Teil­projekt 3: Literarische Umdeutung und Ethnisierung der Augustinus-Vita bei Abdelaziz Ferrah (Prof. Dr. Anja Bettenworth und Prof. Dr. Claudia Gronemann)

Eine spezifische Position innerhalb der Augustinus-Darstellungen der frankophonen Maghrebliteratur nimmt der Roman Moi, saint Augustin: Aurègh fils de Aferfan de Thagaste des 2011 verstorbenen Autors Ferrah ein, der Gegenstand einer Monographie sein wird. In französischer Sprache verfasst, stellt der Text eine fiktionale Version der Autobiographie des Berbers Augustinus dar und entwirft eine Augustinusfigur, die mit einer umfassenden ethnischen Identität als Berber ausgestattet ist. Diese wird hier über die historische Quellenlage hinaus imaginiert und steht im Zentrum der literarischen Deutung eines Autors, der selbst berberischer Herkunft ist und sein Werk in den Dienst der Vermittlung und Aufarbeitung der algerischen und besonders des berberischen Teils dieser Geschichte stellt. Die Literatur versteht sich hier als Korrektiv der offiziellen nationalen Geschichtsschreibung, insofern das Bewusstsein einer eigenen kulturellen Identität der Berber gerade aus deren Verdrängung aus dem offiziellen Diskurs nach 1962 entsteht. Besonders aufschlussreich ist die Diskussion von Ferrahs Werk als literarischer Konstruktion einer ethnischen Identität des Augustinus daher vor dem Hintergrund des Wandels der algerischen Berberdiskurse im 20. Jahrhundert. Ausgehend von Kratochwil (1996), die die „Konstruktion einer ethnischen Identität“ im Rahmen der überregionalen algerischen und der marokkanischen Berberbewegung aufzeigt, wäre zu fragen, ob Ferrahs Augustinusdeutung sich einem ähnlichen Zweck, nämlich der ethnischen Identitätsbildung der Bevölkerungs­gruppe der Berber verpflichtet sieht, die in dem Fall genealogisch auf Augustinus als Person von universaler Geltung zurück projiziert wird. Ferrah rekurriert in seiner Augustinusdarstellung auf einen positivierten Berberismus und postuliert entsprechend primordiale Merkmale von Sprache und lokaler Volkskultur. Auffällig ist zudem sein Postulat, der Text sei eine neue Aeneis, vergleichbar mit der autoritativen Gründungs­erzählung des augusteischen Rom. Ferrahs nordafrikanischer Protagonist tritt hier in direkte Konkurrenz zu Aeneas, der in seiner von Liebe, Pflicht, Unverständnis und Hass geprägten Beziehung zur nordafrikanischen Königin zu einer Referenzfigur für römische und später auch westliche Selbstvergewisserung gegenüber dem Maghreb werden konnte. Der Rekurs auf ein explizit genanntes literarisches Vorbild eröffnet zugleich die Möglichkeit, poetische Anspielungs­techniken in der modernen romanhaften Biographie mit den oft diskutierten intertextuellen Bezügen im biographischen Werk des historischen Kirchenvaters in Beziehung zu setzen und dadurch die Konturen der so konstruierten Augustinusgestalt besser zu erfassen. Die Zusammenarbeit von Klassischer Philologie und Romanistik liefert an dieser Stelle neue Ansätze zur Interpretation eines komplexen Textes der algerischen Gegenwartsliteratur.