Aesopus; Steinhöwel, Heinrich; Brant, Sebastian:
Esopi appologi sive mythologi: cum quibusdam carminum et fabularum additionibus Sebastiani Brant.


Basel: Jacob <Wolff> von Pfortzheim., 1501. Teil 1: [123] Bl., 2°; mit Frontispiz und 193 Holzschnitten im Text. Teil 2: [79] Bl., 2°; mit Frontispiz und 143 Holzschnitten im Text.



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Das reich illustrierte Fabelbuch von 1501, das hier erstmals wieder zugänglich gemacht wird, fand beim zeitgenössischen Publikum großen Anklang. In deutscher Übersetzung wurde es im 16. Jahrhundert noch siebenmal aufgelegt. Die Forschung hingegen hat sich mit Sebastian Brants "Esopus" nicht näher befaßt. Ihr schien das Buch nur eine der zahlreichen Neuausgaben bekannter Werke zu sein, die Brant als Berater mehrerer Basler Drucker betreut hat. Daß der berühmte Autor gut ein Achtel des Textes selbst verfaßt und drei Achtel des Werks aus den verschiedensten Quellen kompiliert hat, wurde ebensowenig gewürdigt wie die hervorragende Qualität der Holzschnitte, die ein anonymer Künstler für den 2. Teil dieser Ausgabe neu geschaffen hat. Eine genaue Untersuchung des Basler "Esopus" soll demnächst an anderer Stelle publiziert werden. Hier begnügen wir uns mit einer einführenden Orientierung.

Dieses Buch ist ein Werk vieler Autoren, von denen einige kaum dem Namen nach bekannt sind. Zugleich ist es aber - in seiner Zusammensetzung, Ausgestaltung und Intention - das Werk eines Einzigen, des um 1500 bekanntesten deutschen Autors Sebastian Brant.

1457 in Straßburg als Sohn eines Gastwirts geboren, bezog Brant 1475 die 15 Jahre zuvor gegründete Universität Basel. Hier blieb er 25 Jahre lang. Nach dem Abschluß seiner Studien lehrte er an der Universität die (lateinische) Dichtkunst und das kanonische Recht, später auch das weltliche Recht. Aus seiner 1485 geschlossenen Ehe mit einer Basler Bürgerin gingen sieben Kinder hervor. Anfang 1501 kehrte Brant nach Straßburg zurück, um seiner Heimatstadt als Syndikus und bald als Stadtschreiber (Kanzler) zu dienen. Hier starb er im Jahre 1521.

In der geistigen Atmosphäre Basels, in der humanistische Einflüsse aus Italien, das Streben nach vertiefter Frömmigkeit und verbesserter theologischer Ausbildung sowie der Unternehmungsgeist gebildeter Buchdrucker einander anregten, entfaltete Brant seit 1489 eine erstaunliche publizistische Tätigkeit. Er brachte die Werke der Kirchenväter Ambrosius und Augustinus und des Erzhumanisten Petrarca heraus, verfaßte juristische Lehrbücher, aber auch deutsche Flugblätter, schrieb Vorworte zu mancherlei Büchern und dichtete lateinische Carmina zu den verschiedensten Anlässen, besonders häufig zum Preis der heiligen Jungfrau Maria. Buchdruckern wie Johann Bergmann von Olpe und Johann Amerbach stellte er sich als Berater, Herausgeber und Korrektor zur Verfügung. Für die Illustrationen, die den Büchern zu größerer Breitenwirkung und schnellerem Absatz verhelfen sollten, entwarf er detaillierte Bildprogramme.

Brants größter Erfolg als Autor wurde das 1494 erschienene "Narrenschiff", eine Folge von 112 deutschen Spruchgedichten und ebensovielen Holzschnitten. Etwa zwei Drittel der Illustrationen sind nach den "visierlichen Angaben" des Dichters von dem jungen Albrecht Dürer, der damals bei Bergmann von Olpe arbeitete, ausgeführt worden. Das "Narrenschiff" stellt sittlich verfehltes Verhalten als Narrheit dar. Mit den Mitteln von Satire und Ironie versucht es, einem breiten Publikum moralische und religiöse Maximen zu vermitteln.

Brants "Esopus" von 1501 verfolgt ebenfalls das Ziel, auf unterhaltsame Weise zu belehren. Sein erster Teil gibt den "Ulmer Äsop" (zuerst ca. 1476/77) in einer korrigierten und bearbeiteten lateinischen Fassung wieder. In jenem dank seiner hervorragenden Holzschnitte höchst erfolgreichen Buch hatte der humanistisch gebildete Ulmer Stadtarzt Heinrich Steinhöwel (1412-1479) die dem Mittelalter bekannten äsopischen Fabeln, ergänzt durch die jüngst in Italien erschienenen lateinischen Versionen des Äsopromans und weiterer Fabeln aus byzantinischer Überlieferung, mit eigener deutscher Übersetzung und zahlreichen Illustrationen publikumswirksam präsentiert. Brant übernahm Steinhöwels lateinische Texte und die Illustrationen, die er, seitlich etwas verbreitert, nachschneiden ließ. Er selbst fügte lateinische Verse oder Prosafassungen der Fabeln hinzu, wo der Ulmer Äsop solche nicht hatte, so daß überall das Schema Illustration + Verse + Prosa ausgefüllt wurde.

Im 2. Teil präsentiert Brant eine von ihm selbst zusammengestellte, bunte Sammlung von Fabeln und moralischen Sentenzen, Schwänken und Anekdoten, Rätseln und Nachrichten von Wundern der Natur. Auch in diesen 140 Kapiteln wird das dreiteilige Schema von Illustration, Vers und Prosa durchgeführt. Seine thematischen und kompositorischen Vorstellungen hinsichtlich der Illustrationen dürfte Brant, wie er es gewohnt war, dem Künstler vorgegeben haben. Stilistisch stehen die Holzschnitte dieses Teils der gleichzeitigen Straßburger Buchillustration nahe. Durch starke Binnenzeichnung und dichte, parallele Schraffuren in feinen, geschwungenen Linien, die den Einfluß des Kupferstichs verraten, werden Abstufungen von Licht zum Schatten, Körperlichkeit und räumliche Wirkung in einem Maße realisiert, wie es selbst in der hochentwickelten oberrheinischen Holzschnittkunst um 1500 sonst kaum errreicht wurde. Die nächsten stilistischen Parallelen finden sich in den Illustrationen der Offizin Johann Grüningers in Straßburg, so z.B. in seiner Terenz-Ausgabe von 1496 und der berühmten Vergil-Ausgabe von 1502, die wiederum von Brant betreut wurde.

Das reproduzierte Exemplar gehört zur Sammlung Desbillons der Universitätsbibliothek Mannheim. François-Joseph Desbillons SJ (1711-1789), der selbst ein erfolgreicher Autor lateinischer Fabeln war, hat zwei Exemplare des kostbaren Werks erworben - das erste, in dem einige Seiten fehlen, genügte ihm offenbar nicht. Das starke Papier und der satte Druck sind in beiden Exemplaren gut erhalten. In beiden ist allerdings der Buchblock gewellt. Mit dem uns zur Verfügung stehenden Scanner konnte leider nicht vermieden werden, daß sich die "Wellentäler" in der Reproduktion als Schatten bemerkbar machen.

Dem weiter unten folgenden detaillierten Inhaltsverzeichnis, das für den kaum bekannten 2. Teil zum Resümee bzw. Textauszug erweitert ist, stellen wir eine Übersicht über die Bestandteile der Kompilationen Steinhöwels (1. Teil) und Brants (2. Teil) voran.

1. Auf die Präliminarien (S. 1-4) folgt die Lebensbeschreibung Äsops (S. 5-44), jenes Sklaven, der im 6. Jahrhundert v. Chr. durch kurze Erzählungen von Begebenheiten aus dem Leben der Tiere selbst Philosophen und Könige belehrt haben soll, also der antike "Äsop-Roman", wie ihn Rinuccio d'Arezzo (geb. um 1395) aus einer griechischen Handschrift ins Lateinische übersetzt hat (1448, Erstdruck Mailand 1474).

2. In 4 Büchern zu je 20 Fabeln (hier S. 45-141) bietet Steinhöwel eine von 98 auf 80 Fabeln reduzierte Fassung der "Romulus-Sammlung", eines Corpus lateinischer Prosafabeln aus dem 5. Jahrhundert. Es beruht auf einer nicht erhaltenen älteren lateinischen Version der griechischen, unter Äsops Namen laufenden Prosafabeln sowie einer Prosabearbeitung der lateinischen Versfabeln des Phaedrus (1. Jhd. n. Chr.). Steinhöwel stellt neben den Romulus-Text der ersten drei Bücher die kurz vor 1177 entstandenen Versfassungen des sog. Anonymus Neveleti (Gualterus Anglicus). Für das 4. Buch, das der Anonymus nicht bearbeitet hatte, steuert Brant eigene Verse bei. Sie umfassen allerdings oft nur zwei Distichen und erzählen die Fabeln nicht nach, sondern kommentieren sie sentenziös. Das 3. Buch erweitert Brant um zwei Kurzgeschichten, die vom Künstler des 2. Teils illustriert sind. Dieser hat übrigens im 1. Teil auch die Fabel 1,11 (Der Esel und der Eber) neu illustriert, da der Ulmer Holzschnitt statt des Ebers einen Löwen zeigte.

3. Die folgenden 17 "Fabulae extravagantes" (S. 142-170) nimmt Steinhöwel aus nicht näher bezeichneten anderen alten Quellen. Auch zu ihnen steuert Brant lateinische Verse bei.

4. Aus den 100 Fabeln, die Rinuccio d'Arezzo zusammen mit der Vita Äsops aus dem Griechischen übersetzt hat, wählt Steinhöwel 17 Stücke aus, denen Brant wiederum Verse beigibt (S. 170-186).

5. Um 400 verfaßte der römische Dichter Avian eine Sammlung von 42 Fabeln in Distichen, die auf den griechischen Versfabeln des Babrius (um 100 n.Chr.) beruhen. Steinhöwel gibt davon 27, zu denen Brant lateinische Prosafassungen hinzufügt, um das dreiteilige Schema auszufüllen (S. 187-218).

6. Mit den 23 sog. "Fabulae collectae" überschreitet Steinhöwel den Kreis der Tierfabel, um unterhaltsame, z.T. pikante Kurzgeschichten vom Treiben der Menschen zu bieten. Seine Hauptquellen sind hierbei die "Disciplina clericalis" des spanischen Juden Petrus Alfonsi (1062- um 1140), aus der er 15 Exempla nimmt, und das Buch der Schwänke ("Liber facetiarum") des toskanischen Humanisten G. F. Poggio Bracciolini (1380-1459). Mit Rücksicht auf die Schuljugend, für die sein "Esopus" vor allem gedacht ist (vgl. die Widmungsvorrede zu Teil 2), streicht Brant die allzu frivolen Stücke der Steinhöwelschen Auswahl (Nr. 15, 16 und 19). Wieder gibt er den Prosaerzählungen gnomische Verse bei (S. 218-246).

7. Die 140 Kapitel des 2. Teils (S. 247-404) lassen keinerlei Gliederung erkennen. Ein Potpourri aus Fabeln und Gleichnissen, Exempeln und Anekdoten, Schwänken, Sentenzen, Nachrichten von Merkwürdigkeiten der Natur und Rätseln wird zusammengehalten von dem gleichartigen Aufbau der Kapitel (Illustration + Verse + Prosa) und der überall erkennbaren Absicht, Unterhaltung und Belehrung miteinander zu verbinden. Ebenso vielfältig wie die Gattungen sind die Quellen, aus denen Brant schöpft. Es sind mündliche und schriftliche Berichte der Zeitgenossen von merkwürdigen Begebenheiten, die Novellistik und Schwankliteratur der Renaissance in italienischer und lateinischer Sprache, aber auch die poetische, historische und geographische Literatur der griechisch-römischen Antike, deren Autoren Brant zumeist namentlich anführt. So schöpft der Kompilator aus einem Fundus des Gehörten, Gelesenen und Behaltenen, der in seiner Weite und Vielfalt verwirren kann. Er bändigt die Fülle, indem er das denkwürdige Einzelne herausgreift und es in der sprachlichen Formulierung wie auch im beigegebenen Bild zu klarer Anschauung bringt.

Literaturhinweis:
Im Herbst 1999 ist eine neue Ausgabe von Teil 2 des Brant'schen Esopus erschienen:
Brant, Sebastian: Fabeln. Carminum et fabularum additiones Sebastiani Brant - Sebastian Brants Ergänzungen zur Aesop-Ausgabe von 1501.
Mit den Holzschnitten der Ausgabe von 1501 herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Bernd Schneider. - Stuttgart- Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 1999. 454 S. (Arbeiten und Editionen zur mittleren deutschen Literatur; N.F., Bd. 4)
Subskr.-Pr. DM 295.00, späterer Ladenpreis DM 345.00 Diese Ausgabe enthält u.a. wertvolle Nachweise der Quellen Sebastian Brants - bis hin zu den Klassiker-Zitaten.

S. 1 Titel

S. 2 Frontispiz: Äsop umgeben von Bildzeichen, die Geschichten aus seiner Vita repräsentieren.

S. 3 Widmung Sebastian Brants an den Basler Dekan Adalbert von Rotberg, datiert Straßburg, 26. Jan. 1501.
Hier leitet Brant den Brauch der Widmung von den Gratulationen ab, die Jupiter als Nachfolger Saturns empfangen habe. Äsop habe sein Fabelbuch dem lydischen König Krösus gewidmet. Er, Brant selbst, habe die Ausgabe der Fabeln Äsops auf dringende Bitten anderer hin verbessert und einige weitere Fabeln, Schwänke und Anekdoten nach seinem Geschmack hinzugefügt. Wenn er ein Werk, das für die Sittenlehre und den Ansporn zur Tugend durch das Beispiel so geeignet sei wie dieses, dem ausgezeichneten Adressaten widme, werde das gewiß von allen gebilligt werden.

S. 4 Widmung Lorenzo Vallas (1406-1457) an Arnoldo Sevollo (?), datiert Caieta, 1. Mai 1438.

S. 5 Lebensbeschreibung des berühmten Fabeldichters Äsop, aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt von Rimicius (Renuzio di Arezzo, Rinuccio da Castiglione, geb. 1395), an Antonius, Kardinal-Priester der Titelkirche San Crisogono (in Rom).
(Die folgenden Überschriften, die sich nicht in der Vorlage finden, beziehen sich auf die Illustrationen der Vita. Sie erschließen nicht alle im Text enthaltenen Geschichten. Die Holzschnitte stehen teils vor dem Textteil, den sie illustrieren, teils aber auch mitten darin.)

S. 6 Äsop überführt die Feigenesser.

S. 7 Äsop erhält im Schlaf von der Göttin der Gastfreundschaft die Gabe kluger Rede zum Dank dafür, daß er einen reisenden Priester bewirtet hat. (S. 8)

S. 9 Äsop schleppt auf der Reise den Brotkorb, der sich schnell leert.

S. 10 Äsop wird auf dem Markt von Samos als Sklave feilgeboten. (S. 11)

S. 12 Sein neuer Herr, der Philosoph Xanthus, läßt beim Wandern Wasser. (S. 13)

S. 14 Die Frau des Xanthus will Äsop wegen seiner Häßlichkeit nicht zum Diener haben.

S. 15 Äsop beantwortet die Frage eines Gemüsegärtners, warum die kultivierten Pflanzen langsamer wachsen als die wilden. (S. 16)

S. 17 Äsop beschafft sich Ersatz für eine gestohlene Schweinshaxe.

S. 18 Äsop serviert die Mahlzeit, die Xanthus ihm für seine "liebe Gnädige" mitgegeben hat, dem Hündchen statt der Frau seines Herrn. (S. 19)

S. 20 Äsop bringt die Frau des Xanthus wieder nach Hause zurück, indem er ihr weismacht, sein Herr wolle sich wieder verheiraten.

