Text and Translation submitted by Lothar Mundt.

Conspectus: Satyra prima / secunda / tertia / quarta / quinta.





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THOMAE NAOGEORGI SATYRARUM

LIBER QUINTUS.



Satyra prima.

Omnipotens postquam coelum terramque creasset
Ornassetque polum stellis et sole corusco,
Eius et oppositu fulgeret pallida luna
Iamque omnes laeto riderent gramine terrae
Et pecora errarent circum et genus omne ferarum
Densas incoleret silvas montesque supinos
Iamque vagi implessent fluvios ac aequora pisces




[...]


DER SATIREN DES THOMAS NAOGEORGUS

FÜNFTES BUCH



Erste Satire

Als der Allmächtige Himmel und Erde geschaffen und das Firmament mit den Sternen und der gleißenden Sonne geschmückt hatte und von der der Sonne gegenüberliegenden Seite aus der bleiche Mond erstrahlte, als schon die ganze Erde von üppig wucherndem Pflanzenwuchs lachte, sich allerorts Vieh tummelte und Wildtiere jeder Gattung die dichten Wälder und schräg hingestreckten Berge bewohnten, als die unsteten Fische schon Flüsse und Meere füllten

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<184> Latoque Oceano balenae et monstra natarent
Horrida iamque avibus streperet circumfluus aer
Errarentve lacus circum vel stagna solumque,
Consilio tandem certo post omnia fecit
È terra limoque hominem, qui mente valeret
Rexque aliorum animantum esset mundique colonus.
Perfectum iustumque illum rerumque scientem
Fecerat et divina in quo luceret imago,
Sciret ut erigeretque animum ad coelestia solus
Prae cunctis aliis animantibus utque peracto
Tempore vivendi certo facilique labore
Iret in excelsas sedes sine fine beatus.
        Porrò à principio plantaverat antè remotum
À nostro orbe locum, quin Oceanique profundi
Longè extra fines, obversum solis ad ortum.
Hunc Paradisum aiunt, quo[69] nullus amoenior alter
Omnibus in terris locus aut excultior extat.
Huic siquidem genitor summus dedit omnia largè,
Praecipua in solis inerant quae singula terris
Quaeque alio constat nulla sub sole videri.
Scilicet electi caperent ubi dona quietis
Laetaque perciperent felicis gaudia vitae.
Si cernas, longè Hesperidum contempseris[70] hortos
Quosque habuit multum Veneri dilectus Adonis
Assyriique olim urbsque Aegypti maxima Thebae.
Coelum Taprobanes felix et divitis Indi
Riseris et fructus, animalia mira solumque,

und im weiten Ozean Wale und grausige Ungeheuer schwammen, als die alles umfließende Luft von Vögeln erscholl und diese an Seen oder Teichen und über dem festen Land umherschwirrten: da schuf er schließlich unumstößlichem Ratschluß gemäß nach alledem aus Erde und Schlamm den Menschen, der sich mittels seines Geistes behaupten, über alle Lebewesen herrschen und die Welt bewohnen sollte. Er hatte ihn vollkommen und fehlerlos geschaffen und mit Geschick zu allen Dingen ausgestattet; in ihm schien das Ebenbild Gottes auf, so daß er allein vor allen anderen Lebewesen mit Einsicht begabt war und seinen Geist zum Himmel erhob und nach Vollendung seiner mit gefahrloser und leichter Arbeit verbrachten Lebenszeit zu ewiger Seligkeit ins Himmelreich einging.
        Ferner hatte er vorher – gleich zu Anfang – einen außerhalb unseres Erdkreises, ja sogar weit jenseits der Grenzen des tiefen Ozeans, gen Sonnenaufgang gelegenen Ort gepflanzt. Diesen nennt man das Paradies; auf der ganzen Welt gibt es keinen zweiten Ort, der anmutiger und schöner wäre als dieser. Ihn stattete nämlich der höchste Schöpfer in Hülle und Fülle mit all jenem aus, was an Vorzüglichem auf der menschenleeren Erde vereinzelt vorhanden und gewiß nirgendwo sonst zu sehen war. Die Auserwählten sollten dort nämlich die Gaben der Stille erlangen und die heiteren Wonnen eines glücklichen Lebens erfahren. Wenn du es erblicktest, möchtest du wohl die Gärten der Hesperiden bei weitem geringachten, ebenso die des von Venus heißgeliebten Adonis und die Gärten, die einst die Assyrer und die größte ägyptische Stadt Theben besaßen. Das gesegnete Klima Ceylons und des reichen Indiens, ihre Früchte, wundersamen Tiere und ihr Erdreich möchtest du verlachen

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<185> Phaeacii nec praetuleris pomaria regis.
Plurima nigrantes baccas híc gignit oliva.
Stant platani umbrosae passim malique pyrique
Atque frequens ficus dulci plenissima fructu
Medicaque Assyriis tantum modò cognita terris.
Latius hic verò divinum iactat odorem
Per prata et silvas virides et florida rura,
Quo solo posses longaevam ducere vitam.
Lanigera hic foetis multa est bombycibus arbor,
Quam solos olim Seras coluisse loquuntur,
À quibus ad nostros venerunt serica patres.
Est etiam hic hebenum nullis superabile flammis,
Enodi trunco et grata nigredine splendens.
Hic ficus patulis diffunditur Indica ramis.
Multaque iuniperi specie gignit piper arbos.
Saccara nec desunt nec apum per prata labores.
Quid palmeta loquar, longa crepitantia fronde?
Et thuris silvas myrrhaeque fragrantis opimas?
Sponte sua crescit mitissima vitis in agris.
Stant pinus piceaeque hic excelsaeque cupressi
Enodesque cedri, terebinthi, bdellia, costum,
Citrius atque abies, tiliae, sambucus et acer,
Lentisci et buxi virides et Punica malus,
Iuniperi morique et cerrus, betula, quercus,
Arbutus et cornus, caprificus, fraxinus, ornus.
Hic legisse queas sapidis cum mespila sorbis
Iuglandesque et avellanas et amygdala grata

und den Obstgärten des Phaeakenkönigs nicht den Vorzug geben. Ölbäume in großer Zahl bringen hier schwärzliche Beeren hervor. Überall stehen schattenspendende Platanen, Apfel- und Birnbäume, Feigenbäume die Menge, übervoll von süßer Frucht, und die nur in Assyrien bekannte Luzerne; hier verbreitet sie aber über die Wiesen, grünen Wälder und beblümten Gefilde weit und breit einen göttlichen Duft, der schon allein dich befähigt, ein hohes Alter zu erreichen. Hier gibt es viele Baumwollbäume voll mit feiner Baumwolle; es heißt daß allein die Serer, von denen die serischen Stoffe zu unseren Vorvätern kamen, sie einst kultiviert haben. Hier gibt es auch das von keinem Feuer bezwingbare Ebenholz, glatten Stammes und glänzend von köstlicher Schwärze. Hier breitet der indische Feigenbaum seine ausgedehnten Zweige. Viele Bäume bringen Wacholderbeeren ähnlich sehenden Pfeffer hervor. An Zuckersaft fehlt es nicht, und die Bienen gehen auf den Wiesen nicht müßig. Wozu soll ich von den Palmwäldern reden, die mit ihrem langen Blattwerk rauschen? Wozu von den üppigen Wäldern von Weihrauch und duftender Myrrhe? Auf den Feldern wächst von selbst der lieblichste Wein. Kiefern und Pechföhren stehen hier, hochragende Zypressen, glatte Zedern, Terebinthen, Weinpalmen, der Kostwurz, der Zitronenbaum und die Tanne, Linden und der streng duftende Holunder, die grünen Mastix- und Buchsbäume, der Granatapfelbaum, Wacholderbäume, Maulbeerbäume und die Zirneiche, die Birke, die Eiche, der Meerkirschen- und Kornelkirschbaum, die wilde Feige, die Esche und die wilde Bergesche. Hier könntest du Mispeln und wohlschmeckende Arlesbeeren sammeln, Walnüsse, Haselnüsse und köstliche Mandeln,

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<186> Castaneasque nuces nec non Cerasuntia poma,
Quae primùm Ausonias Lucullus vexit in oras,
Et lauri baccas myrtique et caerea pruna.
In medio celsis se tollit ad aethera ramis
Arbos vitali (mirum) gratissima fructu,
Corpora qui reddit solo immortalia gustu,
Huius et (ah nobis infaustè) in parte sinistra
Altera non longè pulchro ramalia foetu
Ad terram flectit, cuius virtute comesti
Cernitur et virtus viciumque bonumque malumque.
Permulto latè vestitur gramine terra,
Suaviter et vernant flores redolentque per agros.
Candida perpetuum dispergunt lilia odorem
Et crocus atque rosae libanotisque et siliquastrum
Et violae et mentae ferrugineique hyacinthi
Et nardi thymbraeque et mollis amaracus irisque
Hyssopusque frequens, chamaecyparissus, amomum,
Salvia serpillumque et origanon ac dictamnus[71]
Pulegiumque virens floresque fragrantis anethi
Cinnamaque et casiae condensisque ozima ramis.
Hic quoque Iudaeae tantum data balsama terrae
Sudant perpetuò, crescunt et caetera largè,
Quîs hominum gustus queat olfactusve iuvari
Quaeque videre velis modò mirerisque figuram:
Herbae radicesque et fructus atque sapores
Et frutices varii gemmaeque et nobilis arbor,
Multa quoque in nostris haudquaquam cognita terris.

Kastanien sowie auch die kerasuntischen Früchte, die zuerst Lukullus nach Italien brachte – auch Beeren von Lorbeer und Myrte und wächserne Pflaumen. Mittendrin erhebt sich, die Zweige himmelwärts emporgestreckt, der Baum (o Wunder!) mit der herrlichen Frucht des Lebens, die schon bei einmaligem Genuß die Leiber unsterblich macht. Zu seiner Linken, nicht weit von ihm entfernt, beugt (o wie unheilvoll für uns!) ein zweiter Baum sein Geäst zur Erde nieder – mit einer schönen Frucht, nach deren Verzehr man dank der ihr innewohnenden Kraft die Erkenntnis der Tugend und des Lasters, des Guten und Bösen erlangt. Die Erde kleidet sich weit und breit in üppig wucherndes Gras; Blumen machen einen lieblichen Frühling und verbreiten ihren Duft über die Gefilde. Weiße Lilien lassen fortwährend Duft verströmen, desgleichen Krokus und Rosen, Rosmarin und Pfefferkraut, Veilchen und Minze, stahlblaue Hyazinthen, Narden, Saturei, milder Majoran, Iris, häufig vorkommender Ysop, die Erdzypresse, Amomum, Salbei und Quendel, Wohlgemut und Diptam, blühender Polei und die Blüten des duftenden Dill, Zimt, Casia und das dichtgezweigte Basilikum. Hier schwitzt die Erde auch fortgesetzt Balsamsäfte aus, die nur dem jüdischen Land verliehen wurden, und auch sonst wächst in üppiger Fülle, was den Geschmacks- und Geruchssinn der Menschen zu erfreuen vermag – alles, was nur dein Auge begehrt; die Schönheit dessen ließe dich staunen: Kräuter, Wurzeln und Früchte, Wohlgerüche, Sträucher von vielerlei Art, Knospen und edle Bäume und auch vieles, was man in unseren Regionen überhaupt nicht kennt.

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         <187> Hic pecora aspiceres variis discreta figuris
Silvestresque feras serpentesque atque dracones
Atque canes hominum socios acresque molossos.
At nocumenta absunt, nec norunt laedere quicquam,
Sed sunt divinae solum spectacula dextrae.
Pinguia non lacerant mites iumenta leones.
Quippe inibi nec carne animal nec vescitur atro
Sanguine, sed pomis herbisque aut fructibus arvi
Omnia pascuntur, nec cornu aut dente petunt se
Mutuò, non pungit reflexo scorpius ictu.
Prorepit mitis citra ullum vipera morsum,
Et sua serpentes procul abiecere venena.
It lupus inter oves, ludunt cum thoibus agni,
Cum canibus lepores, timidique ad pocula damae
Conveniunt, habitat clamoso cum ansere vulpes.
Nocte dieque canunt in cunctis dulcia ramis
Carmina lusciniae, pictis et achantides alis,
Fringillae et sturni merulaeque ac improba hirundo,
Regulus atque parix, picae, turdela meropsque,
Aegythus et passer, currucaeque ova foventes
Coccygis atque aliae cantu linguaque potentes,
Quarum nec speciem possis nec nomina fari.
Omnes concentu vel humi vel flumina circa
Arboreisve strepunt ramis et pectora mulcent.
Non cassita unquam lassatur in aere pendens,
Argutum viridantum in honorem dicere carmen.
Eloquitur miro varias imitamine voces

        Hier hättest du Vieh erblicken können, das sich durch vielerlei Gestalt voneinander unterschied; und wilde Waldtiere hättest du sehen können, Schlangen und Drachen, auch Hunde, die Gefährten des Menschen, und bissige Molosser. Doch richten sie keinen Schaden an und verstehen sich nicht darauf, irgendeinem Wesen eine Verletzung zuzufügen; vielmehr sind sie nur Wunderwerke der göttlichen Hand. Die Löwen sind friedlich und zerfleischen keine fetten Zugtiere. Überhaupt nährt sich dort drinnen kein Lebewesen von Fleisch und dunklem Blut, sondern alle verzehren Obst, Kräuter oder Feldfrüchte. Sie fallen sich auch nicht gegenseitig an mit Horn oder Zahn, und der Skorpion sticht nicht mit rückwärts gewandtem Stich. Die Viper schleicht friedlich, ohne zu beißen, dahin, und die Schlangen haben ihr Gift weit von sich geschleudert. Der Wolf wandelt unter den Schafen, die Lämmer spielen mit den Schakalen, die Hasen mit den Hunden, und die furchtsamen Rehe kommen zusammen zur Tränke; der Fuchs wohnt mit der ständig schreienden Gans zusammen. Tag und Nacht singen Nachtigallen in allen Zweigen süße Lieder, desgleichen der zierlich geflügelte Stieglitz, Buchfinken und Stare, die Amseln und die ehrlose Schwalbe, der Zaunkönig und die Meise, die Elstern, die Drossel und der Bienenwolf, die Blaumeise und der Sperling, die des Kuckucks Eier ausbrütenden Grasmücken und noch andere gesanges- und zungenkräftige Vögel, von denen du weder Art noch Namen zu künden vermöchtest. Alle zwitschern in harmonischem Gesang am Erdboden, an Flüssen oder in den Zweigen der Bäume und bezaubern das Herz. Die in der Luft schwebende Haubenlerche wird niemals müde, zum Ruhm der grünen Pracht ihr klangvolles Lied zu singen. Vielerlei Stimmen wundersam nachahmend spricht

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<188> Psittacus usque frequens, dispar rostro atque colore
Plurimus hic caudam stellatos torquet in orbes
Pavo et reflexis sese miratur ocellis.
Multus ibi phoenix collo spectabilis aureo,
Quem nos in toto vix unum credimus orbe.
Verùm quis genera aut species variosque colores
Enumeret volucrum paradisi rura colentum,
Quae vel dulcisonis oblectant cantibus aures
Vel visum recreant variis insigniter alis
Ingeniove animos mulcent formaque venusta?
Hinc procul omne malum, pestes morbique molesti
Et membris tremulis baculoque innixa senectus.
Hic gelida arboribus non aufert bruma decorem,
Nec glacie dura stringuntur flumina, tristi
Nec corpus riget omne gelu terrasque tegit nix,
Frigora nec pecudes hominesque requirere tecta,
Corpora nec densis cogunt velare cucullis.
Non patulos ardens exurit Sirius agros.
Non agit hic rimas tellus nec cedit hiatu.
Non lati fumant ardenti pulvere campi,
Non fluidus sudor pecudes hominesque fatigat,
Nec creat infectus pestem fervoribus aer,
Verùm temperie coelesti est perpetuum ver,
Quale Melesigenes in campis fingit Homerus
Elysiis, summa manes ubi pace fruantur.
Non inflat Boreas, foeti neque pestibus Austri,
Sed blando Zephyri foecundant flamine terram

in einem fort der häufig vorkommende Papagei. Ihm unähnlich von Schnabel und Färbung schlägt hier der in sehr großer Zahl vertretene Pfau mit seinem Schwanz sternengeschmückte Räder und bewundert sich mit rückwärts gewandtem Blick. Zahlreich ist hier der mit seinem goldenen Hals schön anzusehende Phoenix, von dem es auf der ganzen Welt, wie ich glaube, kaum einen einzigen gibt. Doch wer könnte alle Gattungen, alle Arten und den vielfältigen Farbenschmuck der die Gefilde des Paradieses bewohnenden Vögel aufzählen, die teils mit lieblich tönenden Gesängen das Ohr ergötzen, teils mit Flügeln von auffallender Buntfarbigkeit das Auge laben, teils das Gemüt durch ihre Wesensart und anmutige Gestalt bezaubern? Weit fern von diesem Ort ist alles Übel: Seuchen und beschwerliche Krankheiten und das an den Gliedern zitternde und auf den Stock gestützte Greisenalter. Hier nimmt der eisige Winter den Bäumen nicht ihre Schönheit, und die Flüsse erstarren nicht zu hartem Eis; der ganze Körper ist nicht steif vor scheußlichem Frost, kein Schnee bedeckt das Land, und Kälte zwingt nicht das Vieh und die Menschen, Behausungen aufzusuchen, und nötigt nicht, die Leiber in dichte Mäntel zu hüllen. Der heiße Sirius verbrennt nicht die ungeschützt daliegenden Gefilde. Die Erde spaltet sich nicht und öffnet sich nicht zu einem Schlund. Die Gefilde qualmen nicht weit und breit von heißem Staub. Keine Ströme von Schweiß belästigen Mensch und Vieh, und keine infolge der Hitze verpestete Luft ruft eine Seuche hervor, sondern dank der milden Witterung herrscht ewiger Frühling, so wie ihn der vom Meles gebürtige Homer für die Elysischen Felder ersonnen hat, wo die Seelen der Verstorbenen sich des tiefsten Friedens erfreuen. Hier bläst nicht der Nordwind hinein und nicht der seuchenschwangere Süd, sondern Zephyre befruchten das Land

