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Aussiedler - Migration und räumliches Verhalten dargestellt am Beispiel der Stadt Mannheim

 

Vortrag gehalten anläßlich der Tagung: "Zuwanderung nach Deutschland. Prozesse und Herausforderungen"
des Arbeitskreises Migration - Integration - Minderheiten
der Deutschen Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft
am 8. - 9. Oktober 1998 in Kiedrich

Frank Swiaczny, Mannheim

frank@rumms.uni-mannheim.de


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Datenlage

3. Network-Migration

4. Zuwanderung von Aussiedlern nach Deutschland

5. Räumliche Verteilung von Aussiedlern in Deutschland durch das Aufnahmeverfahren

6. Aussiedler in Mannheim 1989-1997

6.1 Zuwanderung, Strukturmerkmale

6.2 Unterbringung im Übergangswohnheim

6.3 Räumliche Verteilung im Mannheim nach dem Fortzug aus dem Übergangswohnheim

7. Folgerungen

8. Literaturverzeichnis

9. Tabellenanhang


1. Einleitung

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind als Folge der politisch-territorialen Veränderungen zwischen 1945 und 1950 ca. 12,3 Mio. Menschen nach Deutschland gekommen, davon ca. 80% in den Westen (Rudolph 1994). Seit 1950 sind bis heute schließlich ca. 3,7 Mio. Aussiedler in die Bundesrepublik zugewandert. Die Aussiedler stellen damit heute einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung in Deutschland. In den letzten Jahren hat sich dabei, seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa, die Zuwanderung stark erhöht. In Spitzenjahren wie 1990 ist die Zahl der Aussiedler auf rund 400.000 im Jahr gestiegen. Allein zwischen 1989 und 1996 sind so etwa 2 Mio. Aussiedler in das vereinigte Deutschland gekommen. Gegenwärtig ist die Zuwanderung von Aussiedlern jedoch stark rückläufig, 1996 lag die Zahl bei rund 175.000 (Info-Dienst Deutsche Aussiedler 1997, vgl. Abb. 1).

Betrachtet man den Verlauf der Zuwanderung, so zeigt sich, daß diese hauptsächlich von drei Faktoren abhängig war:

  1. den sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen im Herkunftsland,
  2. den zwischenstaatlichen Beziehungen, in diesem Zusammenhang sind dabei vor allem die unterschiedlichen Ausprägungen des Kalten Krieges und schließlich der Zusammenbruch des Ostblocks zu nennen und
  3. den Aufnahmebedingungen in der Bundesrepublik, wobei hier neben den Leistungen an die Aussiedler vor allem die Situation auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie die neuerdings geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen und Verfahrensvorschriften von Bedeutung sind.

Aus sozial- wie bevölkerungsgeographischer Perspektive sind die Aussiedler als Gruppe, obwohl sie Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft haben, von der übrigen deutschen Bevölkerung zu unterscheiden. Betrachtet man die bisher untersuchten Fragestellungen, so sind diese auch denen der "Gastarbeiterforschung" nicht unähnlich (vgl. u.a. Veith 1994a und Literaturverzeichnis). Im Vordergrund stehen:

  1. die Integration in die deutsche Gesellschaft, dabei kommt u.a. dem Problem des Spracherwerbs und der Berufsqualifikation besondere Bedeutung zu,
  2. die Auswirkungen der Aussiedler auf den Arbeitsmarkt bzw. die höhere Arbeitslosigkeit der Aussiedler,
  3. die Situation der Aussiedler auf dem Wohnungsmarkt sowie die Probleme bei der Bereitstellung von Wohnraum und Bauland sowie
  4. der Einfluß auf die Sozialversicherungssysteme, wobei u.a. die Ungleichverteilung der finanziellen Lasten auf die Kommunen durch eine Konzentration in den Ballungsräumen, aber auch die erhofften Entlastungen der Rentenkassen thematisiert werden.

Ein wesentliches Problem bei der empirischen Arbeit stellt die Tatsache dar, daß sich die Aussiedler schon nach relativ kurzer Zeit nicht mehr als solche in den einschlägigen Statistiken identifizieren lassen (vgl. u.a. Mammey 1993, Göddecke-Stellmann 1994). Besondere Bedeutung bekommt dieses Problem, wenn man das räumliche Verhalten der Aussiedler auf individueller Ebene betrachten will.