S. 21 Äsop serviert Xanthus und dessen Schülern Schweinszungen.

S. 22 Xanthus läßt Äsop einen Menschen ohne Neugier von der Straße holen, den seine Frau bedienen muß. (S. 23)

S. 24 Äsop beantwortet die Frage, warum die Menschen nach dem Stuhlgang ihre Exkremente mustern.

S. 25 Äsop zeigt Xanthus, wie er die Wette, er könne das Meer austrinken, gewinnen kann.

S. 26 Xanthus, der sich von Äsop immer zum besten gehalten fühlt, läßt ihn nackt ausziehen und auspeitschen.

S. 27 Xanthus findet seine Frau am Eßtisch mit entblößtem Hinterteil schlafend.

S. 28 Äsop entziffert die Inschrift auf einem Grabdenkmal und bringt den dadurch entdeckten Goldschatz seinem Herrn. (S. 29)

S. 30 Xanthus läßt Äsop einsperren.

S. 31 Äsop erklärt den Samiern das Vorzeichen eines Adlers, der den Ring des Kämmerers einem Sklaven in den Schoß geworfen hat. (S. 32)

S. 33 Äsop erzählt den Samiern die Fabel von den Schafen, die von Hunden gegen die Wölfe verteidigt wurden.

S. 34 Äsop erzählt dem lydischen König Krösus die Fabel von der Grille, die zusammen mit den Heuschrecken gefangen wurde.

S. 35 Äsop, am babylonischen Hof wegen seiner Klugheit zu hohem Ansehen gelangt, wird von seinem Adoptivsohn verleumdet und von einem Schüler in einer Grabkammer versteckt.

S. 36 Der König rehabilitiert Äsop und übergibt ihm seinen Adoptivsohn. Dieser wird von Äsop milde behandelt und mit weisen Ermahnungen entlassen. (S. 37)

S. 38 Seiner Schuld bewußt, stürzt sich der Adoptivsohn zu Tode.

S. 39 Äsop führt dem ägyptischen König fliegende Menschen vor.

S. 40 Für seine erfolgreiche Mission nach Ägypten ehrt der babylonische König Äsop mit einer goldenen Statue.

S. 41 Äsop wird in Griechenland, wo er seine Fabeln erzählt, als Weiser bewundert. Die Delpher verleumden ihn aus Neid als Tempelräuber. (S. 42)

S. 43 Äsop, der sich in den Tempel Apollos geflüchtet hat, wird von den Delphern hinweggeschleppt.

S. 44 Die Delpher stürzen Äsop von einem steilen Felsen in den Tod.

S. 45 Prolog in Versen zum Äsop. Vorrede des Romulus (in Prosa)

Hier beginnt das 1. Buch der Fabeln Äsops.

S. 46 Der Hahn und der Jaspis-Stein

S. 47 Der Wolf und das Lamm

S. 48 Der Frosch und die Maus

S. 49 Der Hund und das Schaf

S. 50 Der Hund und das Stück Fleisch

S. 51 Der Löwe, die Kuh, die Ziege und das Schaf

S. 52 Der Dieb und die Sonne

S. 53 Der Wolf und der Kranich

S. 54 Die beiden Hunde

S. 55 Der Mann und die Schlange

S. 56 Der Esel und der Eber

S. 57 Die beiden Mäuse (S. 58)

S. 59 Der Adler und der Fuchs

S. 60 Fabel 14: Der Adler, die Schnecke und die Krähe

S. 61 Der Rabe und der Fuchs

S. 62 Der Löwe, der Eber, der Stier und der Esel

S. 63 Der Esel und das Hündchen

S. 64 Der Löwe und die Maus (S. 65)

S. 66 Die beiden Weihen

S. 67 Die Schwalbe und die anderen Vögel

S. 68 Proömium zum 2. Buch der äsopischen Fabeln: Wie die Athener erwogen, einen König über sich zu setzen.

S. 69 Die Frösche und Jupiter (S. 70)

S. 71 Die Tauben, der Weih und der Habicht

S. 72 Der Dieb und der Hund

S. 73 Die Sau und der Wolf

S. 74 Der kreissende Berg

S. 75 Das Lamm und der Wolf

S. 76 Der alte Hund und sein Herr

S. 77 Der Hase und die Frösche

S. 78 Der Wolf und das Böcklein

S. 79 Der arme Mann und die Schlange

S. 80 Der Hirsch, das Schaf und der Wolf

S. 81 Die Fliege und der Kahlköpfige

S. 82 Der Fuchs und der Storch

S. 83 Der Wolf und die Theaterlarve

S. 84 Der Rabe und der Pfau

S. 85 Die Fliege und das Maultier

S. 86 Die Fliege und die Ameise (S. 87)

S. 88 Der Wolf und der Fuchs

S. 89 Das Wiesel und der Hausherr

S. 90 Der Frosch und der Ochse

Die Fabeln des 3. Buchs von Äsop:

S. 91 Der Löwe und der Hirte (S. 92)

S. 93 Der Löwe und das Pferd

S. 94 Das Pferd und der Esel (S. 95)

S. 96 Die Vierfüßer und die Vögel

S. 97 Die Nachtigall und der Habicht

S. 98 Der Fuchs und der Wolf (S. 99)

S. 100 Der Hirsch und der Jäger

S. 101 Juno, Venus und andere Frauen

S. 102 Die Frau und ihr verstorbener Mann (S. 103)

S. 104 Die Buhlerin und der Jüngling

S. 105 Der Vater und der ungeratene Sohn

S. 106 Die Natter und die Feile

S. 107 Die Wölfe, der Schäferhund und die Schafe

S. 108 Der Mann und die Bäume

S. 109 Der Wolf und der Hund (S. 110)

S. 111 Die Füße und die Hände

S. 112 Der Affe und der Fuchs

S. 113 Der Kaufmann und der Esel

S. 114 Der Hirsch und der Ochse (S. 115)

S. 116 Die trügerische Umgänglichkeit eines Löwen

S. 117 Der Jude und der räuberische Mundschenk

S. 118 Der Bürger und der Ritter, die einem Herren dienten (S. 119, 120, 121)

(Das 4. Buch der Fabeln Äsops:)

S. 122 Der Fuchs und die Trauben

S. 123 Das Wiesel und die alte Maus

S. 124 Der Wolf und der Ochsenknecht

S. 125 Juno und die Nachtigall

S. 126 Der Panther und die Bauern

S. 127 Die Widder und der Metzger

S. 128 Der Vogelfänger und die Vögel

S. 129 Der Lügner, der Ehrliche und die Affen

S. 130 Das Pferd, der Hirsch und der Jäger

S. 131 Der Esel und der Löwe

S. 132 Der Geier und die anderen Vögel

S. 133 Der Löwe und die Füchse

S. 134 Die kranke Eselin und der Wolf

S. 135 Der große und die drei kleinen Böcke

S. 136 Der Mann und der Löwe

S. 137 Der Floh und das Kamel

S. 138 Die Ameise und die Grille

S. 139 Das Schwert und der Wanderer

S. 140 Die Krähe und das Schaf

S. 141 Die Tanne und das Schilfrohr

Es folgen alte äsopische Fabeln aus getrennter Überlieferung:

S. 142 Das Maultier, der Fuchs und der Wolf

S. 143 Der Eber, die Lämmer und der Wolf

S. 144 Der Fuchs und der Hahn

S. 145 Der Drache und der Bauer (S. 146)

S. 147 Der Fuchs und die Katze

S. 148 Der Wolf und der Ziegenbock

S. 149 Der Wolf und der Esel

S. 150 Die Schlange und der Bauer (S. 151)

S. 152 Der Fuchs und der Wolf beim Fischfang und der Löwe (S. 153)

S. 154 Der furzende Wolf (S. 155, S. 156)

S. 157 Der neidische Hund

S. 158 Der Wolf und der hungrige Hund (S. 159)

S. 160 Der Mann, seine drei Söhne und der Ziegenbock (S. 161)

S. 162 Der Fuchs und der Wolf (S. 163, 164)

S. 165 Der Hund, der Wolf und der Widder

S. 166 Das Männlein, der Löwe und sein Junges (S. 167, 168)

S. 169 Der Ritter, sein Knecht und der Fuchs

Es folgen neue äsopische Fabeln aus der Übersetzung des Rinuccio:

S. 170 Der Adler und der Rabe

S. 171 Der Adler und die Hornisse

S. 172 Der Fuchs und der Bock

S. 173 Die Katze und der Hahn

S. 174 Der Fuchs und die Brombeerstaude

S. 175 Der Mann und das hölzerne Götterbild

S. 176 Der Fischer

S. 177 Die Mäuse und die Katze

S. 178 Der Bauer, die Trappe und der Kranich

S. 179 Der Knabe, der die Schafe weidete

S. 180 Die Taube und die Ameise

S. 181 Die Biene und Jupiter

S. 182 Der Holzhacker

S. 183 Der Dieb und seine Mutter

S. 184 Der Floh

S. 185 Der Mann mit den zwei Frauen

S. 186 Der Ackerbauer

Es folgen Fabeln Avians:

S. 187 Die Bäuerin und der Wolf

S. 188 Die Schildkröte und die Vögel

S. 189 Die beiden Krebse

S. 190 Der Esel im Löwenfell

S. 191 Der Frosch als Arzt und der Fuchs

S. 192 Die beiden Hunde

S. 193 Das Kamel und Jupiter

S. 194 Die beiden Gefährten (S. 195)

S. 196 Die beiden Schüsseln

S. 197 Der Löwe, der Stier und der Bock

S. 198 Der Affe und sein Junges

S. 199 Der Kranich und der Pfau

S. 200 Der Tiger und der Jäger (S. 201)

S. 202 Die vier Ochsen

S. 203 Der Dornbusch und die Tanne

S. 204 Der Fischer und das Fischlein

S. 205 Der Gott Phoebus, der Geizige und der Neidische (S. 206)

S. 207 Der weinende Knabe und der Dieb

S. 208 Der Löwe und die Ziege

S. 209 Die durstige Krähe

S. 210 Der Bauer und der junge Stier

S. 211 Der Wanderer und der Satyr

S. 212 Der Stier und die Maus

S. 213 Die Gans und ihr Herr

S. 214 Der Affe und seine beiden Jungen (S. 215)

S. 216 Die Wolke, der Regen und der Krug

S. 217 Der Wolf und das Böcklein

("Collecte"-Anhang: Petrus Alfonsi: Disciplina clericalis, Auszug)

S. 218 Die erste Ermahnung zur Weisheit und wahren Freundschaft aus Petrus Alfonsi (S. 219, 220)

S. 221 Die zweite Ermahnung: Von anvertrautem Gelde (S. 222)

S. 223 Die dritte: Vom fein ersonnenen Urteil in der undurchsichtigen Sache mit dem aufbewahrten Öl (S. 224)

S. 225 Die vierte Sentenz: Vom gefundenen Gelde

S. 226 Die fünfte Geschichte: Von der Glaubwürdigkeit dreier Gefährten und dem Betrug mit dem Brot (S. 227)

S. 228 Von dem Vöglein und dem Bauern

S. 229 Die siebte Geschichte: Von dem Torwächter und dem Buckligen

S. 230 Die achte Geschichte: Von den Schafen und dem Geschichtenerzähler (S. 231)

S. 232 Der Wolf, der Bauer, der Fuchs und der Käse

S. 233 Die junge Kaufmannsfrau und ihr Liebhaber

S. 234 Das alte Weib, das eine sittsame Frau mit einem weinenden Hündchen verführte (S. 235)

(Adolfus von Wien: Doligamus)

S. 236 Die zwölfte Geschichte: Der Blinde und seine sittenlose Frau (S. 237)

(Petrus Alfonsi, Fortsetzung)

S. 238 Die dreizehnte Geschichte: Die schlaue Winzersfrau

S. 239 Die vierzehnte Geschichte: Die Kaufmannsfrau und ihre Mutter

(Poggio Bracciolini: Liber facetiarum, Auszug)

S. 240 Die Frau, die durch die Gnade Gottes schwanger wurde und einen Knaben gebar.

S. 241 Die Passion des Vogelstellens und Jagens ist äußerst töricht. (S. 242)

S. 243 Von einigen Mißgeburten

S. 244 Der Bischof, der Priester und sein Hund

S. 245 Der Fuchs und der Hahn (S. 246)

2. Teil

S. 247 Einladung Sebastian Brants an den Leser

(Übersetzung) Wenn du ausgezeichnete Gedanken, Spott und Witz kennenlernen willst, lernbegieriger Genosse, dann lies dies hier. Nach unserem Urteil haben wir für dich vieles zusammengestellt, was dich belehren und bessern kann. Wir haben auch neue Bilder hinzugefügt und entworfen, wie du sie sonst nirgends sehen kannst. Du schuldest uns und unserer Bemühung also großen Dank, wenn es dir zusagt. Für diejenigen aber, denen es nicht paßt und die es nicht verdienen, will ich nichts gedichtet haben. Gehab dich wohl.

S. 248 Bildnis Sebastian Brants

S. 249 Brief Sebastian Brants an seinen Sohn Onophrius

(Zusammenfassung) Die poetische Epistel an seinen Sohn Tiberinus, die Romulus seiner Sammlung äsopischer Fabeln voranstellt, hat weder Witz noch Stil.

Äsop soll zur Zeit des persischen Königs Kyros gelebt und sinnige Fabeln erfunden haben, mit denen er lehrte, was die Menschen beachten und was sie vermeiden sollen. Um das Leben der Menschen auf eingängige Weise darzustellen und ihre Sitten zu bilden, habe er Bäume, Vögel und wilde Tiere redend eingeführt. Aulus Gellius nennt ihn einen Weisen, der, gefälliger als die strengen Philosophen, seine Hörer besser erreicht habe. Seine Aussprüche und Handlungen, so sagt man, sind in Glück und Unglück ungemein nützlich und passen nicht nur für den Stadtbürger, sondern auch für das Landvolk.

Dir zuliebe, mein Sohn, habe ich dieses durch vielfachen Nachdruck entstellte Werk mit Fleiß korrigiert und einige schmutzige Anekdoten, die sich für die Erziehung der Jugend nicht eignen und von einigen Dummköpfen hineingebracht worden sind, daraus entfernt. Ebendeshalb habe ich auch einige andere Fabeln, Redeweisen und feine Geschichten, die zu guten Sitten hinführen, philosophische Maximen und Fragen aus verschiedenen Autoren hinzufügen wollen, zur sittlichen Unterweisung und Nutz und Frommen für dich und deinesgleichen.

Höre nun, was Giovanni Boccaccio über die Wahrheit und den Nutzen der Fabeln sagt. Seine Worte sollen die irrige Meinung einiger ungebildeter Sittenlehrer, die Fabeln seien unnütz und bloße Einbildungen und Altweibermärchen, widerlegen.

S. 250 Der Nutzen der Fabeln und eine Verteidigung der Dichter und Fabelerzähler, aus dem 14. Buch von Giovanni Boccaccios "Die heidnischen Götter in ihren Verwandtschaftsbeziehungen dargestellt". (S. 251, 252)

S. 253 Aus dem Hesiod gegen die Schwätzer

Der weise Dichter Hesiod sagt, man solle seine Rede nicht verschleudern, sondern wie einen Schatz hüten. Eine bescheidene, knappe und angemessene Rede sei höchst erfreulich.

S. 254 Wann man die Fehler anderer tadeln darf.

Diese Schmäher der Dichter, die sich für Weise halten, mögen es dem reichen Thebaner Crates gleichtun, der eine große Menge Goldes weggab, als er um der Philosophie willen nach Athen aufbrach, weil er überzeugt war, er könne nicht Reichtum und Tugend zugleich besitzen. Diese besoldeten Zungendrescher mögen es Carneades, dem Schulhaupt der Akademie, gleichtun, der, als er daranging, gegen den Stoiker Zeno zu schreiben, die weiße Nieswurz als Brechmittel nahm, damit nicht die faulen Säfte seines Bauches sein Urteil schwächten.

