Curt-Sandig-Haus erhält neuen Namen

Die an der Universität Mannheim angesiedelte Bumiller-Raab-Haus gGmbH benennt das Curt-Sandig-Haus, ein von der Gesellschaft betriebenes Studierenden­wohnheim, zu Beginn des Herbst-/Wintersemesters 2019 in „Bumiller-Raab-Haus“ um. Grundlage für die Namensänderung ist eine studentische Abschlussarbeit aus dem Jahr 2018, die den Lebens­lauf des Namensgebers und ehemaligen Rektors der Wirtschafts­hochschule und späteren Universität Mannheim, Curt Sandig, systematisch aufarbeitet. Die Er­kenntnisse der Arbeit machen das problematische Verhältnis Curt Sandigs zum Nationalsozialismus deutlich, der offensichtlich mehr als nur oberflächlich mit der NS-Ideologie sympathisierte und als Hochschul­lehrer vergleichsweise stark belastet war.

Pressemitteilung vom 30. August 2019
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Der Betriebs­wirt Curt Sandig (1901-1981) gehörte in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten zu den führenden Persönlichkeiten der Wirtschafts­hochschule und späteren Universität Mannheim. Ab 1949 bis zu seiner Emeritierung 1969 prägte er – zunächst als Lehr­stuhl­inhaber, dann als Dekan, Prorektor und Rektor (1961-1963) – entscheidend die Weiter­entwicklung der Wirtschafts­hochschule Mannheim hin zur Universität und legte den Grundstein für ihre heutige Fakultätenstruktur. Für seine Verdienste erhielt er 1981 die Ehrenmedaille in Gold der Universität Mannheim. Als Dank für sein langjähriges Engagement als ehrenamtlicher Geschäftsführer der Bumiller-Raab-Haus GmbH wurde das 1971 fertiggestellte Wohnheim in der Gaußstraße 18 nach ihm benannt. Curt Sandig galt als Hochschul­lehrer, der um die sozialen Belange der Studierenden besonders bemüht war. 1978 wurde er mit dem Bundes­verdienstkreuz ausgezeichnet.

Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg war Curt Sandigs Lebens­weg eng mit den Vorgängerinstitutionen der Universität Mannheim verbunden: Von 1922 bis 1926 studierte er an der Handels­hochschule Mannheim Betriebs­wirtschafts­lehre, wurde dort 1929 promoviert. Nach einer Dozenten­tätigkeit an der Handels­hochschule Leipzig erhielt er 1937 eine außerplanmäßige Professur an der Staats- und Betriebs­wirtschaft­lichen Fakultät der Universität Heidelberg – ursprünglich eine Fakultät der Handels­hochschule Mannheim, die nach deren Auflösung 1933 in die Universität Heidelberg integriert worden war. Während dieser Zeit legte Sandig wichtige Grundlagen für seine erfolgreiche wissenschaft­liche Karriere, an die er nach Ende des Zweiten Weltkriegs fast nahtlos anknüpfte. Wie eine studentische Abschlussarbeit, die 2018 am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte der Universität Mannheim entstanden ist, nun darlegt, war Sandigs wissenschaft­liche Arbeit während der 1930er Jahre jedoch stark von der nationalsozialistischen Ideologie beeinflusst. 

Sandig trat schon kurz nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 der SA und dem Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund bei. Im gleichen Jahr unterzeichnete er das „Be­kenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“. Mitglied der NSDAP konnte Sandig erst 1938 werden, nachdem der Aufnahmestopp für Neu­mitglieder gelockert worden war. Weitaus schwerer als Sandigs formelle Mitgliedschaft in NS-Organisationen wiegt jedoch seine „identifizierende Selbstgleichschaltung“. Als Hochschul­lehrer legte er mehr als das übliche Maß an Anpassungs­bereitschaft an den Tag.