Von verschiedenen Autoren, z.B. Heller/Koch 1987, Tiedtke 1989 und Metz/Barsch 1991, um nur einige zu nennen, ist die Bedeutung familiärer und sozialer Kontakte bei der Entscheidung für die Wahl des Wohnstandortes betont worden. In entsprechenden Befragungen wurde die Bedeutung dieses Faktors von den Betroffenen immer wieder bestätigt.

In meinem Vortrag möchte ich daher zwei Punkte untersuchen:

  1. Welche Bedeutung haben familiäre und soziale Bindungen im Migrationsprozeß der Aussiedler, gemessen am tatsächlichen räumlichen Verhalten? Hierzu greife ich auf den Ansatz der Netzwerk-Migration zurück.
  2. Wie vollzieht sich die räumliche Mobilität der Aussiedler nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik? Ich ziehe hierzu das Beispiel Mannheims heran.

2. Datenlage

Die Untersuchung, die diesem Vortrag zu Grunde liegt, basiert auf einer anonymen Vollerhebung aller Zuzüge von Aussiedlern nach Mannheim für den Zeitraum zwischen 1989 und 1997. Dazu konnte auf die Kartei des Übergangswohnheims der Stadt Mannheim zurückgriffen werden, die im Rahmen einer Lehrveranstaltung (Praktikum) im Auftrag der Stadt Mannheim und der Caritas ausgewertet wurde. Die aus den Karteikarten erhobenen Daten enthalten: Name, Geburtsjahr, -ort und -land des Antragstellers, Familienstand,   Anzahl der ausgesiedelten Personen, anzahl der Kinder, letzter Wohnort und Herkunftsland, Datum des Zuzugs in das Übergangswohnheim1, Unterbringung, Datum des Wegzugs aus dem Übergangswohnheim, Zieladresse.

Die Kartei der Übergangswohnheime erfaßt nahezu alle nach Mannheim zugewiesenen Aussiedler. Ein von der Stadt durchgeführter Abgleich der zugewiesenen und der registrierten Aussiedler hat gezeigt, daß nur sehr wenige Personen nicht auf Sozialleistungen angewiesen waren und daher nicht in der Kartei enthalten sind.

Für die räumliche Auswertung der Umzüge aus den Übergangswohnheimen wurden schließlich alle Zieladressen innerhalb Mannheims im Maßstab 1:2.500 gebäudegenau in einem Geographischen Informationssystem (GIS) digitalisiert. Etwa 10 % der Adressen waren nicht direkt zuordenbar, weil z.B. die Hausnummer fehlte. In diesen Fällen wurde, soweit möglich, ersatzweise mit einer Genauigkeit besser 200m geocodiert. Die Zuordnung zu den Statistischen Bezirken blieb dabei eindeutig erhalten. Etwa 2,5 % der Datensätze konnten nicht zugeordnet werden und wurden bei der räumlichen Auswertung nicht berücksichtigt.

3. Network Migration

Legt man das Push-Pull Modell bei der Analyse von Migration zugrunde, so stellt die Immobilität zunächst den Gleichgewichtszustand dar. Die Überwindung dieser Immobilität erzeugt emotionale oder psychologische sowie finanzielle Kosten und Risiken, die die Migrationsentscheidung beeinflussen (vgl. Boyd 1989, siehe hierzu auch allgemein Bähr 1983 und Bähr/Jentsch/Kuls 1992).

Gurak und Caces schreiben hierzu "It is now widely accepted that networks based on kin, friendship, and community ties link sending and receiving communities and provide a coherent structure for populations of migrants. However, very little work describes empirically how these networks operate, wether and how they vary by ethnic and policy contexts, and what their impacts are for migrants and migration systems" (Gurak/Caces 1992: 150)

Die Autoren haben in ihrem Forschungsüberblick zahlreiche Ansätze unterschieden, die sich hinsichtlich ihrer geographischen Perspektive auf das Zielgebiet, das Herkunftsgebiet und die Verknüpfung beider weiter gliedern. Die Zusammenfassung ihrer Gliederung soll hier der Identifizierung wichtiger Ursache-Wirkungs-Beziehungen dienen.

