los, um den Kampf mit dem Schwert zu entscheiden. Diese trieb der Befehl voran, jene dagegen entflammte die glühende Hoffnung auf Herrschaft und die Begierde nach Freiheit. Daher stürmten sie voller Kampfesmut aufeinander los und betrieben hitzig, in unentschiedenem Kampf, das Handwerk des tobenden Mars. Keine der beiden Schlachtreihen dachte an Flucht, bis der Allmächtige das Himmelreich von vielen Donnerschlägen erdröhnen ließ, zahlreiche Blitze und verzehrende Flammen schleuderte, die frevelhaften Truppen mit seinem zornigen Antlitz in tiefen Schrecken versetzte und ihren Anführer ergriff und vom hohen Himmel hinabwarf. So zerteilt nicht die Kugel der schrecklich tönenden Büchse in ihrem rasenden Flug die Lüfte, losgeschleudert von der Gewalt des Feuers; so auch schleudert der Schöpfer heutzutage nicht seine Geschosse, wenn er hohe Türme und stolze Häuser straft. Nachdem sie ihren Führer verloren hatten, fuhr den Zurückgebliebenen alsbald eisiger Schauder ins Gebein, und im Sturmschritt entflohen sie über die weiten Ebenen des Himmels – in der Absicht, einen Schlupfwinkel ausfindig zu machen und ein wenig Zeit zu gewinnen,

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<101> Quo revocare ducem possint et praelia tentent
Altera, quaerentes. At lux clarissima prodit
Omnia, nec locus ullus adest per plana latebris,
Insuper et legio victrix instatque premitque.
Ergo quum fugerent hi, persequerentur et illi
Circuituque novem pariter traherentur in orbes
Nec pavidae auderet turbae consistere quisquam,
Omnibus è coelo portis per inane feruntur
Aëra in impurum terrasque et triste barathrum
Praecipites: triduo ceu nix largissima Phoebi
Auferat aspectum tectisque et frondibus altis
Pendeat et latè terras hominesque ferasque
Opprimat atque metu sua cedere cogat in antra.
Aut veluti complent importunae omnia muscae,
Igneus in proprio vehitur cum sidere Titan,
Quum mensas super atque dapes et pocula Bacchi
Involitant gustantque saporum dulcia primae
Nec rarò patinis avidae merguntur in ipsis
Et saturae optato saepe immoriuntur Iaccho.
Quin etiam coenantum infestant ora manusque,
Cunctaque perturbant gravibus coenacula bombis,
Nec pulsae discunt ullis parêre flabellis,
Nec turbam possis ulla exhaurire medela.
        Protinus in casu flagranti numinis ira
Pristina cunctorum facies et forma recessit.
Sordidus Aethiopum deturpat corpora nigror
Et spurcis horrent squamis villisve ferinis.

innerhalb deren sie ihren Anführer zurückrufen und eine zweite Schlacht versuchen könnten. Doch das gleißend helle Licht machte alles offenbar, und über die ganze Ebene hin bot sich kein Ort für ein Versteck; darüber hinaus war ihnen das siegreiche Heer auf den Fersen und bedrängte sie. Als also diese flohen und jene sie verfolgten – als sie durch ihren kreisenden Lauf allesamt in die neun Sphären gezogen wurden und kein einziger aus der verängstigten Truppe stehenzubleiben wagte, stürzten sie durch alle aus dem Himmel hinausführenden Tore kopfüber durch den leeren Raum in die unsaubere Lufthülle, auf die Erde und in den grausigen Schlund: wie wenn über drei Tage hin massenhafter Schnee die Sonne unsichtbar macht, von Dächern und hohen Ästen hängt und weithin das Land sowie Menschen und wilde Tiere überwältigt und sie zwingt, aus Furcht in ihre Höhlen zu entweichen – oder wie wenn alles von lästigen Fliegen wimmelt, wenn der feurige Titan auf dem eigenen Gestirn einherfährt: wenn sie über Tischen, Speisen und Weinbechern schwirren, als erste von den Süßigkeiten unter den Leckerbissen kosten und in ihrer Gier nicht selten sogar in den Schüsseln ertrinken und oft gesättigt in dem ersehnten Wein zu Tode kommen; ja sie greifen sogar Münder und Hände der Speisenden an und bringen mit ihrem lästigen Gebrumm Unruhe in alle Speisezimmer und lernen auch keinen Gehorsam, wenn man mit Wedeln nach ihnen schlägt, und man kann den Schwarm mit keinem Mittel vernichten.
        Sogleich, während des Sturzes, verloren alle – infolge des glühenden Zornes der Gottheit – ihre vormalige Schönheit und Wohlgestalt. Die schmutzige Schwärze der Mohren verunstaltete ihre Leiber, und sie starrten von garstigen Schuppen oder zottigen Fellen in der Art wilder Tiere.

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<102> Terribile ignitumque caput, cui parte ab utraque
Cornua bina insunt torvae minitantia fronti,
Unde ater mistis scintillis fumus in auras
Surgit. Gorgonei volvuntur cornua circum
Exertis angues linguis ac ore patenti
Iugiter ad morsus et eisdem texta supernè
Crista minas spirat. Rutilantia lumina flammis
In Cyclopaeos orbes vindicta redegit.
Non ita serpentem dicas Martemve tueri,
Non ita Titanas, Lybicis nec Gorgonas oris.
Aures dependent longè lateque per armos,
Quales esse canum dicas, qui nare sagaci
Vestigare solent silvis spelaea ferarum:
Has tamen[41] arbitrio tolluntque premuntque vicissim.
Falcatus nasus longeque proboscidis instar
Nigrantis barri. Latis è naribus atra
Promanat pix sulphureasque proboscide stillas
Spargunt: infecta quibus aut tellure marive
Pisces ac laetis pecudes moriuntur in herbis.
Subter diducto vastè amplo ad tempora rictu
Horrendum frendent incurvis dentibus apri.
Inde ignes ac immedicabile virus echidnae
Pestiferasque vomunt tumidis pulmonibus auras.
Pannosae pendent setoso pectore mammae,
Quales esse solent partus post octo lupinae.
His rabiem immulgent gnatis odiumque superni
Principis et spurcam stipant in corda salivam.

Ihr Kopf war schrecklich und glühte wie Feuer; er trug auf beiden Seiten zwei Hörner, die eine finstere Stirn bedrohten, von der schwarzer, mit Funken untermischter Rauch in die Lüfte emporstieg. Um die Hörner wanden sich gorgonische Schlangen mit herausgestreckten Zungen und offenem Maul, ständig bereit zum Biß, und von dem Kamm, den ebendiese auf der Oberseite trugen, gingen Drohungen aus. Die blitzenden, goldglänzenden Augen verwandelte die Strafe in zyklopische Augenhöhlen. Man kann sagen, daß keine Schlange so blickt, nicht Mars, nicht die Titanen und auch nicht die Gorgonen in Libyen. Die Ohren hingen lang und breit über die Oberarme herab. Man kann sagen, sie waren wie die von Hunden, die gewöhnlich mit scharfer Nase in den Wäldern die Höhlen wilder Tiere aufspüren (Hunde aber richten ihre Ohren nach freiem Willen auf und legen sie wieder an!). Die Nase war sichelförmig gebogen und glich sehr dem Rüssel des schwärzlichen Elefanten. Aus den weiten Nasenlöchern strömte schwarzes Pech, und mit dem Rüssel versprühten sie Schwefeltropfen; wenn Erde oder Meer mit ihnen benetzt werden, sterben die Fische und das Vieh auf der üppigen Weide. In dem ungeheuer großen, unterhalb des Rüssels bis zu den Schläfen hingezogenen klaffenden Mund knirschten sie schaurig mit gekrümmten Wildschweinzähnen; daraus speien sie Flammen und das ärztlich nicht zu bekämpfende Gift der Viper und die verderbenbringenden Dünste ihrer geblähten Lungen. Von der behaarten Brust hingen lappige Brüste – so wie gewöhnlich bei einer Wölfin, nachdem sie achtmal geworfen hat. Aus ihnen melken sie in ihre Kinder Wildheit und Haß auf den Fürsten des Himmels und füllen ihnen die Herzen mit garstigem Schleim.

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<103> Occiput et turpes clunes tergumque draconum
Ora tenent. Medio prodit longissima cauda
Podice, nulla tulit qualem alti belua Nili.
Forma pedum manuumque palustri proxima ranae[42],
Unguibus exceptis, quos credas esse leonum.
Talem traxerunt illi post praelia formam.
        Omnibus expulsis coeli terraeque Creator
Ignibus invictis coelum solidoque adamante
In gyro cingens reditum illis obstruit omnem,
Ipse quoad coelo vitales carperet auras.
Decernit quoque, transierint quum tempora mundi,
Conatus huius pravi bellique nefandi
Aeternas solvant flammis et carcere poenas.
Haec firmans nutu totum concussit Olympum.
        Hoc tanto casu poenisque in fine luendis
Haud meriti tantum Satanas iustique doloris,
Immensae quantum rabidus conceperat irae.
Dispersos ergo socios contraxit in unum,
Et postquam in mediis sedem conscenderat altam,
Alloquitur moesto ducens suspiria corde:
        „Heu socii, quàm nos infaustè pugna fefellit
Eventusque rei! quàm nacti infausta duelli
Tempora! Rem nostram sorti permisimus omnem,
Magnaque perdidimus digni maioribus. Ast hoc
Soletur, quòd non nostra victoria culpa
Hostibus accessit. Res omnis gesta profectò,
Quantum consilio potuit vel viribus ullis

Der Hinterkopf, das scheußliche Hinterteil und der Rücken waren mit Drachengesichtern besetzt. Mitten aus dem Gesäß wuchs ein sehr langer Schwanz, wie ihn kein Untier des tiefen Nils getragen hat. Die Form der Füße und Hände ähnelte sehr einem Sumpffrosch, mit Ausnahme der Krallen, die man für die eines Löwen halten konnte. Solch eine Gestalt hatten sie nach Beendigung der Kämpfe angenommen.
        Nachdem alle vertrieben worden waren, umschloß der Schöpfer Himmels und der Erde den Himmel kreisförmig mit unbezwingbarem Feuer und hartem Stahl und verwehrte jenen so jede Rückkehr, solange er selbst im Himmel die lebenspendende Luft genoß. Er entschied auch, daß sie, wenn das Ende der Welt gekommen sein würde, für dieses sündhafte Unterfangen und diesen frevelhaften Krieg auf ewig mit Feuer und Kerkerhaft bestraft werden sollten. Als er dies mit einem Nicken bekräftigte, ließ er den ganzen Himmel erbeben.
        Wegen dieses schweren Sturzes und der in alle Ewigkeit abzubüßenden Strafen nährte Satan wutschnaubend in seinem Herzen gleichermaßen ganz ungebührlichen und ungerechtfertigten Groll wie unermeßlichen Zorn. Er brachte also die versprengten Gefährten an einem Ort zusammen, und nachdem er in ihrer Mitte einen hohen Thron bestiegen hatte, sprach er zu ihnen aufseufzend aus gramvollem Herzen:
        „O weh, Kameraden, wie unselig haben uns der Kampf und der Ausgang des Unternehmens zu Fall gebracht! Wie ungünstig war der Zeitpunkt des erlangten Krieges! Unsere Sache haben wir gänzlich dem Schicksal anheimgegeben, und Großes haben wir verloren, wir, würdig eines Größeren. Doch es mag uns ein Trost sein, daß den Feinden der Sieg nicht durch unsere Nachlässigkeit zugefallen ist. Das ganze Vorhaben wurde wahrhaftig so ausgeführt, wie es vermittels kluger Berechnung, des Einsatzes aller Kräfte

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<104> Praesentive geri corde. Adversaeque cohortes
Non nos praestanti vicerunt robore belli,
Sed numero tantum dignosque premente bonosque
Fortuna, indignos verò tollente vicissim.
Nostras haec etiam modò res confregit iniquè,
Abstulit et formam clarique habitacula coeli.
Sexaginta etiam dirae post saecula poenae
Nos omnis divina manent decreta secundum.
Tanta forent animis multumque diuque pusillis
Deploranda quidem. At nos nec maioribus unquam
Frangi animo decet aut suspendia saeva pacisci.
Verùm agite, ô socii, simul haec quos damna lacessunt.
Aeterno nobis hoc esto foedere sanctum,
Donec terra subest coelis et sidera cursum
Servant oceanusque vagus circumfluit orbem,
Nullus ut esse Dei iuratus desinat hostis,
Ne quis amet metuatve aut ulla obtemperet in re
Neu gratum quicquam faciat, contrarius ito
Quisque, ut perpetuos meritò trudatur in ignes.
Este viri atque Deum vultu contemnite torvo.
Non adamas nec stans rabiosa per aequora cautes
Vestrum duricie caput aut praecordia vincat,
Nullum poeniteat cassi moliminis unquam.
Huc nos ira furorque vocat vindictaque dulcis,
Quam praetermittet sapiens (me iudice) nemo.“
        Sic ait, assensuque omnes simul ore fremebant
Irarum pleni coeloque Deoque minantes:

oder entschlossenen Mutes nur möglich war. Die feindlichen Truppen haben uns nicht durch überlegene kriegerische Tüchtigkeit besiegt, sondern nur durch ihre Zahl und dank der Tatsache, daß das Glück die Würdigen und Tüchtigen duckt, die Unwürdigen aber erhebt. Nun hat dieses auch unsere Pläne unbilligerweise zunichte gemacht und uns unserer Wohlgestalt und unserer Behausungen im lichterfüllten Himmel beraubt. Am Ende der Zeiten erwarten uns alle zudem nach göttlichem Ratschluß zahllose grauenvolle Strafen. So großes Ungemach wäre für Kleinmütige wohl ein Grund, sich des langen und breiten in Wehklagen zu ergehen. Uns aber geziemt es, auch bei größeren Schwierigkeiten niemals den Mut sinken zu lassen oder uns zum schrecklichen Tod des Erhängens zu verabreden. Auf denn, o Kameraden: Diese Niederlage läßt euch doch auch keine Ruhe! Folgendes sei von uns in ewigem Bund unverbrüchlich beschlossen, solange die Erde sich unter dem Himmel befindet, solange die Sterne in ihrer Bahn bleiben und der unstete Ozean den Erdkreis umfließt: daß niemand aufhöre, Gottes geschworener Feind zu sein, daß niemand ihn liebe, fürchte, ihm in irgendeiner Sache gehorche oder etwas tue, was ihm willkommen ist; jeder arbeite ihm entgegen, damit er verdientermaßen ins ewige Feuer gestoßen wird! Seid Männer und bietet Gott mit wilder Miene die Stirn! Weder der Stahl noch der im tobenden Meer unerschütterlich ruhende Fels soll euren Kopf oder euer Herz an Härte übertreffen; niemanden soll jemals eine vergeblich unternommene gewaltige Anstrengung reuen. Hierzu rufen uns Zorn und Wut auf und das süße Gefühl der Rache, auf die kein Vernünftiger, wie ich meine, verzichten wird.“
        So sprach er – und mit einer Stimme erhoben alle Beifallsgemurmel, zornerfüllt und gegen den Himmel und gegen Gott Drohungen ausstoßend:

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<105> Ut globus in devexo levi propellitur ictu
Et sonipes liber nullis calcaribus actus
Iactans colla iubasque aequor metitur apertum.
Per terrenum igitur coniurant aera cuncti,
Per terras Stygiumque lacum Lethesque fluenta,
Ire Deum contra verbis factisque scelestis,
Nullius et noxae veniam scelerumque precari,
Ut ne Cocyti frustra mergantur in undis.