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<189> Iugiter, et tellus fert omnia sponte quotannis.
Non perdunt segetes commisti grandine nimbi,
Nec pavidas terrent horrenda tonitrua mentes.
Purior hic vitro cristalloque exoritur fons,
Qui mox perspicuum praelargis exitat undis
Gignentem miras fluvium multasque figuras
Squammigeri pecoris, paradisi qui sola primùm
Irrigat exundans, tum magna in quattuor illinc
Flumina dissectus populos et plurima ditat
Regna ferens onychen preciosum aurique metalla.
Hunc propter frondent acceptae navibus alni
Atque leves calami et variis speciebus arundo
Plurima, tum lentae salices et populus alta
Carminibusque apta et florem suavissima lotos.
Nititur arboribus crebros enixa corymbos,
Et virides ripas hedera obtegit et lapidosos
Quosque sinus. Flumen verò ripasque frequentant
Halcyones mergique, anates et garrulus anser,
Ardea querquedulaeque, phalerides et phasianae,
Cincli cum fulicis, lari, cataractis et anthus
Atque apodes gaviaeque nigrae, riparia, cygni
Permultaeque aliae, quarum nec nomina nota.
Deliciae sunt hic omnes omnisque voluptas,
Quam cupere humanus queat aut exquirere sensus.
        Huc hominem posuit Deus, ut custodis obiret
Munus opusque animi faceret vel solius ergò
Maturosque sua fructus decerperet hora

immerfort mit liebkosendem Säuseln, und Jahr für Jahr bringt die Erde alles von selbst hervor. Keine mit Hagel vermischten Regenschauer verderben die Saaten, und ängstliche Gemüter werden nicht durch furchtbare Donnerschläge erschreckt. Hier entspringt ein Quell, reiner als Glas und Kristall; dieser ruft alsbald mit sehr großem Wasserreichtum einen durchsichtigen Fluß hervor, der Fische in vielen wundersamen Gestaltungen erzeugt. Über die Ufer tretend überschwemmt er zunächst das Erdreich des Paradieses; sodann teilt er sich von dort aus in vier große Ströme und verschafft mit dem kostbaren Onyx und Gold, das er mit sich führt, Völkerschaften und sehr vielen Königreichen Wohlstand. An seinem Ufer grünen die für den Schiffsbau erwünschten Erlen, auch leichtes Röhricht und üppige Mengen von Schilf in mannigfaltigen Arten, sodann biegsame Weiden, die hohe Pappel und der für Gesänge verwendbare und eine wunderliebliche Blüte tragende Lotos. Der Efeu, der Blütentrauben in dichter Menge getrieben hat, rankt an Bäumen empor und bedeckt die grünen Ufer und alle steinigen Buchten. Zum Fluß aber und seinen Ufern kommen häufig Eisvögel, Tauchervögel, Enten und die geschwätzige Gans, der Reiher und die Kriekenten, Wasserhühner und Fasane, die Wasserstare mit den Bleßhühnern, Möwen, der Kataraktes und der Wasserpieper, Mauersegler und schwarze Rotgänse, die Uferschwalbe, Schwäne und sehr viele andere Vögel unbekannten Namens. Hier finden sich alle Reize und jede Wonne, nach der die Sinne des Menschen zu begehren oder verlangen vermögen.
        Hierher versetzte Gott den Menschen, damit er die Aufgabe eines Hüters wahrnahm und wegen seines einzigartigen Geistes Arbeit verrichtete: zur rechten Zeit die reifen Früchte abpflückte,

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<190> Plantasque insereret recta quincunce novellas
Et gremio mollis tegeret bona semina terrae.
Commoda porrò eius procurans omnipotens rex
Arboris illius vetuit contingere fructum,
Qui vim noticiae ferret rectique malique
Continuoque daret mortalia damna comestus.
Arboreos fructus alios herbasque virentes
Liberè in obsequium vitae permisit et escam
Carpere. Perpetuos etiam ut duraret in annos
Humanum genus et nativo cresceret auctu
Ut pecudes volucresque feraeque genusque natantum,
In nova foecundum demisit membra soporem.
Hinc sublata illi de costa condidit Evam
Coniunxitque sacro genialis foedere lecti.
Hinc tandem ambobus quàm plurima fausta precatus
Omnia subiecit formosi animantia mundi
Et dominos illos fecit terraeque marisque.
        Haec verò Satanae deiecto nuper Olympo
Ob scelus infandum nova et intoleranda videri
Speratoque prius valde contraria regno.
Ergo metu pariter summo correptus et ira
Haec secum: „Proh celsi etiam regnator Olympi
Obtento dudum non est contentus honore
Imperioque poli neque quod noctesque diesque
Militiae coelestis eum tot millia laudent:
Iam terras nobis arctas etiam invidet et, quod
Facturum timui, nunc inchoat, ut sibi regnum

junge Setzlinge in schräger Anordnung geradlinig einpflanzte und die vortrefflichen Samen im Schoß der weichen Erde barg. Aus Sorge um sein Wohlergehen verbot ihm indessen der allmächtige König, die Frucht jenes Baumes anzurühren, die die Fähigkeit zur Erkenntnis des Guten und Bösen verlieh und deren Genuß sogleich die Todesstrafe nach sich zog. Ohne Einschränkung erlaubte er ihm, alle anderen Baumfrüchte und grünen Kräuter zur Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse und zu seiner Ernährung abzupflücken. Damit das Menschengeschlecht auch für alle Ewigkeit Bestand hatte und sich – ebenso wie das Vieh, die Vögel, das Wild und die Fische – durch natürliche Vermehrung vergrößerte, senkte er tiefen Schlummer auf die jungen Glieder. Darauf entnahm er jenem (Mann) eine Rippe; aus ihr schuf er ihm Eva und verband sie ihm durch den heiligen Bund der Ehe. Darauf wünschte er den beiden schließlich alles erdenkliche Glück, gab alle Geschöpfe der wohlgestalteten Welt in ihre Gewalt und machte sie zu Herren über Land und Meer.
        Dies aber erschien Satan, der kürzlich seines abscheulichen Frevels wegen aus dem Himmel geworfen worden war, unerhört und unerträglich und für die Herrschaft, auf die er zuvor seine Hoffnung gesetzt hatte, äußerst nachteilig. Demzufolge nahmen größte Furcht und Zorn von ihm Besitz, und er sprach bei sich: „Ach! Ist der König des hohen Sternenzeltes auch mit der ruhmvollen Stellung, die er lange schon innehat, und mit seiner Herrschaft über den Himmel nicht zufrieden, und genügt es ihm nicht, daß ihm so viele Tausende aus den himmlischen Heerscharen Tag und Nacht lobsingen? Jetzt neidet er uns gar noch die enge Welt und geht an die Verwirklichung eines Vorhabens, das ich befürchtete: an die Errichtung seiner Herrschaft

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<191> In terris fingat laudatoresque perennes.
Scilicet è limo deerant post cuncta creandi,
Quos caperet coelum, in vacuas quos poneret aedes
Nostras? subiiceret quibus ampli animantia mundi?
In nostrum haec quis non comtemptum facta videret?
Pergat age. At, contrà quae sint faciunda, videbo.
Scilicet hoc terrestre genus coeli ibit in arces,
Nos verò aeterna coelestes nocte prememur?
Non patiar, tendam nervos viresque potentes,
Nobiscum aeternos magis ut trudatur in ignes
Et pacto quovis in retia nostra trahatur,
Quàm Domino nobis potius re fidat in omni:
Plus etiam credat, nostrum quoque numen adoret
Supplex et nostros suasus ac facta sequatur.
Et iam confestim foetus tentabo novellos,
Quid sapiant quantumque Dei praecepta morentur,
In nostras an possim aliquà traducere partes.“
        Dixerat. Utque hominem cum coniuge cernit in herba
Arbore sub vetita recubantem, haud ausus adire[72]
In specie propria tetrosque ostendere vultus,
Se vasti totum serpentis imagine format
Ingrediturque solo rectus, non pectore terram
Sulcans, squammosis ut nunc serpentibus est mos.
Ut venit propè, cum reliquis animantibus astans
(Plurima namque homines veluti famulantia iussu
Tum circumsteterant), fraudis tempusque locumque
Observat tacitè verbisque accommodat aures.

auf der Erde und die Schaffung von Lebewesen, die ihm immer und ewig Lobhudeleien darbringen. Ermangelte es denn wohl nach allem anderen noch an Lebewesen, die aus Schlamm zu erschaffen waren, um in den Himmel aufgenommen und von ihm in unsere leerstehenden Behausungen einquartiert zu werden? Um von ihm die Gewalt über die Geschöpfe der weiten Welt zu erhalten? Wer hätte nicht erkannt, daß dies geschehen ist, um uns verächtlich zu machen? Nun gut, soll er so fortfahren! Ich aber werde zusehen, was sich dagegen unternehmen läßt. Werden wohl diese Erdenkinder in die Himmelsburg einziehen, wir Himmlischen aber von ewiger Nacht bedeckt sein? Ich werde es nicht dulden! Ich werde alle meine Muskeln und mächtigen Kräfte anspannen, damit sie eher mit uns ins ewige Feuer gestoßen und auf jede erdenkliche Art in unsere Netze gezogen werden und daß sie in allen Dingen ihr Vertrauen lieber auf uns richten als auf den Herrn. Sie sollen uns sogar mehr glauben und auch unsere Göttlichkeit demütig anbeten und sich nach unseren Ratschlägen und Taten richten. Und so werde ich nun die jungen Geschöpfe sogleich einmal auf die Probe stellen und erkunden, wieviel Weisheit sie haben, inwieweit sie säumig sind bei der Befolgung von Gottes Geboten und ob es mir gelingt, sie irgendwie auf unsere Seite zu ziehen.“
        So war seine Rede. Und sobald er den Menschen mit seiner Gattin unter dem verbotenen Baum im Grase ruhen sah, nahm er völlig die Gestalt einer ungeheuer großen Schlange an – keinesfalls wagte er, in seiner eigenen Gestalt an sie heranzutreten und seinen garstigen Anblick zu offenbaren – und bewegte sich auf dem Erdboden in aufrechter Haltung vorwärts, ohne mit seiner Brust die Erde zu pflügen, wie es heutzutage die Art der schuppigen Schlangen ist. Als er in ihre Nähe gekommen war und gemeinsam mit den übrigen Tieren bei ihnen verharrte (damals hatten nämlich sehr viele Tiere die Menschen umringt, gleichsam als sei ihnen befohlen worden, sich in ihre Dienste zu begeben), da lauerte er schweigend auf den geeigneten Zeitpunkt und Ort für seinen Betrug und lauschte ihren Worten.

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<192> Ast animos illi vario sermone levabant:
Quae rerum natura foret pecorumque ferarumque
Et lapidum fruticumque et parvae quamlibet herbae
Et ligni viridis cuiusque aut poma ferentis,
Quantus et insertae plantae vel seminis usus,
Quae volucrum vis, ingenium quod piscibus esset.
Iamque expendebant animo quàm plurima terrae
Immensique maris miracula iamque meatus
Pallentis Lunae clarumque Hyperionis orbem
Astrigerique poli cultum nubesque volantes,
Quanta Dei virtus foret et sapientia quamque
Ille suum erga ipsos clarè ostendisset amorem.
Magnificè ergo illum celebrant redamantque vicissim,
Omnibus et donis confirmant spemque fidemque.
Admoniti exceptae verò tandem arboris umbra
Quaerebant, Dominus quare iussisset ab illa
Tantopere ora tenere manusque atque illius unus
Caetera cur fructus speciosus letifer esset.
Causas reddit Adam quaesitaque commoda monstrat.
        Talia finierant ambo tacitique sedebant
Arboris intenti ramis. Tum falsus ad Evam
Serpens: „Vosne“, inquit, „Dominum mandasse putatis,
Ne fructus paradisi omnes sumatis in escam?“
Cui mulier: „Reliquis sanè nos fructibus“, inquit,
„Vescimur arboreis, verùm duntaxat ab istis“
(Et monstrat digito) „palmas removemus et ora,
Tristificam in mortem temerè ne fortè ruamus.“

Jene aber erquickten ihren Geist in einem Gespräch über vielerlei Themen; sie sprachen über das Wesen der Dinge, des Viehs und des Wildes, über das Wesen der Steine, der Sträucher und des noch so geringen Grases und über das Wesen jedes grünenden oder Früchte tragenden Baumes; sie sprachen darüber, wie großen Nutzen ein eingepflanzter Setzling oder Same bringe, was die Natur der Vögel und die Wesensart der Fische sei. Bald erwogen sie im Geist alle nur möglichen Wunder der Erde und des unermeßlichen Meeres, bald den Lauf des bleichen Mondes und die Kreisbahn der gleißenden Sonne, die Pracht des Sternenhimmels und die dahinfliegenden Wolken; sie erwogen, wie groß die Kraft und die Weisheit Gottes seien und wie deutlich er ihnen seine Liebe offenbart habe. Also rühmten sie ihn in prunkvoller Rede, erwiderten ihrerseits seine Liebe und bekräftigten Hoffnung und Glauben mit allen erdenklichen Opfergaben. Schließlich aber brachte sie der Schatten des verbotenen Baumes auf die Frage, warum Gott befohlen habe, ihre Münder und Hände so sehr von ihm fernzuhalten, und warum im übrigen gerade seine (auffallend schöne) Frucht tödlich sei. Adam begründete dies und legte dar, welche außerordentlichen Vorteile es mit sich bringe.
        Hiermit beschlossen die beiden ihr Gespräch und saßen schweigend da, die Zweige des Baumes aufmerksam musternd. Da sagte die falsche Schlange zu Eva: „Meint ihr, Gott habe euch nicht erlaubt, alle Früchte des Paradieses als Speise zu euch zu nehmen?“ Die Frau erwiderte: „Von allen übrigen Baumfrüchten essen wir sehr wohl, doch von diesen hier“ (sie wies mit dem Finger darauf) „halten wir unsere Hände und Münder freilich fern, um nicht etwa unbesonnen in den schrecklichen Tod zu rennen.“

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<193> Hic serpens: „Mirè temet, muliercula, fallis,
Mortis in hoc prorsus sunt nulla pericula fructu.
Nec tibi divini claret sententia verbi.
Namque Deus rebus nunquam fraudare cupitis
Vos statuit, dominos lati cum fecerit orbis.
Invidet et planè vobis nihil. Istud at esset,
Hos si praedulces vetuisset carpere fructus.
Novit enim his iri detectum vestra comestis
Lumina continuò, pravum ut rectumque sciatis,
Haud aliter quàm, qui cognoscunt omnia, divi.“
        His dictis arsit mulier, dixisse draconem
Omnia vera putans. Ramos fructusque tuetur
Fixius: arrident multum apparentque suaves.
Collaudat serpens, et „Quid gustare nocebit?“
Inquit, „me pulchrè tibi consuluisse loquêris.“
        Longius illa nequit laudatos cernere fructus.
Surgit et à ramo decerpit poma propinquo
Atque edit ipsa, suo quoque porrigit esse marito.
Applaudit gestu serpens et sibilat ore.
Hinc mox luminibus cernunt velanda retectis,
Infelixque ambos recti pravique remordet
Cognitio, admissaeque gravantur pondere noxae.
Mox pudor atque metus nati cordisque dolores.
Nam facti ex iustis iniusti, mortis amarae
Imperio se subdiderant iraeque Tonantis.
Amissa arbitrii quoque libertate voluntas
Atque omnis factae vires ad pessima pronae,

Darauf die Schlange: „Du irrst dich ganz außerordentlich, Weiblein! In dieser Frucht steckt ganz und gar keine Todesgefahr. Dir ist auch der Sinn von Gottes Wort nicht aufgegangen. Es war nämlich niemals Gottes Ratschluß, euch Dinge, nach denen ihr begehrt, vorzuenthalten, da er euch doch zu Herren über die weite Erde gemacht hat. Er mißgönnt euch auch schlechthin gar nichts. Dies täte er jedoch, wenn er euch verboten hätte, diese ungemein süßen Früchte zu pflücken! Er weiß nämlich, daß euch sogleich, wenn ihr sie gegessen habt, die Augen aufgehen werden, so daß ihr wißt, was böse und gut ist – den Himmlischen gleich, die alles erkennen.“
        Diese Worte weckten in der Frau heiße Begierde, denn sie meinte, alles, was die Schlange gesagt hatte, sei wahr. Fester richtete sie ihren Blick auf Zweige und Früchte. Sie lachten sie herzlich an und schienen süß zu sein. Die Schlange lobte sie und sagte: „Was wird es schon schaden, von ihnen zu kosten? Du wirst sagen, daß ich dir vortrefflich geraten habe!“
        Nicht länger ertrug jene den Anblick der gepriesenen Früchte. Sie stand auf, pflückte Früchte vom nächsten Zweig, aß selbst davon und reichte sie auch ihrem Mann zum Essen. Die Schlange machte eine beifällige Gebärde und zischte mit ihrem Munde. Da wurden alsbald ihre Augen aufgetan, und sie bemerkten ihre Schamglieder, und beide quälte die unselige Kenntnis des Guten und Bösen und bedrückte das Gewicht der begangenen Sünde. Sogleich erwachten in ihnen Scham, Furcht und Betrübnis. Waren sie doch aus Gerechten zu Sündern geworden und der Herrschaft des bitteren Todes und dem Zorn des Donnerers verfallen. Da sie auch der Willensfreiheit verlustig gegangen waren, hatten ihr Wille und ihre ganze Wesensart eine Tendenz zum Schlechtesten bekommen,

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<194> Cordisque exitiosum invaserat intima virus.
        Ergo odere Deum trepidi fugiuntque timore
In latebras foliisque sibi campestria plectunt.
Illic praecipitem casum culpamque superbam
Immeritumque simul damnum et mala fata nepotum
Deplorant, crassa fici sub fronde latentes.
Ingentesque cient gemitus lachrymisque madescunt
Largiter effusis. Frustra nunc pristina secum
Expendunt bona, iusticiam mentemque pudoris
Ignaram impavidamque occursu ac ore Tonantis,
Gratiam et illius securaeque ocia vitae,
Liberum et arbitrium viresque et mentis acumen.
Arboris infaustae fructu nunc parta vicissim
Naufragia opponunt, noxae grave pondus et atrox
Horrendumque iugum saevaeque tyrannida mortis,
Transgressi[73] poenam mandati, et vindicis iram.
Coniugis infandos ausus reprendit Adamus
Culpamque illi omnem, contrà imputat illa draconi.
        At verò serpens Stygii regnator Averni
Plaudit et exultat lapsosque irridet amarè:
„Ecce tibi post cuncta recens et fictile plasma,
Pro nobis alta coelorum sede locandum,
Cui pecudes volucresque et totus creditus orbis,
Quàm bellè Domini praecepto paruit uno?
Quantas factori laudes gratesque reponit?
Maluit auscultare mihi diversa iubenti
Estque mei iuris factum et sectabitur unà,

und ins Innerste ihres Herzens war tödliches Gift gedrungen.
        Folglich haßten sie Gott in ihrer Angst, flüchteten sich vor Furcht in ein Versteck und flochten sich aus Blättern Schurze. Dort, unter dem dichten Laub eines Feigenbaums verborgen, beweinten sie ihren jähen Sturz und ihre hochmütige Sünde und auch ihrer Enkel unverdiente Einbuße und schlimmes Los. Sie stießen ungeheure Seufzer aus und wurden feucht von den Tränen, die sie reichlich vergossen. Vergeblich erwogen sie jetzt bei sich ihre früheren Güter: ihre Unbescholtenheit, das fehlende Schamgefühl, ihre Unerschrockenheit bei der Begegnung mit dem Donnerer und beim Anhören seiner Stimme, seine Huld, die Beschaulichkeit ihres sorgenfreien Lebens, ihren freien Willen und die Kraft und Schärfe ihres Geistes. Damit verglichen sie andererseits den Schiffbruch, den sie sich mit der Frucht des unheilvollen Baumes bereitet hatten: die schwere und furchtbare Last der Schuld, das grausige Joch und die Tyrannei des wütenden Todes (als Strafe für die Übertretung des Gebotes) und den Zorn des Rächers. Adam tadelte das unerhörte Wagestück seiner Frau und schob alle Schuld auf sie. Sie hingegen beschuldigte die Schlange.
        Die Schlange, der Fürst der Hölle, indessen klatschte Beifall und jubelte und verhöhnte die Gestrauchelten boshaft: „Da! Sieh nur, du nach allem anderen geschaffenes, frischgebackenes tönernes Gebilde, dazu bestimmt, an unserer Stelle in die hohe Behausung des Himmels versetzt zu werden! Wie prachtvoll hat dieses Geschöpf, dem das Vieh und die Vögel und die ganze Erde anvertraut wurden, das einzige Gebot des Herrn befolgt! Wieviel Lob und Dank zollt es dafür dem Schöpfer! Es hat lieber auf meine entgegengesetzt lautenden Befehle hören wollen, ist mir untertan geworden und wird sich mit Eifer allem anschließen,

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<195> Quae mihi cunque placent, poenasque resolvet easdem.“


Satyra secunda.