Hinsichtlich des Zielgebiets sind folgende Teilansätze zu unterscheiden:

  1. Die Bedeutung von Netzwerken als Teil einer unmittelbaren Überlebensstrategie hinsichtlich der Versorgung mit Wohnung und Arbeit.
  2. Netzwerke in der Funktion einer kurzfristigen Reduzierung der migrationsbedingten psychologischen und finanziellen Kosten.
  3. Netzwerke in der Funktion einer langfristigen (Binnen)-Integration in ethnisch geprägte Gemeinschaften.
  4. Netzwerke als Verlängerung des Wertesystems der Herkunftsländer auf die Migranten im Zielland, zum Nutzen der Herkunftsländer.

Für die Migration wird unterschieden in:

  1. Netzwerke als Instrument der Rekrutierung und Beeinflussung von Migranten durch Informationsaustausch (Kettenmigration).
  2. Netzwerke als Initiatoren von Migration durch Unterstützung bei Transport und Niederlassungskosten.
  3. Netzwerke als Teil eines Migrationssystems mit Austausch von Informationen, regelmäßigen Besuchen sowie der Zirkulation oder Rückkehr von Migranten.
  4. Die Abschwächung von Netzwerken, die sich auf mehr als einen Ort beziehen.
  5. Die Veränderung von Netzwerken durch den Wandel im Lebenszyklus der beteiligten Personen.

Im Herkunftsgebiet sind von Bedeutung:

  1. Netzwerke als Möglichkeit, Ressourcen in die Herkunftsgebiete zu lenken und sozialen Aufsteig zu ermöglichen;
  2. Lokale Netzwerke im Herkunftsland als Mittel, die Abwesenheit der Migranten zu kompensieren (nach Gurak/Caces 1992).

Das Netzwerk-Konzept läßt sich dabei sowohl auf Binnenwanderung wie auch auf internationale Migration anwenden. In meinem Vortrag werde ich das Konzept der Netzwerk-Migration auf die Gruppe der Aussiedler übertragen. Dabei spielen wegen der besonderen Rahmenbedingungen die Auswirkungen im Herkunftsgebiet sowie die Zirkulation und Rückkehr, zumindest normativ, keine Rolle.

Boyd hat 1989 als eine Herausforderung für die künftige Forschung den Einfluß von Immigrationsgesetzen auf die Netzwerkmigration bezeichnet. Ich werde versuchen, dies auf die spezifische Situation der Aussiedler zu beziehen, wobei m.E. drei Faktoren wichtig sind:

  1. die uneingeschränkte rechtliche Gleichstellung der Aussiedler,
  2. die Absicherung finanzieller Risiken und Kosten durch den deutschen Staat und
  3. das hohe Maß an Regulation hinsichtlich des Migrationsprozesses, angefangen bei der Verbreitung der Information im Herkunftsland, über die Antragstellung bis hin zu den Integrationsmaßnahmen in Deutschland.

4. Zuwanderung von Aussiedlern nach Deutschland

Betrachtet am den Verlauf der Zuwanderung von Aussiedlern nach Deutschland (vgl. Abb. 2), so zeigen die typischen Anstiege Ende der 50er Jahre und dann seit Mitte der 70er Jahre, daß die Zuwanderung wesentlich durch Faktoren gesteuert wurde, auf die der Einzelne keinen Einfluß hatte. In den 50er Jahren wanderten vor allem vielen Polen aus, wobei hier z.B. Familienzusammenführungen durch das Rote Kreuz wichtig sind. In den 70er Jahren zeigt sich die politische Entspannung u.a. in Vereinbarungen mit Rumänien. Die Zahl der Aussiedler aus Rumänien stieg als Folge leicht an. Ende der 80er Jahre zeigt sich die politische Situation im Ostblock an einer Explosion der Aussiedlerzahlen. Zunächst überwiegend aus Polen, seit 1990 dann auch aus der UdSSR, aus der zuvor nur sehr wenige Aussiedler nach Deutschland kommen konnten. In den 90er Jahren stagniert die Zahl der Aussiedler auf hohem Niveau mit knapp über 200.000 Zuwanderungen pro Jahr. Hier sind u.a. eine restriktivere Anerkennungspraxis, die Änderung des Rechtsanspruchs und die Einführung eines im Herkunftsland zu betreibenden Verfahrens als Ursache zu nennen.