Satyra secunda.

Quoslibet irrides, naso et suspendis adunco,
Idque studes, ut vix te sit mordacior alter,
Vel contra immeritos et qui se rentur amicos
Esse tuos. Laudem vis nempe auferre dicacis?
Teque putas sannis censeri posse facetum.
Et ne materies desit morsusque iocique,
Undique conquiris nova rumoresque sinistros.
Nec subit, an veros, an falsos. Omnia credis
Et memor in quosvis effundis clamque palamque.
Atque etiam (sic nil pudet) auditoria sternis
Publica quaesitis adeò beneolentibus herbis.
Et quamvis unus soleat te audire duove
Ad summum causaque tui duntaxat honoris,
Non studii (quid enim doceas, quo perdere quisquam
Debeat aut possit tempus?), tamen, ut brevis hora
Transeat, assultu laceras morsuque canino
Quemlibet, id quasi te doceant civilia iura

so wie sich eine Kugel auf abschüssiger Fläche mit einem leichten Stoß in Bewegung setzen läßt und wie das freie, von keinem Sporn angetriebene Pferd Hals und Mähne schüttelnd die offene Ebene durchmißt. Also schworen sie alle bei der irdischen Luft, bei der Erde, beim stygischen See und beim Lethe-Strom, gegen Gott anzutreten mit ruchlosen Worten und Taten und für keine Schuld und keine Freveltat um Vergebung zu bitten, damit sie ja nicht ohne Grund in des Cocytus Wogen versänken.



Zweite Satire

Über jeden spottest du und rümpfst du die Nase, und dessen befleißigst du dich so, daß es kaum einen zweiten gibt, der bissiger wäre als du – und dies sogar gegenüber Menschen, die dies nicht verdient haben und sich deine Freunde nennen. Offenbar willst du dir den Ruhm eines Witzbolds erwerben? Und du glaubst, wegen deiner Grimassen könnte man dich für witzig halten. Und damit dir nicht der Stoff für Stichelei und Scherz ausgeht, schnappst du aus allen Richtungen Neuigkeiten und üble Nachreden auf. Dich beschleicht auch kein Gedanke daran, ob diese wahr oder falsch sind. Alles glaubst du, merkst es dir gut und schüttest es über jeden Beliebigen aus, sowohl hinterrücks als auch in aller Offenheit. Ja du bist sogar so schamlos, daß du Hörsäle mit derart auserlesenen wohlriechenden Kräutern bestreust. Zwar hört dir gewöhnlich nur einer zu oder höchstens zwei, und dies nur anstandshalber, nicht aus Interesse (denn was könntest du schon lehren, dessentwegen irgend jemand Zeit verschwenden sollte oder könnte?): und dennoch zerfleischst du jeden Beliebigen, damit die Stunde schnell vergeht, indem du ihn wie ein Hund anspringst und beißt – so als lehrte dich das bürgerliche Recht,

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<106> Et leges iubeant alienam rodere famam.
Quae te quaeso senem miserum dementia cepit[43],
Ut ridere velis alios ridendus abundè?
Et mordere alios, morderi dignior ipse?
Ut privata etenim sileam gestusque gradumque
Teque geras quonam pacto conviva vel hospes
(Haec condonabo tibi et intra tecta relinquam):
Aspice duntaxat, quo pacto seria tractes
Publica quîque legas commisso munere iura.
        „Primò, auditores, omnino Codicis antè
Est de iudicibus tractatum omnino legendis
Deque magistratu officiisque omnino gerendis:
Nunc de iudiciis omnino dicere restat.
Sunt autem omnino quaedam curanda prius, quàm
Iudicium accedas. Est magni omnino negoci
Actorem esse reumque omnino vincere veris.
Librandum est, quid causae omnino habeasque petasque,
An testes omnino aut instrumenta supersint,
Unde probes, quod vis omnino auferre petendo.
Nunc ergo omnino sequitur liber iste secundus,
Primum et de Edendo. Quo rectè omnino docemur,
Inspicere actorem debere omnino, probandi
Quae sibi sit praestò constetque omnino facultas.
Nam reus actori non mox omnino tenetur
Edere conscriptos rationum omnino libellos,
Unde sciat discatque omnino, quidve petendum
Quave via sibi agendum omnino. Scilicet illud

als beföhlen dir die Gesetze, den Ruf eines anderen herabzusetzen. Ich bitte dich: welcher Irrwitz hat dich elenden Greis befallen, daß du dich über andere lustig machen willst, du, der doch selbst über die Maßen lächerlich ist? Daß du andere durchhecheln willst, du, der dies eher selbst verdient hätte? Um nämlich von persönlichen Dingen zu schweigen, deiner Gestik, deinem Gang, deinem Benehmen als Tischgenosse oder Gastfreund (dies erlasse ich dir und behalte es für mich): achte doch nur einmal darauf, wie du ernsthafte öffentliche Aufgaben wahrnimmst und wie du in dem dir anvertrauten Amt über Jurisprudenz liest!
        „Zunächst, meine Zuhörer: bisher haben wir platterdings von den Richtern des Codex gehandelt, die platterdings gelesen werden müssen, ferner von der Obrigkeit und den platterdings auszuführenden Amtsgeschäften. Nun bleibt uns noch, platterdings von den Gerichten zu sprechen. Es gibt aber gewisse Dinge, die platterdings geklärt sein müssen, bevor man sich ans Gericht wendet. Es ist eine platterdings bedeutsame Sache, als Kläger aufzutreten und den Beklagten vermittels der Wahrheit platterdings zu besiegen. Zu erwägen ist, welchen Rechtsfall man platterdings vor sich hat und worauf man klagt, ob platterdings noch Zeugen oder Beweismittel vorhanden sind, mit deren Hilfe man das beweisen kann, was man mit der Klage platterdings erreichen will. Jetzt also ist platterdings dieses zweite Buch hier an der Reihe, und zwar das erste Kapitel: „Von der Klageerhebung“. Dies lehrt uns platterdings ohne Fehl, daß der Kläger platterdings genau erwägen muß, welche Beweismöglichkeit ihm zu Gebote steht und platterdings festen Bestand hat. Denn der Beklagte ist platterdings nicht gehalten, dem Kläger alsbald die Rechnungsbücher mit den Eintragungen platterdings auszuhändigen, damit dieser daraus platterdings entnehmen und in Erfahrung bringen kann, worauf er klagen und wie er den Prozeß platterdings führen muß. Diese Frage nämlich

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<107> Iudex omnino solitus cognoscere tandem,
Debeat an reus, an non omnino edere libros.
Porrò, auditores, omnino huiusmodi casum
Fingamus. Nummorum omnino haud parvula summa
Publicum apud campsorem omnino est deposita à me,
Chirographumque accepi omnino, et me penes illud
Servavi longum omnino. Conscripsit et ipse
In libro rationum omnino haec acta suarum.
Interea omnino fato decessit, et illi
Filia successit contracti omnino negoci
Ignara, unde tamen nummos omnino reposco.
Illa negat. Quia verò omnino chirographum mi
Fortuito periit casu, omnino volo, libros
Ipsa edat rationum, omnino ut noscere possim,
Quantum illa omnino debeat quantumque solutum.
Quaeritur omnino nunc, compellendane libros
Edere? respondetque omnino talia Caesar,
Dispicere omnino me debere, unde petendum
Ipse probem causaeque omnino quo genere utar,
Mutui an omnino, an magè depositi, neque primùm
Libris omnino niti alteriusve reive.
Si tamen omnino nulla instrumenta supersint
Nec scriptum omnino aliud nec denique testes
Nec quî perdiderim, doceam omnino, sapientis
Iudicis omnino fuerit, se ponat ut inter
Praecipiatque ream omnino proferre libellos,
Quos velim, ut omnino inde queat cognoscere verum.

– ob der Beklagte die Bücher platterdings aushändigen muß oder nicht – pflegt platterdings schließlich der Richter zu untersuchen. Konstruieren wir, meine Zuhörer, nun einmal platterdings den folgenden Fall: Ich habe eine platterdings durchaus nicht geringfügige Summe Geldes bei einem öffentlichen Wechsler platterdings deponiert, platterdings eine Schuldverschreibung erhalten und sie bei mir platterdings lange Zeit aufbewahrt. Und er selbst hat diesen Vorgang platterdings in seinem Rechnungsbuch notiert. Unterdessen ist er platterdings Todes verblichen, und an seine Stelle ist seine Tochter getreten, die von dem Geschäftsabschluß platterdings nichts weiß. Gleichwohl fordere ich von ihr mein Geld platterdings zurück. Sie lehnt ab. Da mir aber platterdings die Schuldverschreibung zufälligerweise abhanden gekommen ist, will ich platterdings, daß sie selbst die Rechnungsbücher vorlegt, damit ich platterdings feststellen kann, wieviel sie platterdings schuldig ist und wieviel ausbezahlt wurde. Es fragt sich jetzt platterdings: kann sie zur Herausgabe der Bücher gezwungen werden? Der Kaiser gibt darauf platterdings folgende Antwort: ich müsse mich platterdings selbst danach umsehen, womit ich meine Forderung unter Beweis stelle, welches Prozeßverfahren ich platterdings anwende, ob ich platterdings ein Darlehen oder vielmehr einen hinterlegten Geldbetrag einklage; und fürs erste dürfe ich mich platterdings nicht auf die Bücher eines zweiten oder des Beklagten stützen. Wenn aber platterdings keine Beweismittel mehr vorhanden sein sollten – weder ein platterdings anderes Schriftstück noch schließlich Zeugen – und wenn ich platterdings nicht nachweisen könnte, wie mir der Verlust entstanden ist, könnte es platterdings Sache eines weisen Richters sein, sich einzuschalten und der Beklagten anzubefehlen, die Bücher, nach denen ich verlange, platterdings vorzuweisen, damit er sich daraus platterdings über den wahren Sachverhalt zu unterrichten vermag.

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<108> Casus ita est. Quem circa omnino ritè docemur,
Ut cauti omnino simus, quid, quando, quibus cum,
Quo praesente omnino et qua ratione geramus;
Ne sine chirographis omnino aut testibus unquam
Aut instrumentis omnino aliisve[44] libellis.
Nam sumus omnino mortales atque caduci
Omnes, nullus et omnino promittere certum
Vivendi omnino debet sibi tempus et horam.
Sunt etiam infidi plerique omnino negantque
Contractus et pacta omnino fraude doloque.
Quare si omnino nolimus perdere nostra,
Provideamus ea omnino, quîs iure probare
Possimus contractum omnino ipsosque negantes
Vincere. Praeterea omnino quoque discimus illud,
Quantum omnino habeat quenquam accusare negoci.
Tranquillus reus est omnino seque negando
Syllaba, quod praestat fortè, omnino una tuetur.
Hoc actor nequit omnino. Sit cinctus oportet,
Cinctum aliquem quicunque omnino vincere tendit.
Praeterea omnino, quoniam argentaria causam
Praebuit Aemylio praetentae omnino querelae,
Hoc de argentariis nobis omnino sciendum,
Esse trapezitas omnino nomine dictos
Graio dicanturque aliis omnino Latinè.
Porrò fuere viri omnino dites et honesti,
Multae noticiae multique omnino favoris
Tam propter se ipsos quàm omnino publica propter

So ist der Fall gelagert. Er lehrt uns platterdings füglich, platterdings sorgsam darauf acht zu haben, was für ein Geschäft wir tätigen, wann wir dies tun, mit welchen Personen, in wessen Gegenwart platterdings und auf welche Art und Weise; und daß wir es platterdings niemals tätigen ohne Schuldverschreibungen, Zeugen oder platterdings Urkunden oder anderweitige Schriftstücke. Denn wir sind platterdings allesamt sterblich und hinfällig, und platterdings niemand ist verpflichtet, auf Zeit und Stunde genau Versprechungen darüber abzugeben, wie lange sein Leben platterdings dauern werde. Die meisten sind auch platterdings unzuverlässig und leugnen Abmachungen und Verträge platterdings mit Lug und Trug. Wenn wir unser Eigentum platterdings nicht verlieren wollen, sollten wir daher platterdings Vorsichtsmaßregeln treffen, mit denen wir die Abmachung platterdings rechtmäßig zu beweisen und auch diejenigen, die sie bestreiten, zu widerlegen imstande sind. Außerdem lernen wir platterdings auch dies: wie großen Aufwand es platterdings mit sich bringt, jemanden zu verklagen. Der Beklagte verhält sich platterdings ruhig und verteidigt sich (was vielleicht der bessere Weg ist) mit einsilbigem Bestreiten. Zu einem solchen Verhalten ist der Kläger platterdings nicht imstande. Wer immer einen Gerüsteten platterdings zu besiegen bestrebt ist, muß selbst gerüstet sein. Da ja ein Wechslerladen dem Aemilius Anlaß für eine platterdings vorgeschobene Klage bot, müssen wir platterdings außerdem von den Geldwechslern platterdings dies wissen, daß sie nach der griechischen Bezeichnung platterdings ‚trapezitae’ hießen und man sie sonst platterdings mit dem lateinischen Wort benennt. Es waren dies nun aber platterdings reiche und ehrbare Leute, deren Namen weithin einen guten Klang hatten und die platterdings sehr beliebt waren – ebenso aufgrund ihrer Persönlichkeit wie platterdings wegen ihrer öffentlichen

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<109> Munera. Tum libros rationum omnino tenebant
Ad fraudem penitus vitandam omnino dolumque.
Hinc non argentarii[45] omnino foemina munus
Procurare potest omnino, ut lege negatum
In Pandectis omnino, titulo sub eodem:
Muneris omnino maiestas publici in illo
Ne sexu omnino vilescat neve minus sit
De fraude atque dolo cautum omnino omnibus. Ergo
Quaeritur omnino, quando argentaria lege
Foemina non queat esse omnino nec rationum
Ulli mandari codex omnino, teneri
Omnino cur dicat ad edendum? At putat una
Glossa, quòd omnino[46] successerit ista marito
Ut coniunx aut certè omnino ut filia patri.
Glossa haec omnino sed divinare videtur.
Dicitur omnino melius, quòd foemina, quamvis
Fecerit haec, nullos rationum omnino libellos
Officii virtute omnino publici, at ultro
Fecerit omnino. Permissum hoc denique munus
Huic gerere omnino propter moresque fidemque
Et probitatem expertam omnino. Namque fuerunt
Illustres omnino aliae illo munere functae.
Polla omnino fuit quaedam argentaria coniunx
Lucani, perdocta omnino et foemina prudens,
Nobilis et formosa omnino et divite censu
Clara. Dare huic probitas omnino nota frequenter
Assolet, huic alioqui illive omnino negatum,