Aedibus atque aliis multis certisque ministris
Cultus habet divinus opus per regna, per urbes,
Iudaeos Turcasque inter Christique popellum
Et gentes alias omni sub climate mundi.
At nemo ignorat, primùm aedificentur ut aedes
Quorumque usus eget sacer, omnia ritè parentur
Atque dein reliquos omnis serventur in annos,
Sumptibus haud paucis redituque opus esse benigno.
Unde autem, nisi vel populi collatio fiat?
Vel proceres tribuant largè regesque potentes?
Unde Dei iussu in vasta facturus eremo
Scenam divinus Moses cultumque perennem
Creditum apud populum fundaturus stipe fertur
Sponte data donisque ducum res usus ad omnes.
Ille aurum rutilans sacros donabat ad usus,
Hic nitidum argentum, pars ferri aerisque metalla,
Pars byssum, infectas Tyrio pars murice telas,
Pars roseo cocco gratove colore hyacinthi.
Ligna alii capraeque pilos pellesque rubentes.
Porrò à principibus gemmae lapidesque dabantur
Inventu ac precio rari: carbunculus ardens
Atque opalus tenuis magis et contractior igne.
Tum berilli etiam glauci viridesque smaragdi
Et blandos violae referens flores hyacinthus

was mir nur beliebt – und es wird mit denselben Strafen bezahlen!“


Zweite Satire

In allen Reichen und Städten, bei den Juden, den Türken, beim Volk Christi und den sonstigen Völkern überall auf der Welt sind für den Gottesdienst – neben vielerlei anderem – ein Gebäude und zuverlässige Diener vonnöten. Jeder aber weiß, daß zum einen die Errichtung des Gebäudes und die ordnungsgemäße, vollständige Einrichtung mit allem, dessen der Gottesdienst bedarf, zum anderen aber auch seine Unterhaltung in allen kommenden Jahren mit gar nicht geringen Kosten verbunden sind und Einkünfte aus mildtätigen Spenden notwendig voraussetzen. Woher sollen diese aber kommen, wenn nicht das gemeine Volk etwas beisteuert und die Vornehmsten und die mächtigen Könige großzügige Schenkungen machen? Deshalb, so hören wir, hat sich der von göttlichem Geist erfüllte Moses, als er daranging, in der öden Wüste eine Stiftshütte zu errichten und einen alle Zeiten überdauernden, beim Volk anerkannten Gottesdienst zu begründen, zu allem, was nötig war, auf Befehl Gottes einer freiwilligen Abgabe und der Geschenke von Fürsten bedient. Dieser stiftete zum heiligen Gebrauch rötliches Gold, jener glänzendes Silber; einige gaben Eisen und Erz, einige Byssus, einige Purpurgewebe, einige gaben Gewebe in rosenfarbenem Scharlach oder in der lieblichen Farbe der Hyazinthe. Andere gaben Holz, Ziegenhaare und rötliche Felle. Die Fürsten ihrerseits stifteten Juwelen und Edelsteine von seltenem Vorkommen und selten hohem Wert: den glühenden Karfunkel und den ein schwächeres und dezenteres Feuer ausstrahlenden Opal. Ferner auch blaugrüne Berylle, grüne Smaragde, den an reizende Veilchenblüten erinnernden Hyazinth,

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<196> Chrysolithusque adamasque, topazius ac amethystus
Sardonychesque humani unguis pallore celebres,
Quin et iaspides auricomae, simul ater achates
Sapphyrusque imitans coeli pontive colorem.
Thus quoque donabant et odore fragrantia grato
Suffimenta duces. Certatim sexus uterque
Dona dabat, nec quisquam opibus parcebat amicis:
Torques armillaeque et portabantur inaures
Atque periscelides, dextralia et annulus asper
Gemma auroque gravis nitidisque monilia baccis
Atque frequens similis murenula torta catenae.
Plura darentur uti, certus quàm posceret usus,
Et Moses tandem praeconis voce canori
Parcere mandavit[74], donorum et sistere fluxum.
Praeterea statuit cunctis alimenta ministris
Ex populi decimis Deus, ex sacrisque benignis,
Nec quisquam cultus et relligionis amator
Solvere neglexit, sed vel plura addidit ultro.
Quantum olim argenti David collegit et auri?
Quantum ferri aerisque et nigri albique metalla
Plumbi?[75] gemmarum quantum lignique cedrini,
Ut Domino augustum totumque celebre per orbem
Extrueret templum Salomon sucessor et haeres?
Hinc laudem fructumque tulit pietatis uterque.
An non Persarum magna quoque laude Darius
Ac Cyrus reges digni, qui denuò sumptu
Aedificare suo templum iussere diuque

den Chrysolith und den Diamanten, den Topas und den Amethyst, Sardonyxe, berühmt für ihre dem menschlichen Fingernagel gleichende Blässe, ja sogar goldbelaubte Jaspisse, auch den dunklen Achat und den die Farbe des Himmels und des Meeres nachahmenden Saphir. Die Fürsten gaben auch Weihrauch und lieblich duftendes Räucherwerk. Beide Geschlechter spendeten um die Wette, und niemand knauserte mit seinen ihm liebgewordenen Kostbarkeiten: Sie brachten Halsketten, Armspangen und Ohrringe herbei, ferner Schenkelspangen, Armbänder, einen Fingerring von schwerem Gold mit scharfkantigem Juwel, Halsbänder aus schimmernden Perlen und zahlreiche gebogene, einer Fessel ähnliche Halskettchen. Es wurde mehr zur Verfügung gestellt, als der tatsächliche Bedarf erforderte, und Moses befahl endlich durch einen wohltönenden Ausrufer, man solle aufhören und den Spendenstrom zum Stehen bringen. Außerdem bestimmte Gott die Zehnten des Volkes und mildtätige Opfergaben zum Unterhalt für alle Priester, und niemand, dem der Gottesdienst und die Religion am Herzen lagen, versäumte es, diese Abgaben zu leisten; vielmehr legte man sogar freiwillig noch etwas drauf. Wieviel Silber und Gold, wieviel Eisen und Erz, Blei und Zinn, wie viele Juwelen und wieviel Zedernholz hat einst David zusammengebracht, damit sein Nachfolger und Erbe Salomon dem Herrn den ehrwürdigen und auf der ganzen Welt gepriesenen Tempel baute! Beide ernteten dadurch Ruhm und Lohn für ihre Frömmigkeit. Oder waren Darius und Cyrus, die Perserkönige, nicht auch großen Ruhmes würdig, die den Tempel auf eigene Kosten wiederaufbauen und den lange

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<197> Cultum intermissum ritu instaurare vetusto?
Centurio quidam multum laudatur IESU,
Quamlibet externus, synagogae extructor Hebraeae.
Hi quoque cultores se monstravere pios, qui
Ad Domini gazas ultro sua dona tulerunt,
Quo stata servarent sacra servarentque ministros.
Inter eos viduam multum commendat IESUS
Aereolos propter binos, quòd cuncta dedisset
Nempe sua et pluris Domini fecisset honorem
Quàm rerum curam vitaeque alimenta senectae.
Quid non maiores nostri et fecere parentes
Cultus augendi causa ornandique ministros?
Tot sacras magnis struxerunt sumptibus aedes,
Tot passim nidos monachorum totque sacella
Omnibus in vicis, desertis, urbibus, agris
Privatoque lare ac praedivite dote bearunt
Auroque et gemmis, argento et veste superba.
Sacrificorum etiam monachorumque agmina tanta
Paverunt lautè, nullus finisque modusque
Per totam dandi vitam postque ultima fata.
Nonne pios meritò et cultores numinis altos
Censeres, docti rectè si dia fuissent
Adque ea conservanda operam studiumque dedissent?
Quî nunc fit quaeso, ut divina humanaque docti
Plerique atque Evangelium verbumque sonantes
Iugiter haud solum nil dent templisque Deoque
Nec curent, Evangelium Christique ministros

unterbrochenen Gottesdienst nach dem alten Ritus wiederherstellen hießen? Jesus spendet einem gewissen Hauptmann, der eine jüdische Synagoge erbaut hatte, großes Lob, obwohl er ein Fremdling war. Auch jene, die zu den Schätzen des Herrn freiwillig ihre Gaben beisteuerten, um so die festgesetzten Opfer und den Unterhalt der Priester zu sichern, haben sich damit als fromme Gottesverehrer erwiesen. Aus ihrem Kreise preist Jesus höchlich eine Witwe wegen zweier Heller: Sie habe nämlich ihren ganzen Besitz hingegeben, und die Ehre Gottes sei ihr wichtiger gewesen als die Sorge um ihr Hab und Gut und ihr Auskommen im hohen Alter. Was haben nicht unsere Ahnen und unsere Väter zur Förderung des Gottesdienstes und zur Unterhaltung der Priester getan! So viele Gotteshäuser, so viele Refugien für Mönche allenthalben und so viele Kapellen in allen Dörfern, Einöden, Städten, Gefilden und im eigenen Hause haben sie mit großen Kosten erbaut und mit überreicher Gabe, mit Gold und Juwelen, Silber und prächtigen Gewändern beglückt! Sie unterhielten auch so viele Heerscharen von Priestern und Mönchen aufs allerbeste, und des Gebens war ihr ganzes Leben hindurch und nach ihrem Tode kein Ziel noch Maß. Wenn es wohlunterrichtete Gottesgelehrte gegeben hätte, die bemüht und bestrebt gewesen wären, die Religion am Leben zu erhalten, würdest du diese dann nicht zu Recht für fromme Männer und erhabene Verehrer der Gottheit halten? Was um Himmels willen ist der Grund dafür, daß heutzutage der größte Teil derer, die in geistlichen und weltlichen Dingen wissenschaftlich geschult sind und das Evangelium und das Wort beständig im Munde führen, nicht nur für die Kirchen und für Gott nichts spenden und sich um das Evangelium und die Erhaltung und Versorgung der Diener Christi

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<198> Quo pacto servent, tueantur dentque futuris,
Sed spolient etiam sacras radicitùs aedes
Et Christi studeant victum fregisse ministris?
Hos an amatores Christi verique putemus?
Nil minus. Hoc sub praetextu sunt verius hostes.
Verus amor donat, favet ac inservit amato.
At nudare solent hostes auferreque praedas.
Multa superstitiosa Evangelium abstulit orbi,
Maiores quae nostri olim et tenuere parentes
Pro vero cultu. Hinc ansam sibi captat avarus,
Ut rapiat collata à se aut maioribus antè
Inque suum vertat lucrum reditumque culinae.
Namque putat falsis sublatis cultibus aurum,
Quo sunt fundati, iuris mox esse profani.
Verùm iura vetant hoc et suprema voluntas.
Si quis diligeret Christum verbumque salutis,
Ad falsos quaecunque olim collata fuissent,
Verteret ad veros cultus et promptius hosce
Proveheret, quàm illos lusi caecique parentes.
Et si fundatum quicquam contractius olim,
Addere ipse sua de re largeque iuvaret.
Hoc faciunt, extant veri quicunque patroni,
Non iactatores vani nudisque faventes
Verbis. Instaurant pro cultu templa probato,
Codicibus sacris ornant doctisque ministris,
Victum constituunt dignum praebentque libenter,
Sedulò procurantque scholas mystasque[76] futuros

und um Spenden für die, die im Begriff sind, es zu werden, nicht bekümmern, sondern die Kirchen auch noch radikal ausrauben und danach trachten, dem Unterhalt der Diener Christi Abbruch zu tun? Sollen wir diese Leute vielleicht für Liebhaber Christi und der Wahrheit halten? Nichts weniger als das! Unter diesem Deckmantel sind sie eigentlich eher seine Feinde! Der wahre Liebhaber beschenkt das, was er liebt; er unterstützt es und ist ihm gefällig. Feinde jedoch pflegen zu plündern und Beute zu machen. Das Evangelium hat die Welt von vielem abergläubischen Wesen befreit, an das sich unsere Ahnen und Väter einst anstelle des wahren Gottesdienstes klammerten. Dies nimmt der Habsüchtige als Veranlassung, dasjenige, was zuvor von ihm oder seinen Vorvätern aufgebracht worden ist, an sich zu raffen und es zu seinem Vorteil und als Einnahmequelle für seine Küche zu verwenden. Er meint nämlich, daß nach Aufhebung des falschen Gottesdienstes das Gold, auf das er sich gründete, alsbald unter weltliche Verfügungsgewalt falle. Dies aber verbieten das Recht und der Wille des Höchsten. Derjenige, dem Christus und die Heilsbotschaft lieb und wert wären, würde all das, was früher für den falschen Gottesdienst aufgebracht worden ist, dem wahren Gottesdienst zugute kommen lassen und diesen bereitwilliger voranbringen, als es die genasführten und verblendeten Vorväter einst mit jenem getan haben. Und gesetzt den Fall, man hätte früher dieses oder jenes mit einer etwas kärglichen Grundlage ausgestattet, so wäre es ihm ein Vergnügen, aus eigener Tasche selbst einen großzügigen Beitrag zuzuschießen. So handeln, so erzeigen sich alle wahrhaften Beschützer, die keine eitlen Prahlhänse sind und ihre Gunstbeweise nicht auf kahle Worte beschränken! Sie richten die Kirchen für den bewährten Gottesdienst wieder her und statten sie mit Bibeln und wissenschaftlich geschulten Pfarrern aus; für diese setzen sie einen angemessenen Unterhalt fest und gewähren ihn bereitwillig; unermüdlich sorgen sie für die Schulen und die angehenden Pfarrer,

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<199> Et dextra curant larga, ut pascantur egentes.
Haec pia sunt, Christique decent populum atque patronos,
Ut nobis tradunt cunctorum exempla piorum,
Prima nascentis repetendo ab origine mundi.
Quis non divinum speraverit inde favorem?
Clara prophetarum promittunt dicta, iubetque
À summa nobis demissus sede Redemptor,
Omnibus exclusis coelorum quaerere regnum
Iusticiamque eius, tum nobis caetera promptè
Patrem adiecturum, qui sedulò semper honorat,
À quibus ipse suum curari cernit honorem.
Hinc fortunabat veterum quoscunque labores:
Lata implebantur non sperata horrea messe,
Torcularque dabat felicia musta quotannis,
Innumerisque recens batis spumabat olivum.
Tristia nequaquam metuebant classica Martis,
Pace fruebantur larga, gravidaeque iuvencae
Innumero laetum carpebant agmine gramen,
Pellebantur oves per florea compita foetae,
Vis praedonum aberat trucium saevique tyranni.
Non pecudes atri rapiebat belua saltus,
Nec properata rapax vulgabat funera pestis.
Quamque erat illorum ad pietatem prompta voluntas,
Tam pater omnipotens larga dabat omnia dextra
Omnemque impensum gratè referebat honorem.
Quid verò sperent, Domini qui nomine tantum
Ad suum abutuntur quaestum loculosque capaces?

und mit freigebiger Hand sind sie auf die Speisung der Armen bedacht. Dies sind Werke der Frömmigkeit, und dies geziemt sich für das Volk und die Beschützer Christi, wie es uns das Beispiel aller frommen Männer lehrt, wenn wir zu den frühesten Ursprüngen des Beginns der Menschheitsgeschichte zurückblicken. Wer könnte nicht hoffen, dadurch Gottes Gunst zu erwerben? Die Propheten verheißen es mit deutlichen Worten, und der vom Himmel zu uns gesandte Erlöser befiehlt uns, ausschließlich nach dem Himmelreich und seiner Gerechtigkeit zu trachten; dann werde uns der Vater, der stets diejenigen unermüdlich belohnt, an denen er ein Mühen um seine Ehre wahrnimmt, alles übrige bereitwillig zukommen lassen. Deshalb gewährte er den Vorvätern Glück zu allen ihren Werken: die geräumigen Scheunen füllten sich mit unverhofftem Erntesegen, die Kelter gab jedes Jahr labenden Most, und das frischgepreßte Öl schäumte in zahllosen Krügen. Sie waren gänzlich frei von Furcht vor der unheilverkündenden Kriegstrompete. Sie genossen behäbigen Frieden. Trächtige Jungkühe in unzähligen Scharen rupften üppig wucherndes Gras, trächtige Schafe wurden über die blumenreichen Anger getrieben; es gab keinen Gewaltakt wilder Räuber noch eines wütenden Tyrannen. Kein Untier des dunklen Waldes riß das Kleinvieh, und keine unaufhaltsame Seuche verbreitete allenthalben geschwinden Tod. So wie der Wille jener Vorväter sich zur Frömmigkeit neigte, so gewährte ihnen der allmächtige Vater alles mit freigebiger Hand und vergalt gern jede Ehrenbezeigung, die man ihm gezollt hatte. Was aber können diejenigen erhoffen, die den Namen des Herrn nur zu ihrem Profit und zugunsten ihrer geräumigen Schatulle verwenden?

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<200> Quique favent Evangelio ac tantisper adhaerent,
Dum, quod corripiant, superest praedaque fruuntur?
At simulac omnis rapiendi ablata facultas,
Haeresis est Evangelium et fanaticus error,
Doctores clamant pellendos atque ministros?
An non multae urbes passim multique videntur
Hoc proceres haerere modo? non asse alioqui
Promoturi Evangelium cultumque Tonantis.
Quare nulla salus: consurgunt undique bella,
Latrones rapiunt milesque rapaxque tyrannus,
Tam nostra ipsorum, quàm sacris aedibus olim
Pauperibusque scholisque et verbi oblata ministris.
Grassatur rabies morborum, et letifer annus
Assiduè, frumenta ferit vinetaque grando.
Cunctarum augentur rerum precia. Excipit unum
Damnum aliud, resonantque viae atque forum omne querelis.
Nempe Tolosanum sacris ex aedibus aurum
Officit abreptum, quod nostra voratque paritque
Sacrilego exitium. Nostros dixisse parentes
Commemini quondam, si sacra pecunia nostrae
Iuncta foret, tum nostram ab ea consumier omnem.
Verum esse hoc, magnae testantur ubique querelae,
Nostris fortunam maioribus antè secundam
Favisse optatisque adeò illos flatibus usos,
At contrà nobis adversa elementa videri
Nostraeque occlusum coelum terramque saluti,
Perpetuo fructum nec respondere labori.

Ferner diejenigen, die dem Evangelium nur solange gewogen und verbunden sind, wie es für sie noch etwas zu erraffen und einen Gewinn zu machen gibt, für die aber, sobald die Möglichkeit zum Raffen entfällt, das Evangelium Ketzerei und eine wahnwitzige Irrlehre ist und die sich dann mit lautem Geschrei für die Verjagung der Gelehrten und Gottesdiener aussprechen? Kann man etwa nicht feststellen, daß überall viele Städte und Vornehmste nur mit dieser Einschränkung bei der Stange bleiben und sich im übrigen keinen Deut um die Förderung des Evangeliums und der Verehrung des Donnerers scheren? Deshalb ist auch kein Heil: auf allen Seiten erheben sich Kriege; der Bandit, der Soldat und der raubgierige Tyrann plündern ebensowohl unser Eigentum wie die Spenden, die vor Zeiten für die Kirchen, die Armen, die Schulen und die Diener des Wortes gegeben wurden. Immer aufs neue greifen Krankheiten tobend um sich, wütet ein Pestjahr, vernichtet Hagelschlag Getreide und Weinpflanzungen. Die Preise für alle Waren steigen. Eine Einbuße folgt der anderen, und die Gassen und der ganze Marktplatz erschallen von Wehklagen. Auf dem den Kirchen geraubten tolosanischen Gold ruht nämlich kein Segen: es verschlingt unser Eigentum und bereitet dem Tempelräuber den Untergang. Ich erinnere mich an einen Spruch unserer Vorfahren: wenn man das Gott geweihte Geld mit dem eigenen zusammentue, werde dieses von jenem völlig aufgefressen. Daß dies wahrhaftig so ist, beweisen überall die großen Wehklagen und die Tatsache, daß unseren Ahnen vordem das Glück hold war und sie sich seines willkommenen Wehens so sehr erfreuen konnten, wohingegen uns die Elemente offenbar feindlich gesinnt und Himmel und Erde unserem Heil verschlossen sind und unablässige Arbeit keine entsprechende Frucht zeitigt.