Abb. 1: Verlauf der Zuwanderung von Aussiedlern nach Deutschland 1950-1996

Quelle: Bundesverwaltungsamt. Info-Dienst Deutsche Aussiedler 1997

An der Verteilung der Herkunftsländer wird deutlich (vgl. Abb. 2), daß seit 1993 fast nur noch Personen aus der ehemaligen UdSSR zuwandern. Dies entspricht dem neuen Bundesvertriebengesetz (BVFG), das seit 1993 gilt: als Spätaussiedler kann nur noch aufgenommen werden, wer entweder aus dem Bereich der ehemaligen UdSSR stammt oder eine direkte Benachteiligung nachweisen kann, sofern die weiteren Kriterien erfüllt werden (vgl. hierzu Haberland 1994).

Abb. 2: Herkunftsländer der Aussiedler in Deutschland 1989-1996

 

Quelle: Bundesverwaltungsamt. Info-Dienst Aussiedler 1997

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die unbestritten große Motivation als Aussiedler in die Bundesrepublik zu kommen, in der Vergangenheit durch die Möglichkeiten im Herkunftsland und heute durch die Aufnahmepraxis in Deutschland gesteuert wird. In welchem Maße die Migration durch soziale Netzwerke im Herkunftsland beeinflußt wurde, kann hier nicht beurteilt werden. Betrachtet man aber die Verteilung der Herkunftsländer der Aussiedler in Deutschland und in Mannheim, erkennt man, daß sowohl Polen als auch Rumänien in Mannheim stärker als im Bundesdurchschnitt vertreten ist. Ich komme unter dem nächsten Punkt auf die Ursachen dieser räumlichen Differenzierung der Zuwanderung von Aussiedlern zu sprechen.

Abb. 3: Herkunftsländer der Aussiedler in Deutschland 1989-1996 und Mannheim 1989-1997 in v.H.

Quelle: Bundesverwaltungsamt. Info-Dienst Deutsche Aussiedler 1997 und eigene Auswertung der Aussiedlerkartei der Stadt Mannheim 07/98

5. Räumliche Verteilung von Aussiedlern in Deutschland durch das Aufnahmeverfahren

Die räumliche Verteilung der Aussiedler in Deutschland ist stark durch rechtliche Rahmenbedingungen bedingt und erfolgt entsprechend des in Abb. 5 dargestellten Verfahrens wie folgt:

Seit 1990 beantragt der Antragsteller im Herkunftsland die Aussiedlung. Das Bundesverwaltungsamt erteilt dann den Aufnahmebescheid. Die Aussiedler werden schließlich für die Dauer des Aufnahmevorgangs in einer der Einrichtungen des Bundes für einige Tage untergebracht. Danach erfolgt die Verteilung auf die Länder, wobei seit 1993 ein fester Verteilschlüssel nach BVFG gilt, nach Baden-Württemberg werden z.B. 12,3% der Aussiedler zugeteilt. Anschließend erfolgt innerhalb der Bundesländer die weitere Verteilung auf die Kreise. In Baden-Württemberg wird diese zu 50% über die Einwohnerzahl und zu 50% über die Fläche berechnet. Die Aussiedler werden schließlich seit 1989 einer Gemeinde zugewiesen. Mit dem neuen Wohnortzuweisungsgesetz von 1996 sind Aussiedler heute zwei Jahre an den zugewiesenen Wohnort gebunden, wenn sie Sozialleistungen beziehen. In den Städten und Gemeinden werden die Aussiedler abschließend in Übergangswohnheimen oder Ausweichunterkünften untergebracht, bis eigener Wohnraum zur Verfügung steht.

Abb. 4: Räumliche Verteilung der Aussiedler in Deutschland (Unterbringung in rot)

Seit 7/90 Aussiedleraufnahmegesetz:
Verfahren im Herkunftsland

Bundesverwaltungsamt
erteilt Aufnahmebescheid
(seit 1993 Quote nach BVFG: 225.000 +/- 10%, aus Ländern außerhalb der ehem. UdSSR nur noch bei nachgewiesener Benachteiligung)

Erstaufnahmeeinrichtung des Bundes
(Bramsche, Dranse, Empfingen, Friedland, Hamm, Rastatt)

Verteilung auf die Länder seit 1952, seit 1993 nach §8 BVFG
z.B. Baden-Württemberg 12,3%