Dienstleistungen. Sie besaßen damals platterdings Rechnungsbücher, um Lug und Trug platterdings gänzlich auszuschließen. Deshalb kann platterdings eine Frau das Geschäft des Wechslers platterdings nicht ausüben, wie dies denn auch nach den Pandekten (unter dem gleichen Titulus) platterdings gesetzlich verboten ist: damit platterdings das Ansehen der öffentlichen Dienstleistung mit jenem Geschlecht platterdings keine Einbuße erleidet oder die Sicherheit vor Lug und Trug nicht platterdings allgemein abnimmt. Somit stellt sich platterdings die folgende Frage: wenn eine Frau nach dem Gesetz platterdings keine Wechslerin sein und ein Rechnungsbuch ihr platterdings nicht anvertraut werden kann, warum sagt dann das Gesetz, daß sie platterdings zur Herausgabe verpflichtet werde? Eine einzige Glosse meint nun aber, der Grund dafür bestehe darin, daß platterdings jene besagte Frau als Ehefrau die Nachfolge ihres Mannes oder doch wenigstens platterdings als Tochter die ihres Vaters angetreten habe. Diese Glosse scheint aber platterdings hellsehen zu können! Platterdings sagt man besser so: der Grund ist der, daß diese Frau, obwohl sie solches tat, platterdings die Rechnungsbücher nicht kraft Ausübung einer platterdings öffentlichen Dienstleistung angelegt hat, sondern platterdings aus freien Stücken. Und daraufhin wurde dieser Frau die Führung dieses Geschäftes platterdings aufgrund ihres tadellosen Lebenswandels, ihrer Zuverlässigkeit und platterdings bewährten Rechtschaffenheit gestattet. Es gab ja platterdings auch sonst hochangesehene Frauen, die in jenem Geschäft tätig waren. Eine Art von Geldwechslerin war platterdings Polla, die Gattin Lukans, eine platterdings hochgebildete und kluge Frau, von edler Abkunft und platterdings schöner Gestalt und wegen ihres Reichtums von großem Ansehen. Platterdings wohlbekannte Rechtschaffenheit pflegt häufig dieser einen Frau etwas zu ermöglichen, was im übrigen dieser oder jener platterdings untersagt ist

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<110> Aut propter sexum personae omnino statumve.
        Proh pudor, „omnino“ toties quid dicis ineptè?
Nec sentis quicquam nec corrigis? Et „citharoedus
Ridetur, chorda qui semper oberrat eadem“,
Flaccus ait. Te non ridebimus usque strepentem
Ter centum „omnino“ praeter sensumque locumque?
Praesertim morsu tibi derisuque iocisque
Incomptis quum adeò placeas, oblitus amici,
Hospitis et noti, te quantumcunque colentis?
Depone hunc morbum teque ipsum respice paulùm,
Ne iocus et tu aliis fias et fabula vulgi.
Non adeò bellum, quosvis mordere cavillis
Famamque integri dente arrosisse canino.
Mus quoque correptus pedibus pressusque remordet,
Nec placidam quamvis laedas impunè catellam.


Satyra tertia.

Post missum quondam sanctum spiramen ab alto
Christigenûm mirè numerus crescebat in horas,
Praesertim Solymis duodeno stante senatu,
In temploque docente palàm domibusque foroque
Doctrinamque novam signis firmante stupendis.
        Hoc indignè autem princeps spectabat Averni
Multa videns hominum seduci millia verbo
Vel semel audito Christoque accedere regi
Iusticiamque operum non ut celebrarier antè,
Concidere excelsam meritorum spemque fidemque

- wegen ihres Geschlechts platterdings oder wegen ihres Standes.“
        O Schande! Warum sagst du so oft am unrechten Ort „platterdings“? Merkst du nichts und korrigierst dich auch nicht? Auch „der Kitharoede, der sich immer auf derselben Saite vergreift, macht sich lächerlich“, wie Flaccus sagt. Wird man dich nicht auslachen, wenn du in einem fort dreihundertmal ohne Sinn und Verstand „platterdings“ dahertönst? Zumal du dir so sehr in Stichelei, Spott und rohen Scherzen gefällst und darüber den Freund und den dir gut bekannten und dir noch soviel Achtung bezeigenden Tischgenossen vergißt! Lege diese krankhafte Sucht ab und sei ein wenig selbstkritisch, damit nicht auch du für andere zur Witzfigur wirst und zum Geschwätz der Menge! Es ist nicht sehr fein, jeden Beliebigen mit Spötteleien zu kränken und den Ruf eines Unbescholtenen mit hündischem Zahn zu benagen. Auch eine Maus beißt zurück, wenn man sie an den Füßen packt und in Bedrängnis bringt, und ungestraft tust du auch einem noch so sanftmütigen Hündchen nicht weh!


Dritte Satire

Nachdem einst der Heilige Geist vom Himmel herabgesandt worden war, wuchs die Zahl der Christen wundersam von Stunde zu Stunde, vor allem in Jerusalem, wo sich der Rat der Zwölf befand, der im Tempel, in den Häusern und auf dem Markt öffentlich lehrte und die neue Lehre mit erstaunlichen Wunderzeichen bekräftigte.
        Dies aber beobachtete der Fürst der Hölle mit Unmut: sah er doch, daß viele Tausende von Menschen schon durch einmaliges Hören des Wortes aus ihrer Bahn kamen und sich dem König Christus zuwandten; daß die Werkgerechtigkeit nicht wie zuvor gepriesen wurde; daß der hehre, hoffnungsvolle Glaube an das Verdienst in sich zusammenstürzte;

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<111> Pravaque contemni Pharisaeae dogmata sectae
Sadducaeorumque Essenorumque furores
Divinam contra legem vitamque repertos
À sanctis cultam prima usque ab origine mundi,
Hypocrisin retegi et tenebras decedere crassas,
Verum discerni falsumque dolosque videri,
Quos toti mundo atque ipsis struxisset Hebraeis,
Se regno pelli, pro ridiculoque putari,
Contrà autem regnare et solum esse omnia Christum.
        His super accensus valde sociisque vocatis:
„Exturbamur“, ait, „viresque resuscitat hostis,
Noticiam cuius nomenque oppressimus unà,
Illius et populum valido subduximus astu
Hactenus, et nuper crudeli affecimus ipsum
Supplicio. Heu nulla quicquam profecimus arte,
Haud etiam inflicto lethali denique morsu,
Ne caput obrueret nostrum imperiumque superbum
Frangeret aut nostris esset fiducia captis.
Proh cassum, socii, nostrum fractumque laborem!
Fecimus invisum patribus plebique suisque,
Proditus est captusque, cruce ac suspensus in alta
Desertusque suis, quos antè pararat, amicis
Nostra opera; rebarque nihil superesse pericli
Amplius, ecce autem vivus remeavit ab Horco.
Omnibus ablatis claustris ruptisque catenis
Praefectosque sibi nostros lethumque subegit
Atque triumphator clarum conscendit Olympum.

daß die verkehrten Lehren der Pharisäer-Sekte nicht beachtet wurden; daß sich herausgestellt hatte, daß die Raserei der Sadduzäer und Essener gegen das göttliche Gesetz und die gotterfüllte Lebensführung verstieß, die seit der Entstehung der Welt von den Heiligen beachtet worden waren; sah er doch, daß die Heuchelei offengelegt wurde und die dichte Finsternis wich; daß das Wahre vom Falschen unterschieden und der Betrug, den er der ganzen Welt, ja sogar den Juden, bereitet hatte, durchschaut wurde; daß er selbst von der Herrschaft vertrieben wurde und als lächerlich galt, andererseits aber Christus die Herrschaft ausübte und das Ein und Alles war.
        Als er, hierüber heftig erregt, seine Gefährten herbeigerufen hatte, sprach er zu ihnen: „Man vertreibt uns – und neue Kräfte sammelt wieder der Feind, dessen Ruf und Namen wir gemeinsam unterdrückt, dem wir sein Volk bisher mit wirkungsvoller List entzogen und dem wir kürzlich selbst eine grausame Todesstrafe bereitet haben. Ach, mit keiner Tücke – nicht einmal mit dem tödlichen Biß, den wir ihm schließlich beibrachten – konnten wir ihn daran hindern, unser Haupt in den Staub zu treten und unsere stolze Herrschaft zu brechen oder für unsere Gefangenen Gegenstand festen Vertrauens zu sein. O Kameraden, unsere Arbeit war umsonst, sie wurde zerstört! Wir haben ihn den Vätern, dem gemeinen Volk und den Seinen verhaßt gemacht; auf unser Betreiben hin wurde er verraten, gefangengenommen, ans hohe Kreuz gehängt und von den Freunden, die er einst gewonnen hatte, im Stich gelassen. Ich glaubte schon, es bestehe fernerhin keine Gefahr mehr. Doch seht: lebendig ist er vom Totenreich zurückgekehrt! Nachdem er alle Riegel gesprengt und alle Ketten zerbrochen hatte, hat er unsere Befehlshaber wie auch den Tod bezwungen und ist als Sieger zum lichten Himmel aufgefahren.

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<112> Inde suis magnam conclusis usque latebris
Vim sancti flatus in corda trementia misit
Ignitasque dedit linguas animosque potentes,
Ut iam nos contra fanda atque infanda loquantur
Constantique suum testentur voce magistrum
Nobisque abducant tot millia plebis in horas.
Hoccine sperandum fuit illo ritè perempto,
Surgeret adversum nos ut duodena caterva?
Compluresque alii velut eius sanguine creti
Oppugnatum irent nostri fundamina regni?
Est ludus risusque, satos ab Iasone dentes
Ilico in armatam gladiis crevisse phalangem,
Sunt nec Agenoridae demiranda agmina Cadmi
Dentibus occisi subitò prognata draconis,
Belua nec cuiquam pòst sit Lernaea stupori
Tot capita Alcidae referens truncanda feroci,
Si conferre velis unius morte perempti
Prognatis turbis. Haec sunt praeludia certè
Supremi excidii. Quid enim post ista futurum
Sperem aliud? Mundi sed nondum finis, opinor,
Ante fores. Animis igitur consistite firmis,
Exercete inimicitias odiumque cruentum,
In quod principiò sanctè iuravimus omnes.
Inchoat imperium, video, pomoeria cuius
Latius haud dubiè passim proferre studebit,
Ut pulsis nobis toto dominetur in orbe
Solus et humanum genus ipsi serviat uni.

Von dort hat er den bebenden Herzen seiner Anhänger, die immerfort in Schlupfwinkeln eingeschlossen gelebt hatten, die mächtige Kraft des Heiligen Geistes eingeflößt und ihnen feurige Zungen und starken Mut verliehen, so daß sie schon Erlaubtes und Unerlaubtes gegen uns reden, ihn mit fester Stimme als ihren Meister bekennen und uns von Stunde zu Stunde viele Tausende aus dem Volk abspenstig machen. War dies zu erwarten, daß, nachdem er auf rechte Weise getötet worden war, die Schar der Zwölf sich gegen uns erheben würde? Und daß etliche andere, als seien sie gleichsam aus seinem Blut erstanden, sich daran machen würden, die Grundfesten unserer Herrschaft zu bekämpfen? Es ist ein Spiel und ein Spaß, wenn die von Jason gesäten Zähne auf der Stelle zu einer mit Schwertern bewaffneten Phalanx wurden, und es ist auch nichts Verwunderliches an den Truppen des Agenoriden Cadmus, die sogleich aus den Zähnen des getöteten Drachen entsprossen; kurz, auch die lernaeische Bestie, die immer wieder neue Köpfe hervorwachsen ließ, damit sie vom tapferen Alkiden abgehauen wurden, versetzt niemanden in Erstaunen, wenn man sie einmal vergleicht mit dem Menschengewimmel, das hervorgegangen ist aus dem Tod eines einzigen Ermordeten! Dies sind gewiß Vorspiele zu [unserer] endgültigen Vernichtung. Denn was sollte ich nach alledem für die Zukunft anderes erwarten? Dennoch: meiner Meinung nach steht das Ende der Welt noch nicht vor der Tür. Behauptet euch also mit festem Mut, laßt nicht ab von Feindseligkeiten und dem blutigen Haß, zu dem wir uns zu Anfang alle hoch und heilig verschworen haben! Wie ich sehe, nimmt seine Herrschaft ihren Anfang. Er wird zweifellos darauf hinarbeiten, ihre Grenzen überall weiter auszudehnen, damit er nach unserer Vertreibung auf der ganzen Welt allein herrscht und das Menschengeschlecht ihm allein dient.

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<113> Hoccine perpetiar videamque? Antè omnia malim
Perdita supremosque orbes in Tartara mersos.
Artibus omnigenis agite, adversemur ubique
Armataque manu coepti molimina regni
Subvertamus et à dextra laevaque struamus
Doctrinae insidias pariter cunctisque ministris
Addictoque ipsi populo iunctisque catervis.
Iamque adeò mox nunc prima studeamus in herba
Mystas opprimere infensos Verbumque morari,
Ne quas fortè alias etiam dimanet in urbes.
Pontifices nobis huc usque fideliter haerent
Nobilitasque ferè primoresque atque senatus.
Mobile duntaxat vulgus fexque infima plebis
Auribus auscultat pronis illique cohaeret
Vivereque illius tendit decreta secundum,
Arripit et promissa fide. Pharisaea propago
Sadducaeorumque cohors legisque periti
Illius omnino doctrinam et nomen abhorrent.
Hos instigemus contrà, Allectosque[47] colubris
Imbutos nostris iubeamus rebus adesse,
Viribus et summis nostrum defendere regnum.“
        His assenserunt omnes, et protinus inde
Ampla ad pontificum procerumque palatia tendunt
Atque graves variis acuunt rumoribus iras.
„Stertitis, ô miseri, tanto in discrimine rerum?
Nec quae perniciosa palàm inflammatio surgat,
Cernitis? Eia aliis actutum rebus omissis

Und das soll ich dulden und mitansehen? Eher wollte ich, daß alles zugrundegeht und die obersten Himmelskreise im Tartarus versinken. Geht mit Tücken jedweder Art zu Werke, leisten wir überall Widerstand, vereiteln wir die gewaltigen Anstrengungen zur Begründung seines Reiches mit bewaffneter Hand und legen wir seiner Lehre wie auch zugleich allen seinen Helfern, dem ihm ergebenen Volk und den mit ihm verbundenen Scharen an allen Ecken und Enden einen Hinterhalt! Und laßt uns nun schon sehr bald, solange die Saat gerade erst aufkeimt, die feindseligen Priester niederwerfen und das Wort behindern, damit es sich nicht etwa auch auf andere Städte ausbreitet! Die Hohenpriester halten bislang treu zu uns, im allgemeinen auch der Adel sowie die Vornehmsten und die Senate. Nur die wankelmütige breite Masse und der unterste Bodensatz des Volkes schenkt jenem williges Gehör, schließt sich ihm eng an, ist bestrebt, nach seinen Geboten zu leben, und nimmt seine Verheißungen gläubig auf. Dem Geschlecht der Pharisäer, der Schar der Sadduzäer und den Gesetzeskundigen sind seine Lehre und sein Name schlechthin ein Greuel. Diese laßt uns zum Widerstand aufreizen und ihnen – als von Schlangen unterwiesenen Beisitzern – anbefehlen, unserer Sache beizustehen und unsere Herrschaft mit vollstem Einsatz aller Kräfte zu verteidigen!“
        Diesen Worten pflichteten alle bei, und unmittelbar darauf begaben sie sich zu den großen Palästen der Hohenpriester und Vornehmsten und stachelten sie durch vielerlei Gerede zu schwerem Zorn auf: „Schnarcht ihr, o ihr Ärmsten, in so großer Gefahr? Und bemerkt ihr nicht, welch gefährlicher Feuerbrand vor aller Augen hoch emporlodert? Auf! Laßt alles andere sogleich stehen und liegen