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<201> Ite igitur, quicunque Excelsi quaeritis iram,
Invehere atque citum vobis rebusque studetis
Exitium vestris, sacris donaria templis
Diripite et mercede Dei spoliate ministros,
Quicquid et ad cultum divinum pertinet, omne
In loculos vestros vestrumque recondite censum,
Sitque Evangelium vobis praedaeque lucroque.
Et demum vos illa iuvet pietasque fidesque,
Unde animis detur cupidis spes magna rapinae,
Annuum et accedat vectigal sollicitis nil,
Quonam Evangelium pacto Christusque colatur,
Quidve scholis fiat, quinam curentur egentes.


Satyra tertia.

Gaudes prostratum penè extinctumque Papatum,
Ut satis ostensus toto vilescit in orbe.
Haud sine coelesti confectum numine tantum,
Paule. Ingens vis illi aderat, dignatio summa,
Plurimae opes, toti maiestas cognita mundo,
Principibus summis calcabat colla superbus,
Cernui adorabant reges cunctisque fovebant
Cultibus et studiis: pro vita nempe futura
Et pro delictis veniaque animaeque salute.
Vix tanti cepisse[77] fuit Babylona negoci
Et vastare Tyrum et procero corpore Porum
Sternere et Oceano peregrinas quaerere terras,
Non Lernaeum etiam flammis extinguere monstrum,

Ans Werk denn, ihr alle, die es nach dem Zorn des Höchsten gelüstet und die ihr darauf brennt, über euch und euren Besitz rasches Verderben hereinbrechen zu lassen: entreißt den Kirchen die gespendeten Gaben, raubt den Gottesdienern ihren Lohn und verleibt alles, was nur zum Gottesdienst gehört, eurer Schatulle und eurem Vermögen ein! Und das Evangelium diene euch zum Beutemachen und zu Profitzwecken! Und schließlich ergötzt euch an jener Art von Frömmigkeit und Glauben, die begehrlichen Herzen große Hoffnung auf Beute eingibt! Alljährlich mögen euch Einkünfte zufließen, und euch beunruhige in keiner Weise die Frage, wie man das Evangelium und Christus verehrt, was mit den Schulen geschieht und wie man wohl die Armen versorgt!





Dritte Satire

Du freust dich, daß das Papsttum beinahe zu Boden gestreckt und ausgelöscht ist – wie es denn auch, hinreichend entlarvt, in der ganzen Welt ständig an Wertschätzung verliert. So Großes ließ sich nicht ohne die waltende Macht des Himmels zuwegebringen, Paul! Das Papsttum verfügte über ungeheure Macht, stand in höchstem Ansehen und war steinreich. Seine Majestät war in der ganzen Welt anerkannt, hoffärtig setzte es seinen Fuß auf die Nacken der größten Fürsten, Könige ehrten es mit tiefen Verneigungen und umhegten es mit allen erdenklichen Huldigungen und Liebesbeweisen – in Anbetracht nämlich des künftigen Lebens und ihrer Sünden und zur Erlangung der Gnade und des Seelenheils. Es bedurfte kaum so großer Anstrengung, Babylon einzunehmen, Tyros zu verwüsten, den hochgewachsenen Porus niederzustrecken und im Ozean nach fremden Ländern zu forschen – auch die Tötung der lernaeischen Bestie mit Hilfe des Feuers

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<202> Ex animis quanti vastum exemisse Papatum.
Ipse modò in sacra primas tenet aede redemptor,
Doctrinae regnant sanae, pietasque fidesque
Excolitur, ratio constat certissima vitae.
Depulsis breviter fruimur iam luce tenebris.
Quod superest: cauti simus, caveamus et omnes
Insidias Satanae mundique escamque minasque,
Coelitùs allatus ne nobis unio rursum,
Magnarum thesaurus opum, tollatur eisdem
Artibus, antiquo quibus est ablatus in aevo,
Inque novum similemque adigamur deinde Papatum,
Sed Verum unanimes regnumque colamus IESU.
Circuit indubiè Satanas noctesque diesque,
Quaerit et, unde doli pateat fraudisque fenestra
Nosque in dispulsas tenebras nervumque reducat
Pristinum et invertat libertatemque fidemque.
Non tantum nos Turca premet, funestaque damni
Tantum haud bella dabunt à crudis mota tyrannis,
Quantum aliquis surgens Satana curante Papatus,
Nimirum ut Christi fideique domesticus hostis.
Hoc Christus quondam atque sui dixere prophetae.
Non fortasse times tantum impendere pericli
Nec posthac unquam consurgere posse Papatum?
Falleris. Exuimus nondum radicitùs omnes
Humanum ingenium: curae morbique supersunt,
Nulloque antiquis Christi praestamus amore.
Unde aditus Satanae patet idem eademque potestas.

bereitete keine so große Mühe, wie nötig war, um das entsetzliche Papsttum aus den Herzen zu reißen. Jetzt nimmt in der Kirche der Erlöser selbst den ersten Platz ein, das Regiment führt die reine Lehre, Frömmigkeit und Glaube vervollkommnen sich, und für das Leben gibt es eine absolut zuverlässige Richtschnur. Kurz, nachdem die Finsternis vertrieben ist, erfreuen wir uns nun des Lichts. Doch eines bleibt noch: hüten wir uns, nehmen wir uns alle in acht vor den heimtückischen Anschlägen Satans und den Verlockungen und Drohungen der Welt, damit uns die vom Himmel bescherte Perle, Schatzkammer großen Reichtums, nicht wiederum durch dieselben Machenschaften vernichtet wird, durch die sie vor alter Zeit beseitigt wurde, und wir darauf in ein neues, ähnliches Papsttum hineingezwungen werden! Laßt uns vielmehr einträchtig die Wahrheit und die Herrschaft Jesu in Ehren halten! Ganz gewiß geht Satan Tag und Nacht umher und hält Ausschau, wo ihm wohl ein Fenster für Lug und Trug offensteht, und sucht einen Ansatzpunkt, um uns in die vertriebene Finsternis und das frühere Gefängnis zurückzuführen und Freiheit und Glauben über den Haufen zu werfen. Der Türke wird uns nicht in so schwere Bedrängnis bringen, und keine von rohen Gewaltherrschern angezettelten unheilvollen Kriege werden so schweren Schaden anrichten wie irgendein dank der Bemühungen Satans aufkommendes Papsttum, denn es ist ohne Zweifel Christi und des Glaubens intimer Feind. Dies haben Christus und seine Propheten vor Zeiten verkündet. Vielleicht meinst du, daß eine so schwere Gefahr für die nahe Zukunft nicht zu befürchten sei und das Papsttum sich fürderhin niemals wieder erheben könne? Du irrst! Wir alle haben die menschliche Natur noch nicht ganz und gar abgelegt: es sind noch Gebresten zu heilen, und unsere Liebe zu Christus ist gewiß nicht größer als die unserer Altvorderen. Daher hat Satan nach wie vor freie Bahn, und seine Macht ist noch dieselbe.

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<203> An tibi non prisci vestigia nota Papatus?
Ex illis perpende mihi, num surgere possit
Compar pernicies fidei rerumque piarum.
Aspice, quis Romam totius partibus orbis
Antetulit? vel quis doctrinae libera quondam
Sceptra magisteriumque dedit clavesque polorum
Praesulibus solis Romanis? Nonne favores
Regum praestigiaeque catae et persuasio mendax?
Hinc magnae crevit funesta potentia Romae.
Hinc Papa regnavit, divina humanaque iuris
Tradidit esse sui. Subvertit, miscuit usque
Omnia ad arbitrium, deus ut terrenus ab Horco.
Quaerebant omnes divina oracula Romae
Credebantque Papam coeli terraeque potentem.
Quid mirum, cristas altè si erexit et unum
Se fidei dominum populis iactavit et omnis
Doctrinae? Idolis olim gens si qua relictis,
Si quis rex princepsque potens magnusque dynasta[78]
Dogmata fortassis Christi sitiebat IESU,
Confestim nummosa ibat legatio Romam,
Doctores rogitans fidei rerumque sacrarum.
Quid faceret? Precibus mox annuit illa libenter
Emisitque suos iurare in verba coactos,
Ut dominae memores essent mittentis ubique
Doctrinamque Papae servarent ritè magistri.
Factum accuratè. Plus Roma ac Christus in ore
Semper erat, semper decreta Papasque crepabant,

Oder sind dir die Fußstapfen des vormaligen Papsttums nicht bekannt? Anhand ihrer prüfe mir genau, ob sich nicht eine gleiche Verderbnis des Glaubens und gottgefälliger Einrichtungen zu entwickeln vermag! Ziehe in Betracht, wer Rom an die Spitze aller Regionen der ganzen Welt gestellt hat! Oder wer das vormals keinem Zwang unterworfene Zepter der Lehre und die Lehr- und Schlüsselgewalt ausschließlich den Bischöfen von Rom übertragen hat! Waren dafür nicht verantwortlich die Gunstbezeigungen der Könige sowie raffinierte Scharlatanerien und gleisnerische Überredung? Hieraus ist die verderbenbringende Macht des großen Roms erwachsen! Hierauf gründete sich die Herrschaft des Papstes, hierauf auch seine Lehre, daß die göttlichen und menschlichen Dinge seiner Verfügungsgewalt unterlägen! Wie ein dem Orkus entstiegener irdischer Gott kehrte er alles fortwährend von unten nach oben und mengte alles durcheinander – ganz wie es ihm beliebte. Alle befragten das göttliche Orakel zu Rom und glaubten daran, daß der Papst Macht über Himmel und Erde habe. Was Wunder, wenn ihm darob mächtig der Kamm schwoll und er sich den Völkern als alleinigen Herrn über den Glauben und alle Lehre anpries? Wenn vor Zeiten etwa einmal eine Völkerschaft, irgendein König, mächtiger Fürst oder großer Machthaber ihren Götzenbildern den Rücken gekehrt hatten und nun vielleicht nach der Lehre Jesu Christi dürsteten, dann begab sich eine reichlich mit Geld versehene Gesandtschaft stracks auf den Weg nach Rom und befragte eingehend die Glaubens- und Kirchenlehrer. Was man denn tun solle? Rom ging sogleich mit Vergnügen auf ihre Bitten ein, rief sie zum Eid und entließ sie so als seine Untertanen, damit sie überall der Herrin, die sie aussandte, gedächten und die Lehre des Papstes, ihres Meisters, gehörig bewahrten. Genauso ist es geschehen! Stets führte man Rom mehr im Munde als Christus, stets redete man von Dekreten und Päpsten,

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<204> Excluso donec Christo Papa prora salutis
Creditus est puppisque aeternaeque anchora vitae.
        Sic aliam nobis Romam fortasse Papamque
Magnorum regum favor ac horrenda potestas
Instaurare potest. Facilè dignatio cuique
Magna venit summoque Atlas succedit Olympo,
Si reges proceresque favent ipsique monarchae.
Si quem discipuli tollunt iactantque frequentes
Iurati, volucris mox increbrescit ubique
Fama, rudis trahitur, sequitur vel sponte popellus
Ad nova suspensus semper spectansque celebres,
Quem iures etiam non posse carere Papatu,
Sit gelida quamvis procul accersendus ab Arcto.
An quenquam speras fore, qui contemnat honorem
Delatum? cui nulla inflent praeconia ventrem?
Qui thura et tauros vulgi oblatasque coronas,
Ut Paulus quondam, scisso aversetur amictu?
Ergo ubi divini verbi statuisse metalla
Urbes et populos, reges proceresque videbis
Et fidei tantum doctores inde vocari,
Contemptis aliis regionibus atque magistris,
Illic nil dubites exurgere posse Papatum
Doctoresque loci triplici diademate dignos.
Cur non sentirent de se maiora vel illud,
Quod cernunt alios? Gaudebunt seque putabunt
Non esse humanae sortis terraque creatos.
Hinc se Scripturae statuent fideique monarchas

bis man endlich – nach dem Ausschluß Christi – den Papst für den Bug und das Heck des Heils und den Anker des ewigen Lebens hielt.
        Solchergestalt könnten die Gunst und schreckliche Macht großer Könige uns möglicherweise ein anderes Rom und einen anderen Papst bescheren. Ein jeder gewinnt leicht hohe Anerkennung und wird zum himmeltragenden Atlas, wenn Könige und hohe Würdenträger und sogar Alleinherrscher ihn begünstigen. Wenn jemand von seinen Schülern verherrlicht wird und zahlreiche Parteigänger von seinem Namen künden, so verbreitet sich bald überall die geflügelte Fama, und die ungebildete Volksmasse wird mitgeschleift oder läuft, da sie stets auf Neuigkeiten erpicht ist und sich an Berühmtheiten orientiert, freiwillig hinterher; du kannst sogar jeden Eid darauf leisten, daß sie des Papsttums nicht zu entraten vermag, müßte sie es auch fern vom eisigen Nordpol herbeiholen. Oder erwartest du etwa, daß es irgend jemanden geben könnte, der eine ihm entgegengebrachte Ehrung verschmähte, dem bei Lobeserhebungen nicht die Brust schwölle oder der, wie einst Paulus, sein Gewand zerrisse und Weihrauch, Ochsen und Kronen, die ihm das Volk anbietet, zurückwiese? Wo immer du also siehst, daß Städte und Völker, Könige und hohe Würdenträger den Gehalt des göttlichen Wortes festgesetzt haben und nur Glaubenslehrer aus ihrem Machtbereich berufen, während sie zugleich auf andere Regionen und andere Lehrer mit Geringschätzung herabsehen, dort – dessen sei ganz sicher! – kann sich auch ein Papsttum erheben, und die Lehrer jener Gegend sind ganz ohne Zweifel der dreifachen Krone würdig. Warum hätten sie von sich nicht eine ziemlich hohe Meinung haben sollen – oder genau die Meinung, die andere offensichtlich von ihnen haben? Sie werden Vergnügen daran finden und meinen, sie unterlägen nicht dem Los des Menschseins und seien nicht aus Erde geschaffen. Darauf werden sie sich zu Alleinherrschern über die Schrift und den Glauben aufwerfen

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<205> Arbitriumque sibi veri falsique potenter
Assument, ut verum id sit, quod pollice presso
Signarint, et quod verso, falsumque malumque,
Ut contrà indoctus vel doctus nemo loquatur.
Soli doctores orbis tendentque volentque
Dici discipulisque suis aliisque videri,
Quîs pateant solis flatus mysteria sancti.
Scribere certabunt soli solique docere.
Se solos etiam sinceros scribere libros
Praeque aliis purè iactabunt tradere verbum.
Qui credent haec et verbis scriptisque tenebunt
Imperiique iugum capient iurare coacti,
Ò quàm censebunt sanctos? quàm pneumate plenos?
Quàm pulchrè doctos fidei mysteria prima?
Hos commendabunt populis reddentque beatos.
At si qui capere haud poterunt mysteria tanta
Excutientque iugum nec erunt sentire parati,
Quae scribant illi doceantque, esse omnia sana,
Ceu fatuos ac haereticos mystasque prophanae
Traducent sectae invisosque per omnia reddent
Climata et eiectos spoliabunt denique rebus.
Quin et si fuerit rabiei tanta facultas,
In turres rapient perimentque ferociter ense.
Si non iuratus quisquam conscribere libros
Et ferre audebit quaedam munuscula scenae,
Mox illi coelum, superos terramque fretumque
Mira inclamabunt rabie scriptoque monebunt

und die Entscheidungsgewalt über das, was wahr und was falsch ist, mit starker Hand an sich ziehen, so daß dann wahr ist, was sie mit eingedrücktem Daumen, und falsch und schlecht, was sie mit dem umgekehrten Daumen als solches bezeichnet haben, und niemand, sei er ungelehrt oder gelehrt, etwas dagegen sagt. Es wird ihr Sinnen und Trachten sein, daß allein sie die Lehrer der Welt genannt und von ihren Schülern und anderen Menschen als diejenigen betrachtet werden, denen allein die Mysterien des Heiligen Geistes zugänglich sind. Sie werden darum kämpfen, daß sie allein schreiben und sie allein lehren. Sie werden auch behaupten, daß allein sie unverdorbene Bücher schrieben und vor allen anderen das Wort in seiner Reinheit lehrten. Diejenigen, die daran glauben, es in Wort und Schrift bekräftigen und, zum Schwur genötigt, das Joch ihrer Herrschaft auf sich nehmen werden – o, für wie heilige Männer werden sie diese halten, für wie erfüllt vom Heiligen Geist, für wie vortrefflich gelehrt in den hauptsächlichsten Geheimnissen des Glaubens! Diese werden sie den Völkern empfehlen und zu reichen Leuten machen. Diejenigen aber, die so hohe Mysterien nicht werden erfassen können, die das Joch abschütteln und nicht bereit sein werden, alles, was jene schreiben und lehren, für richtig zu halten, diese werden sie als Narren und Ketzer und Priester einer gottlosen Sekte öffentlich verhöhnen, sie in allen Gegenden verhaßt machen, sie vertreiben und vollends noch ihrer Habe berauben. Ja, sie werden sie sogar in den Turm werfen und sie blindwütig mit dem Schwert umbringen, wenn sie eine so weitreichende Möglichkeit besitzen, ihre Wut auszutoben. Falls irgend jemand, der nicht mit ihnen verschworen ist, es wagen wird, Bücher zu verfassen oder dem Theater gewisse kleine Gaben darzubringen, dann werden sie sogleich mit unglaublicher Tobsucht stimmgewaltig den Himmel, die überirdischen Mächte, die Erde und das Meer anrufen und mit einem

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<206> Terribili reges pariter doctosque rudesque
Infandum admissum facinus, ne credere neve
Sustineant legere: esse errores omnia crassos,
Quaecunque externi dicant scribantque magistri.
Praeterea facient illi, quaecunque libebit,
Interdicent igni et aqua, coeleste negabunt
Regnum, comburent interdicentque libellos
Nec prostare sinent usquam vendive legive.
Quid facerent aliud? Persuadebunt sibi idemque
Omnibus esse volent persuasum, ad iura Papatus
Confirmanda novi, Scripturas sacraque signa
Imperii esse sui, solos se clavibus esse
Donatos dignosque potestatemque docendi
Se penes esse omnem, quaeque haud sint inde profecta,
Abiicienda statim procul ut suspecta veneni.
Invenient etiam fatuos, qui talia credant
Et tantum accersant rogitentque sibi inde magistros,
Omnibus in rebus tutò quîs fidere possint.
Illorum arbitrio feralia bella gerentur,
Censebunt de captivis et iure duelli,
Constituent de coniugio et contractibus. Aurum
Qui dederit, licitè contractum quemlibet absque
Contrahet usura, „Bonus eia est noster amicus“,
Dicent aut alio defendent prava colore.
At Satanae tradent, si quis donare negabit,
Cretica nec mittet vina optatamque ferinam.
Scilicet usura quaesitum possidet aurum.

schrecklichen Schreiben ebenso Könige wie Gelehrte und Laien darauf aufmerksam machen, daß eine unerhörte Missetat begangen worden sei, und sie ermahnen, sich nicht zu unterfangen, jenem Werk Glauben zu schenken oder es zu lesen: alles, was die außenstehenden Lehrer sagten und schrieben, seien grobe Irrtümer. Außerdem werden sie tun, was immer ihnen beliebt. Sie werden Verbannungen anordnen, das Himmelreich verleugnen, Bücher verbrennen und verbieten und nicht zulassen, daß sie irgendwo öffentlich zum Verkauf oder zur Lektüre angeboten werden. Was hätten sie anderes tun sollen? Zur Stärkung der Machtstellung des neuen Papsttums werden sie sich selbst davon überzeugen und von jedermann diese Überzeugung geteilt sehen wollen, daß die Schrift und die Sakramente unter ihrer Gewalt stünden, daß allein sie mit der Schlüsselgewalt ausgestattet und ihrer würdig seien, daß alle Lehrgewalt bei ihnen liege und daß man alles, was sich nicht von diesen Voraussetzungen her entwickelt habe, als etwas, das im Verdacht stehe, Gift zu sein, weit von sich werfen müsse. Sie werden auch Dumme finden, die derlei glauben und daher nur sie als ihre Lehrer, denen sie in allen Dingen sicher vertrauen könnten, anrufen und eingehend befragen. Nach ihrem Willen werden todbringende Kriege geführt werden, sie werden über die Gefangenen und das Kriegsrecht befinden und Verordnungen bezüglich des Ehe- und Vertragsrechts erlassen. Wer ihnen Gold gegeben hat, dem wird es erlaubt sein, jeden beliebigen Vertrag abzuschließen, ohne sich des Wuchers schuldig zu machen; sie werden sagen: „Ei, der ist mit uns gut Freund!“ oder Schlechtes unter einer anderen Bemäntelung rechtfertigen. Wenn sich aber jemand weigert, ihnen Geschenke zu machen und ihnen keinen kretischen Wein noch das gewünschte Wildbret schickt, so werden sie ihn dem Teufel übergeben. Das Gold, das sie gern hätten, hat dieser sich – natürlich! – durch Wucher erworben!