Verteilung auf Kreise, z.B. in Baden-Württemberg:
50% nach Einwohner, 50% nach Fläche

Zuweisung an Gemeinden (seit 1989)
seit 1996 nach Wohnortzuweisungsgesetz:
bei Bezug von Sozialleistungen mind. 2 Jahre an Wohnort gebunden

Unterbringung in Übergangswohnheimen und Ausweichunterkünften

Quelle: nach Blahusch 1997, Hofmann/Heller/Bürkner 1991, Lederer 1997, Info-Dienst Deutsche Aussiedler 1997 und mündlicher Auskunft Bundesverwaltungsamt Köln

Dieses Verfahren macht klar, daß auch hier der Einfluß sozialer Netzwerke auf die Wohnstandortwahl nur begrenzt wirksam werden kann. Zwar werden familiäre Bindungen bei der Zuweisung berücksichtigt, jedoch nur soweit dies innerhalb der festgelegten Quoten möglich ist und Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden sind. Hieraus erklärt sich u.a. auch der im Vergleich zum Bund fast doppelt so hohe Anteil an Aussiedlern aus Rumänien in Mannheim (vgl. Abb. 4), da sich im Südwesten in der Vergangenheit starke Niederlassungsschwerpunkte von Aussiedlern aus Rumänien gebildet haben (Netzwerke).

6. Aussiedler in Mannheim

6.1 Zuwanderung, Strukturmerkmale

Die Zuwanderung von Aussiedlern nach Mannheim zeigen hinsichtlich ihrer Strukturmerkmale keine großen Besonderheiten. Im zeitlichen Verlauf geht die Zahl der Antragsteller auch in Mannheim von etwa 900 im Jahre 1989 auf unter 200 zwei Jahre später und auf etwa 100 seit 1994 zurück, wobei seit 1991 fast ausschließlich Personen aus der ehemaligen UdSSR nach Mannheim kommen (vgl. Abb. 6). Für den Zeitraum von 1989 bis 1997 sind insgesamt 2185 Antragsteller registriert worden, mit Familienangehörigen sind 5444 Personen zugewandert.

Abb. 5: Aussiedler in Mannheim nach Herkunftsländern 1989-1997

 

Quelle: Eigene Auswertung der Aussiedlerkartei der Stadt Mannheim 07/98

Rund 60 % der Antragsteller sind männlich, wobei zwischen den wichtigsten Herkunftsländern kaum unterschiede bestehen (vgl. Abb. 7).

Abb. 6: Anteil männlicher Personen unter den Antragstellern in Mannheim 1989-1997

 

Quelle: Eigene Auswertung der Aussiedlerkartei der Stadt Mannheim 07/98

Im Schnitt waren fast 60% der Antragsteller verheiratet, wobei der Wert für die Aussiedler aus Polen am niedrigsten war. Parallel hierzu lag bei diesen auch das durchschnittliche Alter mit 45 Jahren um 6 Jahre niedriger als bei den beiden anderen großen Gruppen (Abb. 8).

Abb. 7: Anteil der verheirateten Personen unter den Antragstellern in Mannheim 1989-1997

 

Quelle: Eigene Auswertung der Aussiedlerkartei der Stadt Mannheim 07/98

Dieses Muster setzt sich auch bei der Familiengröße und der Anzahl der Kinder fort. Auch hier liegen die Werte für Aussiedler aus Polen am niedrigsten (vgl. Abb. 9).

Abb. 8: Familiengröße und Anzahl der Kinder der Antragsteller in Mannheim 1989-1997

 

Quelle: Eigene Auswertung der Aussiedlerkartei der Stadt Mannheim 07/98

6.2 Unterbringung im Übergangswohnheim

Die Unterbringung in Mannheim erfolgte zu 85% in Übergangswohnheimen, wobei hier ein Standort im Süden Mannheims fast die gesamte Zahl ausmacht. Vor allem während der extrem starken Zuwanderung 1989 und 1990 wurden auch Personen in Ausweichunterkünften wie Hotels untergebracht. Die Kategorie sonstige Unterkünfte umfaßt weitere Heime, Jugendherbergen u.ä. (vgl. Abb. 10).