S. 255 <Vom Balken im eigenen Auge> (Bei Brant ohne Überschrift)

Höchst töricht ist unsere Eigenliebe, wenn wir uns jene Fehler verzeihen, die wir an anderen nicht ertragen können. Ziehe erst den Balken aus dem eigenen Auge, bevor du den Halm aus dem Auge deines Bruders entfernen willst.

S. 256 Ein bestochener Richter urteilt schlecht.

Ein Richter, der einen Streitfall zwischen zwei Männern entscheiden sollte, nahm von dem einen einen Krug mit Öl an und versprach dafür, zu seinen Gunsten zu urteilen. Als das der andere hörte, schickte er dem Richter ein fettes Schwein mit der Bitte, ihm gewogen zu sein. Als der andere daraufhin das Versprechen und das verlorene Öl bei dem Richter einklagte, sprach dieser: "Ein Schwein ist in mein Haus gekommen und hat den Ölkrug zerbrochen und das Öl verschüttet. So kommt es, daß ich dich vergessen habe."

S. 257 Die Rechtsprechung ist käuflich.

Als in Perugia ein Bauer vor dem Rat um einen Freispruch nachsuchte, den er mit Sicherheit erwartete, äußerte sich einer der Ratsherren gegen ihn, als ob er etwas Unschickliches verlange. Am nächsten Tag führte der Mann, klug geworden, drei mit Korn beladene Esel zu dem Haus dessen, der gegen ihn gesprochen hatte. Vier Tage später hatte der Ratsherr seine Meinung geändert und vertrat beredt die Sache des Mannes. Da sprach sein Nachbar, während er noch redete, zu den Kollegen: "Hört ihr, wie jene Esel wiehern?" So spielte er auf das empfangene Korn an.

S. 258 Das verderbte Urteil der Menschen verschont selbst die erhabensten Wesen nicht.

Der Adler wird "König der Tiere" genannt, weil er edler ist als die übrigen Vögel und höher als alle über der Atmosphäre fliegt. Deshalb ist er auch den Blitzen nicht ausgesetzt. So wird nicht ohne Grund das Römische Reich in seiner Erhabenheit durch ihn symbolisiert.

S. 259 Wie die Raben versuchten, einen Adler zu überwältigen.

Obwohl das Römische Reich von Gott, dem Schöpfer aller Dinge, gegründet und erhalten worden ist, um die ganze Welt zu regieren, haben freche Menschen sich nicht geschämt, sich gegen den Gesalbten Gottes zu empören. Sie sind jedoch jedesmal mit Gottes Hilfe überwunden und hart bestraft worden, wie es dieses Beispiel beweist: Als die Triumvirn Augustus, Lepidus und Marcus Antonius sich in Bologna trafen, ließ sich ein Adler auf dem Feldherrenzelt des Augustus nieder. Da wurde er von zwei Raben von beiden Seiten bedrängt. Er überwand jedoch beide und tötete sie. Dies sahen alle als ein Omen an.

S. 260 Über den Adler, aus dessen Klauen ein Huhn auf den Schoß der Kaiserin Livia fiel.

Daß der Adler für das Reich und die Kaiser immer ein gutes Vorzeichen dargestellt hat, ist aus der folgenden Geschichte zu ersehen. Als Livia, die Gemahlin des Augustus, einmal aufs Land fuhr, ließ ein Adler ihr zu ihrer Verwunderung ein Huhn, das in seinem Schnabel einen kleinen Lorbeerzweig trug, in den Schoß fallen. Huhn und Lorbeer erwiesen sich als sehr fruchtbar, bis sie zu Neros Zeiten eingingen, was auf Neros Tod und das Aussterben des Geschlechtes hindeutete.

S. 261 Eine Knechtschaft, die man freiwillig auf sich genommen hat, muß man ertragen.

(Übersetzung der Verse:) Ein Hirsch vertrieb mit seiner überlegenen Stärke ein Pferd von der gemeinsamen Weide. Nach langem Kampf bat das unterlegene Tier um die Hilfe eines Menschen und ließ sich den Zaum anlegen. Doch als es den Feind besiegt hatte, konnte es den Reiter nicht mehr vom Rücken werfen und sich des Zaums nicht entledigen.

S. 262 Wie ein Anführer der Römer im Zweikampf gegen einen Gallier mit Hilfe eines Raben Sieger blieb. (Aus: Aulus Gellius 9,11)

Im Jahre 349 v.Chr. stellte sich das römische Heer im Ager Pontinus (40 km südöstlich von Rom) gegen übermächtige keltische Truppen zur Schlacht auf, als ein riesenhafter Anführer der Kelten in prächtiger Rüstung hervortrat und einen Römer zum Zweikampf herausforderte. Während alle anderen zögerten, nahm der junge Militärtribun Marcus Valerius die Herausforderung an. Kaum waren die Zweikämpfer handgemein geworden, da flog ein Rabe herbei, setzte sich auf den Helm des Tribunen und begann, gegen den Kelten zu kämpfen. So gelang es dem Tribunen, den Feind zu besiegen.

S. 263 Zwietracht ist die Ursache für den Untergang aller Reiche. (S. 264)

Ein Bauer, der sah, wie seine Söhne sich tagtäglich stritten, ließ sich ein Büschel Halme bringen. Vor den Augen der Söhne band er es fest zusammen und hieß dann die Söhne nacheinander, es zerreißen. Keiner vermochte es. Da band er das Büschel auf und gab ihnen die einzelnen Stengel zum Zerbrechen. Als sie dies ohne Anstrengung taten, sagte er: "So werdet auch ihr, meine Söhne, gemeinsam stark sein, andernfalls aber durch eure Zwietracht den Feinden eine leichte Beute werden."

S. 265 Wer anderen nach dem Munde redet, fügt ihnen oft Schaden zu.

Ein Kranker, den der Arzt nach seinem Befinden fragte, sagte, er habe heftig geschwitzt. Der Arzt sagte darauf, das sei gut so. Am folgenden Tag antwortete der Kranke auf dieselbe Frage, daß er quälende Schmerzen habe. Auch das ist gut, sagte darauf der Arzt. Am dritten Tage sagte der Kranke, er sei vom Durchfall ganz geschwächt. Auch das ist gut, sagte der Arzt. Als ein Freund danach den Kranken fragte, wie es ihm gehe, versetzte dieser: "Mir geht es immer nur gut, und dabei sterbe ich doch." (Zum Holzschnitt: Während der Arzt sich ungerührt zum Gehen wendet, sorgt der Freund sich um den Todkranken, aus dessen Mund schon die Seele entweicht.)

S. 266 Übelreden

Eine spanische Königin nahm einen scheinbar taubstummen Jüngling - ihm hatte sein Vater, ein spanischer Grande, verboten zu sprechen, weil er durch seine böse Zunge schon viel Ärgernis erregt hatte - in ihre Dienste. Vor ihm glaubte sie ihr schamloses Treiben nicht verheimlichen zu müssen. Als der Vater zwei Jahre später auf Bitten des Königs dem Sohn zu reden erlaubte, sagte dieser so Schlechtes über die Königin, daß der König ihm sofort wieder den Mund verbot.

S. 267 Von einem unwissenden Arzt (S. 268)

Ein schlauer Arzt, dem es an medizinischem Wissen fehlte, sagte den Kranken, deren Puls er unregelmäßig fand, auf den Kopf zu, sie hätten etwas zu sich genommen, was er ihnen verboten hätte, z.B. eine Feige oder einen Apfel. Die Kranken mußten das meistens zugeben und hielten ihn für beinahe allwissend. Seinem Schüler, der ihn immer begleitete und schließlich einmal fragte, wie er zu seinen Erkenntnissen gelange, sagte er: "Ich schaue mich immer im Zimmer des Kranken um, ob ich irgendwo Speisereste, Schalen von Früchten und dergleichen sehe. Indem ich den Kranken dann beschuldige, nicht Diät gehalten zu haben, schiebe ich ihm selber die Verantwortung für die Erfolglosigkeit meiner Kur zu." Der dumme Schüler wandte, als er selbst praktizierte, dieselbe Methode an. Als er einst im Zimmer eines Schwerkranken nichts anderes als den Sattel eines Esels erblickte, tadelte er den Mann, er dürfe sich nicht wundern, wenn es ihm schlecht gehe, nachdem er sogar seinen Esel verspeist habe.

S. 269 Jeder ist im eigenen Hause König.

Ein Bauer nahm den englischen König Richard, der sich auf der Jagd verirrt hatte, höflich in sein Haus auf, ohne zu wissen, daß es der König war. Als der Bauer ihm Wasser zum Händewaschen reichte und der König ihn herrisch zurückwies, gab der Bauer ihm eine Ohrfeige und sprach. "Weißt du nicht, daß jeder in seinem eigenen Hause Herr ist?" - Kommentar: Es empfiehlt sich, seinem Gastgeber zu gehorchen.

S. 270 Über die Verläßlichkeit von Freunden

Eine Haubenlerche hatte ihr Nest in einem Getreidefeld, das vor der Zeit reif wurde. So fürchtete sie, daß es abgeerntet werden würde, bevor ihre Küken flügge waren. Jedesmal, bevor sie auf Nahrungssuche ging, trug sie ihren Küken auf, ihr von allen ungewöhnlichen Vorkommnissen genau zu berichten. Der Besitzer des Feldes aber befahl seinem Sohn, die Freunde zum Mähen des Feldes herbeizubitten. Als die Haubenlerche dies hörte, beruhigte sie ihre Küken, es sei noch nichts zu befürchten. Als die Freunde am nächsten Tag ausblieben, befahl der Besitzer seinem Sohn, die Verwandten zu bitten. Wieder beruhigte die Mutter ihre Küken. Als die Verwandten nicht kamen, sagte der Besitzer schließlich zu seinem Sohn: Morgen wollen wir beide selbst zur Sichel greifen und die Ernte mit eigener Hand einbringen. Als die Mutter dies von ihren Küken erfuhr, sagte sie: "Jetzt ist es an der Zeit wegzuziehen." - Kommentar: Was man selbst tun kann, soll man selbst tun und nicht von anderen erwarten.

S. 271 Torheit kann nicht verborgen bleiben.

Ein unwissender und einfältiger Arzt in Mailand bat einen Mann, der mit einem Käuzchen auf Vogelfang ging, ihn mitzunehmen. Der tat es und schärfte ihm ein, dabei ja nicht zu reden, damit er die Vögel nicht verscheuche. Als nun viele Vögel herbeiflogen, rief der Tölpel sofort, jener solle das Netz zusammenziehen. Nachdem der Vogelsteller ihn dafür getadelt und er Besserung gelobt hatte, rief er, sobald sich wieder Vögel eingefunden hatten, auf lateinisch: "Viele Vögel sind da!" Der Doktor glaubte nämlich, die Vögel seien zuvor von dem Sinn der von ihnen verstandenen Worte, nicht von ihrem Klang vertrieben worden.

S. 272 Die sibyllinischen Bücher

Zu dem König Tarquinius kam eine fremde alte Frau und brachte ihm neun Bücher göttlicher Prophezeiungen, wie sie sagte; die wolle sie ihm für 300 Goldmünzen verkaufen. Der König hielt sie für verrückt und lachte darüber. Da warf die Alte drei Bücher ins Feuer und fragte den König, ob er die übrigen sechs Bücher zu demselben Preis kaufen wolle. Der König lachte darüber noch viel mehr und erklärte die alte Frau für verrückt. Da verbrannte sie sogleich drei weitere Bücher und fragte den König, ob er nun die restlichen drei Bücher zu demselben Preis wie zuvor die neun kaufen wolle. Da wurde der König nachdenklich und kaufte die Bücher. Die alte Frau aber verschwand und wurde nicht wieder gesehen. Die drei Bücher wurden die sibyllinischen Bücher genannt; sie wurden in einem Tempel aufbewahrt und benutzt, wenn es darum ging, zum Wohle des Staates den Willen der Götter zu erfragen.

S. 273 Von Narren, die mit Halsketten behängt sind.

Ein angeberischer Mailänder Ritter, der in einer diplomatischen Mission nach Florenz gekommen war, trug jeden Tag andere Ketten, um damit zu protzen. Der gelehrte und witzige Niccolò Niccoli sagte dazu: "Die übrigen Toren lassen sich von einer einzigen Kette fesseln. Dieser Mann aber ist dermaßen verrückt, daß er sich nicht mit einer Kette begnügt."

S. 274 Wenn man schläft, denkt man an vieles nicht.

Ein Kaufmann rühmte vor seinem Herrn seine Frau unter anderem dafür, daß sie niemals einen fahren lasse. Der Herr, der das nicht glauben konnte, schloß mit ihm eine Wette darüber ab. Dann lieh er sich von dem Kaufmann eine hohe Summe, die er ihm acht Tage später zurückzugeben versprach. Als diese Zeit verstrichen war, nötigte er, statt das Geld zurückzugeben, den Kaufmann, ihm noch einmal so viel zu leihen. Den gesamten Betrag wolle er dann in einem Monat erstatten. Der unfreiwillige Gläubiger verbrachte nun schlaflose Nächte. Da hörte er, wie seine Frau eins ums andere Mal einen fahren ließ. Er gestand dem Herrn seinen Irrtum und richtete ihm das versprochene Festessen aus.

S. 275 Eine schwierige Sache aufzuschieben, ist oft heilsam.

Ein strenger Herrscher befahl einem Mann unter Androhung schwerer Strafe, einen Esel lesen zu lehren. Der Mann bat sich für eine so schwierige Aufgabe zehn Jahre Zeit aus. Zu seinen Freunden sagte er: "In zehn Jahren kann ich tot sein oder der Esel oder der Fürst."

S. 276 Es ist schwer, seine angeborene Art zu ändern.

Ein schöner junger Mann liebte seine Katze zärtlich. Er bat Venus inständig, sie in ein Weib zu verwandeln. Die Göttin erbarmte sich der Leidenschaft des Jünglings und verwandelte das Tier in eine auffallend schöne Jungfrau. Der Jüngling verliebte sich in sie und führte sie heim. Venus aber stellte sie auf die Probe, indem sie ihr eine Maus ins Schlafzimmer schickte. Die junge Frau sprang auf und jagte die Maus, um sie zu verschlingen. Da wurde die Göttin ungehalten und verwandelte sie in ihre alte Gestalt zurück.

S. 277 Von einem kirchlichen Schreiben, das man sich gegen die Pest um den Hals hängen sollte.

In Tivoli verkaufte ein marktschreierischer Mönch gefaltete Schriftstücke, die, am Hals getragen, Schutz gegen die drohende Pest bieten sollten. Viele ungebildete Leute kauften sich ein solches Schreiben für teures Geld und hängten es sich um. Der Mönch verließ den Ort mit der Mahnung, das Schreiben erst nach 15 Tagen zu öffnen. Als die Leute es neugierig öffneten, lasen sie: "Frau, wenn dir beim Spinnen der Rocken zu Boden fällt, drücke beim Bücken deine Hinterbacken fest zusammen. Das ist die beste Medizin."

S. 278 Von einem Wolf, der statt eines Fisches ein Schwein fraß.

Ein Wolf, der einem Priester gebeichtet hatte, sollte zur Sühne für seine Untaten sich hinfort des Fleischgenusses enthalten. Bald aber trieb ihn quälender Hunger um, da er keine Fische fangen konnte. Da sah er, als er am Ufer stand, ein fettes Schwein im Wasser, das sich dort reinigte. Er sprach es als einen Fisch an und fraß es auf. So soll auch ein spanischer Bischof, als er eines Freitags auf der Reise keine Fische fand, zwei Rebhühner feierlich zu Fischen konsekriert haben, um sie dann zu verspeisen.

S. 279 Ungleiche Gesellschaft

Ein Köhler, der in einem Mietshaus wohnte, lud einen neu zugezogenen Tuchwalker ein, mit ihm im selben Haus zu wohnen. Der Tuchwalker antwortete ihm: "Lieber Mann, das ist nicht gut für mich. Ich habe nämlich Sorge, daß du alles, was ich gebleicht habe, mit Ruß wieder dunkel machen wirst." - Kommentar: Mit schlechten Menschen soll man sich nicht einlassen.