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<207> Et de Scripturis spumantes si qua docebunt
Publicitùs propriaque velut gradientur arena,
Audiri dices Paulum Christumque docentem,
Tanto illos quidam demirabuntur hiatu:
Quod vel solum illis poterit suadere Papatum.
Hinc cristae surgent valde, hinc (mihi crede) tumebunt,
Hinc mirè, passis ut avis Iunonia pennis,
Se mirabuntur: „Magno sumus ecce favore,
Nos sumus haud dubiè, qui soli recta docemus,
Omnia scripturarum et qui mysteria soli
Novimus et meritò totus quos suspicit orbis.“
Urbibus inde suos fastu magno atque gravatè
Discipulos mittent, doctos monitosque frequenter,
Ut memores studeant praeceptorum esse suorum.
Quid tibi denarrem, quo vultu quove tumore
Ibunt emissi? quantumque per omnia sese
Hospitia extollent? Coelo venisse supremo
Dicas, in mensaque diu coenasse Tonantis:
Tam cunctos spernent alios solosque putabunt
Se esse homines, fungos alios aut putria ligna.
Conferet hoc illis nova Roma novusque Papatus.
Ergo supercilium tollent multasque superbè
Flabunt ampullas de Evangelioque fideque,
Verbo, Scripturis, Christo patribusque Deoque.
Non minus et Romae novae honos memorabitur altè
(Huc siquidem studio deflectent verba), suosque
Extollent coelum super et super astra magistros.

Und wenn sie etwa vor der Öffentlichkeit schäumend über die Schrift lehren und gewissermaßen auf ihrem eigenen Gelände einherschreiten, so wirst du sagen, man höre ihnen zu, als lehrten da Paulus und Christus, mit so weit aufgerissenen Mündern werden manche Leute sie bestaunen – schon dies allein wird in ihnen eine päpstliche Einstellung hervorbringen können. Deshalb wird ihnen heftig der Kamm schwellen, deshalb, glaub mir, werden sie sich aufblasen, deshalb werden sie wunderbarlich – wie der Vogel der Juno, wenn er sein Gefieder spreizt – sich selbst bewundern: „Da, seht nur, wie überaus beliebt wir sind! Wir sind ganz ohne Zweifel diejenigen, die allein das Rechte lehren, die allein alle Geheimnisse der Schrift kennen und verdientermaßen von der ganzen Welt verehrt werden!“ Darauf werden sie mit großer Herablassung und vielem Wenn und Aber den Städten ihre Jünger schicken, die sie geschult und häufig ermahnt haben, ihre Lehren ja fleißig im Gedächtnis zu behalten. Wozu soll ich dir im einzelnen schildern, mit welcher Miene, welcher Aufgeblasenheit die Abgesandten sich auf den Weg machen und wie sehr sie sich in allen Gasthäusern herausstreichen werden? Du möchtest sagen, sie seien vom höchsten Himmel gekommen und hätten lange am Tisch des Donnerers gespeist, so sehr werden sie alle anderen verachten und meinen, sie allein seien Menschen, die anderen aber Pilze oder faules Holz. Dies wird ihnen das neue Rom und das neue Papsttum auftragen. Also werden sie die Augenbrauen hochziehen und in bezug auf Evangelium, Glauben, Wort, Schrift, Christus, Väter und Gott hoffärtig viel an aufgeblasenem Schwulst zum besten geben. Desgleichen wird auch eindringlich der Ruhm des neuen Roms verkündet werden (mit Fleiß werden sie ihren Worten nämlich diese Richtung geben), und sie werden ihre Lehrer über den Himmel und die Sterne hinaus erheben:

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<208> Haud similes visos unquam nec surgere posse,
Longè etiam ipsius Christi superare senatum.
Vix tandem sanctos inter multosque prophetas
Thesbitae Pauloque aequabunt, ast ita, largè
Ut quasi concedant hoc nec dignè omnia librent.
Felix id saeclum dicent, quo contigit illos
Nasci, caecati clarissima lumina mundi,
Felicesque homines, quibus est audire tributum
Doctrinam illorum scriptosque evolvere libros.
Deflebunt etiam funestum tempus et horam,
Qua sint illorum rupturae stamina Parcae.
Nam simul extinctum iri Evangelionque fidemque
Doctrinamque piam: quid non? simul omnia recta.
Tum surrecturos limphatos atque prophanos,
Qui modò contecti latitent mussentque timore.
Talia iactabunt, nequaquam ut dicere possis
Esse magistrorum immemores Romaeque novellae.
        Si quid voce voles aut scriptis tradere libris,
Consultis audeto illis veniaque rogata.
Nec satis hoc, laudes amplas vanasque memento
Congerere et Rhodio nanos aequare colosso.
Dic Paulo similes, Christo imò rectius ipsi,
Nomenque illorum quaevis tibi pagina iactet.
Dic praeceptores summos patresque verendos.
Dic quoque damnatos planè expertesque salutis
Haereticosque iacique extemplò in Tartara dignos,
Qui non observent illos aut scribere tentent,

ihresgleichen sei niemals gesehen worden und könne niemals erstehen; sie überträfen sogar noch die Ratsversammlung Christi bei weitem. Im Hinblick auf die Heiligen und viele Propheten werden sie sie denn doch mit dem Tisbiter und Paulus auf eine Stufe stellen – allerdings auf die Art, als machten sie damit gleichsam ein großzügiges Zugeständnis und wögen nicht alles genau nach Würdigkeit. Sie werden das Zeitalter glücklich preisen, in dem das Ereignis ihrer Geburt stattfand und sie das alles überstrahlende Licht einer umdüsterten Welt nennen. Und sie werden die Menschen glücklich preisen, denen verstattet wurde, ihre Lehre anzuhören und die von ihnen verfaßten Bücher zu studieren. Sie werden auch jene unheilvolle Zeit und Stunde beweinen, wo die Parzen sich anschicken werden, ihren Lebensfaden zu durchschneiden. Mit ihnen nämlich – warum auch nicht? – würden das Evangelium, der Glaube und die fromme Lehre ausgelöscht, zugleich auch alle Tugend. Dann würden die Tollköpfe und Gottlosen sich erheben, die sich jetzt im Verborgenen halten und aus Furcht in Schweigen hüllen. Solchergestalt werden sie sich verlauten lassen, so daß du durchaus nicht behaupten könntest, sie seien undankbar gegen ihre Lehrer und das neue Rom.
        Wenn du mündlich oder schriftlich, in Büchern, etwas lehren willst, so wage dich erst daran, nachdem du jene um Rat gefragt und um ihre Erlaubnis gebeten hast. Damit nicht genug – denke daran, großartige und prahlerische Lobsprüche anzuhäufen und Zwerge dem Koloß von Rhodos gleichzustellen. Sag, sie ähnelten Paulus oder, besser gesagt, sogar Christus, und jede Buchseite bei dir künde von ihrem Namen. Nenne sie unübertreffliche Lehrer und ehrwürdige Väter. Bezeichne auch alle diejenigen als schlechthin Verdammte, als vom Heil Ausgeschlossene, als Ketzer und als würdig, sogleich in die Hölle geworfen zu werden, die ihnen keine Hochachtung erweisen oder sich unterfangen, etwas zu schreiben,

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<209> Doctum illis quod non sit concessumque doceri,
Sit quamvis verum sanctisque probabile scriptis.
Si facies, in membra novi accensebere regni,
Proteget atque tuum semper benedictio ventrem.
Sin minus, heu quantas hyemes patieris et imbres?
Lymphatos inter tandem mitteris ad Horcum.
        Nec veteris regni vulgatum dogma relinquent,
Quòd nequeant errare. Decent tam vana Papatum.
Quod nudis quanquam haud audebunt dicere verbis
Obstabitque aliquis pudor affirmantibus, illuc
Et studiis tamen et summo conamine tendent.
Caetera perspicient attento examine scripta,
Antè manus vulgi quàm permittantur adire.
At sua cuncta volent mox qualiacunque probari.
Nempe omnes poterunt errare et scribere falsa,
Illis exceptis solis, ut de sede Papali.
Mordicus hoc adeò defendent dogma furentes,
Ut non examen modò iudiciumque suorum
Non sint laturi pulso de fronte pudore,
Sed reputaturi magnum dubitare nephas, an
Optima tradiderint, sanctis et consona scriptis.
Quod detestandum magis insanumque putandum,
Quum sumptis ipsi censoris Aristarchique
Partibus expendent veterum scripta atque novorum
Magnosque errorum fasces carbone notabunt,
Scilicet ut rectum soli vidisse putentur.
Nullus erit planè veterum nullusque recentum,

was jenen zufolge unwissenschaftlich ist und nicht gelehrt werden darf, sei es auch noch so wahr und aus der Heiligen Schrift belegbar. Wenn du dies tust, wirst du unter die Teilhaber der neuen Herrschaft gezählt werden, und stets wird Segen auf deinem Bauche ruhen. Wenn aber nicht, wehe, welch gewaltige Stürme und Regenschauer wirst du erdulden! Schließlich wird man dich unter Wahnsinnigen zum Orkus schicken.
        Sie werden auch keinen unter der vormaligen Herrschaft allgemein anerkannten Lehrsatz gelten lassen, denn sie können nicht irren. Solche Eitelkeiten stehen einem Papsttum wohl an! Wenn sie auch keineswegs wagen werden, sich hierzu mit ungeschminkten Worten zu bekennen und eine gewisse Scham sie hindern wird, es zu bestätigen, so wird ihr Streben und heißestes Bemühen doch in diese Richtung zielen. Die Schriften aller anderen werden sie einer aufmerksamen Prüfung unterziehen, ehe sie erlauben, daß sie in die Hände des Publikums gelangen. Was aber ihre eigenen Schriften betrifft, so werden sie, wie immer diese beschaffen sein mögen, den Wunsch haben, daß man sie sogleich ausnahmslos mit Beifall aufnimmt. Alle Menschen werden natürlich irren und Falsches schreiben können – nur sie nicht, denn sie äußern sich ja von einem päpstlichen Thron herab! Diesen Lehrsatz werden sie mit so wütender Verbissenheit verteidigen, daß sie, die von ihrer Stirn die Scham vertrieben haben, nicht nur keine Überprüfung und Beurteilung durch ihre eigenen Anhänger ertragen, sondern es sogar als einen großen Frevel bewerten werden, wenn jemand Zweifel hegt, ob ihre Lehre wohl von bester Qualität und mit der Heiligen Schrift übereinstimmend sei. Dies muß man um so mehr verabscheuen und für unsinnig erachten, als sie selbst die Rolle eines gestrengen Kritikers und Aristarch übernehmen und die Schriften älterer wie neuerer Autoren prüfen und mit der Kohle große Bündel von Fehlern anstreichen werden – natürlich damit man von ihnen meint, sie allein hätten das Rechte erkannt. Unter den älteren und neueren Autoren wird schlechthin keiner sein,

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<210> Quem non discerpant multis crebroque flagellent.
Interea dicent scriptisque per omnia sparsis
Compita iactabunt: „Scimus nos vera docere,
Cunctaque scripturis sana et constantia nostra.“
Talia non credes sanctè affirmantibus? Eheu
Crede aut verte solum, ne mortem aut vincula gustes.
        Si non iuratus quisquam verissima fortè
Proferet, extemplò penitus ceu falsa repellent,
Nullam aliam ob causam, quàm quòd non sede papali
Sunt prolata prius. Siquidem praecedere semper
Contendent nullumque sequi. Si dixeris atrum
Atrum, ne tecum faciant verumque puteris
Dicere, iurabunt album esse sibique videri.
Si dextram quoque tu fortasse fatebere dextram,
Ne tecum faciant, pugnabunt esse sinistram.
Et contra rationem et sacra volumina credes,
Ni vis haereticus demum et limphatus haberi.
Ò verè servos, ô terque quaterque misellos,
Qui tales unquam cogentur ferre magistros.
        Praeterea his binis accedet tertia virtus,
Quam discent etiam prisci de more Papatus,
Ut proceres regesque arment quoscunque faventes,
Viribus illorum quo freti usique potenter
Imperium obtineant defendantque impia cuncta,
Quae se Scripturis cernent non posse tueri.
Armis inde ducum freti populique sequentis
Decreta et leges condent ritusque lucrosos

den sie nicht ausgiebig zerreißen und immer wieder geißeln werden. Dabei werden sie sagen und in Schriften, die an allen Scheidewegen ausgestreut wurden, prahlen: „Wir wissen, daß wir die Wahrheit lehren und daß alles, was wir lehren, hinsichtlich der Heiligen Schrift unverdorben und von festem Bestand ist.“ Dies glaubst du ihnen nicht, obwohl sie es hoch und heilig versichern? Wehe! Glaube es oder wandere aus, damit du nicht Tod oder Gefängnis zu kosten bekommst!
        Wenn etwa irgend jemand, der nicht mit ihnen verschworen ist, Dinge vortragen wird, deren Wahrheitsgehalt völlig unbezweifelbar ist, werden sie sie sogleich abweisen, als handle es sich um etwas absolut Falsches: aus keinem anderen Grunde, als weil sie nicht vorher vom päpstlichen Thron aus verkündet wurden. Sie sind nämlich angestrengt darauf bedacht, stets die Führung zu haben und sich niemandem anzuschließen. Wenn du einmal das Schwarze schwarz nennst, so werden sie schwören, es sei weiß und sie hielten es auch dafür: nur um nicht auf deiner Seite zu stehen und damit niemand von dir glaubt, du redetest die Wahrheit. Auch wenn du vielleicht das, was rechts ist, als rechts bezeichnest, werden sie, um sich dir nicht anzuschließen, darum kämpfen, daß es links sei. Und du wirst glauben, was gegen die Vernunft und die Heilige Schrift ist, wenn du nicht schließlich als Ketzer und Verrückter gelten willst. O jene wahrhaften Sklaven, o jene drei- und vierfach Elenden, die jemals gezwungen sein werden, solche Lehrer zu ertragen!
        Diesen beiden Tugenden wird sich noch eine dritte beigesellen, die sie ebenfalls aus dem Verhalten des alten Papsttums lernen werden: nämlich die, daß sie alle ihnen wohlgesinnten Vornehmsten und Könige mit Waffen versehen, um sich, gestützt auf deren Streitmacht und diese kräftig nutzend, der Herrschaft zu bemächtigen und so alle jene Gottlosigkeiten zu verteidigen, von denen sie feststellen werden, daß sie sie mit der Schrift nicht zu schützen vermögen. Sodann werden sie, gestützt auf die Waffen der Fürsten und des botmäßigen Volkes, Verfügungen, Gesetze und gewinnträchtige Riten ins Leben rufen

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<211> Adque illos adigent omnes terrore profundi
Carceris, exilii, gladii laqueive vel ignis.
Qui sapiat, nemo se opponet, verius imò
Audebit nemo. Tendent regnare volentque
Ipsi. Discipuli laudabunt protinus omnes
Atque precabuntur coepto fausta omnia regno.
Firmabunt illud proceres gladioque minisque,
Murmuret ut ne quis contrà decretaque spernat.
Inspectis astris ipsum hoc portendere coelum
Astrologi dicent caeci, applaudentque poetae
Palpones et ubique in laudem epigrammata figent.
Mussabunt legum consulti aegrumque silendo
Caelabunt animum. Physici autem opus esse monarcha
Tam fidei in rebus dicent quàm corpore in uno.
Grammatici sua agent nec tendent brachia contra
Torrentem. Dites et avorum stemmate clari,
Quis regnet, susdeque ferent, si salva crumena
Deque sui si nil decedet corpore census.
Serviet interea plebes atque impia credet
Et quoscunque feret satis olim assueta tyrannos.
Quis se tam rapido discors opponeret axi?
Currentique rotae, tot equisque trahentibus albis
Iniiceret sufflamen iners? Age murmuret audax
Testeturque sibi aut aliud meliusve videri:
Haud secus hinc[79] regni <tarda>bit[80] protinus agmen,
Quàm scintilla levis si fluctibus incidat altis.
Et licet armarint reges proceresque ducesque

und sie jedermann aufzwingen, indem sie mit der Androhung des tiefen Kerkers, des Exils, des Schwertes, Stricks oder Feuers Schrecken verbreiten. Niemand, der bei Verstand ist, wird sich widersetzen – oder richtiger: niemand wird es wagen. Mit heißem Begehren werden sie selbst nach der Herrschaft trachten. Alle ihre Schüler werden sie fortwährend preisen und darum beten, daß sich alle Dinge nach Antritt ihrer Herrschaft glücklich entwickeln mögen. Die Vornehmsten werden dies mit Schwertern und Drohungen bekräftigen, damit ja niemand dagegen murrt und die Verfügungen verachtet. Verblendete Astrologen werden nach Besichtigung der Sterne behaupten, der Himmel selbst zeige dies an, und liebedienerische Dichter werden Beifall klatschen und überall rühmende Epigramme anschlagen. Die Juristen werden sich kleinlaut verhalten und ihren Unmut durch Stillschweigen verhehlen. Die Naturforscher aber werden sagen, in Glaubensdingen bedürfe es ebenso eines Alleinherrschers wie in einem einzigen Körper. Die Grammatiker werden sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und nicht gegen den Strom schwimmen. Den Reichen und denjenigen, die durch ihren Stammbaum glänzen, wird völlig gleichgültig sein, wer regiert, wenn nur ihr Geldbeutel in Sicherheit ist und die Gesamtmasse ihres Vermögens keinen Abbruch erleidet. Unterdessen wird das Volk sich fügen, an gottlose Dinge glauben und alle nur möglichen Tyrannen ertragen, da es von alters her genugsam daran gewöhnt ist. Wer hätte dagegen Widerspruch einlegen und sich dem rasend dahinfahrenden Wagen entgegenstellen und dem rollenden Rad und so vielen Zugschimmeln nutzlos eine Radsperre anlegen sollen? Nun gut, ein Verwegener mag murren und kundtun, daß er sich die Dinge anders oder besser vorstelle: der Fortgang der Herrschaft wird dadurch gerade ebenso in Verzug geraten, wie wenn ein flüchtiger Funke in ein tiefes Wasser fiele. Und wenn sie auch Könige, Vornehmste und Fürsten mit Waffen ausgerüstet haben

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<212> Certam in perniciem non dogmata cuncta probantum,
Vim tamen effrontes se cuiquam adferre negabunt,
Nullius insontis sontisve sitire cruorem.
Id Iudaeorum quoque respondere phalanges,
Improbitate licet certa clamoreque summo
Mortis supplicium Christo à praetore petissent.
Nunquam laturos credas vendive legive
Multoque excudi minus adversantia scripta.
Permetuent, populus ne quando intelligat ipsos
Errasse in multis. Desertam vincere causam
Exclusamque volent, et longè hoc tutius. At quis
Sic nequeat superare, licet reus atque scelestus?
Se solet atque suam suspectam reddere causam,
Quisquis respondere reum actoremque benignè
Audiri prohibet, nec tale admiserit aequus.
Deprendi metuent illi, non omnia solos
Vidisse et populis multa obtrusisse pudenda.
Hinc illae lachrymae prohibendique improba cura.
Hinc lucem fugient: solitae quod noctis opacae
Infaustae volucres, genus ac infame luporum.
        Principiò veteris deerit si magna potestas
Et non confestim pedibus regesque ducesque
Calcabunt nec dicta statim apparere videbis:
Sollicitus ne sis, longum dabit omnia tempus.
Nec vetus huc rerum primo pervenit in anno,
Nec rexit divina statim atque humana Papatus:
Maxima succrevit paulatim quaeque tyrannis.

