Die Wikipedianer sind in Mannheim vom 17.11.2017 bis zum 19.11.2017 zu Gast, da im Schloss die diesjährige WikiDACH stattfindet: Die WikiDACH ist das Barcamp der deutschsprachigen Wikipedia-Community. WikiDACH lädt Aktive aus den deutschsprachigen Projekten der Wikimedia Foundation ein. Auf der WikiDACH können die Teilnehmer aus der Schweiz, aus Österreich und Deutschland ihre Fähigkeiten und Erfahrungen aus der Projektarbeit durch persönliche Kontakte, Workshops, und Vorträge teilen und erweitern. Infos zum Workshop und zur WikiDACH finden sich unter https://tinyurl.com/y8l9uzz7.
Millionen von Menschen greifen weltweit bei Wissensfragen im Alltag auf die Online-Enzyklopädie Wikipedia zu: In Schulen und Universitäten ist deshalb häufig die Befürchtung von Lehrern und Professoren, dass die Lernenden die Inhalte der Online-Enzyklopädie unreflektiert und unverändert für Referate oder Hausarbeiten übernehmen. Eine völlig andere Haltung nehmen die Wissenschaftlerinnen am Lehrstuhl Germanistische Linguistik der Universität Mannheim rund um Prof. Dr. Angelika Storrer ein. Das Team um die Sprachwissenschaftlerin hat Kollegen aus der Linguistik und aus benachbarten Teildisizplinen zu einer Tagung unter dem Titel „Linguistische Wikipedistik“ eingeladen. „Für uns ist die Wikipedia eine einzigartige Ressource, die die Vielfalt sprachlicher Stile und Muster in digitaler Kommunikation sichtbar macht. Bei unserer Tagung ‚Linguistische Wikipedistik’ möchten wir dieses große Potenzial der Wikipedia aus verschiedenen sprachwissenschaftlichen Blickwinkeln betrachten“, erklärt die Lehrstuhlinhaberin die Motivation für die Tagung am 17. November 2017 an der Universität Mannheim. „Den besonderen Reiz der Wikipedia als Datengrundlage für sprachwissenschaftliche Untersuchungen machen zum einen die vielen Autoren aus, die gemeinschaftlich in rund 290 Sprachversionen die Artikelseiten erarbeiten. Zum anderen sind die öffentlich zugänglichen Kontroversen der Wikipedia-Autoren auf den Diskussionsseiten der Wikipedia sprachwissenschaftlich höchst interessant“, fügt Prof. Storrer hinzu.
Ihre Mitarbeiterin Dr. Eva Gredel ist bei der Tagung zuständig für die diskurslinguistische Sicht auf die Wikipedia: „Die Diskurslinguistik beschäftigt sich damit, wie sich in großen Textmengen bestimmte Begriffe oder ganze sprachliche Muster verbreiten und durchsetzen“, erklärt die Linguistin und illustriert dies mit einem Beispiel zu sprachübergreifenden Diskursen: Gibt der Nachschlagende das Wort „Krimkrise“ in der deutschen Sprachversion der Wikipedia ein, findet er tatsächlich einen Eintrag unter diesem Titel, der die Ereignisse auf der Krim um das Jahr 2014 umfangreich enzyklopädisch beschreibt. Für den mehrsprachigen Nutzer bietet die Online-Enzyklopädie über die sogenannten Interlanguage Links dann aber auch die Möglichkeit, thematisch zum Artikel Krimkrise passende Wikipedia-Einträge in 47 anderen Sprachversionen der Online-Enzyklopädie aufzusuchen. Aktiviert der Nutzer beispielsweise den Link zur englischen Sprachversion, heißt der Artikel dort nicht etwa ‚Crimean Crisis’, sondern ‚Annexation of Crimea by the Russian Federation’. „Diese beiden Titel Krimkrise und Annexation of Crimea by the Russian Federation spiegeln völlig unterschiedliche Perspektiven auf die Ereignisse auf der Krim wider. In groß angelegten Studien deuten wir solche Unterschiede als kulturelle Divergenzen“, ergänzt Dr. Gredel.
Tagungsablauf
Wirft man dann einen Blick auf die zugehörigen Diskussionsseiten der beiden Einträge, zeigt sich dort, dass in der deutschen und der englischen Wikipedia die beiden genannten Titel der Einträge kontrovers von den Wikipedia-Autoren verhandelt werden. Hier kommt der zweite sprachwissenschaftliche Blickwinkel ins Spiel, den Prof. Dr. Angelika Storrer mit ihrer Mitarbeiterin Laura Herzberg bearbeitet und bei der Tagung präsentieren wird: „Der sprachliche Stil dort auf den Diskussionsseiten ist völlig verschieden vom enzyklopädischen Stil der Artikelseite“, so Prof. Storrer, „es handelt sich vielmehr um eine Art getipptes Gespräch, das dort zu finden ist. Wir interessieren uns aus einer gesprächsanalytischen Sicht deshalb dafür, wie diese Online-Kontroversen sprachlich aufgebaut sind, um generell Strukturen und Typen digitaler Konflikte wissenschaftlich beschreiben zu können.“ Und langfristig ist damit auch noch ein weiteres Ziel verbunden: Obwohl schon an vielen Stellen sprachwissenschaftlich diskutiert wird, dass digitale Interaktion Eigenschaften schriftlicher und mündlicher Kommunikation enthält und somit einen dritten Bereich der Sprache darstellt, werden diese Ergebnisse noch wenig in Grammatikbüchern berücksichtigt“, ergänzt ihre Mitarbeiterin Laura Herzberg, die zum Wort Okay in digitaler Kommunikation arbeitet, „unser Ziel ist es deshalb, für zukünftige Grammatikbücher Hinweise zur Beschreibung digitaler Kommunikation zu liefern, da immer mehr Menschen täglich digital kommunizieren“. „Ein Höhepunkt der Tagung ist auch, dass wir am Abend eine Podiumsdiskussion von Wissenschaftlern und Wikipedianern haben, um den Sprachgebrauch in der Wikipedia mit der Community zu diskutieren“, erklärt Prof. Dr. Angelika Storrer.
Die Infrastruktur und digitale Werkzeuge dafür werden in einer dritten Sektion der Tagung besprochen: Große digitale Textsammlungen, die in der Linguistik „Korpora“ genannt werden, sind Ausgangspunkt der oben genannten Forschungsvorhaben. Am Institut für Deutsche Sprache Mannheim gibt es bereits solche Korpora, die Artikel- und Diskussionsseiten der Wikipedia enthalten. Sie sollen bei der Tagung vorgestellt werden.
Das vollständige Programm der Veranstaltung finden Sie unter: https://tinyurl.com/y8l9uzz7.
Kontakt:
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