Abb. 9: Unterbringung der Antragsteller in Mannheim 1989-1997

 

Quelle: Eigene Auswertung der Aussiedlerkartei der Stadt Mannheim 07/98

Die Aufenthaltsdauer im Übergangswohnheim liegt bei Rund einem Jahr und schöpft damit die Möglichkeiten recht gut aus. Der etwas geringere Wert für Personen aus Rumänien läßt sich, so jedenfalls die Aussage der Caritas, darauf zurückführen, daß hier familiäre Unterstützung bei der Wohnungssuche erfolgt. Kettenmigration in der Form, daß ältere Familienangehörige erst nach erfolgreicher Wohnungssuche durch jüngere Familienangehörige nachgeholt werden, könnte hier eine Rolle spielen (vgl. Abb. 11).

Abb. 10: Aufenthaltsdauer im Übergangswohnheim 1989-1997

 

Quelle: Eigene Auswertung der Aussiedlerkartei der Stadt Mannheim 07/98

Betrachtet man die Aufenthaltsdauer nach dem Altersdurchschnitt, so wird durch die relativ kurzen Zeiten bei älteren Personen die These gestützt, daß ältere Familienmitglieder erst nach der Etablierung jüngerer Personen nachgeholt werden.

Abb. 11: Aufenthaltsdauer im Übergangswohnheim nach Altersgruppen 1989-1997

 

Quelle: Eigene Auswertung der Aussiedlerkartei der Stadt Mannheim 07/98

6.3 Räumliche Verteilung im Mannheim nach dem Fortzug aus dem Übergangswohnheim

Die Migration der Aussiedler nach Zielorten zeigt (Abb. 13), daß zunächst einmal der überwiegende Teil der Personen in Mannheim verbleibt. Sowohl Ludwigshafen (LU) als auch Heidelberg (HD) spielen als Migrationsziel keine Rolle und auch das suburbane Umfeld im Raumordnungsverband (ROV) ist recht unbedeutend. Bei Aussiedlern aus der ehemaligen UdSSR und aus Rumänien ist die Zahl der sonstigen Zielorte in der Bundesrepublik etwas größer, für beide Herkunftsländer liegt die Zahl der Fälle aber deutlich unter 100. Die Rückkehr ins Herkunftsland kommt für Personen aus allen Herkunftsländern fast überhaupt nicht vor. Die Auswertung enthält alle Antragsteller, die zwischen 1989 und 1997 nach Mannheim zugewandert sind und weist auch solche Personen aus, die z.Z. der Auswertung noch im Übergangswohnheim lebten. Insgesamt 199 sind 1990 und 1991 von Mannheim an das Landratsamt Heidelberg weitergeleitet worden. Leider ist aus dem vorliegenden Datenmaterial keine Aussage über mögliche weitere Migrationsschritte möglich.

Abb. 12: Migrationsziele der Antragsteller Aussiedler in Mannheim 1989-1997

 

Quelle: Eigene Auswertung der Aussiedlerkartei der Stadt Mannheim 07/98

Die folgenden Abbildungen 14-20 zeigen die räumliche Verteilung der Aussiedler in Mannheim nach dem Wegzug aus dem Übergangswohnheim.

Abb. 13: Aussiedler in Mannheim 1989-1997. Aussiedleranteil (Zuzüge 1989-1997) an der Gesamtbevölkerung in v.H.

Abb. 14: Aussiedler in Mannheim 1989-1997. Wohnorte der Aussiedler aus Polen

Abb. 15: Aussiedler in Mannheim 1989-1997. Wohnorte der Aussiedler aus Rumänien

Abb. 16: Aussiedler in Mannheim 1989-1997. Wohnorte der Aussiedler aus der ehemaligen UdSSR

Abb. 17: Aussiedler in Mannheim 1989-1997. Ausgewählte Herkunftsorte der Aussiedler aus Polen

Abb. 18: Aussiedler in Mannheim 1989-1997. Ausgewählte Herkunftsorte der Aussiedler aus Rumänien

Abb. 19: Aussiedler in Mannheim 1989-1997. Ausgewählte Herkunftsorte der Aussiedler aus der ehemaligen UdSSR

Obwohl noch weitere Auswertungen ausstehen, möchte ich die Ergebnisse aus der Analyse der innerstädtischen Migration soweit zusammenfassen, daß:

  1. Die Wohnstandorte der Aussiedler durch ihre Position auf dem Wohnungsmarkt gekennzeichnet sind, die etwa mit der der Ausländer vergleichbar ist,

wobei folgende Faktoren zu nennen sind:

  1. Aussiedler sind an den Standorten des sozialen Wohnungsbaus besonders stark vertreten, so z.B. in Schönau, Rheinau und der Großwohnsiedlung Vogelstang (dort befindet sich eine der Konzentrationen von Aussiedlern in Gebieten mit einem geringen Ausländeranteil).
  2. M.E. kann keine räumliche Konzentrationen von Aussiedlern aus bestimmten Herkunftsländern oder bestimmten Herkunftsorten festgestellt werden, die sich als gruppenspezifische Segregation oder Bildung sozialräumlicher Viertel interpretieren lassen.

Möglicherweise vorhandene Bestrebungen familiäre oder soziale Netzwerke auch räumlich zu reproduzieren, werden durch die Restriktionen beim Zugang zu Wohnraum sowie die Standorte des sozialen Wohnungsbaus überlagert, wie diese bereits auf der Meso-Ebene durch die Zuweisung in die Gemeinden beschränkt wird. Bei Zuzügen von Aussiedlern nach Mannheim, die für den Zeitraum von 1989 bis 1997 nur in wenigen statistischen Bezirken mehr als 1% der Gesamtbevölkerung erreichen, kann zudem sicher auch noch nicht davon gesprochen werden, daß allein durch einen hohen Anteil von Aussiedlern an der Gesamtbevölkerung ein Umfeld geschaffen wird, bei dem die gruppenspezifischen sozialen Kontakte im Alltag realisiert werden können, wie dies z.B. bei den Vierteln mit hohem Ausländeranteil in der Regel der Fall ist.

7. Folgerung

Obwohl die Aussagen bisher noch nicht durch eine empirische Befragung der Aussiedler gestützt werden können, möchte ich als vorläufiges Zwischenergebnis auf die eingangs gestellten Fragen folgende Punkte festhalten:

  1. Die Ausbreitung der "Innovation" Aussiedlung über soziale Netzwerke spielt insofern sicher nur eine untergeordnete Rolle, als der Aussiedlungsvorgang im Herkunftsland durch deutsche Stellen abgewickelt wird. Somit muß auch kein spezifisches Wissen über Netzwerke vermittelt oder Migrationsbahnen geebnet werden. Die Informationen sind quasi ubiquitär verteilt, Vorbildfunktionen spielen jedoch sicher eine Rolle. Wichtiger könnte sein, daß mit zunehmender Zahl der Aussiedler der Druck auf die im Herkunftsland verbleibenden Personen steigt, auch nach Deutschland zu kommen (abreißen familiärer Bindungen, Zusammenbruch deutscher Gemeinden und ihrer Infrastruktureinrichtungen)
  2. Soziale Netzwerke spielen vor allem dort eine Rolle, wo die emotionalen und finanziellen Kosten und Risiken einer Migrationsentscheidung groß sind. Dies ist, wie gezeigt werden konnte, bei den Aussiedler aber nicht im gleichen Maße der Fall, wie bei anderen Migrantengruppen. Die Kostenübernahme für die Übersiedlung, die Bereitstellung von Unterkunft und der Anspruch auf Arbeit bzw. Sozialleistungen reduzieren zumindest das finanzielle Risiko gegen Null. Betrachtet man den großen Wohlstandsunterschied zwischen den Herkunftsländer und Deutschland, ist die Migration in vielen Fällen selbst dann finanziell attraktiv, wenn die künftige Stellung auf dem deutschen Arbeitsmarkt potentiell schlecht ist.
  3. Hinsichtlich der sozialen Situation muß den familiären Netzwerken sicher eine Rolle zugeschrieben werden. Im Gegensatz zu einer -möglicherweise illegalen- Zuwanderung von Arbeitsmigranten sind die Aussiedler jedoch gerade nicht darauf angewiesen, daß sie bei der Beschaffung von Wohnraum und Arbeit Unterstützung von Personen der eigenen Gruppe erhalten. Im Gegenteil wird ihre Wanderung stark reglementiert und ist von anderen Rahmenbedingungen (Wohnung und Arbeit) abhängig, so daß sowohl auf der Meso- als auch auf der Mikro-Ebene Wohnstandortwünsche nur bedingt zu realisieren sind. Ob diese in weiteren Migrationsschritten schrittweise erfüllt werden, kann aus den vorliegenden Daten nicht ermittelt werden. Auf der Mikroebene muß sicher ein bedingter Einfluß von informellen Informationskanälen bei der Beschaffung von Wohnraum eingeräumt werden.
  4. Hinsichtlich der familiären Netzwerke scheint der Kettenwanderung von älteren, nicht mehr im Erwerbsleben stehenden Personen eine bestimmte Bedeutung zuzukommen. Aus dem vorliegenden anonymen Datenmaterial konnte dies allerdings nur für wenige Fälle anhand übereinstimmender Herkunftsorte, Geburtsdaten und identischer Zieladressen mit zeitlichem Abstand des Zuzugs wahrscheinlich gemacht werden. Weitergehende Aussagen können hierzu nicht getroffen werden, zumal in solchen Fällen gerade größere Migrationsentfernungen leicht möglich sind und die Kettenwanderung nicht über die gleichen Zuzugsorte in der Bundesrepublik erfolgen muß.