Für sein Fach betrieb Sandig die Anpassung an die NS-Weltanschauung und Terminologie nachdrücklich: Als Vertreter einer „Normativen Betriebs­wirtschafts­lehre“ integrierte Sandig nationalsozialistische Ideen in so hohem Maße in seine Konzeptionen, dass diese als weitgehend nationalsozialistisch „kontaminiert“ gelten müssen. In einem Beitrag in der wissenschaft­lichen Zeitschrift „Die Betriebs­wirtschaft“ schrieb Sandig 1939 beispielsweise: „Die Wirtschaft braucht auf der ganzen Linie Nationalsozialisten als Betriebs­führer, Männer, in denen das Bewußtsein der Gemeinschafts­verbundenheit lebt und in denen damit zugleich das Bewußtsein um die Obergrenze des materiellen Erfolges dauernd wach ist, Männer, die sich nicht nur blutsmäßig, sondern in ihrem Gewissen hineingebunden fühlen in die Gemeinschaft derer, die das gleiche Familien-, Sippen-, Stammes-, Volks- und Rassenschicksal teilen (…).“ (Curt Sandig, Wo liegt die Grenze der Rentabilität?, in: Die Betriebs­wirtschaft 32 (1939), Nr. 6, S. 128.). Auch das zentrale Konzept seiner Betriebs­wirtschafts­lehre, die „Betriebs­gemeinschaft“, fußt auf der Ideenwelt des Nationalsozialismus.

Zwar wandte sich Sandig bereits während der Kriegsgefangenschaft von der nationalsozialistischen Ideologie ab, doch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld fand auch nachträglich nicht statt. Sandig profitierte – als typischer Vertreter der deutschen Funktions­eliten – von der Schweigekultur der damaligen Zeit. Dass Sandig in seinem Entnazifizierungs­verfahren als „Mitläufer“ eingestuft wurde, was seine erneute Berufung an die Wirtschafts­hochschule Mannheim erst ermöglichte, habe er einem schützenden „Geflecht kollegialer, sozialer und familiärer Verpflichtungen und Rücksichtnahmen (…)“ zu verdanken, sowie der Tatsache, dass sein Verfahren erst 1948 stattfand, als die Spruchkammern zunehmend milde urteilten. Noch 1959 setzte sich Sandig für seinen Kollegen Walter Thoms, einen hoch belasteten ehemaligen Dekan der Staats- und Wirtschafts­wissenschaft­lichen Fakultät der Universität Heidelberg, ein. Thoms, der in der NS-Zeit als führende Persönlichkeit bei der Entwicklung einer nationalsozialistischen Betriebs­wirtschafts­lehre galt, nahm seit 1957 einen Lehr­auftrag an der Wirtschafts­hochschule Mannheim wahr, war aber wegen seiner NS-Vergangenheit nicht bei der Besetzung eines Lehr­stuhls berücksichtigt worden. Obwohl Thoms nicht wiedereingestellt wurde, erreichte er letztlich durch Sandigs Vermittlung, dass ihm die finanz­iellen Bezüge eines Emeritus zuerkannt wurden.

Obwohl sich Curt Sandig als „Mitläufer der Demokratie“ in der Nachkriegszeit den demokratisch legitimierten Institutionen gegenüber loyal verhielt und sein Handeln von den Interessen der Universität Mannheim und ihrer Studierenden leiten ließ, machen die neuen Er­kenntnisse deutlich, dass er aufgrund seiner moralischen Belastung als Namensgeber eines Wohnheims und somit als Vorbild für Studierende nicht geeignet ist. Die Bumiller-Raab-Haus gGmbH hat sich daher dazu entschlossen, das nach ihm benannte Wohnheim im Gedenken an die ursprüngliche Stifterin Emilie Bumiller, geb. Raab, in „Bumiller-Raab-Haus“ umzubenennen. Emilie Bumiller, die nach dem Tode ihres Ehemannes einen Großteil ihres Vermögens für wohltätige Zwecke einsetzte, hatte die Errichtung der Bumiller-Raab-Haus Stiftung bereits 1928 testamentarisch verfügt. Nach Kriegsende bildete das Vermögen der GmbH den Grundstock für die Errichtung eines großen Teils der studentischen Wohnheimplätze in Mannheim.

Die Bumiller-Raab-Haus gGmbH ist eine an der Universität Mannheim angesiedelte gemeinnützige Einrichtung zur Bereitstellung günstiger Studierenden­wohnheimplätze. Gesellschafter der gGmbH sind je zur Hälfte die Universität Mannheim sowie habilitierte Angehörige der Universität Mannheim.

Zusammenfassende Stellungnahme zum Verhältnis Curt Sandigs zum Nationalsozialismus
(Prof. Dr. Philipp Gassert, Prof. Dr. Angela Borgstedt, Johannes Löhr)

Mehr über Emilie Bumiller (geb. Raab)

Kontakt:
Linda Schädler
Pressesprecherin
Universität Mannheim
Telefon: +49 621 181-1434
E-Mail: schaedlermail-uni-mannheim.de