S. 280 Die Grausamkeit der Tyrannen

Ein wohlhabender Mann im Piceno wurde von seinem Fürsten unter dem Vorwand, er gewähre dessen Feinden Unterschlupf, mit dem Tode bedroht. Er merkte, worauf es der Fürst abgesehen hatte, übergab ihm von sich aus sein Geld und entging so der Verfolgung.

S. 281 Gott bleibt nichts verborgen.

Ein ruchloser Mann begab sich nach Delphi, um Apollo auf die Probe zu stellen. Er trat vor den Dreifuß und fragte den Gott: "Ist das, was ich in meiner rechten Hand halte, tot oder lebendig?" Er hielt aber einen lebendigen Spatzen in der Hand, den er, falls der Gott "lebendig" sagte, schnell totdrücken wollte. Der Gott aber erkannte seine List. In ähnlicher Weise übergaben zwei junge Männer einem Koch Fleisch zur Zubereitung. Als der Koch kurz wegging, nahm der eine einen Teil des Fleisches und gab es dem anderen. Als der Koch, zurückgekehrt, die beiden nach dem fehlenden Fleischstück fragte, versicherte der eine, er habe es nicht, der andere aber, daß er es nicht weggenommen habe. Der Koch erkannte ihre schlaue Ausrede.

S. 282 Man soll seiner Frau Glauben schenken.

Ein Florentiner namens Dante hatte eine Frau, von der seine Freunde behaupteten, sie sei nicht sittsam. Da machte der Mann ihr heftige Vorwürfe. Sie aber weinte und beteuerte ihre Unschuld. Als die Freunde fortfuhren, ihr Übles nachzusagen, sagte der Mann zu ihnen: "Wer kennt die Verfehlungen meiner Frau besser - ihr oder sie selbst? Ich vertraue daher ihren Worten mehr als den euren, und sie sagt, daß sie unschuldig ist." - Kommentar: Man soll nicht leichtfertig Worten glauben, die einen unglücklich machen können.

S. 283 Von der Hartnäckigkeit der Frauen

Ein Mann in unserer Gegend hatte eine Frau, die ihm immer widersprach und immer Recht behalten wollte. Als sie einmal heftig stritten, nannte sie ihn "verlaust". Er schlug sie und verlangte, daß sie das Wort zurücknehme. Sie aber wiederholte es nur umso lauter, je mehr sie geschlagen wurde. Da ließ der Mann sie in einen Brunnen hinab, um ihr Angst zu machen. Als ihr Kopf schon unter Wasser war, streckte sie noch die Hand heraus und schnippte mit den Fingern so, wie man eine Laus zerdrückt.

S. 284 Mit welcher Schläue Frauen sich zu raten wissen.

Die Frau eines Gastwirtes bei Florenz wurde, als sie mit einem Liebhaber in ihrer Schlafkammer lag, von einem anderen Freund aufgesucht. Sie verwehrte ihm den Zutritt und hielt ihn noch hin, als plötzlich ihr Ehemann nach Hause zurückkehrte. Diesem machte sie weis, daß sie den ersten Mann vor der Verfolgung durch den zweiten in Schutz genommen habe. Der Wirt schlichtete den angeblichen Streit zwischen den beiden und bot ihnen einen Versöhnungstrunk an, worauf die Liebhaber der Frau gerne eingingen.

S. 285 Das Weinen der Frauen beim Tod ihres Mannes

Ein Gärtner kehrte einmal nach Hause zurück, als seine junge Frau zum Wäschewaschen fort war. Da streckte er sich wie tot auf den Boden hin, um zu sehen, wie seine Frau sich bei ihrer Rückkehr verhalten würde. Als diese mit der Wäsche beladen zurückkam, stutzte sie bei dem Anblick und überlegte, ob sie ihren Mann sogleich beweinen oder aber zuerst ihren großen Hunger stillen sollte. Sie tat das Letztere und war nach der Mahlzeit gerade mit einem Krug auf dem Weg in den Keller, um sich Wein zu holen, als sie eine Nachbarin kommen hörte. Da begann die Frau sofort zu lamentieren, als sei ihr Mann gerade eben erst verschieden. Die ganze Nachbarschaft eilte herbei und beklagte den plötzlichen Todesfall. Als die Frau immer wieder ausrief: "Mein Mann, was soll ich jetzt nur machen?", da öffnete er seine Augen und sagte: "Am besten, du holst dir gleich etwas zu trinken." Alle lachten noch unter Tränen, besonders als er den Hergang der Geschichte erzählte.

S. 286 Von einer Frau, die ihr Hinterteil entblößte, um sich den Kopf zu bedecken.

Eine Frau, deren Kopf wegen einer Hautkrankheit kahl geschoren war, lief auf den dringenden Ruf einer Nachbarin hin eilends auf die Straße. Wegen ihres kahlen Kopfes zur Rede gestellt, hob sie ihr Gewand, um ihren Kopf zu bedecken, und entblößte dabei ihr Hinterteil. - Kommentar: Manchmal wollen wir einen geringen Makel tilgen und ziehen uns dabei einen größeren zu.

S. 287 Von einem Priester, der einen ihm nicht zustehenden Zehnten eintrieb.

In Brügge überredete ein Beichtvater eine einfältige junge Frau, ihm den Zehnten von ihrem Heiratsgut abzuliefern. Als der Ehemann dies erfuhr, lud er den Priester mit anderen Bekannten zu einem Gastmahl ein. Dabei nötigte er ihn, nachdem er von seiner Verfehlung berichtet hatte, nun auch den Zehnten aus dem Nachttopf seiner Frau zu sich zu nehmen. - Kommentar: Die Erhebung des Zehnten ist im Kirchenrecht verbindlich und vernünftig geregelt.

S. 288 Wie ein Mönch seine Hose zurückließ. (S. 289)

Ein Mönch, der beim Beichtgespräch mit einer verheirateten Frau von der Begierde erfaßt wurde, überredete sie, ihn unter dem Vorwand, schwer erkrankt zu sein, als Beichtvater zu sich zu rufen. So konnte er bald ungestört an ihrem Bett verweilen. Als er seinen Besuch jedoch am nächsten Tag wiederholte und lange bei der Frau blieb, schöpfte der Ehemann Verdacht und überraschte ihn im Zimmer der Kranken in einer verfänglichen Situation. Der Mönch entfloh, ließ jedoch in der Eile seine Hose zurück. Wutentbrannt beklagte sich der gehörnte Ehemann beim Prior des Klosters. Dieser überzeugte ihn, daß es besser sei, das Geschehene zu bemänteln als offen darüber Klage zu führen. So ließ er seine Mönche die Hose, die er als eine heilkräftige Reliquie des heiligen Franz von Assisi ausgab, in einer feierlichen Prozession ins Kloster zurückholen. - Kommentar: Im Kloster findet man die sittlich besten, aber auch die schlechtesten Menschen (nach dem Hl. Augustinus). Deren Verfehlungen soll man mit Stillschweigen zudecken, um kein größeres Ärgernis zu erregen.

S. 290 Beim Anblick ihrer Liebsten verstummen die Verliebten.

Ein junger Mann in Florenz verfolgte schon lange eine vornehme, ehrbare Frau in stiller Verehrung, als sich ihm endlich in einer Kirche die Gelegenheit bot, ihr mit Worten, die er sich längst zurechtgelegt hatte, seine Liebe zu bekennen. Er brachte aber, durch ihren Anblick verwirrt, nur hervor: "Meine Herrin, ich bin Ihr Diener," worauf die Dame schnippisch versetzte, sie habe genug Diener zu Hause und brauche keinen weiteren. - Kommentar: Liebe macht nicht nur blind, sondern auch stumm.

S. 291 Von einer Frau, die einem Esel das Fell über die Ohren zog.

Eine sittenlose adlige Dame die auf einer Burg lebte, hörte von ihren Dienern, wenn diese aus der nahegelegenen Stadt zurückkamen, daß die Leute auf dem Markt immer nur Schlechtes von ihr redeten. Die Dame sann auf Abhilfe. Sie ließ einen Esel bei lebendigem Leibe häuten und den geschundenen mit seinem Fell auf dem Rücken unbegleitet in die Stadt treiben. Nunmehr war der arme Esel, dessen Herkunft man nicht kannte, in aller Munde, und das Gerede über die sittenlose Burgherrin verstummte. - Kommentar: Eine neue Sensation macht das, was bisher interessierte, vergessen.

S. 292 Der faule junge Mann

Ein junger Mann, der von seinen Freunden vorwurfsvoll gefragt wurde, warum er morgens so lange im Bett bleibe, antwortete: "Ich höre den Argumenten des besorgten Fleißes und der Faulheit zu, die für und wider das Aufstehen reden, und warte ab, wer obsiegt." - Kommentar: Rühre dich, solange du lebst. Der Schlaf ist ein kurzer Tod, der Tod ein langer Schlaf.

S. 293 Von einem, der den Esel suchte, auf dem er ritt.

Ein Bauer brachte mit mehreren Eseln Getreide zum Markt. Als er auf dem Rückweg seine Esel zählte, schien ihm einer zu fehlen. Er ritt zum Markt zurück und fragte überall nach einem herrenlosen Esel. Ohne Erfolg und traurig kehrte er am Abend nach Hause zurück, wo seine Frau ihn darauf aufmerksam machte, daß er den Esel, den er mit so großer Mühe gesucht hatte, selber ritt.

S. 294 Die beiden Fechter

Ein geübter Fechter hatte seinen Schüler, wie vereinbart, alle Geheimnisse seiner Kunst gelehrt. Da hielt der Schüler sich für dem Meister überlegen und forderte ihn zum Wettkampf heraus. Als der Kampf gerade begonnen hatte, rief der Meister seinem Schüler zu: "Ich dachte, ich hätte mit einem zu kämpfen; doch nun muß ich anscheinend mit dreien kämpfen!" Als der Schüler sich umwandte, um zu sehen, wer denn die beiden anderen seien, brachte der Lehrer ihm eine tödliche Kopfwunde bei. - Kommentar: Seine Lehrer soll man ehren und ihnen den gebührenden Dank abstatten.

S. 295 : Von einem jungen Mann, der auf die Tafel pinkelte.

Ein adliger junger Mann in Ungarn wurde von einem Verwandten zum Essen eingeladen. Kaum war er angekommen, wurde er zur Tafel geführt, zwischen die Töchter des Hausherrn gesetzt und reichlich bewirtet. Vom Harndrang gequält, versuchte er schließlich, sich zu erleichtern, indem er ansetzte, unter dem Tisch heimlich in einen seiner Überstiefel zu pinkeln. In diesem Augenblick faßte ihn seine Tischnachbarin bei der Hand und zog diese mitsamt seinem fließenden Wasserhahn auf den Tisch. Da brachen alle, die es sahen, in Lachen aus.

S. 296 Von einem Narren, der seinen Bischof einen Vierbeiner nannte.

Ein Bischof hielt sich einen Narren, den er in seinem Schlafgemach schlafen ließ. Einmal lag eine Nonne mit dem Bischof zu Bett. Der Narr faßte der Reihe nach alle vier Füße an und fragte, wem sie gehörten. Jedesmal antwortete der Bischof: "Mir!" Da eilte der Narr ans Fenster und rief, so laut er konnte: "Kommt alle herbei und schaut: Unser Bischof ist ein Vierbeiner geworden." - Kommentar: Wer sich einen Narren hält, ist selbst ein Narr.

S. 297 Von einem Vormund, der über seine Vormundschaft Rechenschaft ablegen sollte.

Ein Bürger von Florenz, der als Vormund eines Waisen dessen Eigentum aufgezehrt hatte, wurde vom Magistrat aufgefordert, die Buchführung über Zu- und Abgänge vorzulegen. Da zeigte er auf seinen Mund und seinen Hintern und sagte, nur hier seien die Zu- und Abgänge verbucht.

S. 298 Von einem Priester, der zu seinem Bischof statt mit Kapuze mit Kapaunen kam.

Der Bischof von Arezzo berief einmal seine Priester zur Versammlung ein und befahl ihnen, in Kutte und Kapuze zu erscheinen. Ein Priester, der solche Kleidungsstücke nicht besaß, war deshalb sehr betrübt. Seine Magd aber belehrte ihn, der Bischof meine nicht Kutte und Kapuze, sondern gekochte Kapaune. Der Priester folgte ihrem Rat und wurde von dem Bischof, der seinen Spaß an der Geschichte hatte, gnädig aufgenommen.

S. 299 Eine geistreiche Antwort Dantes aus Florenz

Der Dichter Dante lebte eine Zeitlang bei dem Stadtherrn von Verona, Cangrande della Scala, der ihn einigermaßen unterstützte, nicht so sehr jedoch wie einen Possenreißer, der ebenfalls aus Florenz stammte. Als dieser den Dichter fragte: "Wie kommt es, daß du als ein Gelehrter arm bist, ich Unwissender dagegen reich?" antwortete Dante: "Wenn ich einen Herrn finde, der mir so ähnlich ist wie dir der deine, so wird er mich ebenso beschenken."

S. 300 Von einem kahlköpfigen Reiter, dem seine Perücke zu Boden fiel.

Einem Reiter blies ein Windstoß die Perücke vom Kopf, worüber die Umstehenden lachten. Da sprach der Reiter zu ihnen: "Was wundert ihr euch, daß mir Haare, die nicht meine eigenen sind, herunterfallen, wo mir doch selbst meine eigenen ausgefallen sind?" - Kommentar: Über den Verlust erworbener Güter soll man nicht trauern.

S. 301 Gegen einen Kaufmann, der von anderen schlecht redete.

Ein Kaufmann aus Florenz, der am päpstlichen Hof zu Avignon gewesen war, wurde nach seiner Rückkehr nach Rom bei einem Gastmahl gefragt, wie es den Florentinern in Avignon gehe. Er sagte: "Recht lustig denn nach einem Jahr Aufenthalt dort werden sie alle verrückt." Da fragte ihn ein Gast, wie lang er selber dort gewesen sei. "Sechs Monate", hieß es. "Dann hast du dich aber als sehr begabt erwiesen, indem du doppelt so schnell schafftest, wofür die anderen ein Jahr brauchen."

S. 302 Von einem, der das Fleisch eines Juden aß.

Zwei Juden aus Venedig begaben sich nach Bologna. Als der eine von ihnen dort starb, wollte der andere seinen Leichnam nach Venedig schaffen. Da dies aber nicht erlaubt war, schnitt er ihn in Stücke, legte diese in ein Faß und tat wohlriechende Gewürze und Honig hinzu. Auf dem Schiff, das den Leichnam nach Venedig zurückbringen sollte, stieg nachts der Duft aus dem Faß einem Mitreisenden aus Florenz in die Nase, und er aß heimlich einen großen Teil der Fleischstücke auf. Am Morgen erkannte der Florentiner, daß er eines Juden Grab geworden war.

S. 303 Der Frater des heiligen Antonius, der Bauer und der Wolf

Ein Bettelmönch des heiligen Antonius versprach einem Bauern, um ihm eine Gabe zu entlocken, daß er und seine Herde dann in diesem Jahr vor Schaden bewahrt bleiben würden. Als er im nächsten Jahr wieder bei dem Bauern bettelte, warf dieser ihm vor, daß ein Wolf die Schafe, die er, im Vertrauen auf das Versprechen des Fraters, hatte freier umherstreifen lassen, gerissen hatte. Der Mönch darauf: "Ach, die schlimme Bestie! Trau ihr niemals!"