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<114> Currite restinctum. Lex relligioque patrumque
Dogmata vilescunt. Mores et commoda vestra
Et decus et vestri valde impugnantur honores,
Iamque alios audit plebs seditiosa magistros,
Dum vos in solis pigri ignavique cathedris
Dormitis. Sic nil vos lex contempta movebit?
Relligioque patrum in magnum perducta periclum
Non somnum excutiet? Spretis his ecqua supersunt,
Electae quondam constet quîs gloria gentis?
Ecce, malum, iam non ex lege patrumque statutis
Quaerere iusticiam populus vitamque docetur
Aeternam, sed per fabrum duntaxat Iesum
Occisum à vobis, quem surrexisse loquuntur
Vivereque et Christum coelorum summa petisse.
Non piget inferri contemptum legis et unà
Doctrinae solitae? vobis mendacia vulgò
Impingi et tenebris populum seducier atris?
Praeterea an vobis non intolerabile prorsus,
Impostorem hominem iuxta decreta peremptum
Christum appellari credique? palamque doceri,
In solo illius consistere nomine vitam?
Iusticiamque Deo coram sine fine valentem?
Haec si perfertis credi tradique popello,
An non publicitùs vos consentire probatis?
Et certos vos esse homicidas sanguine Christi
Pollutos, regis vestri, totius et orbis?
Plurima deceptae credunt haec millia plebis

und eilt, ihn zu löschen! Das Gesetz, die Religion und die Lehren der Väter verlieren ihren Wert. Eure Lebensweise und eure Vorrechte, eure Würde und Ehre werden heftig bekämpft, und schon hört das aufsässige Volk auf andere Lehrer, während ihr schlaff und faul auf euren verödeten Kathedern schlaft. Wird euch demnach die Verachtung des Gesetzes gar nicht in Harnisch bringen? Wird die große Gefahr, in die die Religion der Väter geraten ist, nicht euren Schlaf vertreiben? Wenn dies alles verächtlich geworden ist, gibt es dann wohl noch irgend etwas, worauf der Ruhm des einstmals auserwählten Volkes sich zu gründen vermöchte? Da, seht doch, zum Henker: man lehrt das Volk, Rechtfertigung und ewiges Leben nicht mehr vom Gesetz und den Vorschriften der Väter zu erwarten, sondern nur über den von euch getöteten Zimmermann Jesus, von dem man sagt, er sei auferstanden, lebendig und als Christus in den höchsten Himmel gefahren! Verdrießt es euch nicht, daß sich Verachtung des Gesetzes und zugleich der hergebrachten Lehre breitmacht? Daß euch allgemein Lügen angehängt werden und das Volk in schwarzer Finsternis auf Abwege geführt wird? Oder ist es für euch zudem nicht geradezu unerträglich, daß man einen Betrüger, der von Gesetzes wegen getötet wurde, Christus nennt und an ihn glaubt? Und daß öffentlich gelehrt wird, das Leben gründe allein in seinem Namen und die Rechtfertigung gegenüber Gott sei in alle Ewigkeit wirksam? Wenn ihr hinnehmt, daß dies geglaubt und dem gemeinen Volk dies vermittelt wird, liefert ihr dann nicht vor aller Welt den Nachweis, daß ihr dem zustimmt? Und daß ihr ausgemachte Mörder seid und euch mit dem Blute Christi, eures und der ganzen Welt Königs, besudelt habt? Sehr viele Tausende im betörten Volk,

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<115> (Serpit enim citius rerum doctrina novarum)
Signis persuasi magnis verboque doloso.
Vos ita spernimini passim, et laudatur Iesus,
Christus uti verè. Dant illi nomina, limphis
Tinguntur, panem frangunt et pocula sumunt
Illius necis et vitae ut monimenta repertae.
Vos nisi prospicitis, totum manabit in orbem
Secta haec inficietque urbes atque omnia regna.
An non, quò res sit tandem reditura, videtis?
Hoc sanctum templum et toti venerabile mundo
Cum Solymis ipsis totaque propagine gentis
Desertumque erit excidiumque sequetur acerbum.
Non sic torpebant maiores antè patresque,
Quum peregrina sacra inferret ritusque profanos
Antiochus legemque omnino abolere studeret.
Quippe coactores armis falsosque prophetas
Seductumque simul populum excidêre potenter
Ob patrios ritus et sanctae legis amorem.
Vos connivetis segnes et parcitis huius
Doctrinae mystis, nec vos exempla parentum
Interitusque movet legis iacturaque templi.
Nec pudet autorum. Solymis si natus in ipsis
Quisque foret claroque parentum sanguine cretus,
Denique litterulis si tinctus, tempus et unquam
Vel breve discenda trivisset lege iugumque
Doctoris tolerans subsellia vestra petisset,
Non indigna adeò valdeque pudenda foret res.

das durch große Wunderzeichen und trugvolle Rede überzeugt wurde, glauben daran: eine Lehre, die Umsturz predigt, greift nämlich ziemlich rasch um sich. So werdet ihr überall verachtet, und Jesus wird gepriesen, als sei er wahrhaftig Christus. Sie bekennen sich zu ihm, sie lassen sich taufen, sie brechen Brot und trinken aus Bechern zum Gedächtnis seines Todes und seines erwiesenen Lebens. Wenn ihr nicht achtgebt, wird sich diese Sekte über die ganze Welt ausbreiten und die Städte und alle Reiche vergiften. Oder seht ihr nicht, wohin die Sache schließlich führen wird? Dieser heilige, für die ganze Menschheit verehrungswürdige Tempel wird mit Jerusalem selbst und der ganzen Nachkommenschaft des Volkes verödet sein, und seine jammervolle Vernichtung wird folgen. Die Ahnen und Väter waren früher nicht so untätig, als Antiochus eine ausländische Religion und gottlose Riten einführte und das Gesetz gänzlich außer Kraft zu setzen trachtete. Sie haben freilich die Antreiber und falschen Propheten und mit ihnen das verführte Volk um der Bräuche der Väter willen und aus Liebe zum geheiligten Gesetz mit Waffengewalt machtvoll zu Boden geschlagen. Ihr drückt faul ein Auge zu und schont die Priester dieser Lehre, und euch rührt nicht das Beispiel der Väter, der Untergang des Gesetzes und der Verlust des Tempels. Ihr schämt euch auch nicht der Anstifter. Wenn jeder von ihnen in Jerusalem selbst geboren und einem angesehenen Geschlecht entsprossen wäre und schließlich einen Anstrich von ein wenig Gelehrsamkeit besäße und jemals auch nur kurze Zeit auf das Studium des Gesetzes verwendet hätte und sich der Anleitung durch einen Gelehrten fügend vor euren Gerichten vorstellig geworden wäre: dann wäre die Sache nicht dermaßen unwürdig und nicht so überaus blamabel.

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<116> Illotis nunc verriculis hamoque relicto
Avertunt populum Galilaei, natio gentis
Infima, quin censita ferè semiethnica semper,
Vosque huc pontifices doctum venere parati
Eque suo Christum faciunt impunè magistro,
Quem meritò furcam vos suspendistis in altam.
Huccine res rediit, Solymas Galilaeia tandem
Ut gens instituat doceatque agnoscere Christum?
Haud ignoratis certè tempusque locumque
Venturi Christi: Galilaeae mentio nulla.
Rex erit ille potens Davidis more parentis,
Omnia restituet, populorum et conteret arma
Servitiique iugum duri gentemque vocabit
À terrae extremis ad pilea, gentium et auro
Ditabit cunctosque exscindet funditus hostes.
Tale quid effecit, qui nunc iactatur, Iesus?
Quem piscatores satagunt obtrudere Christum?
Hoc tum credetis, quum delirare iuvabit,
Excidet et ratio sanctaeque scientia legis.
Quod vobis autem credendum haud esse videtur,
Id piscatores doceant, vulgusque sequatur,
Dedecus in legis pariter vestrique senatus?
Surgite, discipulos Mosis vos esse probate
Et genus electum quondam patrumque nepotes!
An iuvat exitium rerum expectare piarum?
Praecipitesque dari summis è sedibus ipsos?
Seduci pravè populum templumque relinqui?

Jetzt machen die Galiläer, die minderwertigste Volksgruppe – sie wurde in der Regel stets sogar als halb heidnisch eingestuft –, nachdem sie ihren schmutzigen Schleppnetzen und ihrem Angelhaken den Rücken gekehrt haben, das Volk abwendig; sie sind hierhergekommen mit dem festen Vorsatz, euch, die Hohenpriester, zu lehren, und machen aus ihrem Lehrer, den ihr mit vollem Recht ans hohe Kreuz gehängt habt, ungestraft einen Christus. Ist es so weit gekommen, daß das Volk von Galiläa am Ende Jerusalem unterweist und es lehrt, ihn als den Christus anzuerkennen? Ihr kennt doch gewiß Zeit und Ort der Ankunft Christi: von Galiläa ist da nicht die Rede! Jener wird ein mächtiger König sein von der Art des Stammvaters David; er wird alles wiederherstellen, die Streitmacht der Völker und das Joch harter Knechtschaft zu Schanden machen, sein Volk von den äußersten Regionen des Landes zur Freiheit rufen, es mit dem Gold der Heiden reich machen und alle Feinde gänzlich austilgen. Was dergleichen hat der jetzt vielberedete Jesus bewirkt, den die Fischer uns beflissen als Christus aufdrängen? Dies werdet ihr erst dann glauben, wenn ihr Gefallen an der Tollheit finden werdet, wenn Vernunft und Kenntnis des geheiligten Gesetzes entschwunden sein werden! Was euch aber ganz unglaubwürdig erscheint, das sollen die Fischer lehren und das Volk soll ihnen folgen – zur Schande des Gesetzes und zugleich eures Senates? Erhebt euch! Beweist, daß ihr Schüler Moses’ seid, das einst auserwählte Geschlecht, die Nachkommen der Väter! Oder beliebt es euch, den Untergang der frommen Gebräuche abzuwarten? Darauf zu harren, daß man euch selbst kopfüber von den höchsten Rängen hinabstürzt? Daß das Volk auf üble Weise irregeleitet und der Tempel im Stich gelassen wird?

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<117> Atque novis simul exitiosisque omnia passim
Fervere doctrinis? et Christum credier illum,
Turpiter occisus qui sit? quem pectore toto
Odistis vivum, sed et osuri estis in aevum?“
        Talibus abruptis atros iecere colubros
In tristes vultus dubitantum, horroreque magno
Incusso et foetore irati abiere relicto.
        Ut verò colubri circum ora auresque voluti
In cordis tetrum sparserunt intima virus,
Valde excandescunt illi, mistoque timore
Cunctorum vehemens animos insania turbat,
Quid primùm facerent, incerti, quidque secundùm.
Arripiunt bissex primùm ac in vincula trudunt:
Mactassent etiam, si non ratione furentes
Flexisset quidam Pharisaeae gentis alumnus.
Percidêre tamen flagris saevumque minati
Praecepere, suo ut nil de loquerentur Iesu
Amplius. At Stephanum calido nimis impete raptum
Portaque eiectum saxis stravere feroces,
Hoc primùm imbuti concordis sanguine coetus.
Invadunt etiam reliquos et perdere curant.
In medium trahitur correptus sexus uterque,
Conditur et tenebris fatoque occumbit acerbo,
Totaque vel lentis caeduntur corpora virgis,
Ex Solymis donec, dederant qui nomina Christo,
Exceptis omnes ducibus fugêre timore.
Ut longùm impasti si fortè armenta leones

Und daß überall alles von neuen und zugleich verderblichen Lehren in Wallung gerät? Und daß man an jenen Christus glaubt, der schmählich getötet wurde? Den ihr zu seinen Lebzeiten von ganzem Herzen gehaßt habt, aber auch in alle Ewigkeit hassen werdet?“
        Hiermit brachen sie ab und warfen schwarze Schlangen in die bekümmerten Gesichter der Verunsicherten; und nachdem sie ihnen großen Schrecken eingejagt und Gestank hinter sich gelassen hatten, verschwanden sie zornerfüllt.
        Sobald aber die Schlangen, die sich um ihre Münder und Ohren ringelten, ihnen ihr abscheuliches Gift tief ins Innerste des Herzens gesprüht hatten, erfaßte sie heftiger Grimm, und eine mit Furcht vermischte hitzige Tollheit brachte die Geister aller in Verwirrung; sie waren unschlüssig, was sie als erstes und was als zweites tun sollten. Zunächst ergriffen sie die Zwölf und warfen sie ins Gefängnis. Sie hätten sie auch hingeschlachtet, wenn nicht ein gewisser Zögling des Pharisäergeschlechts die Rasenden mit Vernunftgründen umgestimmt hätte. Sie schlugen sie aber mit Geißeln, bedrohten sie schrecklich und geboten ihnen, nicht weiter von ihrem Jesus zu reden. Stephanus aber ergriffen sie in überaus heftigem Ansturm, warfen ihn zum Stadttor hinaus und steinigten ihn hemmungslos – wodurch sie sich erstmals mit dem Blut der gleichgestimmten Gemeinde besudelten; auch auf die übrigen drangen sie ein und suchten sie zu vernichten. Menschen beiderlei Geschlechts wurden aufgegriffen, vor die Öffentlichkeit gezogen, in ein finsteres Loch gesteckt und starben eines bitteren Todes, oder ihnen wurde der ganze Körper mit biegsamen Ruten zerhauen – bis schließlich alle, die sich zu Christus bekannt hatten, mit Ausnahme ihrer Führer vor Furcht aus Jerusalem geflohen waren. Wie wenn etwa Löwen, die lange Zeit gehungert haben, Herden von Großvieh

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<118> Et pinguem aspiciunt procul errantemque seorsum
Cornibus insignem taurum rabieque fameque
Invadunt acti sternuntque ferociter illum
Dilacerantque avidè. Fluidus cruor imbuit ora.
Sed nondum satiata fames et saeva cupido
Sanguinis et praedae: stimulantur pectora visu,
Totis irruere armentis iuvat. Haud mora caudis
Percussa tellure ruunt rapiuntque vorantque.
Spargitur ignavum pecus et bona pascua linquit,
Omnia diffugiens per et avia et invia praeceps.
Sic per Iudaeam primùm et Samaritida terram
Collectus Christi coetus terrore profugit.
        Haud tamen, ut voluit, tanti formidine casus
Oppressit Satanas Evangelionque fidemque.
Stabat adhuc duodena cohors nec cesserat usquam,
Et qui terga fugae dederant, vicos per et urbes
Laeta Evangelici spargebant semina verbi,
Ut iam non Christi Solymis ecclesia tantum,
Verùm aliis etiam in terris collecta vigeret,
Nec Iudaei etiam soli, ut dixere prophetae,
Sed gentes pariter vitae partaeque salutis
Participes fierent. Satanae sic verterat artes
Omnipotens, summum in gnati decus atque salubrem
Noticiam populis, quoscunque elegerat, antè
Quàm vasti iaceret quondam fundamina mundi.
        Hinc furere infernus rector sociique ducesque.
Saevitia tamen haud ulla desistere certum,

und in weiterer Entfernung einen fetten, abgesondert umherstreifenden Stier mit auffallenden Hörnern erblicken und, von grimmigem Hunger getrieben, ihn anfallen, unbändig zu Boden strecken und gierig zerfleischen – das strömende Blut benetzt ihre Mäuler, doch noch sind ihr Hunger und ihre wilde Blut- und Beutegier nicht gestillt, der Anblick stachelt ihre Sinne an, sie haben Lust, sich in die ganzen Herden zu stürzen; nachdem sie mit ihren Schwänzen die Erde geschlagen haben, stürzen sie sogleich los und reißen und schlingen; das träge Vieh zerstreut sich, verläßt die guten Weiden, alles flieht Hals über Kopf hierhin und dorthin, durch unwegsames und ödes Gelände: so floh die versammelte Gemeinde Christi vor Entsetzen zunächst durch Judäa und Samaria.
        Doch keineswegs unterdrückte Satan – worauf er es abgesehen hatte – durch das Grausen vor einem so schlimmen Tod das Evangelium und den Glauben. Noch hielt sich die Schar der Zwölf aufrecht und war nirgends zurückgewichen. Und diejenigen, die geflohen waren, säten in Dörfern und Städten die fruchtbare Saat des evangelischen Wortes, so daß die Kirche Christi nicht mehr nur in Jerusalem, sondern auch in anderen Ländern in blühender Kraft zusammenstand und, wie die Propheten gesagt haben, auch nicht allein die Juden, sondern gleichermaßen die Heiden des Lebens und des erworbenen Heils teilhaftig wurden. So hatte der Allmächtige die Machenschaften Satans vereitelt, zur größten Ehre seines Sohnes und zur heilsamen Kenntnisnahme durch alle jene Völker, die er auserwählt hatte, bevor er einst die Grundfesten der unermeßlichen Welt legte.
        Der Herr der Hölle und seine Gefährten und Hauptleute tobten daraufhin. Doch ließen sie – das steht fest – von keiner Grausamkeit ab,