– zum sicheren Verderben derer, die nicht alle Lehrsätze gutheißen –, so werden sie doch schamlos behaupten, daß sie gegen niemanden Gewalt anwendeten und nicht nach dem Blut eines Schuldlosen oder Schuldigen dürsteten. Dies haben auch die Scharen der Juden versichert, obwohl sie mit ausgemachter Schlechtigkeit und größtem Gebrüll vom Richter die Todesstrafe für Christus verlangt hatten. Glaub mir, niemals werden sie dulden, daß oppositionelle Schriften verkauft oder gelesen, geschweige denn gedruckt werden! Sie werden die größte Furcht haben, das Volk könnte eines Tages dahinterkommen, daß sie selbst in vielen Dingen geirrt haben. Sie werden über eine Sache obsiegen wollen, die preisgegeben und verbannt wurde: dies ist auch weitaus ungefährlicher! Wer aber vermag auf diese Art nicht die Oberhand zu behalten, sei er auch ein Angeklagter und ein Verbrecher? Wer immer einem Angeklagten verbietet zu antworten und einem Kläger nicht bereitwillig Gehör verschafft, der macht gewöhnlich sich selbst und seine Sache verdächtig; ein billig Denkender könnte sich so etwas nicht zuschulden kommen lassen! Sie werden fürchten, dabei ertappt zu werden, daß nicht sie allein alles erkannt und daß sie den Völkern vieles Schändliche aufgedrängt haben. Da liegt der Hund begraben! Daher das schurkische Interesse an Verboten! Darum werden sie das Licht scheuen wie gewöhnlich die Unglücksvögel der finsteren Nacht und das verrufene Geschlecht der Wölfe.
        Wenn es ihnen auch zu Anfang an der großen Macht des alten Papsttums gebrechen wird und sie Könige und Fürsten nicht sofort mit Füße treten werden und wenn du auch das, was ich gesagt habe, nicht auf der Stelle wirst in Erscheinung treten sehen – sei unbesorgt: nach längerer Zeit wird sich alles einstellen! Auch das alte Papsttum ist nicht schon im ersten Jahr seiner Geschichte auf diese Stufe gelangt, und es hat nicht sofort die göttlichen und menschlichen Dinge beherrscht! Gerade die schlimmsten Tyranneien sind erst allmählich herangereift!

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<213> Ut flumen plenas haud fert à fonte carinas
Nec catuli à partu devastant rura leonum,
Formaturque prius, densis quàm saltibus ursa
Infremat et timido pecori suprema minetur.
Expecta, dum ungues crescant, dum robur in artus
Paulatim veniat, pulmone animosus et imo
Succrescat flatus: vastare propinqua videbis
Et latis tumidum silvis regnare monarcham.
        Haec augur cecini de regno, Paule, futuro,
Qualiter et nostri quondam cecinere parentes,
In veteri quorum palàm adhuc vestigia cernis.
Quod sit ut extremum, magis et tabescat in horas,
Oremus Christum Regem summumque parentem.


Satyra quarta.

Laudabam mei apud te munera larga patroni,
Non de te ut quererer vel te minus esse benignum
Arguerem (nunquam siquidem tibi scripta dicaram,
Intercedebat quoque adhuc mihi parvula tecum
Noticia), at verò tibi talia dona probari
Non posse aiebas. Mirabar caetera cautum
Haec tam indigna loqui mentemque aperire tenacem
Prorsumque à Musis aversam et laude perenni.
Quid causae quaeso, quòd non tibi dona praebentur
Vel studiis data vel doctis ex parte iuvandis?
Longè senserunt aliud regesque ducesque,
Quorum magna tibi proferri copia posset,

So wie der Fluß keineswegs schon von der Quelle an vollbeladene Schiffe trägt und wie die Löwenjungen nicht schon gleich nach der Geburt die Landgüter heimsuchen. Erst bildet sich die Bärin heran, bevor sie von den dichten Wäldern her brummt und das verängstigte Kleinvieh mit dem Tode bedroht. Warte nur, bis die Krallen wachsen, bis allmählich Kraft in die Glieder strömt und tief in der Lunge sich ungestümes Schnauben entwickelt, und du wirst erleben, wie der aufgeblasene Alleinherrscher seine nächste Umgebung verwüstet und über die weiten Wälder herrscht.
        Dies, Paul, habe ich als Augur von kommender Herrschaft geweissagt – so wie vor Zeiten auch unsere Väter eine solche geweissagt haben: was die Herrschaft ihrer Zeit betrifft, so liegen dir deren Spuren noch heute offen vor Augen. Bitten wir Christus, unseren König, und den himmlischen Vater, daß sie die letzte sein und dahinschwinden möge von Stunde zu Stunde.



Vierte Satire

Ich habe die großzügigen Geschenke meines Gönners vor dir nicht deshalb gelobt, um mich über dich zu beklagen oder weil ich damit sagen wollte, daß du weniger freigebig seist – da ich dir ja niemals Schriften dediziert hatte, war ich mit dir bislang auch nur geringfügig bekannt. Indessen – du sagtest, du könnest solche Zuwendungen nicht gutheißen. Ich wunderte mich, daß ein sonst besonnener Mann sich so unwürdig äußerte und eine so knausrige und den Musen und immerwährendem Ruhm völlig abgeneigte Gesinnung offenbarte. Was um Himmels willen veranlaßt dich, Zuwendungen zu verweigern, die für wissenschaftliche Arbeiten oder als Beitrag zur Förderung von Gelehrten bestimmt sind? Ich könnte dir eine große Anzahl von Königen und Fürsten nennen, die weitaus anderen Sinnes waren,

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<214> Si recitare velim veterum monimenta virorum.
Scipiadae magno charus fuit Ennius olim,
Vicinis etiam sibi uti donaverit hortis.
Vittata Siculus suscepit nave tyrannus
Ad se Cecropia venientem ex urbe Platonem.
Vos quoque ab exilio doctum revocastis Athenae
Thucydiden, gestas quòd res et Martia bella
Eloquio ornasset patrio linguaque diserta.
Quin et Zenonem serto donastis eaedem
Aureo, et Hippocraten accersiit Artaxerxes
Muneribus magnis. Simili quoque more vocari
Praeclaros Europa viros quoscunque teneret,
Et nullis iussit praefectum parcere nummis.
Versiculos propter paucos, dux magne Lysander,
Antilochi argento replesti pilea vatis.
Quae non magna dedit Mecoenas dona poetis?
Quae non Augustus? quae non etiam Antonini?
Quae non Traianus? primusque ac ultimus ille
Flavius? et quae non omnis Lagaea propago
Vatibus ac doctis aliis praeclara dederunt?
Nec tria duntaxat donabant millia nummûm
Nec vel quinque decemve, ut nostro maxima saeclo
Dona vides, sed largo animo dextraque benigna
Insignes aedes hortosque et praedia, fundos,
Centum, quadringenta[81] etiam sestertia, fasces
Et praefecturas statuasque aurique coronas.
Versibus incomptis regale nomisma Philippos

wenn ich dir Beispiele von Männern des Altertums vortragen wollte. Ennius war einst einem großen Scipionen so lieb und wert, daß er ihm sogar einen in der Nachbarschaft gelegenen Garten schenkte. Der Tyrann von Sizilien empfing Platon mit einem bewimpelten Schiff, als er aus Athen zu ihm kam. Du, Athen, hast auch den gelehrten Thukydides aus der Verbannung zurückgerufen, weil er die Geschichte des Krieges in seiner Muttersprache mit beredter Zunge verherrlicht hatte. Ja du warst es auch, die Zenon mit einer goldenen Kette beschenkte; und Artaxerxes berief den Hippokrates mit großen Geschenken zu sich. Seinen Oberbefehlshaber wies er an, so viele herausragende Männer, wie Europa nur besaß, mit einem ähnlichen Verfahren zu berufen und dabei mit Geld nicht zu sparen. Einiger weniger Verse wegen hast du, großer Fürst Lysander, die Filzmütze des Dichters Antilochos mit Silber gefüllt. Wie große Geschenke machte nicht Maecenas den Dichtern! Desgleichen Augustus! Desgleichen auch die Antoninen! Desgleichen Trajan! Desgleichen der erste und der letzte Flavier! Und welche herrlichen Geschenke hat nicht das ganze Ägyptergeschlecht Dichtern und anderen Gelehrten gemacht! Sie gaben nicht nur drei-, fünf- oder zehntausend Pfennige – heutzutage, wie du siehst, das Äußerste, was an Geschenken gewährt wird –, nein: großherzig und gebefreudig schenkten sie prächtige Häuser, Gärten, Grundstücke und Landgüter, hundert, ja sogar vierhundert Sesterze, hohe Ehrenämter und Präfekturen, Statuen und goldene Kronen. Für seine primitiven Verse erhielt Cherilus die Königswährung, goldgeprägte Philippsmünzen,

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<215> Choerilus accepit, multosque alios Macedum rex
Fovit Alexander doctos genitorque Philippus
Magnificis donis. Quanti Iliada alter Homeri
Fecit, ut in bello legeret capitique quiescens
Subiiceret gemmisque ornata conderet arca?
Is fortunatum valde dicebat Achillem,
Qui virtutum esset praeconem nactus Homerum.
Quàm non parsisset donis auroque rubenti,
Si quem vel similem aut illum sua secla tulissent?
Quum praeceps ira Thebanam everteret urbem,
Pindaricos tantum iussit servare penates.
Haec qui tanta dedit defuncto, quanta daturus
Viventi fuerat, quis non intelligat? Idem
Iussit Anaxarcho centena talenta petenti
Largiri nec Aristoteli instaurare negavit
Destructam patriam. Marius licet horridus ipse
Incultusque bonis studiis solumque duelli
Gnarus, scriptores tamen eximiosque poetas
Dilexit donisque lubens et fovit honore.
Scripserat in Syllam rude quidam epigramma poeta
Non bonus, extemplò tamen illi praemia iussit
Hac sub conditione dari, ne postmodò quicquam
Scriberet. Archelaos[82] Macedum rex munera vati
Magna dedit tragico summosque illum inter amicos
Charum habuit, quoad immissis fuit esca Molossis.
Romani cives fiebant maxima quondam
Summa, at grammaticos, medicos et rhetoras omnis,

und noch viele andere Gelehrte unterhielten der Makedonenkönig Alexander und sein Vater Philipp mit großartigen Zuwendungen. Wie hoch hat nicht der eine von ihnen Homers Ilias geschätzt – so hoch, daß er sie im Kriege las, sie beim Schlafen unter seinen Kopf legte und sie in einer edelsteingeschmückten Truhe aufbewahrte! Dieser nannte Achilles überaus glücklich, weil ihm ein Homer als Herold seiner Heldentaten zuteil geworden war. Wie großzügig wäre er mit Geschenken und dem rötlich schimmernden Gold umgegangen, wenn sein Zeitalter einen Homer ähnlichen Dichter oder diesen selbst hervorgebracht hätte! Als er in jähem Zorn die Stadt Theben zerstörte, befahl er, nur das Haus Pindars zu schonen. Wem wäre nicht einsichtig, wie große Geschenke jemand, der einem Toten so Großes gewährte, Lebenden zu machen bereit war! Derselbe gab Befehl, Anaxarchus reichlich zu beschenken, als dieser um hundert Talente bat, und verweigerte auch dem Aristoteles nicht die Wiederherstellung seiner zerstörten Heimat. Obwohl Marius selbst ein ungehobelter Mann war, in literarischen Dingen keine Bildung besaß und allein vom Kriegswesen etwas verstand, schätzte er doch Schriftsteller und ausgezeichnete Dichter und erwies ihnen gern mit Geschenken und Ehrungen seine Gunst. Ein gewisser minderwertiger Dichter hatte auf Sulla ein plumpes Epigramm verfaßt; trotzdem ließ der ihm umgehend eine Belohnung aushändigen, unter der Bedingung, fürderhin nichts mehr zu schreiben. Der Makedonenkönig Archelaos machte dem Tragiker große Geschenke, hielt ihn lieb und wert und zählte ihn unter seine besten Freunde, bis er eine Beute der molossischen Hunde wurde, die man auf ihn losgelassen hatte. Um römischer Bürger zu werden, brauchte man seinerzeit eine sehr große Summe Geldes: Der gebildete, treffliche Julius aber, der eigentliche Urheber und Gründer des Kaiserreiches, verlieh allen Grammatikern, Ärzten und Rhetoren

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<216> Artesque ingenuas essent quicunque professi,
Gratuitò cives fecit doctusque bonusque
Iulius, imperii fundator primus et autor.
Quid tibi nunc alios dicam multosque piosque?
Carolus haud falso dictus cognomine Magnus
Quàm doctos habuit lautè donisque beavit?
Quàm multa instituit claris stipendia Musis?
Et quid Pompeius victor terraque marique?
Nonne supercilium posuit fascesque superbos,
Doctoris quando Rhodii ingrederentur in aedes?
Quid rex Parthenopes studiis praeclarus et armis
Alphonsus? Regali an non sestertia dono
Quadraginta dedit rerum è scriptoribus uni?
An non et doctos alios vatesque sophosque
Auro magnificè censuque ornavit equestri?
Musarum coluit Sigismundus Caesar alumnos
Divitiisque auxit magnis: quod fecerat antè
Carolus aequali studio cognomine Crassus.
Quid multis opus? Ut virtute excelluit unus
Quisque, bonas ita provexit fovitque Camoenas.
Quis Florentinos Medices ignorat opimis
Olim iam celebres opibus? Praeclarius autem
Nomen habent famamque sibi peperere perennem
Non opibus, sed quòd doctos fovere scholasque.
Horum contento sequitur vestigia cursu
Fuggarica Augustae domus, illustris studiorum
Doctorumque virorum altrix fautrixque benigna.

und allen sonstigen Männern, die sich als Vertreter edler Künste zu erkennen gaben, das Bürgerrecht umsonst. Wozu soll ich dir jetzt noch die vielen anderen huldvollen Herrscher nennen? Wie anständig hat Karl, dem man nicht zu Unrecht den Beinamen „der Große“ gegeben hat, für die Gelehrten gesorgt, und wie hat er sie mit Geschenken beglückt! Wie viele Unterstützungen hat er nicht den glanzvollen Musen ausgesetzt! Und wie hat sich Pompejus verhalten, der Sieger zu Land und zu Meer? Hat er etwa nicht seinen Hochmut und die stolzen Faszes niedergelegt, als man in das Haus des rhodischen Lehrers trat? Was hat Alfons, der in Wissenschaft und Kriegshandwerk hochansehnliche König von Neapel, getan? Hat er nicht einem einzigen unter seinen Geschichtsschreibern das königliche Geschenk von vierhundert Sesterzen gemacht? Hat er nicht auch andere Gelehrte, Dichter und Weise großartig mit Gold und dem Vermögen eines Ritters ausgezeichnet? Kaiser Sigismund hat die Musenjünger verehrt und mit großem Reichtum überhäuft, was früher schon mit gleichem Eifer Karl, mit dem Beinamen „der Dicke“, getan hatte. Was bedarf’s vieler Worte? In dem Maße, wie jeder sich durch Tüchtigkeit auszeichnete, förderte und begünstigte er die guten Musen. Wer kennt nicht die schon vor Zeiten für ihren prächtigen Reichtum berühmten Mediceer in Florenz? Ihren glanzvollen Namen haben sie jedoch nicht deshalb, und nicht deshalb haben sie sich unvergänglichen Ruhm erworben, sondern dadurch, daß sie Gelehrte und Schulen unterhalten haben. Ihren Fußstapfen folgt energischen Schrittes die Familie Fugger in Augsburg, erlauchte Nährerin und freigebige Gönnerin der Wissenschaft und der Gelehrten.

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<217> Tantos hosne viros hic delirasse putemus,
Quòd doctos fovere viros donisque bearunt
Divitibus, propter te talia nulla probantem
Dona nec atrum ipsum dantem linxisse salillum?
Quaeramus causam, tibi cur diversa probentur.
Artibus et studiis illi incubuere puelli
Sedulò et eximios adierunt saepe magistros
Dulcemque Aonidum gustum cepere[83] sacrarum.
Inde amor atque favor maturos mansit in annos,
Et quicquid poterant opibus sceptrove potenti,
Id studiosè illis pòst impendere fovendis.
Nam quis contemnat prudens aut negligat illud,
Impensè quod amat? tenero cui deditus aevo?
Tu verò à Musis primis aversus ab annis
Infelicem operam studiis aliquando dedisti.
Cumque illis te nunquam emergere posse videres,
Longum dixisti Musisque scholisque valete,
Caesaris atque statim Mavortia castra petisti.
Quumque tibi Martis caderent felicius artes
(Quae sint, non dicam), clarum es mox nomen adeptus
Divitiasque et opes pugnasque et praelia spiras
Semper adhuc, nemoque est te truculentior uno.
Quid mirum, doctos vili si pendis et artes
Palladias studiisque aliquid donare recusas?
Martem constuprasse aiunt Amathuntida vates
Publico adulterio, nunquam autem adamasse Camoenas.
Incesto nihil est casta cum Pallade Marti.

Soll man glauben, daß diese so bedeutenden Männer hierin nicht bei Verstand gewesen seien, als sie Gelehrte unterstützt und mit reichen Gaben beglückt haben – nur weil du solche Gaben nicht gutheißt und nicht einmal ein schwarzes Salzfäßchen zum Belecken hergibst? Forschen wir einmal nach dem Grund, weshalb du gegensätzlicher Auffassung bist! Jene oblagen schon als Knäblein emsig dem Studium der Künste, wandten sich oft an ausgezeichnete Lehrer und bekamen eine Vorstellung von dem süßen Geschmack der heiligen Musen. Daher bewahrten sie ihnen herzliche Liebe bis ins Mannesalter, und was sie nur mit ihrem Reichtum oder ihrem mächtigen Zepter vermochten, das ließen sie ihnen später eifrig zu ihrer Unterstützung zukommen. Welcher verständige Mann könnte denn auch etwas verachten und vernachlässigen, was er über die Maßen liebt, etwas, dem er sich von zartem Alter an hingegeben hat? Du jedoch warst den Musen schon seit dem frühesten Alter abgeneigt und hast dich erfolglos hin und wieder mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Und da du erkanntest, daß du dich auf diesem Gebiet niemals würdest hervortun können, hast du den Musen und den Schulen vor langer Zeit schon Ade gesagt und dich stracks ins kaiserliche Kriegslager begeben. Und da dir die Künste des Mars (welche, könnte ich nicht sagen) glücklicher von der Hand gingen, hast du dir bald einen glänzenden Namen sowie Reichtum und Vermögen erworben und denkst bis auf den heutigen Tag immer nur an Kämpfe und Schlachten, und niemand ist martialischer als gerade du. Was Wunder, wenn du Gelehrte und die Künste der Pallas geringschätzt und dich weigerst, für Gelehrtenarbeit irgend etwas zu geben? Die Dichter sagen, Mars habe in öffentlichem Ehebruch Venus geschändet, niemals aber Liebe zu den Musen gefaßt. Nichts verbindet den unzüchtigen Mars mit der keuschen Pallas!