S. 304 Wie ein Prediger, der oft laut schrie, kleinlaut wurde.

Ein Prediger, der seine Stimme oft zu einem lauten Schreien erhob, bemerkte, daß dies einer Zuhörerin Tränen entlockte. Geschmeichelt fragte er sie, ob sie vor Ergriffenheit weine. Sie antwortete: "Nein, aus Schmerz. Ihre Stimme erinnert mich nämlich an meinen Esel, der mir jüngst gestorben ist, und den ich als Witwe doch zu meinem Lebensunterhalt brauchte." - Kommentar: Der Glaube, man selbst sei weise, ist der erste Schritt zur Dummheit.

S. 305 Der Knecht und das Ei

Ein Schlosser in meiner Nachbarschaft pflegte einem seiner Knechte, der jünger war und weniger geschickt als die anderen, nur ein Ei zu geben, während die anderen zwei erhielten. Einmal legte der Knecht sein Ei auf den Fußboden, trieb es mit einer Peitsche durch das Zimmer und sprach: "Geh und suche dir einen Genossen!" - Kommentar: Das Gesinde soll weder zu üppig noch zu karg gehalten werden.

S. 306 Wie einer einem Kardinal durch einen Furz Wind machte. (Vgl. S. 297, wo dieselbe Illustration weniger passend verwendet ist.)

Ein beleibter Kardinal war auf die Jagd gegangen und saß in der Mittagshitze bei Tisch. Da wünschte er sich etwas Wind. Sein Sekretär fragte ihn, wie er den machen solle. "Wie immer du kannst", sagte der Kardinal. Da hob der Sekretär das rechte Bein und ließ einen großen Furz fahren.

S. 307 Der Mönch, der einen falschen Schwur tat.

Mein Freund Arnold zum Lufft, Doktor beider Rechte, pflegte die Unverfrorenheit der Mönche durch folgende Erzählung zu illustrieren: Als er mit einigen Gefährten das von der Pest verseuchte Rom verließ und Richtung Norden reiste, waren die Ligurer so ängstlich, daß sie keinen Reisenden einließen, der nicht einen Eid darauf schwor, daß er nicht aus Rom komme. Als Arnold sich in Como weigerte, diesen Eid zu leisten, erbot sich ein Mönch aus seiner Gruppe, für sie alle zu schwören. Er werde doch nicht aus Scheu, einen Eid zu leisten, die Nacht im Stroh verbringen!

S.308 Wie einer ein Gelübde tat und Gott dann nur die Schalen gab.

Ein Reisender gelobte beim Antritt einer langen Reise, er werde, falls er unterwegs etwas finde, die Hälfte davon Jupiter darbringen. Auf dem Weg fand er einen Ranzen voller Datteln und Mandeln. Er verzehrte sie allesamt und brachte Jupiter die Kerne der Datteln und die Schalen der Mandeln dar. - Kommentar: Es ist besser, kein Gelübde zu tun, als Gott um das Versprochene zu prellen.

S. 309 Von einem Vogelfänger, den eine Schlange biß.

Ein Vogelfänger ging mit seinen Netzen auf die Jagd. Während er unter einer Ringeltaube, die über ihm auf dem Baum saß, heimlich sein Netz anbrachte, trat er auf eine Schlange. Die biß ihn, und er starb mit den Worten: "Ach, während ich einem anderen nachstelle, werde ich selbst erhascht und muß sterben." - Kommentar: Menschen, die andere überlisten wollen, fallen oft selbst der List anderer zum Opfer.

S. 310 Von einem Wahrsager, der den Diebstahl seines Vermögens nicht voraussehen konnte.

Ein Wahrsager saß auf dem Markt und wahrsagte. Da lief jemand herbei und berichtete ihm, sein Haus sei aufgebrochen und geplündert worden. - Kommentar: Wer sich selbst nicht raten kann, soll nicht anderen seinen Rat anbieten.

S.311 Weshalb Wölfe den Schafen nachstellen und Priester den Frauen nachsteigen.

Ein Schäfer, der im Sterben lag, wurde vom Priester nach seinem Testament gefragt. Er antwortete, er habe den Wölfen seine Schafe vermacht, weil sie ihn immer verschont hätten, dem Priester seine Frau, weil er sie so sehr liebe und ihr ein angenehmeres Leben bereiten könne, und den Hecken, weil sie ihm oft Schatten gespendet hätten, seinen Mantel. Da aber die Erben des Schäfers nach seinem Tod die Erfüllung des Vermächtnisses verweigerten, erklärten die Wölfe den Schafen, die Priester den Frauen und die Hecken den Mänteln den Krieg. - Kommentar: Priester sollen sich von Frauen fernhalten, die Begierde fliehen und ganz dem Reiche Gottes leben.

S.312 Wie einer im Schlafe Gold fand.

Ein Mann träumte, daß ein Geist ihn auf einen Acker führe, damit er dort Gold ausgrabe. Als er nun viel Gold gefunden hatte, erlaubte ihm der Geist nicht, es gleich mitzunehmen, sondern befahl ihm, jetzt nur den Ort zu bezeichnen und das Gold später zu holen. Als der Mann ihn fragte, welches Zeichen er hinterlassen solle, sagte der Geist: "Deine Exkremente". Da wachte der Mann auch schon auf und bemerkte, daß er in sein Bett gemacht hatte. - Kommentar: Die Hoffnungen, die uns der Traum vorgaukelt, erweisen sich bei Tage als nichtig.

S.313 Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.

Von Rodolfo von Camerino erbat einst ein Adliger aus dem Piceno ein Roß von so auserlesener Art, daß sich keines dergleichen finden ließ. Da gab ihm Rodolfo eine Stute und einen Hengst und sagte ihm, er möge mit diesen Werkzeugen ein Roß nach seiner Vorstellung schaffen. - Kommentar: Man soll nichts erbitten, was schwer zu erfüllen ist, und das Geschenkte dankbar annehmen.

S.314 Von einem Juden, der beim Kacken Geld fand.

Ein wohlhabender Jude, der zum christlichen Glauben konvertierte, wurde von vielen ermahnt, sein Vermögen den Armen zu geben; Gott werde es ihm hundertfach erstatten. Der Jude tat dies, lebte selbst arm und wurde bald krank. Einmal verließ er sein Bett im Spital und ging auf eine nahegelegene Wiese, um seinen Darm zu erleichtern. Als er sich umwandte, um mit einem Büschel Gras seinen Hintern zu putzen, entdeckte er einen leinenen Beutel, der mit Edelsteinen gefüllt war. Er wurde wieder gesund und lebte in noch größerem Reichtum als zuvor. - Kommentar: Gottes Lohn läßt im Leben oft lange auf sich warten; er ist uns nur in der Ewigkeit gewiß.

S.315 Wie einer ein Spital von gemeinen Bettlern befreite. (S.316)

Ein Kardinal schickte seinen Zinseinnehmer namens Petrillo in ein Spital in Vercellio, das zuwenig Abgaben erwirtschaftete. Als Petrillo das Spital betrat, sah er es mit Kranken und Schwachen angefüllt. Nach kurzer Zeit kehrte er, als Arzt verkleidet, wieder und verkündete allen, daß er, um ihnen zu helfen, einen von ihnen lebend in heißes Wasser werfen und kochen müsse, um mit seinem Fett die Geschwüre der vielen Kranken zu bestreichen. Da leerte sich das Spital augenblicklich. - Kommentar: Viele mißbrauchen die Barmherzigkeit anderer, indem sie sich krank stellen oder aus Faulheit betteln. Solchen Betrügern soll man hart begegnen.

S.317 Von einem Pferd, das einem Esel beim Lastentragen nicht helfen wollte.

Ein Mann machte mit einem Pferd und einem Esel eine Reise. Unterwegs bat der Esel, der unter seiner Last fast zusammenbrach, das Pferd, ihm etwas abzunehmen. Das Pferd weigerte sich. Bald brach der Esel zusammen und verendete. Nun mußte das Pferd die gesamte Last tragen. Zu spät erkannte es seinen Fehler. - Kommentar: Die Stärkeren sollen den Schwächeren helfen. Keinem soll mehr aufgebürdet werden, als er tragen kann.

S.318 Von einem Vater, dem träumte, sein Sohn werde von einem Löwen getötet.

Ein alter Mann hatte einen einzigen Sohn, der die Jagd liebte. Den sah er einst im Traum, wie ihn ein Löwe erschlug. Um ihn vor einem solchen Schicksal zu bewahren, baute er ihm ein schönes Haus und befahl ihm, es nicht zu verlassen. An die Wände ließ er alle Arten von Getier malen. Der Sohn aber, der unglücklich war, eingeschlossen zu sein, schlug dem auf einer Wand abgebildeten Löwen mit der Faust aufs Auge. Dabei verletzte ihn ein Nagel, die Wunde schwärte, und der junge Mann starb. - Kommentar: Seinem Schicksal kann man nicht entgehen, wenn nicht Gott selbst es verhindert.

S.319 Wie ein Verstorbener eine Hostie erbrach. (S.320)

In der Lateranbasilika zu Rom wachten Mönche im Gebet, als sie aus dem Grab eines vor kurzem Bestatteten eine Stimme hörten, die sie herbeirief. Kaum waren sie dort, erhob sich der Tote, ließ sich einen Kelch hinhalten und erbrach eine Hostie. Dann erklärte er ihnen, er sei als Wucherer, der seine Sünde nie gebeichtet hatte, verdammt worden, und die letzte heilige Kommunion habe ihn nicht retten können. - Kommentar: Das Sakrament der Eucharistie stärkt nur diejenigen, die es mit reinem Sinn aufnehmen.

S.321 Von einem gemästeten Huhn und einer Gans, die täglich ein goldenes Ei legte.

Eine Witwe hatte ein Huhn, das jeden Tag ein Ei legte. In der Hoffnung, es werde zwei Eier legen, mästete die Frau das Huhn; doch dieses legte nun nicht einmal mehr eines. - Ein Hausherr hatte eine Gans, die ihm jeden Tag ein goldenes Ei legte. In seiner Gier, noch schneller reich zu werden, schlachtete er sie, doch statt des erhofften Goldes fand er in ihrem Inneren nur Kot. - Kommentar: Mäßigkeit ist bekömmlicher als Schlemmerei. - Den Geizigen verblendet seine Gier nach Gold.

S.322 Wie ein Händler Schiffbruch erlitt und danach wieder Schäfer wurde.

Ein Schäfer, der an der Küste Schafe weidete und das Meer ruhig daliegen sah, bekam Lust, Handel zur See zu treiben. Bald aber erlitt er Schiffbruch, verlor seine Fracht von Datteln und rettete nur das nackte Leben. So weidete er wieder Schafe. Als das Meer wieder einmal ruhig dalag und ihn einer fragte, ob er nicht wieder zur See fahren wolle, antwortete er nur: "Sie will nur wieder Datteln haben". - Kommentar: Dem Meer ist nicht zu trauen; den Seefahrer trennt nur die Dicke einer Bootsplanke vom Verderben.

S.323 Der Fuchs und der Löwe

Ein Fuchs erschrak fast zu Tode, als er zum ersten Mal einen Löwen erblickte. Beim zweiten Mal war der Schrecken schon geringer. Beim dritten Mal wagte er es sogar, sich dem Löwen zu nähern und ihn anzusprechen. - Kommentar: Gewohnheit macht vieles erträglich.

S.324 (Ohne Überschrift) (S.325)

Ein älterer Mann ging mit seinem Sohn zum Markt, um einen Esel zu verkaufen. Das Tier lief ohne Last vor ihnen her. Da tadelten ihn die vorbeikommenden Bauern und sagten, der Mann oder sein Sohn sollten sich von dem Esel tragen lassen. Als der Mann seinen Sohn auf dem Esel reiten ließ, tadelten ihn andere, daß er den kräftigen Knaben schone und auf sein eigenes Alter keine Rücksicht nehme. So setzte er sich selbst anstelle seines Sohnes auf den Esel. Da warfen ihm wieder andere vor, daß er den kleinen Jungen wie einen Knecht hinter sich her laufen lasse. So setzte er seinen Sohn zu sich auf den Esel. Nun wurde er aber dafür getadelt, daß er so gar keine Rücksicht auf das Tier nehme, das doch an einem genug zu tragen habe. Um allen Vorwürfen zu entgehen, band er dem Esel die Beine zusammen, hob ihn mit einer Stange hoch und trug ihn gemeinsam mit seinem Sohn. Nun lachten alle, die das ungewohnte Schauspiel sahen; der Bauer aber warf den Esel in den nahegelegenen Fluß und kehrte mit seinem Sohn nach Hause zurück. - Kommentar: Wer es allen recht machen will, hat nur Schaden davon.

S.326 Ein Wucherer, der den Reuigen spielt, treibt es nachher umso schlimmer.

Zu einem alten Wucherer, der vorgab, von seinem Gewerbe abgelassen zu haben, kam ein Mann, um ein Zinsdarlehen aufzunehmen, und brachte ein silbernes Kreuz mit einem Stück vom hölzernen Kreuz unseres Heilandes zum Pfand. Der Alte schickte ihn in Begleitung eines Knechts zu seinem Sohn, der, anders als er selbst, dem sündhaften Wucher noch nicht abgeschworen habe. Zu dem Knecht aber sagte er: "Erinnere meinen Sohn daran, daß er das Gewicht des Holzes nicht zu dem Gewicht des Silbers hinzurechnet!" - Kommentar: Ist die Reue nicht aufrichtig, so erwirkt sie keine Vergebung von Gott.

S. 327 Von einem Mönche, der wie ein Jude sterben wollte.

Ein gelehrter Rabbi in Köln bekehrte sich in fortgeschrittenem Alter zum Christentum und wurde Franziskanermönch. Er wurde ein geschätzter Prediger und frommer Mann. Als er im Sterben lag und die Mitbrüder ihn fragten, ob er seine Seele Gott befohlen habe, ließ er einen Knaben eine Maus, eine Katze, einen Hasen und einen Hund herbeibringen. Als die Tiere losgelassen wurden, fing die Katze sogleich die Maus, und der Hund jagte den Hasen. Da sagte der Sterbende:" So wenig wie diese Tiere kann ich meine Natur verleugnen, und so will ich als Jude sterben". Und er verschied in seinem Vater, dem Teufel. - Kommentar: Jeder fällt allzu leicht in die alte Natur und in die Fehler seiner Jugend zurück. Die Tugend bedarf langer Gewöhnung.

S. 328 Von einem Trompeter, der in der Schlacht gefangengenommen wurde.

Ein Kriegstrompeter, der von den Feinden gefangengenommen wurde, rief: "Tötet mich nicht, ihr Männer. Harmlos bin ich und unschuldig. Nur eine Trompete führe ich mit mir!" Die Feinde aber schrien: "Umso mehr verdienst du den Tod, da du selbst nicht kämpfst, aber andere zum Kampf anstachelst!" - Kommentar: Wer andere zum Verbrechen anstachelt oder ihren Taten zustimmt, gilt zurecht als mitschuldig.

S. 329 Wie einer dem Schilfrohr predigte.

Ein Römer ging ins Schilf, bestieg dort ein Mäuerchen und begann, seine Ansicht über die Politik der Stadt wie vor einer Volksversammlung darzulegen. Als das Schilfrohr, von einem Luftzug bewegt, ihm Beifall zu zollen schien, sprach er: "Nicht so viel der Ehre, ihr Herren Römer; ich bin unter euch der geringste." - Kommentar: In der Einsamkeit kann man aussprechen, was man vor anderen nicht sagen darf.

S.330 Von einem waffentragenden Edelmann, der sich viel vornahm, aber wenig tat. (S. 331)

Als Kaiser Friedrich II. Florenz belagerte, ergriffen viele Edelleute die Waffen, um ihre Vaterstadt zu verteidigen. Einer von ihnen sprengte in voller Rüstung aus dem Tor und ritt dem Feind entgegen, während er das Zögern der anderen laut tadelte. Als er jedoch den Verwundeten, die aus der Schlacht zurückkehrten, begegnete, verlangsamte sich sein Ritt. Als das Kampfgeschrei der Feinde an seine Ohren drang, blieb er gar stehen. Auf die Frage, warum er denn nicht weiter vorrücke, gab er kleinlaut zu, daß er seine Kräfte überschätzt habe. - Kommentar: Bevor man sich einer Aufgabe unterzieht, muß man deren Schwierigkeit und die eigenen Kräfte sorgfältig abwägen.