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<119> Sed doctos omnis proceresque impellere gentis
Sanctae praetextu legis perituraque propter
Commoda, ne ferrent doctrinam et nomen Iesu,
Sed nervo, gladiis, vinclis flagrisque minisque
Gnaviter obstarent. Multos hic strenuus inter
Paulus erat, legis sacrae ritusque paterni
Non segnis cultor, Christi tum pessimus hostis.
At mediis illum furiis revocavit I E S U S
Atque Evangelii praeconem reddidit acrem.
Qui sicut molitus erat contraria Christo
Antè, ita tum promotor erat vindexque fidelis
Nominis illius. Quod quum regnator Averni,
Transfugisse illum nempe ac hostilia multa
Cerneret aggressum, reliquis paulisper omissis,
Totis invadit nervis et viribus unum:
Per mare, per terras, per mille pericula ponens
Insidias vitamque illi omnem reddit acerbam.
Ut setosus aper venantum acri atque canum vi
Expulsus latebris et vulnere laesus acerbo,
Contemptis[48] aliis, inflicti vulneris unum
Autorem petit et pando venabula rostro
Excutit, infesti curvo quoad inguina dente
Rumpat et hostilem vitam dispergat in auras:
Haud aliter Satanas Paulum terraque marique
Impetiit, donec Romanam ductus in urbem
Non ingrata fuit scelerato praeda Neroni.
        Interea Herodis cecidisti victima ferro,

sondern stachelten alle Gelehrten und Vornehmsten des Volkes unter dem Vorwand des heiligen Gesetzes und der Gefährdung ihrer Vorrechte dazu an, Lehre und Namen Jesu nicht zu dulden, sondern sich ihnen unermüdlich entgegenzustellen mit dem Kerker, mit Schwertern, Fesseln, Geißeln und Drohungen. Unter vielen war hier mit Eifer Paulus am Werke, ein leidenschaftlicher Verehrer des heiligen Gesetzes und des Brauchs der Väter, damals Christi erbittertster Feind. Doch Jesus rief ihn mitten aus seinem Wüten heraus und machte ihn zu einem energischen Verkünder des Evangeliums. So wie er zuvor Christus entgegengearbeitet hatte, war er nun sein Förderer und ein treuer Beschützer seines Namens. Als der Herrscher der Hölle dies bemerkte – daß er nämlich zum Feind übergelaufen war und viele feindselige Handlungen ausführte –, stellte er für eine Weile alles übrige zurück und ging mit aller Kraft und Gewalt auf diesen einen los: auf dem Meer, auf dem Land, in tausenderlei gefahrvollen Situationen stellte er ihm Fallen und verbitterte ihm das ganze Leben. Wie das borstige Wildschwein, von der tatkräftigen Menge der Jäger und Hunde aus seinem Versteck vertrieben und schmerzhaft verwundet, alles andere hintansetzend einzig den Verursacher der ihm zugefügten Verwundung anfällt und aufgesperrten Maules die Jagdspieße abschüttelt, bis es mit dem gekrümmten Hauer den Unterleib des Angreifers aufgerissen und das Leben des Feindes in die Lüfte gestreut hat: genauso griff Satan zu Land und zu Meer Paulus an, bis er, nach der Stadt Rom verbracht, eine willkommene Beute des ruchlosen Nero wurde.
        Unterdessen fielst du, Jakobus, Knecht Gottes, dem Schwert des Herodes zum Opfer.

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<120> Serve, Iacobe, Dei. Quod cum gratum esse videret
Rectori pariter Stygio gentique cruentae,
Prendidit et Petrum, summo quem missus Olympo
Angelus eripuit letho rigidisque catenis
Ad praesens. Furcam tamen est pòst actus in altam,
Illi quod Dominus praedixerat antè futurum.
Legatos etiam reliquos per climata sparsos
Omnia terrarum tandem rectoris Averni
Occidêre duces, ut vix evaserit unus.
Et quis caesorum numerum, vel qualibus illi
Christi subdiderint tormentis membra gregemque,
Commemoret tantosque aequet sermone dolores?
Non modò Christigenas Iudaei odere scelesti,
Sed gentes etiam Romanorumque Nerones:
Ob legem neglectam illi Christumque receptum,
Impium at hi propter cultum et contempta deorum
Numina. Quin crimen quodcunque calumnia mendax
Fingere et infensa haud dubitabat lingua profari:
Si non pro voto quicquam fausteque cadebat,
Exsiccabantur solito si flumina tractu
Insanove dabant augmento damna propinquis,
Si quis motus erat terrae, vertebat et urbes
Oppidaque et vicos rapidus consumpserat ignis,
Coelestis longùm si non descenderat imber,
Grandine si fruges, gelida aut vineta perissent,
Si qui surgebant hostes bellumque movebant
Cunctaque vastabant latè actis undique praedis,

Als der sah, daß dies ebenso dem Herrn der Hölle wie dem blutbesudelten Volke gefiel, ergriff er auch Petrus. Ihn entriß ein hoch vom Himmel gesandter Engel fürs erste dem Tode und den harten Ketten. Später aber wurde er aufs hohe Kreuz gejagt, wie es ihm der Herr einst prophezeit hatte. Die Hauptleute des Fürsten der Hölle töteten schließlich auch die übrigen Apostel, die über alle Gegenden der Erde verstreut waren, so daß kaum ein einziger entkam. Und wer könnte die Zahl der Getöteten angeben und beschreiben, welchen Folterqualen jene die Anhänger und die Gemeinde Christi unterwarfen? Und wer die großen Leiden sich vergegenwärtigen und den angemessenen Ausdruck für sie finden? Nicht nur die ruchlosen Juden haßten die Christen, sondern auch die Heiden und die Neronen Roms: jene wegen Hintansetzung des Gesetzes und des Bekenntnisses zu Christus, diese aber wegen frevelhaften Kults und Mißachtung der Majestät der Götter. Ja lügenhafte Verleumdung scheute sich gar nicht, alle möglichen Verbrechen zu erfinden, und die gehässige Zunge brachte sie skrupellos vor. Wenn irgend etwas nicht nach Wunsch oder mit Erfolg verlief, wenn Flüsse in ihrem gewohnten Lauf austrockneten oder durch tobendes Anschwellen dem angrenzenden Land Schaden brachten, wenn irgendein Erdbeben stattfand und Städte und Ortschaften über den Haufen warf und ein verzehrendes Feuer Dörfer vernichtet hatte, wenn lange Zeit kein Regen vom Himmel gefallen war, wenn Feldfrüchte durch Hagelschlag oder Weinpflanzungen durch Eisregen eingegangen waren, wenn irgendwelche Feinde sich erhoben und Krieg anfingen und weit und breit alles verwüsteten, nachdem sie von überallher Beute weggeschleppt hatten,

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<121> Si lue grassanti pecudes hominesque peribant,
Gramina si turpes vulgò segetesque locustae
Agmine rodebant denso, si fortè vocarat
Chara annona famem, magnam si praelia cladem
Attulerant classesque adverso si Aeolus Austro
Obruerat mediisque rates submerserat undis:
Sola id Christigenûm culpa evenisse fremebant.
Propter eos etenim divos irascier omnes
Auxiliumque negare suum nec adesse vocatos:
Quòd sacra non facerent et thus adolere negarent,
Indigni quos terra aleret vel cerneret aether.
Credidit insanum quaevis mendacia vulgus
Clamabantque omnes delendum à stirpibus imis
Illorum nomen. Fanaticus illud aruspex
Divos aiebat velle, eventuraque rectè
Omnia sacrificum suadebat turba furentum.
Mandabant reges, laudabat dogmata praetor.
Mox ergo irruitur pro diis sacrisque tuendis,
Et spoliare bonis equidem puerile videtur
Aut patrio exturbare solo vel vendere turpi
Servitio aut una quadam consumere plaga
Momentoque brevi gladiis effundere vitam,
Mortibus omnigenis illos exstinguere visum
Tormentisque pium lentis haurire cruorem.
Hos saevis vivos festinant urere flammis.
Suppositis illos prunis et crate parata
Assant paulatim. Nudis incedere quosdam

wenn Vieh und Menschen durch eine grassierende Seuche dahingerafft wurden, wenn garstige Heuschrecken in dicht gedrängtem Schwarm überall Halme und Saaten abfraßen, wenn etwa eine Lebensmittelteuerung eine Hungersnot hervorgerufen hatte, wenn Schlachten zu einer schweren Niederlage geführt hatten und wenn Aeolus Flotten mit widrigem Südwind heimgesucht und mitten auf dem Meer Schiffe versenkt hatte: dann ging das Gerede, dies sei allein durch die Schuld der Christen geschehen. Ihretwegen seien nämlich alle Götter erzürnt, verweigerten ihre Hilfe und seien nicht zur Stelle, wenn man sie anrufe – weil sie keine Opfer darbrächten und es ablehnten, Weihrauch aufdampfen zu lassen; sie hätten nicht verdient, daß die Erde sie nähre oder der Himmel ihrer ansichtig werde. Das unvernünftige Volk schenkte jeder beliebigen Lüge Glauben, und alle schrien, der Name jener müsse mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Der fanatische Opferschauer versicherte, die Götter wollten dies, und die rasende Priesterschar beschwätzte die Menschen, künftig werde alles glücklich verlaufen. Könige befahlen diese Lehren, der Praetor lobte sie. Alsbald also stürzte man los, um die Götter und die Opfer zu verteidigen. Und es galt wahrhaftig als Kinderspiel, Menschen ihres Besitzes zu berauben, sie vom heimatlichen Boden zu vertreiben oder in schimpfliche Sklaverei zu verkaufen, sie gewissermaßen mit einem einzigen Hieb umzubringen und ihr Leben blitzschnell mit dem Schwert zu vernichten; es schien richtig, jene mit Tötungen jeder Art auszulöschen und durch lange Folterqualen ihr frommes Blut verströmen zu lassen. Diese verbrannte man bei lebendigem Leibe eilends im wütenden Feuer. Jene briet man gemächlich, nachdem man ihnen glühende Kohlen untergelegt und einen Rost bereitet hatte. Manche Menschen zwang man, mit nackten

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<122> Compellunt plantis clavos super ordine fixos
Aut laminas ferri candentes. Ora quibusdam
Vi diducta implent liquido (miserabile) plumbo,
Multos in foricis perimunt olidisque latrinis.
Hi limpha ferventi, aut elixantur olivo.
In spinas illi et palos de rupibus altis
Dantur praecipites, alios canibusve ferisve
Obiiciunt, alios excelso stipite figunt.
Singula dentata permultis membra secantur
Serra, girgillo multis è ventre trahuntur
Ilia recluso, vivi excoriantur ad ungues
Et sale ferventi quidam et sparguntur aceto.
Plumbatis contusa perit pars maxima crassis,
Nec lora interea cessant virgaeque sonantes.
Substernunt multis contusae fragmina testae,
Huc illucque diu volvunt lacerantque rotando.
Arboribus quosdam distantibus atque reflexis
Appensos rumpunt, Metium ut rupere quadrigae,
Nonnullos etiam specubus caecisque metallis
Damnant, effosso primùm sed lumine dextro
Et turpi pariter signata stigmate fronte
Succisisque genu nervis ustisque sinistri.
Pro signo quosdam positos implere sagittis
Atque alios unco certant laniare tridenti.
Porrò alios arctè molari ad colla ligato
In mare praecipitant, alios tellure sub ima
Infodiunt vivos, per ventrem stipite grandi

Füßen über in Reih und Glied eingeschlagene Nägel oder glühende Eisenplatten zu laufen. Manchen füllte man die mit Gewalt aufgesperrten Münder elendiglich mit flüssigem Blei. Viele tötete man in öffentlichen Bedürfnisanstalten und stinkenden Kloaken. Diese wurden in siedendem Wasser oder Öl gekocht, jene von hohen Felswänden kopfüber auf Dornen und Pfähle gestürzt. Die einen warf man Hunden oder wilden Tieren vor, andere spießte man auf einen hochragenden Pfahl. Sehr vielen wurden mit der gezahnten Säge einzelne Gliedmaßen abgeschnitten, vielen aus dem geöffneten Bauch mit einer Winde die Gedärme herausgespult. Manche wurden bei lebendigem Leib von Kopf bis Fuß abgehäutet und mit kochendem Meerwasser und Essig besprengt. Eine sehr beträchtliche Anzahl wurde mit groben, mit Bleikugeln versehenen Geißeln zu Tode geprügelt, und währenddessen ruhten auch die Peitschen und pfeifenden Ruten nicht. Vielen streute man Scherben von einem zerschlagenen Tongefäß unter den Leib, wälzte sie lange hin und her und zerfleischte sie beim Herumwenden. Manche zerriß man, indem man sie zwischen entfernt stehenden, einwärts gebogenen Bäumen aufhängte – so wie vier Pferde Metius zerrissen haben. Einige verbannte man auch in Höhlen und lichtlose Bergwerke; vorher aber stach man ihnen das rechte Auge aus, kennzeichnete zugleich ihre Stirn mit einem schimpflichen Brandmal und schnitt ihnen unter dem linken Knie die Sehnen durch und brannte sie aus. Manche Menschen stellte man als Wahrzeichen aus und spickte sie eifrig mit Pfeilen, bei anderen aber mühte man sich, sie mit dem dreizackigen Haken zu zerfleischen. Des weiteren stürzte man die einen kopfüber ins Meer, nachdem man ihnen einen Mühlstein dicht an den Hals gebunden hatte; den anderen rammte man einen großen Pfahl durch den Bauch und begrub sie sodann bei lebendigem Leibe tief im Erdreich.

