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Mehr Schmerzen durch finanzielle Unsicherheit?

In den letzten Jahren stieg in vielen Ländern die finanzielle Unsicherheit drastisch an. Für immer mehr Menschen wurde also die eigene finanzielle Situation ungewiss und unvorhersehbar. Gleichzeitig nahm der Konsum von Schmerzmitteln erheblich zu, was andeutet, dass Menschen verstärkt unter körperlichen Schmerzen leiden. In den USA zum Beispiel stieg der Kauf von Schmerzmedikamenten zwischen 2006 und 2012 um 50% an. Ein Forschungsteam um Eileen Chou vermutete, dass diese beiden Entwicklungen zusammenhängen.
Vergangene Forschung weist auf, dass sich finanzielle Unsicherheit negativ auf unsere Gesundheit auswirken kann. So erhöht sie zum Beispiel das Risiko, Herzkrankheiten zu entwickeln, und vermag unsere geistigen Fähigkeiten einzuschränken. Darüber hinaus kann sie zu einem verringerten Kontrollgefühl führen, was für uns Menschen meist erheblichen psychischen Stress darstellt und oftmals mit Angst einhergeht. Bei psychischem Stress werden zudem häufig die gleichen Bereiche im Gehirn aktiviert wie bei körperlichen Schmerzen. Auf diesen Befunden aufbauend, nahmen die Forschenden an, dass finanzielle Unsicherheit das Gefühl des Kontrollverlusts auslösen kann, was aufgrund der großen psychischen Belastung letztlich körperliche Schmerzen hervorrufen oder verstärken sollte.
Um diese Annahmen zu testen, führten die Forschenden mehrere Studien durch. In einer ersten Untersuchung konnten sie anhand von bestehenden Daten aus der Konsumentenforschung zeigen, dass Arbeitslosigkeit oftmals mit erhöhtem Schmerzmittelkonsum zusammenhängt. Eine online Befragung wies darüber hinaus auf, dass mit der durchschnittlichen Arbeitslosenquote in verschiedenen US-Staaten die gefühlten körperlichen Schmerzen der dort wohnhaften Teilnehmenden anstiegen. Diese Ergebnisse zeigten sich unabhängig von beispielsweise Alter, Anzahl der Jahre als Arbeitskraft und aktuell eingenommenen Schmerzmitteln.
Um zu testen, ob finanzielle Unsicherheit tatsächlich eine Ursache für erhöhte Schmerzen sein kann, führte das Team experimentelle Untersuchungen durch. So sollten die Teilnehmenden beispielsweise einen Text über eine Phase in ihrem Leben schreiben, in der sie sich entweder finanziell unsicher oder finanziell sicher gefühlt hatten. Anschließend wurden sie nach dem Ausmaß ihrer aktuellen Schmerzen in Kopf, Brustkorb und Magen gefragt. Teilnehmende, die sich an finanzielle Unsicherheit erinnert hatten, berichteten von fast doppelt so starken Schmerzen wie die Teilnehmenden der anderen Gruppe. Auch zeigte sich bei Befragten, welchen vorgegeben wurde, in einer Region mit hohen Arbeitslosenzahlen zu wohnen, ein stärkeres Gefühl des Kontrollmangels als bei Personen, die diesbezüglich keinerlei Information erhalten hatten. Der stärker wahrgenommene Kontrollmangel führte wiederum zu einer höheren Einstufung des eigenen aktuellen Schmerzes.
Die Ergebnisse legen nahe, dass finanzielle Unsicherheit zu einem Gefühl des Kontrollverlusts führen und somit körperliche Schmerzen auslösen oder verstärken kann. Dies lässt im Umkehrschluss vermuten, dass eine Verringerung der aktuellen finanziellen Unsicherheit bei den Betroffenen in den einzelnen Ländern zu einer Abnahme der körperlichen Schmerzen und einer geringeren Abhängigkeit von Medikamenten führen sollte. Insgesamt weisen die Studien also darauf hin, wie stark finanzpolitische Vorgänge das menschliche Wohlbefinden beeinflussen können.
Chou, E. Y., Parmar, B. L., & Galinsky, A. D. (2016). Economic insecurity increases physical pain. Psychological Science, 27, 443–454. doi: 10.1177/0956797615625640
Redaktion und AnsprechpartnerIn*: Bianca von Wurzbach*, Judith Tonner
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