Mannheimer Politik­wissenschaft­ler: Große Koalition in Niedersachsen am wahrscheinlichsten – außer die FDP bewegt sich

Professor Marc Debus hat berechnet, welche Parteien in Niedersachsen gut miteinander könnten: Verweigert die FDP die Ampel, ist Rot-Schwarz am wahrscheinlichsten – doch der Bund könnte einen Impuls für Jamaika geben.

Pressemitteilung vom 16. Oktober 2017
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Wer regiert künftig in Niedersachsen? Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD hat zwar die Wahl gewonnen, aber keine Mehrheit für sein bisheriges Bündnis mit den Grünen. Laut dem Mannheimer Politik­wissenschaft­ler Marc Debus kommt nun wohl eine Große Koalition zustande: Er hat für das Bündnis aus SPD und CDU eine Wahrscheinlichkeit von 72,5 Prozent errechnet. Eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP kommt dagegen nur auf 19,6 Prozent Wahrscheinlichkeit. „Dies gilt aber nur, wenn die FDP bei ihrem Nein zur möglichen Ampelkoalition bleibt“, betont der Politik­wissenschaft­ler. Ansonsten wäre seinem Modell zufolge ein Bündnis aus SPD, Grünen und FDP mit 50,6 Prozent das wahrscheinlichste Verhandlungs­ergebnis, gefolgt von der Großen Koalition mit 36,2 Prozent. Jamaika hätte dann nur eine Chance von 9,8 Prozent.

Stephan Weil sollte sich mit den Verhandlungen beeilen

Wenn sich die FDP also nicht um­orientiert, dann stehen die Zeichen in Hannover auf Rot-Schwarz. Allerdings könnte ein anderer Faktor die Verhandlungen noch entscheidend beeinflussen, gibt Debus zu bedenken: „Falls auf Bundes­ebene eine Jamaika-Koalition zustande kommt, während in Niedersachsen noch verhandelt wird, dann würde dies die Chancen für Jamaika in Hannover auf 45,3 Prozent erhöhen.“ Nach den Berechnungen des Wissenschaft­lers wäre selbst dann eine Koalition aus SPD und CDU mit 48,6 Prozent das wahrscheinlichste Ergebnis. Dennoch: „Für die SPD wäre es gut, relativ schnell zu einem Verhandlungs­erfolg zu kommen. Wartet Stephan Weil zu lange, dann könnten ihm die Verhandlungen auf Bundes­ebene in die Quere kommen“, sagt Debus. Hintergrund dieser Annahme ist, dass die Spitzen der Bundes­parteien von CDU, Grünen und FDP ihre Landes­verbände drängen könnten, auch in Hannover eine Jamaika-Koalition zu bilden. Dies brächte einer möglichen schwarz-gelb-grünen Koalition in Berlin sechs Stimmen im Bundes­rat, die bei zustimmungs­pflichtigen Gesetzen hilfreich wären.

Wie funktioniert das Koalitions-Modell von Marc Debus?

Doch wie gelangt der Wissenschaft­ler zu den oben genannten Wahrscheinlichkeiten? Mit Hilfe einer quantitativen Inhaltsanalyse der Wahl­programme hat er zunächst die Positionen der Parteien auf den zentralen Politikfeldern ermittelt: Dies ist einerseits die Wirtschafts- und Sozialpolitik und andererseits die Innen-, Rechts- und Gesellschafts­politik. „Diese Felder sind sehr prägend für den deutschen Parteienwettbewerb und eigenen sich daher hervorragend, um mögliche Regierungs­bündnisse auszuloten“, erklärt Debus. Je geringer die programmatische Distanz zwischen den Parteien ist, desto wahrscheinlicher sollte sich eine Koalition aus diesen Parteien bilden. Aus den weiteren Theorien zur Regierungs­bildung und ihrer empirischen Über­prüfung ist zudem bekannt, welche anderen Faktoren die Regierungs­bildung in Deutschland maßgeblich beeinflussen. Auch diese fließen in das Modell mit ein: „Dazu zählen etwa der Wunsch der Parteien, in einer Koalition möglichst viele Ämter zu besetzen, die vor der Wahl getätigten Koalitions­aussagen, die Agendasetzungs­möglichkeit der stärksten Parlamentsfraktion und der Amtsinhaberbonus der amtierenden Regierungs­koalition“, erläutert der Politik­wissenschaft­ler.

Die Koalitions­aussagen seien in Niedersachsen diesmal relativ zahlreich und möglicherweise folgenreich für die Regierungs­bildung. So hat die FDP hat eine „Ampel“ vor und auch nach der Wahl ausgeschlossen. Da der Wähler ein Abweichen von Koalitions­aussagen in der Regel bestraft – das klassische Beispiel ist die rot-rot-grüne Koalition in Hessen 2008 trotz vorheriger Ablehnung seitens der SPD und deren daraufhin schlechtes Abschneiden bei den vorgezogenen Landtagswahlen 2009 – sinkt die Wahrscheinlichkeit auf Bildung einer Ampel unter den gegebenen Umständen auf nahe Null.

„Ein zusätzliches Problem für die Bildung einer Ampel-, aber auch einer Jamaika-Koalition ist, dass sich die niedersächsischen Grünen in gesellschafts­politischen Fragen seit 2013 nach links bewegt haben.“ Das mache die Bildung eines Dreierbündnisses noch schwieriger, fasst Debus zusammen.

Modell umfasst alle Bundes- und Landtagswahlen seit 1990

Für seine Berechnungen fasst Debus die oben genannten Faktoren zusammen und testet die bestehenden Theorien anhand aller Regierungs­bildungs­prozesse auf Bundes- und Landes­ebene seit Januar 1990. „Daraus kann man nicht nur die Gewichte der einzelnen Faktoren bestimmen, die die Koalitions­bildung beeinflussen, sondern auch Wahrscheinlichkeiten für theoretisch mögliche Koalitionen berechnen“, erklärt Debus. In 91 aller 113 berücksichtigten Bundes- und Landtagswahlen habe sich sein Schätz­modell bewährt: Die Koalition mit der höchsten Wahrscheinlichkeit bildete in rund 80 Prozent der Fälle tatsächlich auch das nächste Kabinett.

Bundes­ebene: Jamaika ist am wahrscheinlichsten

Für die Bundes­ebene hatte Debus jüngst ein Jamaika-Bündnis mit 52 Prozent als wahrscheinlichste Koalition berechnet. Falls sich die SPD aber um­orientiert und eine neue Große Koalition in Betracht zieht, so wäre diese laut Debus mit 42 Prozent auch gut möglich. „Es gibt allerdings auch Kontextfaktoren, die sich mit meiner Methode nicht abbilden lassen“, erklärt Debus. Da seien beispielsweise die Koalitions­präferenzen der Wähler, die von den Parteien bei der Regierungs­bildung durchaus berücksichtigt würden: „Um diesen Faktor miteinbeziehen zu können, bräuchten wir noch mehr Daten.“

 

Weitere Informationen und Kontakt:

Prof. Dr. Marc Debus
Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
Universität Mannheim
Telefon: +49-621-181-2082
E-Mail: marc.debus uni-mannheim.de
http://www.mzes.uni-mannheim.de/d7/de/profiles/marc-debus


Nikolaus Hollermeier
Direktorat / Presse- und Öffentlichkeits­arbeit
Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
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