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<123> Impacto. Crucibus quosdam in sublime levatos
Aegrè animas cogunt promisso reddere coelo.
Corpora quorundam tenui circumlita melle
Exponunt muscis. Quosdam pedoribus arcti
Carceris extinguunt cruciantque fameque sitique.
Excutiunt dentes aliis palmasque pedesque
Detruncant. Alii torquentur in aere Perilli.
Non pauci raptantur equis haud lumine cassi,
Priamiden quondam ut dirus raptavit Achilles,
Sed vivi per humum spinasque ac aspera saxa,
Olim Thesëiden uti discerpsere caballi
Aut Colchis sparsit germani membra per agros.
His faciem calamis terebrant et lumen acutis,
Lentis membratim contundunt fustibus illos.
Omnia ferventi perfundunt membra resina
Permultis cultroque hebeti tardeque resolvunt
Iuncturas, et adhuc spirantes vixque ferendos[49]
Aspectum ob tetrum quacunque crepidine montis
Praecipitant. Aliis fabricatur ferrea sedes,
Cui rigida innexi pedibus manibusque catena
Igni supposito torrentur: corpore toto
Grandes exurgunt bullae ruptaeque residunt.
Sanguine commistus sudatque ac defluit humor,
Ignita horrendum fumat stridetque cathedra.
Impositos quosdam tuberosi in terga cameli
Per vicos flagris caedunt virgisque tenellis,
Effundant donec vacuas spiramen in auras.

Manche, die man hoch oben ans Kreuz gehievt hatte, zwang man, ihre Seelen unter Schmerzen in den verheißenen Himmel auszuhauchen. Die Körper mancher Menschen bestrich man mit dünnem Honig und gab sie den Fliegen preis. Manchen machte man mit dem Unflat des engen Kerkers den Garaus und quälte sie mit Hunger und Durst. Den einen schlug man die Zähne aus und haute ihnen Hände und Füße ab, andere wurden im ehernen Stier des Perillus gemartert. Nicht wenige wurden, keineswegs entseelt, von Pferden geschleift, so wie einst der schreckliche Achill den Sohn des Priamus schleifte – diese aber zerrte man lebendig über das Erdreich und über Dornen und scharfkantige Steine, so wie vor Zeiten die Pferde den Sohn des Theseus zerrissen oder wie die Kolchierin die Gliedmaßen ihres Bruders übers Gefilde streute. Diesen durchbohrte man Gesicht und Auge mit zugespitztem Rohr, jene zerschlug man Glied für Glied mit biegsamen Knüppeln. Sehr vielen übergoß man alle Glieder mit kochendem Harz, trennte ihnen mit einem stumpfen Messer langsam die Gelenke auf und stürzte die noch Atmenden, deren gräßlicher Anblick kaum zu ertragen war, von einem beliebigen Vorsprung eines Berges kopfüber in die Tiefe. Anderen verfertigte man einen eisernen Stuhl, band sie mit einer harten Kette an Füßen und Händen daran fest, machte Feuer darunter und briet sie; am ganzen Körper sprangen große Blasen auf und fielen, wenn sie aufgeplatzt waren, wieder in sich zusammen; blutuntermischte Flüssigkeit trat hervor und floß herab; der glühende Stuhl dampfte und zischte gräßlich. Auf den Dörfern legte man manche Menschen auf den Rücken des höckerigen Kamels und schlug sie mit Peitschen und feinen Ruten, bis sie ihren Geist in die freien Lüfte aushauchten.

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<124> Incurva haud solum multis latus ungula carpit,
Sed teneram pariter frontem ventremque manusque.
Frangunt crura aliis et identidem ad astra petauro
Iactis elidunt animam coeloque remittunt.
Subula multorum digitos et perforat ungues,
Aut ungues subter medios irrepit arundo.
Porrò cruci appensos quosdam pro more suillo
Mordenti extinguunt[50] fumo foetoreve spurco.
Quin nec carnifices adhibent de more quibusdam,
Succinctus sed eos lanius mactare iubetur,
Codici et impositos multis concidere frustis
Et iacere in pelagus peregrinam piscibus escam.
Gliribus exponunt quosdam, ne scilicet uno
Pinguescant somno, dapibus sed alantur opimis.
Effodiunt aliis oculos nasumque recidunt
Auresque et linguam et plebi spectacla furenti
Proponunt. Totas perdunt etiam ignibus urbes
Et patriae involvunt puerosque senesque ruinae,
Quòd sceleratae illic pars sit non ulla cohortis.
Multorum verbi causa sacra fana petentum
Serratis prendunt crines stringuntque bacillis
Atque caput spoliant tota cum pelle capillis.
Et quasi nil, quod mundus agat proceresque, supersit,
Mortibus invigilant adeò poenisque cruentis,
Salvificum, ut perdant, quotquot venerantur I E S U M.
        At toto quamvis ita saeviretur in orbe,
Grex tamen ille sacer Domino crescebat in horas,

Die gekrümmte Kralle riß vielen nicht nur die Seite auf, sondern zugleich auch die zarte Stirn sowie Bauch und Hände. Anderen brach man die Beine, schleuderte sie fortwährend mit einer Wippe in die Luft und trieb ihnen die Seele aus dem Leib und zurück in den Himmel. Die Finger und Nägel vieler Menschen durchbohrte die Ahle, oder mitten unter die Nägel schob sich ein Pfeil. Ferner tötete man manche Menschen, die man kunstgerecht am Kreuz aufgehängt hatte, mit beißendem Rauch oder unflätigem Gestank. Ja bei manchen Menschen zog man nicht einmal den üblichen Scharfrichter heran, sondern befahl einem zum Werke gerüsteten Metzger, sie zu schlachten und sie, auf einen Hauklotz gestreckt, in viele Stücke zu hacken und – den Fischen zum fremdartigen Fraß – ins Meer zu werfen. Manche gab man Haselmäusen preis – offenbar, damit sie nicht nur durch einen einzigen (Winter-)Schlaf fett wurden, sondern mit reichlichen Speisen sich nährten. Anderen stach man die Augen aus, schnitt ihnen die Nase, die Ohren und die Zunge ab und stellte sie vor der tobenden Menge zur Schau. Man vernichtete auch ganze Städte durch Feuer, und die Trümmer der Vaterstadt begruben jung und alt, weil die frevelhafte Gemeinde dort keinerlei Anhängerschaft haben sollte. Das Haupthaar vieler Menschen, die um des Wortes willen die geweihten Stätten aufsuchten, faßte man mit gezackten Stäben, zog es fest zusammen und beraubte den Kopf seiner Haare mit der gesamten Kopfhaut. Und so sehr waren sie darauf bedacht, jedweden, der nur den heilbringenden Jesus verehrte, mit grausamen Todesarten und Strafen zu vernichten, als wenn es für die Welt und ihre Anführer keine weitere Beschäftigung geben sollte.
        Doch obwohl der ganze Erdkreis dergestalt von Tobsucht erfüllt war, wuchs jene dem Herrn geweihte Schar von Stunde zu Stunde,

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<125> Unius et tanquam caesi de sanguine centum
Prodirent alii, sic tanta è strage subinde
Sumere per terras omnis augmenta videres.


Satyra quarta.

Absona proloqueris nullisque attacta sophistis.
Coelum namque locum esse negas ut relliqua certum,
Praecipueque Deo, cui coelum existat ubique,
In terris simul atque mari infernoque sub axe.
Si coelum non est, quod nos coelum esse putamus,
In chaos antiquum planè deducis et ipsos
Efficis incertos sensus, quum sidera coeli
Suspicimus regemque illic veneramur Olympi
Natura duce, gentium et unanimi consensu.
At Deus ipse inter coelum distinxit humumque,
Coeloque atque mari et terris sua nomina fecit,
Non homines. Nec dum[51] primus spirabat Adamus,
Quum supra terras fulgentis machina coeli
Penderet radiisque suis splenderet Apollo,
Plenaque nocturnas tereret quum Luna tenebras,
Infixi coelo, non terrae Ereboque profundo,
Nullus ut humanus nomen confinxerit error.
Immensus sanè Deus est nullisque tenetur,
Corpus ut omne, locis et numine cuncta potenti
Implet et excedit longè terramque polumque,
Ut versari illum rectè dicamus ubique.
Attamen ipse locis iussit se quaerere certis

und ebenso wie aus dem Blut eines Getöteten hundert andere hervorgehen sollten, so hätte man auch beobachten können, wie sie nach und nach aus so furchbarem Gemetzel in allen Ländern Gewinn zog.


Vierte Satire

Du verkündest Ungereimtheiten und Dinge, die kein Sophist erwähnt hat. Du behauptest nämlich, daß der Himmel, anders als andere Regionen, nicht sicher zu lokalisieren sei, vornehmlich in bezug auf Gott, für den der Himmel überall sei: zugleich auf dem Land wie auf dem Meer und in der Unterwelt. Wenn das, was wir für den Himmel halten, nicht der Himmel ist, führst du die Sinneswahrnehmungen geradezu ins Chaos der Vorzeit hinab und machst sie auch jedesmal unsicher, wenn wir zu den Sternen am Himmel aufblicken und dortselbst, unter Anleitung der Natur und gemäß einhelliger Übereinstimmung der Völker, den König des Olymps anbeten. Gott hat aber selbst zwischen Himmel und Erde unterschieden, und er, nicht die Menschen, hat dem Himmel sowie dem Meer und der Erde ihre Namen verliehen. Und noch lebte der erste Mensch, Adam, nicht, als über der Erde das Gerüst des leuchtenden Himmels schwebte, als die Sonne mit ihren Strahlen erglänzte und der Vollmond häufig das Dunkel der Nacht aufsuchte; beide waren am Himmel befestigt und nicht an der Erde und in der Tiefe der Unterwelt, so daß kein menschlicher Wahn ihre Namen erdichtet hat. Gott ist fürwahr unermeßlich und nicht wie jeder Körper an einen Ort gebunden; er füllt alles aus mit seinem mächtigen göttlichen Walten und reicht weit über Erde und Firmament hinaus, so daß wir mit Recht sagen, er weile überall. Andererseits jedoch hat er selbst uns geboten, ihn an bestimmten Orten zu suchen,

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<126> Praesentemque illic fore propitiumque vocanti
Velle ait, ut complura ferunt oracula vatum.
Foederis in scena primùm istud constat et arca,
Quam rudibus Moses in eremo fecit Hebraeis,
In templo dein quod Salomon[52] extruxit opimum,
Quae coeli quaedam Christique fuere figura.
        Omnia quis numeret divini oracula Verbi,
Quae clarè Dominum in coelis habitare loquuntur?
Nempe loco ut digno pro maiestate suprema?
„Est sedes mea coelum“, inquit, „tellusque scabellum.“
De coelo quoque Iudaeis est multa locutus.
Quin etiam è coelo rectos pravosque tuetur,
Inde tonat validè vibrataque fulmina torquet.
Inde pluit Sodomam super atrum sulphur et ignem.
Inde Dei gnatum quoque descendisse fatemur
Rursumque ascendisse illò, speramus et inde
Supremo tandem rediturum tempore mundi.
Ultima nos etiam in coelis post fata beatè
Credimus aeternùm victuros. Mentibus et iam
In coelo sumus, atque ibi conversatio nostra est,
Quò Deus erectos voluit sustollere vultus.
Christus et in coelis habitantem orare parentem
Iussit, quin oculos etiam ipse levavit eôdem
Patrem oraturus. Non refert, pro aere sumas
Prove beatorum patria vel sede Tonantis:
Est locus omnino certus, quem dicimus omnes
Praecipuè elegisse Deum pro seque suisque,

und gesagt, er wolle für den, der ihn anrufe, dort zur Stelle sein und ihm Gnade erweisen, wie es mehrere Aussprüche der Propheten überliefern. Ein solcher Ort ist erstens der Schauplatz des Bundes und die Bundeslade, die Moses in der Wüste für die ungebildeten Juden hergestellt hat, zweitens der herrliche Tempel, den Salomon errichtet hat; beide waren gewissermaßen ein Abbild des Himmels und Christi.
        Wer könnte alle Aussprüche der Heiligen Schrift aufzählen, die klar und deutlich davon reden, daß Gott im Himmel wohne, als dem Ort nämlich, der der höchsten Majestät angemessen ist? Er sagte: „Der Himmel ist mein Stuhl und die Erde meine Fußbank.“ Er hat auch zu den Juden viel vom Himmel geredet. Ja er beobachtet sogar vom Himmel aus die Guten und die Schlechten; von dort aus donnert er kraftvoll und schleudert er gleißende Blitze. Von dort ließ er über Sodom verderbenbringenden Schwefel und Feuer regnen. Wir bekennen, daß auch Gottes Sohn von dort herabgekommen und wieder dorthin aufgefahren sei, und hoffen, daß er am Ende der Welt schließlich wieder von dort zurückkehren werde. Wir glauben auch, daß wir nach dem Tode auf ewig glückselig im Himmel leben werden. Und im Geist sind wir schon im Himmel, ja dort, wohin wir, wie Gott es gewollt hat, unsere Gesichter aufheben sollen, ist unser Aufenthalt. Auch Christus hat uns anbefohlen, zu dem im Himmel wohnenden Vater zu beten, ja er hat sogar selbst, im Begriff, zum Vater zu beten, seine Augen dorthin erhoben. Gleichgültig, ob du in ihm die Atmosphäre, die Heimat der Seligen oder den Thron des Donnerers siehst: er ist mit Sicherheit der Ort, von dem wir alle sagen, daß Gott vorzugsweise ihn für sich und die Seinen ausgewählt habe,

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<127> Unde suas vires magnamque ostenderet iram
Propitiusque esset toto se corde vocanti,
Gloriam et insignem coleret, ceu summus in arce
Cunctarum praeses rerum et servator et autor.
Noverat et Daniel praesentem rebus ubique
Omnibus esse Deum nec non audire libenter,
In quamcunque plagam vertissent ora, precantes.
Ille tamen versus Solymam templique ruinas
Oravit. Nimirum illic promiserat olim
Se fore praesentem Deus et se vota benignè
Exauditurum. Nunc talia nulla supersunt
In terris loca, verùm ad coelum tendit ocellos
Quisque precaturus Christum: quò pagina dicit
Ascendisse sacra atque ubi summum habitare parentem.
Si coelum non est id, quod nos dicimus esse,
Unde Deum dicam Iudaeis esse locutum?
Unde Dei gnatum descendisse? unde pluisse
Sulphureas flammas? Vertamus lumina quonam?
Denique quò mentes? quò nos speremus ituros,
Nempe locum certum non demonstraverit ullus.
Et Deus errorem nobis obtrusit ineptum,
Frustra et de coelo divina oracla loquuntur.
Unde vides, nostros quaenam confusio sensus
Occupet erremusque nimis tam nomine quàm re.
Forsitan et terra haec non est, quam credimus esse,
Fors et aquarum haud est verè collectio pontus,
Nec verè in coelo stellae figuntur et astra,

daß er von dort aus seine Macht und seinen großen Zorn offenbare, von dort aus dem, der ihn von ganzem Herzen anrufe, Gnade erweise und daß er dort seinen herrlichen Ruhm walten lasse – als der Welt oberster Herr, Retter und Schöpfer in der Himmelsburg. Auch Daniel wußte, daß Gott allerorten, in allen Dingen, gegenwärtig sei und Betende gewiß gern höre, welcher Gegend sie auch ihr Antlitz zugewandt hätten; er aber betete gegen Jerusalem und die Ruine des Tempels. Gott hatte freilich einstmals verheißen, daß er dortselbst anwesend sein und Gebete gütig erhören werde. Heutzutage gibt es auf der Erde keinen solchen Ort mehr, sondern jeder, der zu Christus beten will, richtet seine Augen auf den Himmel; zu ihm, so sagt die Heilige Schrift, sei er aufgefahren, und dort wohne auch der höchste Vater. Wenn der Himmel nicht das ist, was wir so nennen, wie soll ich dann den Ort bezeichnen, von dem aus Gott zu den Juden gesprochen hat, von dem Gottes Sohn herabgestiegen ist, von dem Gott schwefliges Feuer hat regnen lassen? Wohin sollen wir denn dann unsere Augen richten? Worauf schließlich unseren Geist? Auf welches Ziel unseres Weges sollen wir hoffen? Niemand könnte uns doch wohl einen anderen Ort weisen?! „Gott hat uns eine läppische Irrmeinung aufgedrängt, und die göttliche Botschaft läßt sich vergebens vom Himmel vernehmen! Daran erkennst du, welche Verwirrung unsere Sinne beherrscht und wie sehr wir sowohl in der Bezeichnung wie in der Sache selbst irregehen. Vielleicht ist die Erde nicht das, was wir dafür halten; vielleicht ist das Meer in Wahrheit durchaus keine Ansammlung von Wasser; und vielleicht sind auch die Planeten und die Sterne in Wahrheit nicht am Himmel befestigt,