S.332 Der betrügerische Notar

Ein Notar in Florenz, der zuwenig verdiente, ging zu einem jungen Mann und fragte ihn, ob er die 500 Gulden zurückerhalten habe, die ein inzwischen Verstorbener seinem Vater geschuldet habe. Als der junge Mann von nichts wußte, versicherte ihm der Notar, daß er die Urkunde darüber noch besitze, und brachte ihn dazu, das Darlehen vor dem Richter einzufordern. Der Sohn des angeblichen Schuldners beteuerte, in den Rechnungsbüchern seines Vaters sei das Darlehen nicht verzeichnet, und beschuldigte den Notar der Täuschung. Da gab dieser nach und behauptete, der Vater habe das Darlehen zurückgezahlt. Eben dies habe er nunmehr beurkundet. So kassierte der schlaue Notar von beiden Parteien ein Sümmchen. - Kommentar: Notare genießen großes Vertrauen. Umso leichter kann ein betrügerischer Notar die Leute täuschen.

S.333 Von einem Fleischer und einem entwendeten Herzen

Ein Hund näherte sich einem Fleischstand, als der Fleischer gerade mit etwas anderem beschäftigt war, und entwendete das Herz eines Schlachttiers. Der Fleischer sah es und sprach: "Mach dich nur davon, Hund; ich werde es dir schon heimzahlen. Du hast das Herz des Tieres, nicht aber meines erwischt". - Kommentar: Durch Schaden wird man klug, und einen Übeltäter ereilt oft spät noch die gerechte Strafe.

S. 334 Wie einer aus seinem Genossen einen Propheten machte.

Der witzige Schauspieler Gonella versprach einst, einen Mann aus Ferrara für etwas Geld zum Wahrsager zu machen. Er hieß ihn, sich zu ihm ins Bett zu legen, ließ heimlich einen lautlosen Furz fahren und forderte ihn dann auf, den Kopf unter die Decke zu stecken. Als dieser den Gestank roch, rief er aus: "Mir scheint, du hast einen fahren lassen!" Da antwortete Gonella: "Gib mir nun das Geld. Du hast nämlich richtig gewahrsagt." - Kommentar: Heutzutage wollen viele Propheten sein, die meisten aber sind falsche Propheten.

S. 335 Wie Gonella auf wundersame Weise zu Tode kam. (S. 336)

(Ohne Verse!) Als der Markgraf von Ferrara einst an einem Fieber litt und auf der Brücke über den Po spazieren ging, gab Gonella ihm einen Stoß, so daß er in den Fluß stürzte. Infolge des Schreckens und des kalten Bades genas der Markgraf von seinem Fieber, wie Gonella angenommen hatte, da bekanntlich Krankheiten durch eben die Umstände, durch die sie entstehen, auch kuriert werden können. Nach einem weiteren Streich verbannte der Markgraf, dessen Geduld mit dem witzigen Schauspieler erschöpft war, Gonella von seinem Land und Boden. Bald aber kehrte dieser auf einem Karren, der mit Erde vom Mailänder Territorium gefüllt war, zurück und behauptete, sich nicht auf dem Boden Ferraras zu befinden. Der Markgraf ließ, nachdem er ein Gutachten von Rechtsgelehrten eingeholt hatte, die gegen ihn verhängte Todesstrafe zwar nur zum Schein exekutieren, doch Gonella, der nichts anderes als den Tod erwartete, starb vor Schreck, als das Schwert neben ihm niederging. - Kommentar: Eine lebhafte Vorstellung hat manchmal dieselbe Wirkung wie die Sache selbst.

S. 337 Der Fuchs, der den Löwen nicht besuchen wollte.

Ein schlaues Füchslein sah vor der Höhle des Löwen viele Spuren verschiedener Tiere, die zur Höhle hin wiesen, aber keine, die von ihr weg führte. Daraus schloß es, daß die Tiere, die den Löwen in seiner Höhle besucht hatten, von ihm aufgefressen worden waren. So weigerte es sich, der Einladung des Löwen, ihn zu besuchen, Folge zu leisten. - Kommentar: Es ist schwer, der Sünde zu entkommen, wenn man sich einmal mit ihr eingelassen hat.

S. 338 Der ungelegene Bittsteller

Als der Dichter Dante einmal in einer Kirche in Siena, mit einem Arm auf den Altar gestützt, in tiefes Nachdenken versunken war, sprach ihn ein Bittsteller an. Dante fragte ihn: "Welches ist das größte Tier?" "Der Elefant", antwortete der Andere. Da sagte Dante: "Oh Elefant, lasse mich in Ruhe über wichtigere Dinge als deine Angelegenheiten nachdenken und falle mir nicht zur Last." - Kommentar: Manche Menschen belästigen ihre Bekannten, die doch Wichtigeres zu tun haben, mit ihren kleinen Nöten. Sie verdienen es, eine deutliche Antwort zu erhalten.

S. 339 Die Mücke und der Hirt; aus dem Vergil.

Ein Hirte lag, von der Hitze ermattet, unter einem Baum und schlief, als eine Schlange sich ihm näherte. Da flog aus dem Sumpf eine Mücke herbei und stach ihn in die Schläfe. Der Hirte schreckte auf, zerdrückte in seinem Zorn die Mücke und erschlug dann die Schlange. Der Mücke aber errichtete er ein Grabmal und ehrte sie mit einem Grabspruch. - Kommentar: Viele Menschen, die sich heutzutage für andere aufopfern, erhalten keinen Dank.

S. 340 Warum der Rabe zu bestimmten Zeiten kein Wasser trinkt; aus dem Ovid.

Ein Rabe, der Apollo diente, wurde von diesem ausgesandt, Wasser für ein Opfer, das er Jupiter darbringen wollte, herbeizuholen. Unterwegs entdeckte der Rabe einen Feigenbaum mit noch unreifen Früchten. Er wartete dort, bis die Früchte gereift waren, und schlug sich mit ihnen voll. Als er endlich mit dem Wasser zu Apollo zurückkehrte, bestrafte dieser ihn damit, daß er vor der Reife der Feigen kein Wasser trinken kann. - Kommentar: Die Kehle des Raben öffnet sich erst, wenn die Feigen reifen.

S. 341 Wie einer seine Sünden auf Papier beichtete.

Ein Mailänder kam einmal zu dem gelehrten Franziskaner Antonio Randese zur Beichte. Er streckte ihm ein Heft hin und bat ihn, es durchzulesen, es enthalte nämlich seine Sünden. Der kluge Geistliche, der die Dummheit des anderen kannte, stellte ihm ein paar Fragen und sprach ihn dann von seinen Sünden frei. Als Buße aber erlegte er ihm auf, das Heft einen ganzen Monat lang täglich sieben Mal durchzulesen. - Kommentar: Das Bekenntnis seiner Sünden muß man mündlich vortragen, damit man Scham und Reue recht empfindet.

S. 342 Wie Minaccio einem Bauern einen witzigen Rat gab.

Ein Bauer stieg auf einen Kastanienbaum, um die Früchte herunterzuschütteln, fiel herab und brach sich eine Rippe. Zu ihm trat ein witziger Mann namens Minaccio, um ihn zu trösten. Er gab ihm einen Rat, den er befolgen solle, um niemals wieder vom Baum zu fallen. "Steige niemals schneller hinab, als du heraufgestiegen bist!" - Kommentar: Aufschub und Bedacht sind überall da zu empfehlen, wo Eile und Überstürzung von Schaden sein können.

S. 343 Die drollige Rede eines Arztes, der Rezepte nach dem Losverfahren ausgab.

In Rom ist es Brauch, den Harn des Kranken einem Arzt zur Diagnose zu bringen. Einer der Ärzte dort pflegte nachts Rezepte zu schreiben und sie dann in ein Säckchen zu stecken. Wenn nun am Morgen die Harnproben zu ihm gebracht wurden, griff er in das Säckchen und holte dasjenige Rezept heraus, das ihm zufällig in die Hand kam. Dabei sprach er auf Italienisch: "Bitte Gott darum, daß du ein gutes erwischst." - Kommentar: Schlechte Ärzte sollten fortgejagt werden. Am besten ist es, durch eine mäßige Lebensweise den Gang zum Arzt zu vermeiden.

S. 344 Der Fuchs und der Panther. Der Bauer, der seine Zugochsen schlachtete.

Ein Fuchs und ein Panther stritten, wer von ihnen schöner sei. Als der Panther sein schillerndes Fell rühmte, sagte der Fuchs: "Um wieviel schöner bin doch ich, wo ich einen schillernden Sinn mein eigen nenne!" - Kommentar: Die Schönheit der Seele hat den Vorrang vor der Schönheit des Leibes.

Ein Bauer, der draußen auf seinen Landgütern vom Winter überrascht wurde, schlachtete, nachdem er seine Nahrungsvorräte aufgebraucht hatte, zuerst seine Schafe, dann seine Ziegen und schließlich auch seine Zugochsen, um sich von ihnen zu ernähren. Als seine Hunde dies sahen, ergriffen sie die Flucht, da sie ein gleiches Schicksal erwarteten. - Kommentar: Wer seine Hausgenossen nicht schont und ihnen Böses tut, dem ist nicht zu trauen.

S. 345 Von einem Mönch, der viele Frauen beschlafen hatte.

In Padua gab es zur Zeit des Herzogs Francesco VII. einen Mönch, der für fromm galt, jedoch viele Frauen unter dem Vorwand der Beichte zum Beischlaf überredete. Als dies schließlich ruchbar wurde, brachte man ihn vor den Richter und, als er gestanden hatte, vor den Herzog, der ihn in Gegenwart seines Sekretärs zum Spaß nach den Namen der Frauen fragte. Der Sekretär schrieb sie alle auf, weil viele Bekannte darunter waren und er die Sache zum Lachen fand. Als der Mönch innehielt, bedrängte der Sekretär ihn, auch ja alle preiszugeben. Da seufzte dieser und sprach: "Schreib also auch die deine auf." - Kommentar: Wem es großes Vergnügen macht, von den Fehlern der Anderen zu hören, der wird zuletzt auch von den eigenen hören.

S. 346 Wie ein Fuchs von Hunden gejagt und in der Spreu versteckt wurde.

Ein Fuchs, der von Hunden gejagt wurde, flüchtete sich zu einem Bauern, der auf der Tenne Weizen drosch. Er versprach dem Bauern, seinen Hühnern niemals etwas anzutun, wenn er ihn jetzt schütze. Der Bauer warf Spreu über ihn und deckte ihn so zu. Als die Jäger kamen und nach dem Fuchs suchten, sagte er ihnen, der Fuchs sei in eine bestimmte Richtung gelaufen. Dabei gab er ihnen aber mit den Augen einen Wink, daß der Fuchs unter der Spreu versteckt liege. Die Jäger aber achteten nur auf seine Worte und gingen fort. Als der Bauer von dem Fuchs forderte, er solle nun sein Versprechen einhalten, erwiderte dieser, der durch die Spreu hindurch die Zeichen des Bauern wohl gesehen hatte: "Deine Worte waren zwar gut, dein Tun aber böse." - Kommentar: Viele, die sich als deine Freunde ausgeben, reden nur schön, tun dir aber Übles an.

S. 347 Die Kirchengüter dürfen nicht zu weltlichen Zwecken verwendet werden. (S.348)

Der gelehrte und kluge Petrus de Vinea war Sekretär Kaiser Friedrichs II. Als dieser gegen Papst Alexander III. zu Felde zog, ließ er Petrus, der als Italiener die Mißgunst der Deutschen auf sich gezogen hatte, blenden. Dann aber bereute er es und machte ihn zu seinem geheimen Rat. Auf seinen Rat hin nahm der Kaiser, der wegen des Kriegs in Geldnöten war, den Kirchen ihr Gold und Silber weg und rüstete so sein Heer aus. Da sprach Petrus zu ihm: "Ich habe mich nun für das Unrecht, das du mir angetan hast, gerächt. Du hast den Haß der Menschen, ich aber habe den Zorn Gottes auf dich gezogen. Von nun an wird dir nichts mehr gelingen." Und so kam es auch. - Kommentar: Wer die zu religiösen Zwecken bestimmten Güter zu weltlichen Zwecken verwendet, wird von Gott bestraft.

S. 349 Der Priester, der Teufel und der Pilger

Als wir einmal im Gespräch die Frage erörterten, wer durch die Häufung von Pfründen die größte Einbuße erleide, sagte einer von meinen Bekannten: "Der Teufel." Als wir ihn nach dem Grund fragten, antwortete er: "Weil er von mehreren Pfründen nur einen Geistlichen gewinnt." - Kommentar: Über den Mißbrauch der Pfründenhäufung habe ich ausführlich in meinem "Narrenschiff" gehandelt.

S. 350 Von einem kleinen Fisch, der von einem größeren verfolgt wurde.

Ein Thunfisch, der vor einem Delphin floh, prallte auf eine querstehende Klippe auf. Auch der Delphin stieß an eine ähnliche Klippe. Als der Thunfisch ihn sterben sah, sprach er zu ihm: "Das Sterben kommt mich nun nicht mehr so hart an, da ich meinen Mörder zugleich mit mir sterben sehe." - Kommentar: Die Menschen tragen ihr Unglück mit Gleichmut, wenn sie diejenigen, die es ihnen zugefügt haben, ebenfalls im Unglück sehen.

S. 351 Über das Sprichwort "zwischen Mund und Bissen"

Der ältere Cato sagt in einer Rede: "Jetzt soll gutes Getreide in Saat und Halm stehen, so behaupten sie. Setzt nur nicht zuviel Hoffnung darauf. Ich habe oft gehört, daß zwischen Mund und Bissen noch viel passieren kann." Dieses alte Sprichwort bedeutet so viel wie das griechische: "Zwischen dem Kelch und den Lippen fällt vieles zur Erde." - Kommentar: Eine Saat, die gut angesetzt hat, hat oft schon die Hoffnungen enttäuscht.

S. 352 Der Fuchs und das Marmorbild

Ein Fuchs betrat einst das Haus eines Sängers und Lautenspielers. Während er die Instrumente und den Hausrat musterte, fand er einen aus Marmor fein gehauenen Wolfskopf. Er faßte ihn an und sprach: "Oh Kopf, sinnreich verfertigt, doch selber ohne Sinne." - Kommentar: Ein Mensch ohne geistiges Streben ist nicht anders als eine fühllose Statue.

S. 353 Von Männern, die zu Frauen werden; aus dem Ovid und Vergil.

Plinius der Ältere schreibt in seiner Naturgeschichte, die Verwandlung von Frauen in Männer sei keine bloße Phantasterei. Er führt Beispiele aus den Chroniken an. Er selbst habe in Afrika gesehen, daß aus einer Frau ein Mann wurde.

S. 354 Von Menschen, die in Wölfe verwandelt werden.

Varro schreibt, daß Arkader, die dazu ausgelost worden sind, ihre Kleider an einem Baum aufhängen und durch einen Teich schwimmen, worauf sie in der Wildnis neun Jahre lang in Wolfsgestalt leben. Dann kehren sie über denselben Teich zurück, nehmen wieder ihre frühere Gestalt und Kleidung an und sind um neun Jahre gealtert. Wer von ihnen aber als Wolf Menschenfleisch gefressen hat, muß ein Wolf bleiben. - Kommentar: Was Apuleius vom goldenen Esel schreibt, ist also nicht bloße Phantasie.

S. 355 Wie die Psyllen gegen den Südwind kämpften.

Herodot erzählt, daß die Psyllen, ein Volk in Afrika, einst an Wassermangel litten, da der ständig wehende Südwind ihr Land ausgetrocknet hatte. Sie beschlossen, den Südwind wie einen Feind mit Waffen zu bekämpfen. Dieser aber blies umso stärker, warf sie um und bedeckte sie mit Sanddünen. So gingen die Psyllen unter, und die Nasamonen nahmen ihr Gebiet in Besitz. - Kommentar: Dies Beispiel lehrt uns, die Götter zu fürchten.