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<218> Te quoque castrensi meretrici plura dedisse
Quàm doctis ullis, credo, templisque Deoque.
Militis hoc certè studium solet esse ferocis,
Aedes dispoliare sacras ipsosque ministros
Et doctis quîscunque graves vacuare crumenas,
Non dare, scortillis nisi lusorique perito.
Hinc bellatorum loqueris pro more facisque.
Illos deinde etiam clari genuere parentes,
Et quanquam interdum gesserunt bella coacti,
Ingenuo gessere animo tamen, ut sacrorum
Interea fuerint studiorum et pacis amantes
Curarintque Dei cultum moresque scholasque.
Ingens barbaries, solis incumbere bellis.
Et Scythici ingenii, tranquillae spernere pacis
Artes atque harum parvi fecisse magistros.
Turca scholas vanae legis servatque fovetque
Haud segni cura et statuit sua praemia doctis.
Nempe videt non esse in tristibus omnia bellis,
Sed, regat ut populos pro iusticiaque fideque,
Esse scholis opus et doctoribus atque magistris.
Porrò tui media fuerant de plebe parentes,
Tu bellis et opes equitisque insignia primus
Obscuro antè tibi quaesisti, nec tibi quisquam
Praeter ruricolas aliquot parêre tenetur.
Hinc de relligione parum morumque laboras
Cultu, de studio iuris deque artibus illis,
Quas meritò ingenuas dixere bonasque vetusti.

Auch du, glaube ich, hast der Lagerhure mehr gegeben als irgendwelchen Gelehrten, mehr auch als Gott und den Kirchen. Zweifellos ist dies gewöhnlich die Lieblingsbeschäftigung eines kampflustigen Soldaten: Kirchen und sogar ihre Diener auszurauben, allen möglichen Gelehrten ihre schwergewichtigen Geldbeutel zu leeren und nur den Hürchen und dem mit allen Wassern gewaschenen Spieler etwas zukommen zu lassen! Insofern redest und handelst du nach der Weise der Kriegsleute. Und zudem auch: jene stammten von vornehmen Eltern ab, und wenn sie auch zuweilen gezwungenermaßen das Kriegshandwerk betrieben haben, so haben sie es doch mit Edelmut betrieben – so daß sie auch bei diesem Geschäft ihre Liebe zur ehrwürdigen Wissenschaft und zum Frieden beibehielten und um den Gottesdienst, die guten Sitten und die Schulen besorgt waren. Es ist eine ungeheure Barbarei, sich nur dem Kriegführen zu widmen. Und es zeugt von skythischem Geist, die Künste des geruhsamen Friedens zu verachten und ihre Lehrer geringzuschätzen. Der Türke hegt und pflegt die Schulen, in denen ein nichtiges Gesetz gelehrt wird, mit lebhafter Anteilnahme und mißt den Gelehrten ihren Lohn zu. Er sieht nämlich, daß die traurigen Kriege nicht alles sind, sondern daß man Schulen, Lehrer und Pädagogen braucht, um die Völker der Gerechtigkeit und dem Glauben gemäß zu regieren. Deine Eltern nun aber kamen mitten aus dem gemeinen Volk. Ursprünglich niederen Standes, hast du dir als erster durch Kriege ein Vermögen und ein ritterliches Wappen erworben, und niemand außer ein paar Bauern ist dir zum Gehorsam verpflichtet. Deshalb scherst du dich wenig um die Pflege der Religion und der guten Sitten, um das Rechtsstudium und um jene Künste, die die Alten mit Recht die edlen und guten genannt haben.

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<219> Hinc malè eos censes nummos, ea dona locari,
Quae vel plantandis illis vel dantur alendis.
At quis non videat, quàm longè rectius illi?
Quàm magis ingenuè? magis utiliterque pieque?
        Praeterea insignes illos regesque virosque
Impulit aeternae laudis connata cupido,
Ut magnifacerent doctos vatesque canoros.
Speravere etenim per eos sua gesta bonasque
Toto virtutes primùm vulgarier orbe,
Dehinc duraturas cum gloria ad usque nepotes.
        Postremò haud laudem modò quaesivere manentem,
Posteritas verùm tota ut virtutis ab ipsis
Exemplum caperet iustaeque imitamina vitae.
Nam se viderunt frustra sumpsisse labores
Et frustra magnis saepe obiecisse periclis,
Si nullae laudes et gloria nulla sequatur,
Si nullus fructus praesentibus atque futuris
À se proveniat, si nulla exempla supersint
Virtutis studiique sui curaeque salubris,
Sed cum terreno moriatur corpore nomen.
Gloria res dulcis, mirè praecordia mulcet,
Atque opibus summis praestat laudabile nomen.
Hoc quia scriptores rerum doctique poetae
Principibus praestare solent possuntque peritè,
An donis non sunt illis et honore fovendi?
Ille Themistocles sophia laudatus et armis
Unius dixit vocem auscultare libenter,

Deshalb hältst du alle Gelder und Geschenke, die zu ihrer Anpflanzung oder Unterhaltung gestiftet werden, für übel angewandt. Aber wer erkennte nicht, wie weitaus richtiger jene gehandelt haben, wieviel edler und wieviel nutzbringender und gottgefälliger?
         Außerdem war es eine gleichzeitig erwachte Begierde nach ewigem Ruhm, die jene herausragenden Könige und Militärs dazu trieb, Gelehrte und wohltönende Dichter in Ehren zu halten. Sie hofften nämlich, daß durch sie ihre Taten und guten Eigenschaften zunächst in der ganzen Welt verbreitet und von da an bis zu den spätesten Enkeln ruhmvoll weiterleben würden.
        Schließlich waren sie keineswegs nur auf bleibenden Ruhm bedacht, sondern wollten auch, daß die ganze Nachwelt sich an ihrer Tugend ein Beispiel nähme und ihre rechtschaffene Lebensweise nachahmte. Denn sie sahen ein, daß sie umsonst Mühen auf sich genommen und sich umsonst großen Gefahren ausgesetzt hätten, wenn sich kein Lob und Ruhm daraus ergäbe, wenn sie ihren Zeitgenossen und den Späterlebenden keinen Nutzen brächten, wenn keine Beispiele ihrer Tugend, ihres Sinnens und Trachtens und ihrer heilsamen Fürsorge sie überlebten, sondern ihr Name zugleich mit ihrem irdischen Leib stürbe. Ruhm ist etwas Süßes, er tut dem Herzen wunderbar sanft, und besser als großer Reichtum ist ein preiswürdiger Ruf. Da gewöhnlich Geschichtsschreiber und gelehrte Dichter den Fürsten hierin zu Diensten sind und dies kunstgerecht auszuführen vermögen, besteht da für diese nicht die Verpflichtung, ihnen mit Zuwendungen und Ehrungen ihre Gunst zu erweisen? Der wegen seiner Weisheit und Feldherrnkunst gepriesene berühmte Themistokles sagte, er lausche nur der Stimme eines einzigen gern,

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<220> Gestas nempe suas res et praeclara canentis
Facta sua et populi doctè vulgantis in aures.
An quosdam cecinisse putas ea carmina gratis?
Is certè donis quosdam invitavit et auro.
Non canit ad potum quisquam testudine gratis,
Nec canit ascaules[84] gratis saltantibus unquam.
Non auri poteris simul esse et laudis avarus.
Turpis amor nummi, pulchrae sed laudis honestus,
Quo malus haud ullus, sed fermè quisque movetur
Optimus, Arpinis volumus si credere scriptis.
De te quid dicam? Laudis te nulla cupido
Sollicitat? te nulla illustris gloria tangit?
Non poteris dici virtuti deditus ulli
Ulliusve rei ex animo studiosus honestae.
Hoc pulchrum? Porrò si tu quoque laude moveris,
Illorum planè fuerant exempla profectò
Non spernenda tibi doctique ex parte fovendi.
Iam verò quoniam censes ea dona perire,
Quae dantur Musis, quae spes tibi nominis alti
Famaeque illustris? Sanè stipendia, credo,
Plurima fecisti, forsitan laudanda patrasti
Multa quoque. At quis scit? quis scripsit? quisve tuorum
Gestorum meminit? qua te virtute celebrem
Scripta ferunt? quis te prudentem, quis Dei amantem
Aut hominum? quis munificum? quis denique fidum
Aut iustum scripsit fortemve modumve tenentem
Deliciis, Venere et potu atque cupidine Pluti?

dessen nämlich, der seine politischen Leistungen und glanzvollen Taten besinge und mit Geschick dem Volk zu Gehör bringe. Meinst du etwa, daß irgend jemand diese Lieder kostenlos gesungen hat? Jener hat zweifellos bestimmte Leute mit Geschenken und Gold dazu ermuntert! Niemand spielt zum Zechgelage umsonst die Laute, und nicht umsonst spielt der Sackpfeifer zum Tanz auf! Du kannst nicht gleichzeitig nach Gold und nach Ruhm gieren! Liebe zum Geld ist schimpflich, Liebe zu herrlichem Ruhm jedoch ehrenwert, und diese ist nie für einen schlechten Menschen, sondern gerade für den vortrefflichsten die Triebfeder seines Handelns, wenn wir den Schriften Ciceros Glauben schenken wollen. Was könnte ich von dir sagen? Reizt dich kein Verlangen, gelobt zu werden? Beeindruckt dich kein strahlender Ruhm? Man wird von dir nicht sagen können, du habest dich irgendeiner Tugend verschrieben oder bemühtest dich von Herzen um irgendeine ehrenwerte Sache. Ist dies etwas Rühmliches? Sollte auch dich jedoch die Aussicht auf Ruhm nicht kalt lassen, so haben jene dir wahrhaftig schlechthin nicht zu verachtende Beispiele geboten, und du hättest insofern die Gelehrten unterstützen müssen. Da du nun gar der Meinung bist, daß die Gaben, die die Musen gewähren, vergänglich seien, welche Hoffnung machst du dir da auf einen herausragenden Namen und auf herrlichen Ruhm? Du hast, wie ich glaube, gewiß an sehr vielen Feldzügen teilgenommen und vielleicht auch viele lobenswerten Taten vollbracht. Aber wer weiß davon? Wer hat es aufgeschrieben oder wer gedenkt deiner Taten? Für welche Tugend wirst du in Schriftwerken gefeiert? Wer hat über dich geschrieben als einen klugen, von Liebe zu Gott und den Menschen erfüllten Mann? Wer hat dich als mildtätig beschrieben? Wer hat schließlich von dir geschrieben, du seiest treu oder gerecht oder stark oder hieltest Maß im Genießen, in der Liebe, im Trinken und im Verlangen nach Reichtum?

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<221> Nemo, quòd norim. Nummis duntaxat avarè
Scilicet intentus doctum tibi neminem amicum
Fecisti, scurras, credo, magis et meretrices.
Hinc si Pellaeum regem fortemque Agathoclem
Egregiis factis superares quique fuerunt
Praestantes virtute viri per saecula mundi
Omnia, non unquam tamen illustrabere docto
À quoquam. Magis invenies, qui iure reprendant
Aversum à Musis animum praveque tenacem
Et te Cyclopum forsan de gente ferorum
Prognatum scribant et cum Cyclopibus illis
Aeternis condant meritum involvantque tenebris.


Satyra quinta.

Maurus. Phormio.

Svermeros stolidosque sonas tu, Phormio, semper
Et malè de Christo sentire sacrisque sigillis
Clamore affirmas magno vultuque minaci,
Damnasque et tantum non fulmine trudis ad Horcum.
Nec tamen illorum, quod oportet, nomina profers,
Sed more Andabatae clausis confligis ocellis.
Dic mihi, quos sentis? P. Quasi non agnoscere, Maure,
Ipse queas, contra quos tot scripsere magistri
Et praeceptores nostri patresque colendi:
Qui nempe arripiunt vesani dogmata Zvingli
Et quae versutè scripsit Svencfeldius ater
Quaeque tenent alii Svermeri hoc tempore multi.

Niemand, soviel ich weiß! Raffgierig nur auf Geld versessen, hast du dir nämlich keinen Gelehrten zum Freund gemacht – eher, wie ich glaube, Possenreißer und Huren. Wenn du daher auch den König von Pella und den tapferen Agathokles und sonstige Männer, die sich für alle Zeiten durch kriegerische Tüchtigkeit ausgezeichnet haben, mit herausragenden Taten übertreffen solltest, so wird dich doch niemals irgendein Gelehrter verherrlichen. Eher wirst du Leute finden, die mit Recht deine den Musen feindliche Gesinnung und deinen schlimmen Geiz tadeln und vielleicht von dir schreiben, du entstammtest dem wilden Volk der Zyklopen, und dich verdientermaßen in der Gemeinschaft jener Zyklopen mit ewiger Finsternis bedecken und umhüllen.





Fünfte Satire

Maurus. Phormio

Maurus: Phormio, ständig tönt deine Rede von „Schwärmern“ und „Dummköpfen“, und mit großer Lautstärke und drohender Miene versicherst du, sie seien gegen Christus und die Sakramente übel gesinnt, und verdammst sie – gerade noch, daß du sie nicht mit einem Wetterstrahl in den Orkus schleuderst! Doch nennst du nicht, wie es sich gehört, ihre Namen, sondern durchbohrst sie mit geschlossenen Augen – ganz wie ein im Helm ohne Sehschlitze herumtappender Gladiator. Sag mir: welche Menschen meinst du?
Phormio: Als könntest du nicht selbst erkennen, Maurus, gegen welche Leute so viele unserer Professoren und Lehrer und die verehrungswürdigen Väter geschrieben haben! Gegen diejenigen natürlich, die sich die Lehren des wahnsinnigen Zwingli und die verschlagenen Schriften des finsteren Schwenkfeld zu eigen machen – sowie auch das, was viele andere Schwärmer heutzutage verfechten.

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<222> M. Adversus multos nostri scripsere magistri.
Illos tune omnes Svermeros dicis? P. Opinor
Posse omnes dici, nec ego dixisse verebor.
M. Illorum forsan legisti scripta frequenter
Et rursum prorsumque inspexisti omnia iudex?
P. Non legi nec curo unquam legisse venena.
Nec quicquam illorum nostras pervenit in aedes,
Atque darem Veneris, mihi si essent, cuncta marito.
M. Atqui aliter sapuit Paulus nec spernere iussit
Scripta prophetarum, verùm legere atque probare
Cuncta prius quàm vel rapidis comburere flammis
Decretoque atrum cuiquam praefigere theta.
Nec puto iudicium verum, si forsitan error
Unus et alter inest libro, ut damnetur ubique
Et liber et scriptor pariter. Quis enim omnia cernit?
Ut non labatur, quis tam perfectus ad unguem?
Unde bonum retinere, malum vitare iubemur
Verumque affectus citra et discernere falsum.
Qui non consentit, qui non probat, ille videtur
Abstinuisse satis specie pravique malique.
Nil opus, ut pravos tollant incendia libros.
Nam si sic volumus Veneris donare marito
Omnes continuò libros, qui prava tenere
Dogmata censentur fideique adversa receptae
Nobis atque illis, quae salva volumina tandem
Sunt mansura, rogo? Statim erunt abolenda Platonis
Scripta et Aristotelis praeceptorisque Neronis

Maurus: Unsere Lehrmeister haben gegen viele Menschen geschrieben. Bezeichnest du alle diese als Schwärmer?
Phormio: Meiner Meinung nach kann man sie alle so nennen, und ich werde mir kein Gewissen daraus machen, daß ich sie so genannt habe.
Maurus: Hast du vielleicht häufig ihre Schriften gelesen und als Richter alles genau untersucht – von vorn bis hinten und von hinten nach vorn?
Phormio: Ich habe es nicht gelesen, und ich mache mir auch nichts daraus, niemals Gift gelesen zu haben! Von jenen Leuten ist mir auch nichts ins Haus gekommen, und wenn ich etwas davon besäße, übergäbe ich alles dem Gemahl der Venus.
Maurus: Paulus hat aber anders darüber gedacht. Er hat befohlen, die Schriften der Weissagenden nicht zu verachten, sondern alles erst zu lesen und zu prüfen, bevor man es gar im verzehrenden Feuer verbrennt und jemandem mittels Verfügung das Zeichen der Verurteilung zum Tode anheftet. Ich halte es für keinen richtigen Urteilsspruch, ein Buch und mit ihm seinen Verfasser überall zu verdammen, wenn es etwa den einen oder anderen Irrtum enthält. Wer überblickt denn alles? Wer ist so durchweg vollkommen, daß ihm kein Fehltritt unterläuft? Deshalb ist uns befohlen, das Gute zu behalten und das Schlechte zu meiden und mit Gelassenheit das Wahre vom Falschen zu sondern. Wer seine Zustimmung und Billigung verweigert, der, so scheint es, hat sich zur Genüge vom Trugbild des Verkehrten und Schlechten distanziert. Es ist nicht nötig, die verfehlten Bücher im Feuer zu vernichten. Wenn wir nämlich solchermaßen fortgesetzt alle Bücher dem Gemahl der Venus überantworten wollten, von denen man glaubt, daß sie verkehrte und dem von uns und von jenen angenommenen Glauben widerstreitende Lehren enthielten, welche Werke, so frage ich dich, werden dann unbeschädigt übrigbleiben? Auf der Stelle wird man die Schriften von Platon und Aristoteles, von Neros Lehrer

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<223> Atque aliorum etiam veterum monimenta sophorum,
Cumque choro vatum bonus exuretur Homerus:
Multa docent etenim fidei contraria nostrae.
Catholicorum etiam subsistere pauca valebunt
Scripta patrum. Quoties enim peccare videmus?
Si nos illorum, quoscunque errare fatemur,
Scripta exuremus, contrà illi nostra cremabunt,
Nec tanti modus ullus erit finisque furoris.
Quàm sunt multi etenim, minimè quîs nostra probentur?
Qui nos haereticos reputent damnentque vocentque?
Cur Alcoranum ferimus commentaque vana
Turcarumque Arabumque et gerras gentis Hebraeae?
Nonne vides, multorum ut sit iactura librorum
Assiduò faciunda praeter iustum bonumque,
Si tua apud cunctos sententia lata valebit?
Haud tamen idcirco minus errorumque malique
Principe succrescet Satana passimque vigebit.
Nullus enim ferro flammisve extinguitur error,
Puro sed Domini verbo vel luce suprema:
Id quod fundati manifestum ab origine mundi.
Insuper et verum longè iucundius omne est,
Eregionè manens pravus si cernitur error.
Si falsum tollas, vilescent omnia vera.
Nec probo, quòd non legisti legisseque curas,
Quae scripsere illi, quando tam copia praesens,
Iudicis et sumis partes damnareque pergis.
P. Tune patronus ades Svermeris, Maure, scelestis?

und auch die Denkmäler anderer alter Weisen vernichten müssen, und mit der Schar der Dichter wird auch der gute Homer verbrannt werden – denn sie alle lehren ja vieles, was unserem Glauben entgegen ist. Und sogar von den Schriften der rechtgläubigen Väter werden nur wenige bestehen können, denn wie oft sehen wir sie fehlgehen! Wenn wir die Schriften all jener verbrennen werden, denen wir nachsagen, daß sie sich irrten, dann werden sie ihrerseits die unsrigen einäschern, und solchen Wütens wird kein Maß noch Ziel sein. Wie zahlreich nämlich sind die, die unsere Werke ganz und gar nicht billigen! Die uns als Ketzer betrachten und als solche verdammen und ausschreien! Warum dulden wir den Koran und die eitlen Erdichtungen der Türken und Araber und den läppischen Kram des Judenvolkes? Bist du dir nicht im klaren darüber, daß man unablässig viele Bücher gegen alle Gerechtigkeit und Redlichkeit über Bord werfen muß, wenn die Meinung, die du verkündest, für alle einmal Gültigkeit haben wird? Deshalb werden aber keineswegs weniger Irrtümer und Übel unter Satans Herrschaft nachwachsen und überall in voller Blüte stehen! Kein Irrtum nämlich kann mit dem Schwert oder dem Feuer ausgerottet werden, sondern nur mit dem reinen Wort des Herrn oder dem Licht des Himmels – wie es seit Beginn der festbegründeten Welt offenbar ist. Zudem ist alles Wahre weitaus anziehender, wenn man sieht, daß auf der anderen Seite der verschrobene Irrtum weiterlebt. Wenn du das Falsche beseitigst, wird alles Wahre im Wert sinken. Ich kann auch nicht gutheißen, daß du die Schriften jener, da ihre Fülle so offensichtlich ist, nicht gelesen hast und dich dies auch nicht anficht, und daß du dir die Rolle eines Richters anmaßt und mit Verdammungsurteilen fortfährst.
Phormio: Stehst du den ruchlosen Schwärmern als Fürsprecher zur Seite, Maurus,