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<128> Sed terra potius, liquidis vel Tethyos undis,
Nosque velut caeci aut temulenti erramus in orbe.
Tum quoque promittente Deo coelestia regna
Illorum est fortasse loco terrena daturus
Aut magè Plutonis sanctos trusurus in aulam,
Si coelum non est illi coelum, hoc neque sentit
Nomine coelorum, quod nos caligine ducti.
        Non satis hoc autem tibi, multo absurdius addis:
(Ne quid dicam aliud) Christum ascendisse negando
Visibile in coelum, sed quod conscenderit, illud
Esse etiam in terra garris sine teste fideque.
Quin nullis illum esse locis humana secundum
Membra et naturam, sed uti divina per omne
Maiestas eat et nequeat finirier usquam,
Sic Christi corpus non ullo posse teneri
Comprendive loco, rebus sed in omnibus esse.
Si non mira haec sunt paradoxa, age Stoica quisquam
Admirabiliora ferat. Si talia fas est
Dicere, quod fidei membrum consistere quibit?
Qualibet et de re quae non commenta recudi?
Dic autem, quò discipuli sua lumina fixè
Contulerint, quando postremùm Christus abiret?
An non in coelum sursum, quod cernimus omnes?
An non est oculis ab eorum nube receptus?
An nubes non sunt nubes, quas esse putamus?
Quòd si coelum, in quod sublatus dicitur, hic est,
Quid vis credamus? Delusit nempe videntum

sondern vielmehr an der Erde oder den strömenden Wellen des Meeres – und wir irren wie Blinde oder Trunkene auf der Erde herum. Gott verheißt uns das Himmelreich: vielleicht wird er uns dann auch an dessen Stelle ein irdisches geben oder die Heiligen lieber in die Residenz Plutos stoßen – wenn der Himmel für ihn nicht der Himmel ist und er unter der Bezeichnung ‚Himmel’ nicht dasselbe versteht wie wir, die wir in dichtem Nebel herumgeführt werden.“
        Dies aber genügt dir noch nicht. Du fügst noch viel Ungereimteres hinzu, indem du (um nur dieses eine zu erwähnen) bestreitest, daß Christus zu dem sichtbaren Himmel aufgefahren sei; vielmehr faselst du davon – ohne Zeugen und sicheren Beweis –, daß der Ort, zu dem er aufgestiegen sei, sich gleichfalls auf der Erde befinde. Ja er sei, anders als die Glieder und die leibliche Natur des Menschen, an keinem Ort angesiedelt. Vielmehr sei es so: Wie die göttliche Majestät alles durchdringe und nirgends begrenzt werden könne, so könne der Leib Christi von keinem Raum erfaßt oder umschlossen werden, sondern befinde sich in allen Dingen. Wenn das keine wundersamen Paradoxa sind, nun gut, so mag irgend jemand noch befremdlichere stoische Wahrheiten vorbringen! Wenn es verstattet ist, derlei zu sagen, welcher Teil des Glaubens wird dann noch Bestand haben können? Und was könnte, in welcher Sache auch immer, nicht als Erdichtung zurückgewiesen werden? Doch sag mir: wohin haben die Jünger ihre Augen fest gerichtet, als Christus am Ende entschwand? Etwa nicht empor zu dem Himmel, den wir alle wahrnehmen? Wurde er etwa nicht ihren Blicken dadurch entzogen, daß eine Wolke ihn aufnahm? Sind Wolken etwa nicht die Wolken, die wir dafür halten? Wenn aber der Himmel, in den er, wie es heißt, entrückt wurde, sich hier befindet, was willst du dann, daß wir glauben? Dann hat er offenbar die Augen der Schauenden

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<129> Lumina praestigiis tum, quando recedere visus
Et ferri sursum. Mentiti sunt etiam illi,
Ipsum à discipulis qui testabantur ad astra
Sublatum. Quid dein voluit sibi Christus et ipse,
Quum toties sese ad patrem dixisset iturum,
Si se invisibilem duntaxat reddidit illis
Interea remanens in terra? Haud dicere quisquam
Verè discessisse potest, et inanis imago
Visa recedentis modò et ascendentis ad astra.
Nam praesens occultè, haud verè dicitur absens.
Praesul at Hipponis mihi verior esse videtur,
Qui Christi corpus redivivum dicit in uno
Esse loco. Quod idem divus confirmat Aquinas
Non semel atque alii multi veteresque novique.
Quippe Deus quamvis et homo persona sit una
In Christo, tamen haec utriusque haud unio tollit
Propria naturae, sicut nec propria scindunt
Personam. Sic verus adhuc homo Christus in aevum
Permanet, incorruptibilis duntaxat et omni
Fulgens maiestate patris. Redivivus ab Horco
Discipulis certè carnem monstravit et ossa
Et contemplari iussit palmasque pedesque
Palpandumque dedit latus ipsaque vulnera Thomae.
Unde satis patuit non deposuisse receptae
Propria naturae, quin transmutasse nec illam
Prorsum in divinam, merus ut iam sit Deus, absque
Ossibus et nervis, sine carne, cute atque capillis,

mit Blendwerk getäuscht, als er zu entschwinden und emporzusteigen schien. Dann haben auch jene gelogen, die bezeugten, er sei von den Jüngern zum Himmel aufgefahren. Was bezweckte ferner auch Christus selbst, wenn er, obgleich er so oft gesagt hatte, er werde sich zum Vater begeben, sich für jene nur unsichtbar gemacht hat, dabei aber auf der Erde geblieben ist? Niemand könnte sagen, er habe sich wahrhaftig enfernt, und man hat dann auch nur ein nichtiges Schattenbild eines Entschwindenden und zum Himmel Auffahrenden gesehen. Denn wer heimlich anwesend ist, der kann nicht als wahrhaft abwesend bezeichnet werden. Dagegen scheint mir der Bischof von Hippo der Wahrheit näherzukommen, wenn er sagt, daß sich der auferstandene Leib Christi an einem einzigen Ort befinde; das gleiche versichert der heilige Aquinate nicht nur einmal und ebenso auch viele andere Autoren der älteren und neueren Zeit. Obgleich freilich Gott und Mensch in Christus eine einzige Person sind, so hebt doch diese Vereinigung keineswegs die Merkmale der Wesensart beider auf, ebenso wie diese Merkmale auch nicht die Person zweiteilen. So bleibt Christus noch in Ewigkeit wahrhaftiger Mensch, allerdings unvergänglich und strahlend in der ganzen Majestät des Vaters. Als er vom Totenreich auferstanden war, hat er den Jüngern ohne Zweifel Fleisch und Knochen gezeigt und ihnen geboten, ihr Augenmerk auf seine Handflächen und Füße zu richten; und Thomas hat er seine Seite und sogar seine Wunden betasten lassen: wodurch zur Genüge offenbar wurde, daß er die Merkmale der angenommenen Wesensart nicht abgelegt, ja daß er jene Wesensart auch nicht so ganz und gar in eine göttliche hinüberversetzt hatte, daß er schon Gott in vollkommener Reinheit gewesen wäre, ohne Knochen und Muskeln, ohne Fleisch, Haut und Haar,

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<130> Qualem tu fingis tribuendo eadem omnia planè
Naturae humanae, divinae propria quae sunt
Solùm, naturasque duas confundis in unam.
Sic[53] Christus, iuxta quod homo est, versatur ubique.
Hinc sperare facis, sic nos quoque ubique futuros,
Vera retenturos nec corpora, carnis et huius
Particulam nullam, siquidem scriptura fatetur
Nos illi similes fore et illum corpora tandem
Nostra reformaturum, suo uti conformia fiant.
At quem scriptorem profers? oracula Verbi
Quae tandem allegas? quis tecum talia dicit?
Denique quam rationem adfers? quae lemmata sana,
Ut tibi credamus tam non audita ferenti?
Non est prudentum solo hac in parte moveri
Nomine cuiusquam titulisve locove celebri,
Sed credendorum sit oportet spiritus autor,
Et ratio solidet paradoxa absurdaque cuncta.
An satis esse putas, solus quòd dixeris ipse,
Olim quod Samio quidam tribuere magistro?
Feceris at melius, si dicta absurda recantes
Indoctaeque tuo haud imponas nomine plebi,
Iudicium Domini metuens tacitasque querelas.


Satyra quinta.

Christe, Dei fili, virtus, sapientia, Verbum
Et frater noster, fili quoque Virginis idem,
Quî fieri dicam, ut te missum à Patre magistrum

so wie du ihn dir ausdenkst, indem du der menschlichen Wesensart schlechthin genau all das zuschreibst, was nur ein Merkmal der göttlichen ist, und indem du beide Wesensarten zu einer einzigen verschmilzt. So hält sich Christus, weil er Mensch ist, überall auf. Damit weckst du die Erwartung, daß auch wir einst überall sein und weder unsere echten Leiber noch irgendein Teilchen dieses Fleisches zurückbehalten werden: bezeugt doch die Schrift, daß wir ihm ähnlich sein werden und er schließlich unsere Leiber so wiederherstellen wird, daß sie dem seinigen entsprechen. Welchen Schriftsteller aber führst du an? Auf welche Aussagen des Wortes schließlich berufst du dich? Wer teilt deine Meinung? Kurzum, welche Begründung, welche vernünftigen Prämissen bringst du bei, damit wir deiner Darstellung so unerhörter Thesen Glauben schenken? Klugen steht es nicht an, sich auf diesem Gebiet allein durch den Namen irgendeines Menschen oder durch Ehrentitel oder einen gefeierten Rang beeindrucken zu lassen. Vielmehr gebührt es sich, daß in Glaubensinhalten der Geist der Autor ist – und die Vernunft mag Paradoxa und alle möglichen Widersinnigkeiten abstützen. Oder glaubst du, es reiche aus, daß du allein es behauptet hast – wie manche dies einstmals dem Lehrer aus Samos zugestanden haben? In der Furcht vor dem Urteil des Herrn und seinen stillschweigenden Klagen tätest du im Gegenteil besser daran, deine widersinnigen Thesen zu widerrufen und sie keinesfalls vermöge deines Ansehens dem ungeschulten Volk weiszumachen.





Fünfte Satire

Christus: Gottes Sohn, Tugend, Weisheit, Wort und unser Bruder, zugleich auch Sohn einer Jungfrau! Wie sollte ich es begründen,

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<131> Doctrinamque tuam et nomen munusque salubre
Omnes contemnant Turcae verpique scelesti
Et, qui prae reliquis iactant te nosse, Papistae?
Sicne odium es cunctis et contradictio factus?
Quod commisisti facinus? quae tanta prophanum
Facta abs te laesit torquetque iniuria mundum?
Tu certè, primi postquam cecidere parentes,
Lethifera Stygii decepti fraude draconis,
Totius extemplò generis servator es unus
Promissus damnique unus reparator iniqui.
Et praefinito venisti tempore demum
Schemate servili tectus perque omnia nobis
Dempto peccato similis. Nam purus et insons
Solus eras ex te; quod verò pertinet ad nos,
Peccatis graviter mundi totius onustus.
Scilicet imposuit solius crimina tergo
Nostra pater. Contra mortem Satanaeque furores
Luctandum tibi erat soli placandaque fervens
Ira patris, nec erat quisquam sub sole repertus,
Qui tanto posset pro nobis munere fungi.
Functus es egregiè: solvisti crimina morte
Cuncta tua. Stravisti hostes laetumque trophaeum
Omnibus electis statuisti à morte resurgens.
Quis peccata tulit mundi? tu nonne redemptor
Solus? Quis mortem vicit? tu nonne resurgens
Solus? Quis factus pro nobis victima patri,
Ut placaretur? tu solus nonne levatus

daß alle Türken, ruchlosen Beschnittenen und die Papisten, die sich sich vor allen anderen rühmen, dich zu kennen, dich, den vom Vater gesandten Lehrer, sowie deine Lehre, deinen Namen und dein Heilswerk mißachten? Bist du für alle solch ein Gegenstand des Hasses und des Widerspruchs geworden? Welchen Frevel hast du dir zuschulden kommen lassen? Was ist das für ein so großes Unrecht, das du begangen hast und das die gottlose Welt verletzt hat und sie quält? Du allein bist gewißlich der Retter des ganzen Menschengeschlechts und Überwinder der gefährlichen Schlappe, der sogleich verheißen wurde, nachdem die ersten Eltern durch den todbringenden Betrug des Höllendrachens zu Fall gekommen waren. Und du bist in der Tat zum vorbestimmten Zeitpunkt erschienen, gekleidet in ein Sklavengewand und uns ähnlich in allem – außer der Sünde. Denn rein und frei von Schuld warst du allein aus dir selbst; was aber uns angehört, war schwer belastet mit den Sünden der ganzen Welt. Unsere Sünden hat der Vater nämlich dem Rücken eines einzigen aufgeladen. Allein mußtest du gegen den Tod und das Wüten Satans ankämpfen und den glühenden Zorn des Vaters besänftigen. Und es fand sich auch niemand unter der Sonne, der eine Aufgabe dieses Ausmaßes für uns hätte verrichten können. Du hast dich ihrer trefflich entledigt: mit deinem Tod hast du alle Sünden abgetragen. Du hast die Feinde zu Boden geworfen und mit deiner Auferstehung vom Tode allen Auserwählten ein glückverheißendes Siegeszeichen errichtet. Wer hat die Sünden der Welt getragen? Nicht allein du als der Erlöser? Wer hat den Tod besiegt? Nicht allein du durch die Auferstehung? Wer wurde an unserer Stelle zum Versöhnungsopfer für den Vater? Nicht allein du,