S. 356 Von den Marsern, die Schlangen zähmen; aus dem Lukan und Vergil.

Die Marser von Marruvium sollen von Natur aus in der Lage sein, Schlangen zu zähmen und mit Zaubersprüchen und Kräutersäften wundersame Heilungen zu vollbringen. Es soll nach Strabo und Ptolemaeus sogar "Ophiophagen", schlangenfressende Völker, geben.

S. 357 Von Menschenfressern; aus dem Juvenal.

Es wird berichtet, daß die Skythen, die weit entfernt im Norden leben, Menschenfleisch essen. Deshalb sollen ihre Nachbarn vor ihnen geflohen sein, so daß das ganze Land bis nach China hin von Menschen verlassen ist.

S. 358 Von den Hundsköpfigen, dem Aelealas, den Leukotroten und den Schattenfüßlern

Megasthenes schreibt, in den Gebirgen Indiens gebe es einen Menschenschlag mit Hundsköpfen, Klauen, Fell und einer rauh bellenden Stimme. In der Gegend von Äthiopien gibt es die Leukotroten, die schneller sind als alle anderen Tiere. Sie sind von der Größe eines Esels, haben einen Leib wie ein Hirsch, eine Brust und Schenkel wie ein Löwe, einen Kopf wie ein Kamel, gespaltene Krallen, ein bis zu den Ohren offenes Maul und ahmen die Laute menschlichen Sprechens nach. Es gibt auch den Aelealas, der einem Pferde gleicht, jedoch einen Schwanz wie ein Elefant hat, schwarz von Farbe ist, mit langen Kinnbacken und ausgestattet mit mehr als ellenlangen Hörnern, die er nach Belieben bewegen kann. In Indien soll es Einschenkler geben, die sich mit einem Bein sehr schnell fortbewegen können. Man nennt sie auch Schattenfüßler, weil sie bei großer Hitze auf dem Rücken liegend ihre großen Füße als Schattenspender über sich halten.

S. 359 Über die Natur der Affen

Zwischen Ägypten, Äthiopien und Libyen leben, wo immer es Schatten gibt, Affen der verschiedensten Art. Sie sind zur Nachahmung begabt und daher umso leichter zu fangen. Denn sie bestreichen sich mit Vogelleim die Augen, nachdem ihnen die Jäger solches zum Schein vorgemacht haben. Bei Neumond sind sie fröhlich, bei abnehmendem Mond traurig. Ihre Jungen lieben sie außerordentlich.

S. 360 Von der Sphinx und ihrem Rätsel; aus dem Statius. (S. 361)

Die Sphinx ist ein ungeheuerliches Lebewesen in Äthiopien, das zur Familie der Affen gehört, ein dunkles Fell und zwei Brüste hat und einem Menschen ähnlich sieht. Die Dichter lassen sie Antlitz und Brust einer jungen Frau, Vogelfedern und Löwentatzen haben. In Theben stellte die Sphinx nach dem Tode des Laios, den sein Sohn Ödipus unwissentlich erschlagen hatte, die Rätselfrage, welches Lebewesen sowohl zweifüßig als auch drei- und vierfüßig sei. Ödipus allein erriet, daß es der Mensch sei. Da stürzte sich die Sphinx ins Meer; Ödipus aber gewann die verwitwete Königin, seine Mutter Jokaste, zur Frau und wurde König von Theben.

S. 362 Von der Giraffe, dem Ceffis, dem Rhinoceros, dem Katoblepon und dem Rentier

(Ohne Verse) Die Giraffe hat einen Hals wie ein Pferd, Hufe und Beine wie eine Gazelle, einen Kopf wie ein Kamel und weiße Flecken auf dem braungelben Fell. Vom Ceffis berichtet Albertus Magnus, daß es an seinen Hinterbeinen Füße wie die von Menschen und an den Vorderbeinen Hände hat. Das Rhinoceros trägt auf der Nase ein großes Horn, mit dem es gegen Elefanten kämpft, wobei es deren Bauch aufzuschlitzen sucht. Am Blauen Nil lebt das Katoblepon, ein mäßig großes, träges Tier, das schwer an seinem Kopfe trägt. Seine Augen senden einen verderblichen Hauch aus, so daß sterben muß, wer auf seinen Blick trifft. Aus Äthiopien kommt auch das Rentier, ein Paarhufer von der Größe eines Ochsen, mit einem großen Geweih, dem Kopf eines Hirsches und einem dichten, braunen Fell. Es soll, wenn es sich aus Furcht versteckt, seine Farbe der Umgebung anpassen.

S. 363 Vom Chamäleon

Plinius berichtet im 28. Buch seiner "Naturgeschichte", daß Demokrit vom Chamäleon behauptet, es könne mit seinem giftigen Hauch einen Adler, der über ihm fliegt, herunterholen und ihn vernichten. Das Chamäleon lebt in Indien. Es sieht wie eine Eidechse aus, hat vier langgestreckte Beine, einen gewundenen Schwanz, Krallen und eine schuppichte Haut. Es bewegt sich langsam wie eine Schildkröte. Als einziges Tier vermag es von der Luft allein zu leben. Seine Farbe wechselt; es kann alle Farben annehmen außer rot und weiß.

S. 364 Vom Basilisken und dem Wiesel

In der Einöde der Cyrenaica lebt der Basilisk, ein Kriechtier, das etwa zwölf Fingerbreit lang ist und am Kopf ein langes Band trägt. Es tötet nicht nur Menschen und Tiere, sondern verpestet und verbrennt auch die Erde, die Pflanzen und Bäume und selbst die Luft, so daß die Vögel über ihnen Schaden nehmen. Sein Zischen versetzt selbst andere Kriechtiere in Schrecken. Nur das Wiesel kann es mit ihnen aufnehmen.

S. 365 Von der Schlange Boa

In Kalabrien lebt die Boa, eine Schlange, die zu enormer Größe heranwächst, indem sie Milch aus Büffeleutern saugt. Durch ihre Stärke ist sie allen anderen Tieren überlegen. Wo sie lebt, gibt es bald keine anderen Tiere mehr.

S. 366 Warum Pokale mit einem Ziegenbock verziert werden.

Die Ziege frißt alle grünen Zweige ab, besonders die der Rebstöcke. Deshalb opferten die Alten dem Bacchus auch Ziegen, wobei sie ihnen Wein auf den Kopf gossen. Daher sind auf den Schultern von Weinkrügen oft Ziegen angebracht.

S. 367 Von Arion und dem Delphin; aus dem Ovid.

Als der berühmte Sänger Arion aus Korinth mit den Reichtümern, die er sich in Unteritalien durch seine Kunst erworben hatte, auf einem Schiff nach Korinth zurückfuhr, beschlossen die Seeleute, ihn zu töten. Er bat sie, ihn vor dem Tod noch einmal singen zu lassen. Nachdem er eine Weile gesungen hatte, sprang er in seinem Purpurornat ins Meer, wo ein Delphin ihn aufnahm und zu der Insel Tainaron brachte. Von dort kehrte er nach Korinth zurück und überführte die Seeleute, die ihm nach dem Leben getrachtet hatten.

S. 368 Der Pfau des Pythagoras; aus dem Ovid.

Pythagoras sagte, seine Seele habe im trojanischen Krieg in Euphorbos gewohnt. Sie sei dann in den Homer gewandert und von diesem zu ihm selbst. Ennius fügte hinzu, daß sie von Pythagoras in einen Pfau und von diesem in ihn selbst übergegangen sei. Pythagoras suchte seine Behauptung so zu beweisen: Er nahm in einem Apollotempel einen uralten Schild, der dort hing, herunter, entfernte den verrotteten Belag hinter der elfenbeinernen Vorderseite und brachte darunter den Namen des Euphorbos, in uralten Buchstaben eingeritzt, zum Vorschein.

S. 369 Von der Liebe zwischen einem Delphin und einem Knaben (S. 370)

Apion berichtet im 5. Buch seiner Ägyptischen Geschichte von dem Umgang eines Delphins mit einem Knaben, den er trug, mit dem er spielte und auf dessen Ruf hin er herbeischwamm, um sich von ihm reiten zu lassen. Als der Knabe krank wurde und starb, suchte der Delphin ihn vergeblich, wurde vor Sehnsucht elend und starb. Man begrub ihn beim Grab des Knaben, den er geliebt hatte.

S. 371 Von der Treue der Hunde

Alle Hunde lieben ihre Herren und kämpfen für sie. Aus vielen Beispielen, die uns die Geschichte bietet, geht hervor, daß Gott selbst diesen verachteten Tieren Treue und Liebe eingepflanzt hat, um die ungetreuen Menschen, die einander verleumden, nachstellen und übervorteilen, zu beschämen.

S. 372 Von den Pferdefüßlern und Phanesiern

In der Nähe der skythischen Inseln leben die Pferdefüßler, die bis auf die Hufe von menschlicher Gestalt sind. Nicht weit davon sollen auch die Phanesier wohnen, deren Ohren so groß und breit sind, daß sie damit ihren Körper bedecken. So brauchen sie keine anderen Kleider und keine Decken zum Schlafen.

S. 373 Vom Bison, dem Auerochsen und dem Elch

Im ganzen Norden findet man sehr viele Bisone, wilde Rinder mit Mähnen wie Pferde und schneller als Stiere. Sie lassen sich nicht zähmen. Dort gibt es auch Auerochsen, die vom unkundigen Volk bubali (Büffel) genannt werden, wo doch die bubali den Hirschen ähnliche Tiere in Afrika sind (Gazellen). Den Auerochsen wachsen so mächtige Hörner, daß man diese an fürstlicher Tafel gern als Trinkgefäße benutzt. Auch der Elch lebt dort, der dem Maulesel ähnlich ist und eine so weit vorspringende Oberlippe hat, daß er seine Nahrung nur fassen kann, wenn er rückwärts geht.

S. 374 Von der Hyäne; aus dem Ovid.

Die Hyäne kommt vor allem in Afrika vor. Ihre Halswirbel sind starr, so daß sie, wenn sie sich umwenden will, den ganzen Körper drehen muß. Sie ahmt die menschliche Stimme nach und ruft so Tiere aus dem Stall, um sie dann zu reissen. Wenn Hunde sie verfolgen und dabei ihren Schatten berühren, können sie nicht mehr bellen. Blickt die Hyäne ein Lebewesen dreimal an, dann kann es sich nicht mehr bewegen. Die Hyäne buddelt in den Gräbern der Toten. In ihrer Pupille soll ein Stein sein, der, unter die Zunge gelegt, die Gabe der Wahrsagung verleiht.

S. 375 Der Charakter des Löwen verglichen mit der wahren Freundschaft; aus dem Homer.

(Übersetzung der Verse:) Wie der Löwe im Wald, der bei seinen Jungen wacht und ihr Leben mit seinem Brüllen schützt, und wie der mächtige Löwe, der immer wieder seufzt, weil man ihm seine Jungen genommen hat, während er auf der Nahrungssuche war, und voller Schmerz im dichten Gebüsch ihre Spuren sucht und so den ganzen Wald durchstreift, so sorgt der Freund für das Leben des Freundes und gibt das eigene für ihn hin, so trauert er auch, wenn er ihn verloren hat, und klagt. (Der Prosatext gibt verstreute Nachrichten über das generative Verhalten der Löwen.)

S. 376 Über Leben und Sterben des Milon

Der Athlet Milon von Kroton soll von übermenschlicher Kraft gewesen sein. Beim olympischen Wettkampf soll er einen Stier mit der bloßen Faust getötet, auf seinen Schultern durch das ganze Stadion getragen und am selben Tag noch ganz allein verspeist haben, ohne daß ihm übel wurde. Er fand aber einen erbärmlichen Tod. Als er in fortgeschrittenem Alter durch eine waldige Gegend Italiens wanderte, sah er eine Eiche am Weg, die in der Mitte gespalten war. Um seine Kraft zu erproben, bog er die beiden Teile des Stammes auseinander. Als er es schon geschafft zu haben glaubte und seinen Griff lockerte, schnellte der Stamm zurück und klemmte seine Finger ein, so daß er ein Raub der wilde Tieren und der Vögel wurde.

S. 377 Wie das Gebiß des Krokodils gereinigt wird.

Der Nil ernährt ein vierbeiniges Kriechtier, das Krokodil, das ungefähr wie ein Drache aussieht und mehr als zwölf (nach anderen sogar zwanzig) Ellen lang ist. Wenn es satt ist, liegt es dösend am Ufer. Dann kommt ein kleiner Vogel, der Strandläufer oder Zaunkönig, und holt die Speisereste aus dem Schlund des großen Tieres. Dem gefällt das so wohl, daß es einschläft. Merkt das die Pharaonsmaus, eine Art Wiesel, dann dringt sie in die Eingeweide des Krokodils ein und frißt sie auf. Dann schlüpft sie aus dem Bauch des Tieres.

S. 378 Die indischen Stiere

Die indischen Stiere sind hell von Farbe, schnell wie die Vögel und haben ein gesträubtes Fell. Ihre Hörner können sie wenden, wohin sie wollen. Ihre Wildheit ist so groß, daß sie in der Gefangenschaft eingehen. Dort lebt auch der Menschenwürger, der drei Reihen Zähne hat, ein Gesicht wie ein Mensch, einen Leib wie ein Löwe und einen Schwanz mit einem Stachel wie ein Skorpion. Er ist begierig nach Menschenfleisch und ein schneller Läufer. Es gibt dort auch Rinder mit einem und mit drei Hörnern und geschlossenen Hufen. Das schrecklichste Ungeheuer ist das Einhorn, das den Leib eines Pferdes, die Beine eines Elefanten, den Schwanz eines Schweines und den Kopf eines Hirsches hat und mitten auf seiner Stirn ein vier Fuß langes Horn trägt.

S. 379 Von den Panthern

In Hyrkanien am Kaspischen Meer gibt es viele Panther, deren Fell über und über mit kleinen kreisförmigen Flecken gesprenkelt ist. Dieser Anblick und der Geruch dieser Tiere ziehen das Vieh an, während ihr wilder Blick es abschreckt. Deshalb verstecken die Panther ihren Kopf und warten so, bis die Herdentiere sich um sie versammelt haben, um sie dann plötzlich anzugreifen und zu reißen. Die Hyrkaner vergiften die Panther, indem sie Fleischstücke auslegen, die mit Wolfswurz bestrichen sind.

S. 380 Von den Tigern

Ähnlich wie der Panther soll der Tiger in Hyrkanien gescheckt sein, ihm gleich an Wildheit, an Schnelligkeit aber überlegen. Seine Jungen liebt er außerordentlich. Wenn ihm die genommen werden, setzt er den Räubern so schnell nach, daß diese verloren sind, wenn sie sich nicht auf ein Schiff retten können. Gelingt ihnen das nicht, müssen sie dem Tiger ein Junges hinwerfen, das dieser dann zuerst in sein Lager zurückträgt, bevor er den übrigen nachjagt.

S. 381 Das Verhalten der Bären

In den waldigen Gegenden Numidiens leben als größte wilde Tiere die Bären. Die trächtigen Bärinnen werden von den Bären nicht mehr berührt, bis sie ihre Jungen zur Welt bringen. Dies geschieht bereits 30 Tage nach der Zeugung. Die kleinen Bären sind noch unförmig und unfertig. Sie werden deshalb von der Mutter geleckt und an der Brust warm gehalten.