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<224> Pravaque defendis quae dogmata cunque feruntur?
M. Nequaquam. Verùm hoc temet cognoscere vellem,
An sint Svermeri, tradant an dogmata prava.
Nunc tu condemnas, tibi quae non lecta fateris,
Svermerosque vocas tantum de nomine notos.
An non Phocylidis[85] legisti, Phormio, carmen?
Μήτε δίκην δικάσῃς πρὶν ἀμφοῖν μῦθον ἀκούσῃς?
P. Ohe satis quondam summi legere magistri,
Quid doceant, iidemque illos hoc nomine primi
Donarunt meritò et condemnavere veneni.
Hos sequor haud solus, sed cum multisque bonisque.
M. Sic vos tutari semper plerique soletis
Ac velut Aiacis scuto celare sub alto,
Inde et mortifera adversis immittere tela.
Si legêre illi, quae damnas, scripta, quid ad te?
Damnarunt lecta, at tu nunquam lecta notasti
Iisdem nominibus, quin longè et acerbius illis.
Discipuli nam saepe solent praestare magistris.
Doctrina fuerint isti et pietate celebres,
Quos sequeris securus ita extollisque magistros:
Manserunt homines tamen, id quod et ipse fateri
Cogêre, humanisque interdum affectibus omnes
Indulsisse et, ni spectassent omnia summa
Atque essent aliquid veriti decedere famae,
Aut non scripturos penitus nonnulla fuisse
Aut aliter multò. Quin scommatibusque iocisque
Et sannis largos nimis irrisuque frequenti.

und verteidigst alle verkehrten Lehren, die sie vorbringen?
Maurus: Keineswegs! Ich wollte aber, daß du dir selbst ein Bild machen würdest, ob sie Schwärmer sind oder verkehrte Lehren verkünden. Du verdammst jetzt etwas, wovon du zugibst, daß du es nicht gelesen hast, und nennst Menschen „Schwärmer“, die du nur dem Namen nach als solche kennst. Hast du nicht das Gedicht des Phokylides gelesen, Phormio? „Sprich nicht den Richtspruch, ehe du nicht beider Parteien Rede gehört hast!“
Phormio: Hör doch auf! Die bedeutendsten Lehrer haben ihre Doktrinen genugsam studiert, und eben sie haben jene als erste – zu Recht – mit diesem Namen belegt und wegen ihres Giftes verdammt. Ich bin durchaus nicht der einzige, der sich ihnen anschließt, sondern befinde mich in der Gemeinschaft vieler redlicher Menschen.
Maurus: Dahinter pflegen sich die meisten von euch stets zu verschanzen und zu verbergen wie hinter dem hohen Langschild des Ajax, und von da aus entsendet ihr gewöhnlich tödliche Pfeile auf eure Gegner. Wenn jene die Schriften, die du verdammst, gelesen haben, was hat das mit dir zu tun? Sie haben verdammt, was sie gelesen hatten. Du aber hast mit denselben Bezeichnungen nie Gelesenes gebrandmarkt, sogar mit weitaus mehr Schärfe als jene. Schüler pflegen ja oft ihre Lehrer zu übertrumpfen! Mögen ebenjene, denen du so unbekümmert folgst und die du als deine Lehrer rühmst, auch ob ihrer Lehre und Frömmigkeit hohes Ansehen genossen haben, so sind sie doch Menschen geblieben, und sogar du wirst zugeben müssen, daß sie alle sich zuweilen von menschlichen Gefühlsregungen haben leiten lassen und daß sie, wenn sie nicht in allem nach den höchsten Zielen gestrebt und befürchtet hätten, ihrem Ruf etwas zu vergeben, manche Schriften entweder überhaupt nicht in Angriff genommen oder sie doch beträchtlich anders abgefaßt hätten. Ja du wirst sogar zugeben müssen, daß sie allzu freigebig waren mit Sticheleien, Scherzen, Grimassen und häufigem Spott.

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<225> Haec tamen ob multas dotes sanctosque labores
Et magnum Christi studium perparva videntur
Et donanda viris: sicut scriptoribus olim
Sanctis multa quoque. Hinc damnarunt forsan iniquè.
Tune etiam pariter non lecta notabis iniquè?
An verò haud potuisse illos errare putabis?
At non ignoras, hoc esse insigne Papatus.
Nec sibi tantum unquam tribui voluere voluntque.
Quae verò ratio vel quae sapientia suadet,
Vel sanctorum imitemur uti peccata virorum?
Quod condonatur multis pro dotibus uni,
Dispar donari frustra sibi postulat alter.
An si scommatibus magni lusere frequenter,
Tene decebit idem? te censes esse ferendum
Valde dissimilem? Si latronem aut nebulonem
Ipse meum dicam puerum, haud concessero cuiquam
Alteri, ita ut vocitet, nec quisquam ferret, opinor.
Tanti nimirum refert, quid quisque loquatur,
Arguat et damnet: magis et, si damnet iniquè.
Esto autem, si vis, illos ut iure notarint.
Unde tibi constare potest id iure peractum,
Si non ipse legas etiam? An pro more Gnathonis:
Si damnant, damnas, si carpunt, carpis et ipse,
Et quos Svermeros dicunt, mox dicis et ipse,
Gratiam ut illorum captes tenuemque favorem?
Nonne deos facis ipse tibi et seducier optas?
At Berrhoeenses à Paulo audita docente,

Dies scheint jedoch in Anbetracht ihrer vielen Vorzüge, ihrer gottgefälligen Werke und ihrer großen Liebe zu Christus sehr wenig von Belang und muß ihnen als rechten Männern verziehen werden – so wie man den heiligen Schriftstellern früherer Zeiten auch vieles verzeihen muß. Vielleicht haben sie daher ihr Verdammungsurteil unbillig gefällt. Kannst du dich ihrem unbilligen Tadel sogar gegenüber Werken anschließen, die du nicht gelesen hast? Oder kannst du etwa glauben, sie hätten keinesfalls irren können? Doch du weißt wohl, daß dies das Merkmal des Papsttums ist! Sie haben auch niemals gewollt und wollen es nicht, daß man ihnen soviel zugesteht. Welche vernünftige Überlegung, welche Weisheit spricht aber dafür, daß wir Fehler nachahmen – seien es auch die Fehler heiliger Männer? Was man dem einen wegen seiner vielen Vorzüge vergibt, dafür fordert ein zweiter, jenem nicht Ebenbürtiger, vergebens Verzeihung. Wenn große Männer oft an Sticheleien Freude hatten, geziemt sich dies ebenso für dich? Meinst du, daß man dich ertragen muß, obwohl du jenen doch äußerst unähnlich bist? Wenn ich selbst zu meinem Diener „Strolch“ oder „Taugenichts“ sage, werde ich damit keinesfalls irgendeinem anderen zugestanden haben, ihn ebenfalls so zu nennen, und ich denke, auch niemand sonst würde dies hinnehmen. So sehr kommt es zweifellos darauf an, wer was sagt, behauptet und verdammt – und um so mehr, wenn sein Verdammungsurteil unbillig ist. Nehmen wir aber einmal an – wenn du darauf bestehst –, sie hätten jene zu Recht mißbilligt. Woher kannst du die Gewißheit nehmen, daß es zu Recht geschehen ist, wenn du die Schriften nicht auch selbst liest? Oder machst du es wie Gnatho: wenn sie verdammen, verdammst du auch; wenn sie tadeln, tadelst du auch; und die, die sie „Schwärmer“ nennen, nennst du sogleich auch so, um ihre Erkenntlichkeit und spärliche Huld zu erhaschen? Machst du dir nicht selbst Götter und wünschst, daß man dich verführe? Die Leute von Beröa jedoch hielten die Lehren, die sie von Paulus gehört hatten,

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<226> Quanquam firmasset signis flatuque superno,
Non prius indubitata habuerunt firmaque prorsus,
Quàm satis experti divinis consona scriptis.
P. Attamen est summis credendum sape magistris.
M. Est. Verùm à pueris et primis tantum elementis
Cuiuscunque artis ratio succrevit et aetas,
Quisque sibi verum ac falsum discernere debet
Legitimoque probare modo. Monuit quoque Paulus,
Ne pueri simus sensu hucque agitemur et illuc
Quovis doctrinae vento validaque procella.
Tu iam nec puer es, nec prima elementa doceris,
Sed doctrinarum iudex populique magister
Censeri cupis et parvis magnisque videri.
Unde tuum non est, facile auscultare magistris,
Sed praeiudicio sine praescriptisque tabellis,
Eloquium iuxta sacrum argumentaque sana,
Quis tandem accedat propius, dignoscere, vero.
P. Hac ratione voles, veterum omnia ut haereticorum,
Quos tulit huc usque à primis Ecclesia seclis,
Scripta legam nec Conciliis patribusque probatis
Credam concedamque aliquid, qui scripta notarunt
Haereseos, nec quenquem ausim appellare deinde
Haereticum, cuius non legi scripta nec extant?
M. Extarent utinam cunctorum, Phormio, libri,
Ut nos ipsi etiam possemus cernere verum.
Multos namque licet damnatos iurè sciamus,
Sunt tamen haud pauci, quibus est iniuria facta,

nicht eher für unbezweifelbar und vollkommen zuverlässig, als bis sie sich genugsam davon überzeugt hatten, daß sie mit der Heiligen Schrift übereinstimmten – obgleich Paulus jene Lehren mit Zeichen und dem Heiligen Geist bekräftigt hatte!
Phormio: Trotzdem – den größten Lehrern muß man oft Glauben schenken!
Maurus: Ganz recht! Doch sind Verstand und Alter erst aus den Kinderschuhen und den Anfangsgründen irgendeiner Wissenschaft herausgewachsen, so muß jeder für sich selbst das Richtige und Falsche unterscheiden und beides gehörig prüfen. Auch Paulus hat uns ermahnt, mit unserem Verstand nicht wie die Kinder zu sein und uns nicht hierhin und dorthin treiben zu lassen durch einen beliebigen Wind und starken Sturm einer Lehre. Du bist kein Knabe mehr und genießt nicht mehr den Anfangsunterricht, sondern verlangst, daß man dich als Richter über Lehrmeinungen und als Lehrer des Volkes beurteilt und Groß und Klein dich als solchen betrachtet. Daher steht es dir nicht an, leichthin den Lehrern dein Ohr zu leihen, sondern du hast vorurteilslos und ohne schriftlich niedergelegte Anweisungen anhand der Aussagen der Heiligen Schrift und anhand zuverlässiger Beweisgründe festzustellen, wer letztlich der Wahrheit näher kommt.
Phormio: Mit dieser Argumentation verlangst du von mir, daß ich alle Schriften der alten Ketzer lese, die die Kirche von ihren Anfängen bis heute hervorgebracht hat! Daß ich auch als zuverlässig erwiesenen Konzilien und Vätern, die die Schriften einer Sekte getadelt haben, nicht glaube und ihnen nichts zugestehe! Daß ich mir ferner nicht herausnehme, irgend jemanden einen Ketzer zu nennen, dessen Schriften ich nicht gelesen habe – und dessen Schriften auch nicht mehr vorhanden sind!
Maurus: Wären doch nur die Bücher aller Autoren noch vorhanden, Phormio, damit wir auch selbst den wahren Sachverhält erkennen könnten! Wenn wir nämlich auch wissen, daß viele mit Recht verdammt wurden, so sind doch deren nicht wenige, denen Unrecht geschehen ist:

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<227> Quorum scripta parum sunt intellecta vel ultro
Depravata atque in sensum detorta malignum
Vel damnata palàm vera invidiaque odioque
Iudicis irati. Quare etsi iure vocemus
Haereticos quosdam, tamen nos errare necesse est
In multis aliis haud isto nomine dignis,
Si non cunctorum trutinamus scripta legendo.
Hinc te Svermeros nolim haereticosque crepare
Saepius, in iustos ne quos convicia fundas
Veraque pro falsis, pro nigris optima damnes:
Libros praesertim quum nondum legeris ipse,
Nec sint legitimo damnati more vetustis.
        Quin si legisses etiam incorruptus et omni
Liber ab invidia praeiudicioque magistri,
Magnumque errorem fideique pericla videres,
Christi discipulum tamen haud haec probra deceret
Fundere publicitùs plebisque incendere mentes,
Verùm argumentis potius convincere rectis
Sinceroque Dei verbo. Nil promptius herclè
Cuilibet insano, quàm lusco dicere: „lusce“,
Svermerosque adeò haereticosque sonare frequenter.
Quippe hoc et scurrae possunt et ludio quivis.
Porrò doctrina scriptoque ostendere docto,
Quid verum falsumve, bonum quid quidve nocivum:
Hoc opus, hic labor. Et conferre manumque pedemque
Ipsis cum haereticis coramque refellere stultos
Nolumus atque piget, magis imò haud scire fatemur.

ihre Schriften wurden nicht recht verstanden oder obendrein entstellt und so verdreht, daß sie einen schlimmen Sinn bekamen, oder sie wurden, obwohl offenkundig fehlerlos, verdammt infolge der Mißgunst und des Hasses eines erzürnten Richters. Wenn wir daher auch manche mit Recht Ketzer nennen, so irren wir doch zwangsläufig bei vielen anderen, die diese Bezeichnung keineswegs verdient haben, wenn wir nicht die Schriften aller überprüfen, indem wir sie lesen. Daher wünschte ich, daß du nicht gar so häufig „Schwärmer!“ und „Ketzer!“ schreist, damit du nicht Schmähungen über irgendwelche Gerechten ausschüttest und anstelle des Falschen das Richtige und anstelle des Bösen das Allerbeste verdammst – zumal du die Bücher noch nicht selbst gelesen hast und die alten Autoren sie nicht auf die rechte Weise verurteilt haben.
        Ja auch wenn du sie unbefangen und unabhängig von jeder Mißgunst und jedem Vorurteil deines Lehrers gelesen hättest und in ihnen einen großen Irrtum und Gefahren für den Glauben erkenntest, so stünde es doch einem Jünger Christi durchaus nicht an, diese Vorwürfe öffentlich auszusprechen und das Gemüt des Volkes zu entflammen, sondern es wäre ihm eher angemessen, seine Sache mit treffenden Argumenten und dem unverfälschten Wort Gottes zum Siege zu führen. Beim Herkules! Nichts ist leichter für jeden beliebigen Narren, als zu einem Einäugigen zu sagen: „Du Einäugiger!“ und seine Rede dermaßen häufig von „Schwärmern“ und „Ketzern“ erschallen zu lassen! Zu derlei freilich sind auch Possenreißer und jeder beliebige Gaukler imstande. Hingegen auf wissenschaftlichem Wege und mittels einer gelehrten Abhandlung darzulegen, was richtig oder falsch, nützlich oder schädlich ist: das macht Arbeit, hierfür ist Mühe nötig! Und mit den Ketzern selbst in den Nahkampf eintreten und die Toren Aug in Aug widerlegen, das wollen wir nicht, das macht uns Verdruß – oder besser: wir geben zu, daß wir durchaus nicht mehr wissen!

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<228> Nec quicquam melius sapit haereticos et asellos
Svermerosque vocans alios clamansque furenter.
Sed fit nonnunquam, mage sit Svermerus ut ipse,
Efficit et probris, ut tota hoc concio credat.
        Quid verò censes? Nullus te detinet error?
Tu non per speculum quaedam ac aenigmata cernis?
Tu reddis falsum: „In multis offendimus omnes“?
Tu solus clarè perfecteque omnia nosti?
Inspice quaeso prius, quînam tua dogmata constent,
Num teneas quaedam nequaquam consona vero,
Quàm damnes quenquam et probroso nomine carpas.
Crede mihi, invenies, tibi ni blandiris ineptè
Humanoque negare audes te sanguine cretum,
Quorum te pudeat, quibus et Svermerus haberi
Iure queas. Mihi sanè erroris conscius haud sum,
Non tamen affirmare ausim haud errore teneri,
Et magno fortasse aliquo. Hinc si quilibet error
Tam nobis coram Domino reputabitur ingens
Et traducendus, quàm nos errata solemus
Amplificare aliena et nos traducimus inter,
Phormio, vae nobis: restat spes nulla salutis.
Hinc memor humanae sortis metuensque futuri
Iudicii, tua ne temet decreta flagellent,
Desine Svermeros adeò haereticosque sonare.


                          FINIS.

     Laus Deo et Domino Iesu Christo.
                   1555. 9 Martii.



Und wer andere Ketzer, Esel und Schwärmer nennt und wütend herumschreit, ist darum noch in keinem Punkt einsichtiger! Im Gegenteil: es kommt zuweilen vor, daß dieser selbst der größere Schwärmer ist. Und mit seinen Ausfällen bringt er es dahin, daß die ganze Gemeinde ebendies glaubt!
         Was aber meinst du? Steht dir kein Irrtum im Wege? Nimmst du nicht – wie durch einen Spiegel – mancherlei Rätselhaftes wahr? Ist für dich falsch der Satz: „Wir alle gehen in vielem fehl“? Du allein besitzt in allen Dingen glasklares und vollkommenes Wissen? Ich bitte dich: prüfe erst einmal, wie gut denn wohl deine Lehren fundiert sind und ob du nicht etwas verteidigst, was keineswegs mit der Wahrheit in Einklang steht, bevor du irgend jemanden verdammst und mit einer schimpflichen Benennung herabsetzt! Glaub mir: wenn du dir nicht auf läppische Art schmeichelst und dich nicht unterstehst, deine Abkunft vom Menschengeschlecht zu leugnen, dann wirst du manches entdecken, dessen du dich schämst und um dessentwillen du mit Recht als Schwärmer gelten kannst. Ich bin mir wahrhaftig keines Irrtums bewußt. Dennoch möchte ich nicht zu behaupten wagen, daß überhaupt kein Irrtum Gewalt über mich habe, auch wenn es vielleicht irgendein ganz gewichtiger wäre. Wenn uns daher jeder beliebige Irrtum im Angesicht des Herrn einmal auf die gleiche Art als ungeheuerliche und öffentlicher Verhöhnung würdige Verfehlung angekreidet werden wird, wie wir fremde Irrtümer aufzubauschen pflegen und unter uns mit Hohn überschütten, dann, Phormio, wehe uns: dann wird auf kein Heil mehr zu hoffen sein! Denke daran, was das Los der Menschen ist und fürchte das künftige Gericht – und höre deshalb auf, deine Stimme dermaßen von „Schwärmern“ und „Ketzern“ erschallen zu lassen, damit deine Urteilssprüche nicht auf dich selbst zurückschlagen!



                                                          ENDE

                                Lob sei Gott und dem Herrn Jesus Christus!
                                                     9. März 1555


[69] qua   [70] contemseris   [71] dictamus   [72] audire   [73] Trangreßi   [74] mandarit   [75] Pumbi?   [76] mystosque   [77] caepiße   [78] dynastae   [79] hunc   [80] sordebit   [81] quadingenta   [82] Archeleos   [83] caepere   [84] auscaules   [85] Phoclidis

Letzte Änderung: 30.05.2009

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