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<132> In cruce? Quid faciunt igitur gens perdita Turcae?
Quid Iudaeorum feces caecique Papistae?
Quid gentes aliae, quas circuit Amphitrite,
Quae verbis factisque negant per te omnia solum,
Quae nostrae ferret ratio, confecta, salutis?
Nec tibi concedunt soli servantis honorem?
Christumque esse, olim promissum ab origine mundi?
Ò scelus atque nephas! Ingens discordia gentes
Omnibus in rebus lato divexat in orbe.
Hoc uno tantum concordes esse videmus,
Ut te persolvisse negent peccata patremque
Placasse aeternum teque adportasse perennem
Mundo iusticiam. Contendunt fungier ipsi,
Omnia coelestis praeter suffragia Patris,
Officio Christi astrigerasque ascendere sedes
Viribus ex propriis excluso teque tuoque
Auxilio. Leges iactant praescriptaque facta
Et se mille viis ipsos servare laborant.
Hic odiosa suo indicit ieiunia ventri,
Sumit militiam ille gravem vitaeque periclum
Atque homines iugulat, fratres charosque propinquos
Incenditque aedes, terras populatur et urbes
Atque aliena rapit, culpa solvatur ut omni.
Hic capite obstipo graditur coelumque tueri
Abnuit. Ille acres ut ventos et ferat imbres
Et gelidae frigus brumae solisque calorem,
Haud ullas habitare casas aut tecta subire

den man ans Kreuz hängte? Was tut also das heillose Volk der Türken? Was der jüdische Unflat und die blinden Papisten? Was tun die anderen vom Ozean umgürteten Völker, die in Worten und Werken leugnen, daß durch dich allein alles vollbracht worden ist, was mit der Sache unseres Heils verbunden war? Und die nicht dir allein die Ehre des Erretters zubilligen? Und nicht zugeben, daß du der am Beginn der Welt verheißene Christus bist? O Frevel und Sünde! Ungeheure Zwietracht in allen Dingen beutelt die Völker auf der ganzen weiten Welt. Nur in diesem einen sehen wir sie einig: in der Ableugnung dessen, daß du die Sünden abgetragen, den ewigen Vater versöhnt und der Menschheit immerwährende Rechtfertigung verschafft hast. Ohne den Beifall des himmlischen Vaters arbeiten sie angestrengt darauf hin, die Aufgabe Christi selbst zu erfüllen und aus eigener Kraft das Himmelreich zu erklimmen, dich und deine Hilfe ausschließend. Sie preisen Gesetze und vorgeschriebene Handlungen und sind auf tausenderlei Arten bemüht, sich selbst zu retten. Dieser erlegt seinem Bauch verdrießliches Fasten auf. Jener nimmt drückenden Kriegsdienst auf sich, riskiert sein Leben, bringt Menschen, seine Brüder und lieben Nächsten, um, setzt Häuser in Brand, verwüstet Länder und Städte und raubt fremdes Gut – um von aller Schuld befreit zu sein! Dieser geht mit hängendem Kopf einher und weigert sich, den Himmel anzublicken. Jener verschmäht es standhaft, in einer Hütte zu wohnen oder ein Dach überm Kopf zu haben – um heftige Winde und Regengüsse, den Frost des eisigen Winters und die Glut der Sonne

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<133> Sustinet. Ast praeter lumbos hic caetera nudus
Ambulat et coelo corpus contristat iniquo.
Ille pedes monstrat nudos aestate geluque
Aut solea insistit querna soccisve coactis.
Sunt, qui saxa ferant rigido pendentia collo
Quique trahant pedibus fractas post terga catenas
Et qui littoreis obturent ora lapillis.
Pars sibi spinosas imponunt sponte coronas,
Ut caput et tetricam conspergant sanguine frontem.
Perfusas nivibus complectitur ille columnas.
Hic se perfundit gelida aut innititur uni
Nocte dieque pedi. Ille unda se mergit olenti.
Hic triduana bibit per quoddam lotia tempus.
Ille sibi candenti insculpit stigmata ferro.
Non plumis storeisve hic utitur aut stramentis,
Membra sed imponit cubiturus mollia saxo.
Ille palàm vel clàm concîdit terga flagellis
Vulneraque infligit larga et vibice frequenti
Livet. Hic ingreditur speluncas antraque sola,
Desertisque locis vivit, consortia vitans.
Ille habitu ridendo et raso vertice turpis
Terriculamentum pueris se et mormea reddit.
Hic quadrupes stadium stultè prorepit ut infans.
Ille acubus corpus vel scalpris scindit acutis.
Hic consanguineis, pueris, uxore relictis
Trans mare contendit longinquas visere terras,
Nec sumptum veritus nec magna pericula vitae.

zu ertragen. Dieser hingegen geht bis auf die Lenden völlig nackt einher und schafft seinem Körper mit einem feindseligen Himmel Betrübnis. Jener bietet bei Sommerhitze und Frost seine Füße nackt dar oder wandelt auf Sandalen aus Eichenholz oder in zu engen Schuhen. Es gibt Leute, die an ihrem steif ausgestreckten Hals aufgehängte Felssteine mit sich herumtragen und an den Füßen zerbrochene Ketten hinter sich herschleifen. Auch solche, die sich die Münder mit Ufersteinchen vollstopfen. Einige setzen sich freiwillig Dornenkronen auf, um das Haupt und die düstere Stirn mit Blut zu benetzen. Jener hält aus Schnee zusammengebackene Säulen umfaßt. Dieser übergießt sich mit eisigem Wasser oder steht Tag und Nacht auf einem Bein; jener taucht sich in stinkendes Naß. Dieser trinkt von Zeit zu Zeit den Urin von drei Tagen. Jener brennt sich mit glühendem Eisen Wundmale ein. Dieser benutzt keine Polster oder Matten noch Stroh, sondern bettet seine zarten Glieder zum Schlafen auf einen Felsblock. Jener zerhaut sich in aller Öffentlichkeit oder insgeheim den Rücken mit Geißeln, bringt sich massenhaft Verletzungen bei und ist bläulich gefärbt von zahlreichen Striemen. Dieser begibt sich in Höhlen und einsame Grotten, lebt an verlassenen Orten und meidet die Gemeinschaft. Jener macht sich in lächerlichem Aufzug und mit rasiertem Schädel schimpflich zum Kinderschreck und Popanz. Dieser durchkriecht albern auf allen Vieren wie ein Kleinkind ein Stadium. Jener zerfleischt seinen Leib mit Nadeln oder spitzen Ahlen. Dieser macht sich auf, um unter Zurücklassung von Verwandten, Kindern und Frau jenseits des Meeres ferne Länder zu besuchen, und scheut weder Kosten noch große Gefahren für Leib und Leben.

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<134> Ille evitato corio se cannabe cingit
Nodosa et totum glauco se vestit amictu.
Ast alii pullis obvolvunt corpora pannis.
Sunt albi quidam toti linoque nitentes
Et lana. Nonnulli admiscent candida nigris,
Ut picarum illos dicas è gente loquaci.
Hi de more gerunt cassitae vertice cristas.
Illi quadrupedum magno discrimine carnes
Et lactis vitant usum raroque loquuntur,
Ut de Pythagorae posses censere caterva.
Sunt, qui per totam declinent balnea vitam
Atque oleant hircum reputentque hoc esse piorum.
Hic veluti basiliscum auri argentique monetam
Horret et intectis refugit contingere palmis.
Porrò sua expendit praedives egentibus alter
Aut testamento demum moriturus inepto
Furtorum decimas fanis dispensat et illis,
Qui se laturos aliorum crimina spondent.
Hic sacrum comedit panem moriturus, et aures,
Os, nares oculosque manusque pedesque perungit.
Ille preces fundit bis ter vel terque quaterque
Annumeratque Deo velocis murmura linguae
Quottidie magnumque precum comportat acervum.
Pronus humi iacet hic palmis in terga reductis.
Ille vel expandit vel brachia iactat in altum.
Hic canit, ille tonat clamosi more Gradivi.
Pars silice arrepto contundunt pectora, donec

Jener meidet das Leder und gürtet sich mit knotigem Hanf und kleidet sich von Kopf bis Fuß in ein bläuliches Gewand. Andere wiederum verhüllen den Leib mit schwärzlichen Lumpen. Manche sind von Kopf bis Fuß weiß, prangend in Leinen und Wolle. Einige mischen Weiß mit Schwarz, so daß man meinen könnte, sie gehörten zum geschwätzigen Geschlechte der Elstern. Diese tragen auf dem Scheitel Kämme in der Art der Haubenlerche. Jene legen großen Wert darauf, das Fleisch von Vierbeinern und den Genuß von Milch zu meiden, und sprechen selten, so daß man sie für Anhänger des Pythagoras halten könnte. Da sind welche, die ihr ganzes Leben lang Bädern aus dem Wege gehen, in der Tat auch wie ein Ziegenbock stinken und dafürhalten, dies sei die Weise der Frommen. Dieser entsetzt sich vor einer Gold- und Silbermünze wie vor einem Basilisken und scheut sich, sie mit bloßen Händen zu berühren. Ein zweiter hinwiederum, der sehr reich ist, gibt sein Geld den Besitzlosen oder verteilt erst, wenn’s ans Sterben geht, mit einem läppischen Testament die Zehntel seiner Diebesgüter an die Kirchen und an jene, die hoch und heilig geloben, sie würden die Sünden anderer auf sich nehmen. Dieser Todeskandidat verzehrt geweihtes Brot und salbt sich Ohren, Mund, Nase, Augen, Hände und Füße; jener läßt zwei- bis dreimal oder auch drei- bis viermal Gebete entströmen, gibt Gott täglich das Gemurmel seiner flinken Zunge in Zahlung und trägt einen großen Haufen Gebete zusammen. Dieser liegt bäuchlings auf der Erde, die Hände auf den Rücken zurückgebogen. Jener breitet die Arme aus oder wirft sie in die Höhe. Dieser singt, jener donnert nach der Weise des polternden Mars. Einige ergreifen geschwind einen harten Stein und zerklopfen sich solange die Brust, bis

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<135> Eliciant sacrum propter peccata cruorem.
Maxima pars sacris fidunt Missasque frequentant.
Hic sibi testiculos, alius praeputia demit.
Hircorum villis alius se macerat aspris.
Hic tanquam pestem Bacchaeia munera vitat,
Posteriora boum crura ille suesque lutosas.
Hic sibi diffidens alienas comparat auro
Virtutes et fit benefactis dives iniquis.
Advocat hic divos, magnos parat ille patronos.
Ille nigro petasum plumbo conchisque marinis
Palliaque insignit factis ex osse bacillis.
Exuit hic nunquam vestes, sed dormit in illis
Et se pulicibus praebet pedibusque molestis
Rodendum assiduè, pro noxa scilicet omni.
Est, qui lorica semet confringat ahena
Admota carni. Est, qui cunctis sponte relictis
Mendicet vulgò scalasque colat stabulumve.
At prius Augaeae possem purgare fimetum,
Quàm vesana hominum studia enumerare, quib<us>[54] se
Quisque facit Christum et merito te privat honore.
Tu dicis: Christus sum, mundi vita salusque.
Hoc quoque testatur pater, hoc dixere prophetae,
Hoc tota vita et factis signisque probasti,
Spiritus hoc etiam coelo demissus ab alto
Per varias linguas et fortia pectora sanxit.
Pernegat at mundus constanter teque patremque
Mentiri dicit. Non vult servarier abs te

sie das um ihrer Sünden willen verfluchte Blut hervorlocken. Ein sehr beträchtlicher Teil vertraut auf den Gottesdienst und geht häufig zur Messe. Dieser schneidet sich die Hoden, ein anderer die Vorhaut ab. Wieder ein anderer peinigt sich mit den rauhen, zottigen Haaren der Ziegenböcke. Dieser meidet wie die Pest die Gaben des Bacchus, jener die Hinterbeine des Rindviehs und die kotigen Säue. Dieser zweifelt an sich selbst, verschafft sich mit Gold fremde Verdienste und wird reich an übermäßigen guten Werken. Dieser ruft die Heiligen an, jener verschafft sich große Schutzpatrone. Jener verziert seinen Sommerhut mit schwarzem Blei und Meeresmuscheln und seinen Mantel mit beinernen Stäbchen. Dieser zieht nie seine Kleider aus, sondern schläft darin und bietet sich den Flöhen und lästigen Läusen fortwährend als Speise an – zur Buße für alle Sünden, versteht sich. Da ist einer, der sich selbst zuschanden macht mit einem ehernen Panzerhemd, das er auf der bloßen Haut trägt. Da ist einer, der freiwillig alles aufgibt und bei jedermann bettelt und auf der Treppe oder im Stall kampiert. Indes – eher wäre ich imstande, die Mistgrube des Augias zu reinigen, als die wahnwitzigen Bemühungen der Menschen aufzuzählen, mit denen jeder sich selbst zum Christus macht und dich deines verdienten Ruhmes beraubt. Du sagst: „Ich bin Christus, Leben und Heil der Welt.“ Dies bezeugt auch der Vater, dies haben die Propheten gesagt, dies hast auch du durch dein ganzes Leben und deine Taten und Wunderzeichen unter Beweis gestellt, und dies hat auch der vom hohen Himmel gesandte Geist durch die verschiedenen Zungen und die Stärkung der Herzen besiegelt. Die Welt aber leugnet es beharrlich, unterstellt dir und dem Vater Lügen, will nicht von dir gerettet werden,

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<136> Nec sibi donari quicquam, haud peccata remitti
Morte tua meritisque tuis, partaque recusat
Uti iusticia, minus et gaudere triumpho
Regnoque. À Satana potius cunctisque creatis
Posceret auxilium speraretque omnia Christi
Munia gratuitoque sibi benefacta locari
Plurima perferret. Soli debere repugnat
Quisque tibi. Sordes planè numerusque[55] putaris.
Praetereo, quòd multa tibi convicia dicant.
Tu tamen in coelis regnas terraque marique,
Cunctarumque tibi rerum est collata potestas.
Tu quoque mortalis iudex aequissimus omneis
È caecis etiam tumulis revocabis in auras
Iudiciumque tuum coges et adire tribunal.
Praemia quae tum digna dabis spretoribus illis?
Ò miseros, tantum qui non offendere regem
Formidant. Ò te patientem longanimemque,
Qui cunctos solo posses disperdere nutu
Et fers illorum linguas studiumque scelestum
Conatusque tuum in contemptum odiumque calentes,
Luce quoad summa redeas in nube coruscus?

will auch nichts geschenkt bekommen und will keineswegs, daß ihr ihre Sünden um deines Todes und deiner Verdienste willen verziehen werden; sie weigert sich, von der erworbenen Rechtfertigung Gebrauch zu machen, geschweige denn, daß sie sich über deinen Sieg und deine Herrschaft freute. Eher würde sie vom Satan und allen Geschöpfen Hilfe verlangen; alle Leistungen Christi würde sie eher von diesen erwarten und sich eher von diesen ohne Gegenleistung zahlreiche Wohltaten vorsetzen lassen. Jeder lehnt es ab, allein in deiner Schuld zu stehen. Man hält dich geradezu für einen Schmutz und für eine Null. Zu schweigen, daß man viele Schmähungen gegen dich ausspricht. Dennoch herrschst du über Himmel, Land und Meer, und dir ist Gewalt über alle Dinge gegeben. Als allergerechtester Richter wirst du auch alle Sterblichen aus den finsteren Gräbern wieder ans Tageslicht zurückrufen und sie zwingen, vor dein Gericht und deinen Richterstuhl zu treten. Was wird dann der angemessene Lohn sein, den du jenen Verächtern geben wirst? O die Elenden, die es nicht davor graust, einen so großen König zu kränken! O du Geduldiger und Langmütiger! Mit einem einzigen Wink könntest du alle vernichten – und doch erträgst du ihre Lästerungen, ihr frevelhaftes Streben und ihre heißen Bemühungen, dich verächtlich und verhaßt zu machen, bis du am Jüngsten Tag in einer schimmernden Wolke zurückkehrst!


[39] n   [40] Prospex: iquòd   [41] tamem   [42] rarae   [43] caepit   [44] alijs’ne   [45] argentari   [46] ommino   [47] Alectusque   [48] Contempis   [49] ferendas   [50] extingunt   [51] tum   [52] Solomon   [53] Si   [54] quib.   [55] nmmerusque

Letzte Änderung: 21.04.2009

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