S. 382 Der Kampf der Elefanten mit den Drachen

In den Bergen Mauretaniens gibt es sehr viele Elefanten. Diese Gattung von Tieren lernt viel und besitzt Einsicht ähnlich wie der Mensch. Sie haben ein gutes Gedächtnis, richten sich nach den Sternen, versammeln sich beim Schein des Mondes am Wasser, wo sie sich bespritzen und mit ihren Körperbewegungen den Aufgang der Sonne begrüßen. Sie benutzen nur den einen Stoßzahn, um den anderen für den Kampf spitz zu erhalten. Wenn sie gejagt werden, beschädigen sie selbst beide Zähne, um so ihren Wert für die Jagenden zu verlieren. Wenn sie einen Fluß durchwaten, lassen sie die kleinsten vorangehen, damit das Wasser nicht vor diesen aufgewühlt wird. Die Drachen lauern den Elefanten auf ihren Gebirgspfaden auf und greifen die letzten des Zuges an. Dabei schlingen sie ihre Schwänze um deren Beine und hindern sie so am Gegenangriff. Die Drachen lechzen nach dem Blut der Elefanten, das kühler sein soll als ihr eigenes. Haben sie es getrunken, erschlagen die Elefanten im Sturz noch die Drachen.

S. 383 Von der Koralle; aus dem Ovid.

Im ligurischen Meer wächst ein Strauch, der sich im Wasser weich und fleischig anfühlt, an der Luft aber starr wie Stein wird. Auch seine Farbe wandelt sich in Purpurröte. Seine Zweige sind einen halben, selten auch einen Fuß lang. Aus ihnen wird vielerlei Schmuck gemacht. Die Koralle soll eine schützende Wirkung haben.

S. 384 Der muskelstarke Tritamnus

Ein samnitischer Gladiator namens Tritamnus soll von wunderbarer Stärke gewesen sein, weil seine Muskeln nicht nur auf dem Brustkorb, sondern an allen Gliedern kreuz und quer verliefen, so daß er alle Gegner ohne sonderliche Mühe und Gefahr besiegen konnte. Sein ebenso gebauter Sohn soll als Soldat des Pompeius die Angreifer mit bloßer Hand ergriffen und an einem Finger ins Lager seines Feldherrn geschleppt haben.

S. 385 Von den böotischen Rebhühnern

Während die Rebhühner sonst überall frei fliegen wie alle übrigen Vögel, bleiben sie in Böotien in bestimmten Grenzen und fliegen nicht etwa nach Attika hinüber.

S. 386 Von der Wesensart der Hähne und dem Rebhuhn

Ein Mann, der sich zu Hause Hähne hielt, kaufte ein Rebhuhn, um es zusammen mit jenen zu mästen. Die Hähne aber pickten alle einzeln nach dem Rebhuhn und vertrieben es. Dieses wurde traurig und meinte, es werde so angegriffen, weil es von anderer Art ist. Bald aber sah es die Hähne auch unter sich kämpfen und sprach erleichtert: "In Zukunft werde ich mich nicht mehr grämen, wo ich sie doch auch unter sich streiten sehe". - Kommentar: Ein kluger Mann erträgt das Unrecht, das ihm von Fremden widerfährt, mit Gleichmut, wenn er sieht, daß diese auch unter sich streiten.

S. 387 Von den Arimaspen und Arymphäern

Herodot erzählt, daß im asiatischen Skythien nach Norden hin die Arimaspen leben, die auf der Mitte der Stirn ein einziges Auge haben. Sie liegen mit den wilden Greifvögeln in dauerndem Kampf; denn diese graben Gold und Edelsteine aus unterirdischen Stollen, die Arimaspen aber nehmen es ihnen mit Gewalt weg und stecken sich - gleich ob Männer oder Frauen - das Gold ins Haar. Weiter östlich in Asien, wo das rhipäische Gebirge endet, lebt das Volk der Arymphäer. Hier scheren Männer und Frauen sich den Kopf kahl. Sie nähren sich von Beeren und Baumfrüchten, leben gerne in Ruhe und tun keinem weh. So werden sie auch von keinem anderen Volk angegriffen. Wer sich in ihren Schutz begibt, ist vor Verfolgung sicher.

S. 388 Vom Ibis und den Schlangen

Am Ufer des Nils lebt der Ibis. Er raubt Schlangeneier und bringt sie seinen Küken. Auch die gefiederten Schlangen, die in Schwärmen aus den Sümpfen Arabiens Richtung Ägypten fliegen, fängt er schon an den Grenzen Ägyptens ab und verschlingt sie.

S. 389 Der Krieg der Pygmäen und der Kraniche; aus dem Juvenal.

Die Pygmäen leben in Indien in einem Gebirge unweit des Meeres. Die größten unter ihnen messen nicht mehr als zweieinviertel Fuß. Sie liegen mit den Kranichen im Krieg, wie schon Homer sagt. Ihre Krieger stürmen in Waffen gegen diese Vögel an, unterliegen ihnen aber endlich und werden von ihnen durch die Luft entführt. Im Frühjahr sollen die Pygmäen, auf Ziegen reitend und mit Pfeilen gerüstet, zum Strand ziehen und die Eier und Küken der Kraniche vernichten, weil sie gegen die ausgewachsenen Vögel nicht mehr ankommen.

S. 390 Der Vogelfänger und die Vögel

Einen Vogelfänger, der gerade seine Netze aufgestellt hatte, fragte eine Amsel, was er da tue. Er antwortete, er gründe eine Stadt, und ging fort. Die Amsel vertraute seinen Worten, flog näher heran und wurde, als sie von dem Köder fressen wollte, im Netz gefangen. Als der Vogelsteller herbeieilte, sprach sie zu ihm: "O Mensch! Wenn du eine solche Stadt gründest, wirst du nicht viele Einwohner finden." - Kommentar: Wenn die Regierenden zu hart sind, richten sie das Gemeinwesen zugrunde.

S. 391 Von der Einsicht des Bibers

Vom Biber heißt es, daß er länger als andere Vierbeiner im Wasser bleibt, und daß seine Genitalien in der Heilkunde von Nutzen sind. Wenn er bemerkt, daß er von Menschen gejagt wird und diese ihn gleich fangen werden, reißt er sich selbst die Schamteile ab und wirft sie seinen Verfolgern hin, denn er weiß, weshalb sie ihm nachstellen. So kommt er heil davon. - Kommentar: Um das ewige Heil zu erlangen, muß man sich von den irdischen Gütern trennen.

S. 392 Von den Blemyern und anderen ungestalten Völkern

Die Blemyer sollen ohne Kopf zur Welt kommen und Mund und Augen auf der Brust haben. Nicht weit von ihnen leben auch die Satyrn, die vom Menschen nur die Körpergestalt haben.

S. 393 Von einer Frau, die mehrere Jungen auf einmal zur Welt brachte.

Aristoteles sagt, daß in Ägypten eine Frau fünf Jungen auf einmal zur Welt gebracht habe. Dies sei die höchste Zahl bei Mehrlingsgeburten. Eine Magd des Kaisers Augustus gebar auf dem Land bei Laurentum ebenfalls fünf Knaben, die jedoch nur wenige Tage lebten. Bald danach starb auch ihre Mutter. Doch erzählt man eine noch wunderbarere, unerhörte Geschichte: In Franken soll in diesem Jahre 1500 eine Frau innerhalb von 18 Monaten 52 Kinder geboren haben, die - neun Fehlgeburten ausgenommen - alle vollkommen gebildet gewesen sein und das Sakrament der Taufe empfangen haben sollen.

S. 394 Von einem Jungen, der andere Jungen in einer Höhle verspeiste.

In den Bergen etwa 10 Meilen von Neapel entfernt soll sich eine ungeheuerliche Begebenheit zugetragen haben. Ein dreizehnjähriger Junge aus der Lombardei wurde festgenommen und dem Richter vorgeführt, weil er zwei dreijährige Knaben verspeist hatte. Er hatte sie verlockt, mit ihm in eine Höhle zu gehen, sie dort aufgehängt und ihr Fleisch teils roh, teils gebraten gegessen. Er gestand, schon mehrere andere verspeist zu haben, weil dieses Fleisch besser schmecke als jedes andere. Im übrigen antwortete er wohlüberlegt auf alle Fragen, so daß klar wurde, daß er nicht im Unverstand, sondern aufgrund eines wilden Charakters so gehandelt hatte.

S. 395 Von einem vierbeinigen Knaben, den eine Stute auf dem Land bei Florenz (!) zur Welt brachte.

Auf dem Land bei Verona (!) soll ein ungeheuerliches Lebewesen zur Welt gekommen sein; von einer Stute nämlich soll ein vierbeiniges Wesen mit Menschenkopf geboren worden sein. Als der dort wohnende Landmann dessen Stöhnen und Schreien vernahm und herbeieilte, erschrak er bei dem ungewohnten Anblick und hieb dem Ungeheuer mit einem großen Schwert den Kopf ab. Diesen pflanzte er am Weg auf einem spitzen Stock auf. Als er vor den Richter geführt wurde, gab er als Grund für sein Handeln sein Entsetzen an; über den Ursprung des Mischwesens brachte er nichts bei. Er wurde nicht weiter verdächtigt, weil er bäurisch einfach war und das Geschehen, das er leicht hätte verbergen können, ja selbst an die Öffentlichkeit gebracht hatte.

S. 396 Von einem Hermaphroditen und der ihn betreffenden Prophezeiung

Ein Hermaphrodit, der unlängst in Italien lebte, hatte von gewissen Astrologen vernommen, daß ihm ein Kreuz den Untergang bringen werde, von anderen hingegen, daß ihm vom Wasser Tod drohe, während wieder andere sagten, er werde von einer Waffe sterben. Als er, schon erwachsen geworden, einmal auf einen am Fluß stehenden Baum geklettert war und oben ausrutschte, stürzte er nach unten, wobei der zufällig gezogene Dolch am Baumstamm Halt fand und mit seiner Klinge die Brust des Fallenden durchbohrte. Da seine Füße sich in den Ästen verfangen hatten, hing er von ihnen herab wie ein Gekreuzigter. Sein Kopf aber tauchte in den Fluß ein, so daß die mehrfache Prophezeiung erfüllt wurde.

S. 397 Ein Rätsel, das eine schöne junge Frau im Jahre 1497 an den warmen Quellen im Schwarzwald Johannes Reuchlin aus Pforzheim aufgab.

Als ich mit meinen Gespielinnen im Grünen spazieren ging, begegnete mir an der Quelle, an der ich oft wusch, auf der Wasserfläche eine schöne Gestalt, die mich auch begleitete, als ich nach Hause ging. Bald errschien sie in der Nähe, bald verbarg sie sich hinter den steinigen Höhen; schließlich versuchte sie, mich an der Nase herumzuführen und sich an mich zu schmiegen. Ja, sie wollte mir sogar auf meinem Lager beiwohnen. Sie liebt die Sonne mehr als alles andere und verschwindet im Dunkeln betrübt. Sag mir doch: Was ist's? (Der Schatten?)

S. 398 Ein Rätsel Hieronymus Emsers

Er trägt eine Königskrone, sagt die Zeit voraus und trägt als Kämpfer einen goldenen Sporn. Sag doch, wer ist's? Glatt und rund kommt er aus dem Mutterleib hervor, ohne Kopf, Glieder und Lebenshauch. Sag doch, wer ist's? Wenn die Natur ihm dann hold ist, bekommt er Empfindung, Seele, Gestalt, nimmt teil am Leben und verfällt auch dem Tod. Sag doch, wer ist's? Bevor er stirbt, wird er mit heiligem Wasser entsühnt und schön weiß gemacht; dann geht er für uns Arme ins Feuer. Sag doch, wer ist's? (Der Hahn)

S. 399 Ein anderes Rätsel

Es wächst ein Baum, der hat 12 Äste; auf jedem Ast sitzen 30 Nester; in jedem Nest liegen 24 Eier. Aus jedem Ei schlüpft ein Vogel, der sechzig hoch zwei Töne singt. Eine weiße und eine schwarze Maus nagen daran, bis eine grimmige Katze alles auffrißt. (Das Jahr)

S. 400 Von einem lebend Toten, der zu Grabe getragen wurde und dabei sprach und die Leute zum Lachen brachte.

In Florenz lebte ein Tölpel namens Nigniaca. Einige witzige junge Männer verabredeten sich, ihm weiszumachen, er sei krank und müsse bald sterben. Tatsächlich brachten sie ihn so weit, daß er glaubte, gestorben zu sein, und sich auf einer Bahre hinaustragen ließ. Unterwegs rief ein Händler aus seinem Kramladen: "Was für ein widerlicher Kerl war er doch, der Nigniaca, und ein elender Dieb!" Da reckte sich der Tölpel auf seiner Bahre auf und sprach: "Wenn ich lebendig wäre und nicht tot, dann würde ich sagen, daß du aus vollem Halse lügst, du Galgenstrick!" Da mußten die jungen Männer, die ihn trugen, schrecklich lachen und ließen ihn auf der Bahre zurück.

S. 401 Von den Gelonen und Agathyrsen

Die Gelonen und Agathyrsen sind benachbarte Stämme in Thrakien; Herodot nennt sie Skythen. Sie sind blau gefärbt, und zwar desto mehr, je höher sie in der Gesellschaft stehen. Wenn sie in den Steppen Skythiens umherstreifen und Durst leiden, öffnen sie ihren Pferden die Adern und trinken von ihrem Blut. Aus der Haut ihrer Feinde machen sie Kleider für sich selbst und Decken für ihre Pferde. Einige von ihnen verarbeiten die Schädel ihrer Gegner zu Trinkgefäßen, die sie bei Festen benutzen.

S. 402 Von den Hirpi und den Gymnosophisten; aus dem Vergil.

Die Hirpi sind ein Stamm im Gebiet der Falisker, die einmal im Jahr am Berg Soracte Apollo ein Opfer darbringen. Dabei springen sie im rituellen Tanz auf brennende Holzstöße, ohne sich dabei zu verletzen. Noch viel bemerkenswerter sind die Gymnosophisten, indische Weise, die lehren, man müsse den einen Gott verehren, nichts Böses tun und den Tod für nichts achten. Um dafür ein Beispiel zu geben, stürzte sich Calanus, den Alexander mit sich führte, in lodernde Flammen.

S. 403 Von den Essedonen, die ihre Verstorbenen mit Gesang begraben, und den Hyperboreern.

Die Essedonen gehören zu den Menschenfressern in Asien. Sie feiern das Leichenbegängnis ihrer Eltern mit Gesängen und verwenden ihre Gehirnschalen, mit Gold eingefaßt, als Trinkgefäße. Dies gilt ihnen als letzter Liebesdienst. Das Volk der Hyperboreer lebt im äußersten Norden an den Angeln der Welt. Dort wehen milde, gesunde Lüfte. Als Häuser dienen ihnen Haine und Lichtungen. Nahrung bieten ihnen jahraus jahrein die Bäume. Sie kennen keinen Streit, werden nicht von Krankheit beunruhigt, wollen niemandem wehe tun. Wenn sie des Lebens satt sind, speisen sie noch einmal, salben sich und springen dann von einem dafür bekannten Felsen ins tiefe Meer. Dies halten sie für das beste Begräbnis. Damit weichen sie freilich von der christlichen Religion ganz und gar ab. Denn ohne den Makel der Schande und den Verlust des ewigen Lebens darf niemand sich den Tod geben, den man vielmehr von dem Schöpfer aller Dinge, von dem unser Leben ausgeht, erwarten muß. Er selbst schickt den Seinen den zeitlichen Tod, um ihnen das ewige Leben zu geben. Amen.

Die Geschichten Äsops, des berühmten Fabeldichters, und einige Fabeln von Avian und Remicius, nunmehr von Sebastian Brant durchgesehen und vermehrt mit etwa 140 hübschen Fabeln, Anekdoten und Versen und zahlreichen Mischwesen dieser Welt, gedruckt in Basel durch und für Meister Jakob von Pforzheim im Jahr nach der Menschwerdung unseres Herrn 1501, kommen hier glücklich zum Schluß.


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Heinz Kredel, E-mail: kredel@rz.uni-mannheim.de

Wolfgang Schibel, E-mail: Schibel@bib.uni-mannheim.de

Emir Zuljevic, E-mail: zuljevic@rummelplatz.uni-mannheim.de

Mannheim, 25. März 1997