8. Literaturverzeichnis (in Auswahl)

 

9. Tabellenanhang

Tab. 1: Anzahl der Antragsteller, Familienmitglieder, Familiengröße und Anzahl der Kinder in Mannheim 1989-1997

Herkunftsland

Anzahl der Antragsteller

Anzahl der Personen

durchschnittliche Familiengröße

durchschnittliche Anzahl Kinder

ehem. CSSR

6

22

3,7

1,8

ehem. Jugoslawien

4

10

2,5

0,8

ehem. UdSSR

906

2600

2,9

1,2

Polen

800

1754

2,2

0,7

Rumänien

426

960

2,3

0,7

Ungarn

3

7

2,3

0,7

unbekannt

40

91

2,3

0,8

Summe

2185

5444

   

Quelle: eigene Auswertung Aussiedlerkartei Stadt Mannheim Juli 1998

 

Tab. 2: Familienstand der Antragsteller in Mannheim 1989-1997 in v.H.

Herkunftsland

Anzahl der Antragsteller

ledig

verheiratet.

geschieden

verwitwet

unbekannt

ehem. CSSR

6

0,00

83,30

16,67

0,00

0,00

ehem. Jugoslawien

4

25,00

75,00

0,00

0,00

0,00

ehem. UdSSR

906

7,40

74,72

2,32

6,18

9,38

Polen

800

19,75

70,88

3,13

4,50

1,75

Rumänien

426

16,20

68,08

3,76

7,75

4,23

Ungarn

3

3,33

66,67

0,00

0,00

0,00

unbekannt

40

10,00

55,00

0,00

0,00

35,00

Summe

2185

13,73

71,67

2,88

5,25

6,00

Quelle: eigene Auswertung Aussiedlerkartei Stadt Mannheim Juli 1998

 

Tab. 3: Geschlecht der Antragsteller in Mannheim 1989-1997

Herkunftsland

Anzahl der Antragsteller

davon männlich in v.H.

ehem. CSSR

6

33,33

ehem. Jugoslawien

4

75,00

ehem. UdSSR

906

66,67

Polen

800

59,63

Rumänien

426

62,44

Ungarn

3

33,33

unbekannt

40

65,00

Summe

2185

63,11

Quelle: eigene Auswertung Aussiedlerkartei Stadt Mannheim Juli 1998

 

Tab. 4: Alter der Antragsteller in Mannheim 1989-1997

Herkunftsland

Anzahl der Antragsteller

Anteil mit Ehepartner

Durch-
schnittsalter insgesamt

Durch-
schnittsalter mit Ehepartner

Durch-
schnittsalter ohne Ehepartner

ehem. CSSR

6

83,33

37,8

36,6

44,0

ehem. Jugoslawien

4

75,00

39,5

42,7

30,0

ehem. UdSSR

906

71,19

51,1

48,5

57,4

Polen

800

45,00

45,3

45,8

44,9

Rumänien

426

55,87

51,1

53,0

48,9

Ungarn

3

66,67

34,7

33

38,0

unbekannt

40

50,00

42,5

47,55

37,2

Summe

2185

58,26

     

Quelle: eigene Auswertung Aussiedlerkartei Stadt Mannheim Juli 1998


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