Ärger, Trauer, Wut: Offen zeigen oder lieber unterdrücken?

- Lilly Hartmann –

Männer, die ihre Gefühle zurückhalten, werden als kompetenter und intelligenter wahrgenommen – bei Frauen ist das Gegenteil der Fall.

Frank und Sandra arbeiten gemeinsam an einem Projekt. Heute haben sie es ihrem Chef vorgestellt. Dieser war gar nicht begeistert und hat die beiden im Team bloß gestellt. Frank und Sandra haben die Standpauke mit Fassung getragen: sie zeigten keine Wut oder brachen in Tränen aus, obwohl beiden danach zumute war. Nun geschieht etwas Verblüffendes: in der Mittagspause unterhält man sich über die Situation. Alle sind sich einig, dass Frank seriös reagiert hat. Sandras Verhalten hingegen wirkte irgendwie unecht. Wie ist es möglich, dass das gleiche Verhalten so unterschiedlich wahrgenommen wird? Liegt es womöglich daran, dass Frank ein Mann und Sandra eine Frau ist?

Das Forschungs­team um Hess, David und Hareli ging der Frage nach, wie emotionale Zurückhaltung bewertet wird. Sie vermuteten, dass die Zurückhaltung von Gefühlen wie Ärger oder Trauer mit Kompetenz und Intelligenz in Verbindung gebracht wird. Den Grund hierfür sehen sie in der modernen Gesellschaft, insbesondere der Geschäftswelt, in der professionelles Auftreten und Sachlichkeit einen recht hohen Stellenwert genießen.

Diese Vermutung testeten die Forschenden mit zwei Studien. Sie verwendeten Videos, die emotionale Reaktionen von Personen auf verschiedene Bilder zeigten. Die emotionalen Reaktionen wurden entweder unmittelbar oder mit einer Verspätung von einigen Sekunden gezeigt. Letzteres sollte emotionale Zurückhaltung symbolisieren. Die Teilnehmenden sollten diese Videos anschauen und die Personen nach verschiedenen Kriterien bewerten.

In der ersten Studie sollten die Teilnehmenden die Personen aus den Videos im Hinblick auf ihre emotionale Kompetenz beurteilen; also ihre Fähigkeit, mit Gefühlen umzugehen. Es zeigte sich, dass Männer, die eine verspätete Reaktion zeigten im Vergleich zu denen, die sofort reagierten, als emotional kompetenter bewertet wurden. Für Frauen ergab sich überraschenderweise das gegenteilige Muster: ihre emotionale Kompetenz wurde von den Teilnehmenden höher eingeschätzt, wenn sie die Reaktion sofort und nicht mit Verzögerung zeigten. In der zweiten Studie sollten die Teilnehmenden die Personen aus den Videos in Bezug auf ihre Intelligenz beurteilen. Auch hier stellte sich heraus, dass Männer, die später emotional reagierten, als intelligenter eingeschätzt wurden als Männer, die direkt reagierten. Bei Frauen war das Gegenteil der Fall.

Die Ergebnisse legen nahe, dass Männer, die ihre Gefühle nicht unmittelbar zeigen, offenbar sowohl emotional kompetenter, als auch intelligenter wirken können. Als Frau könnte man jedoch besser beraten sein, Gefühle wie Ärger oder Trauer auch offen zu zeigen, da dies in den Studien positiver bewertet wurde als emotionale Zurückhaltung.

Abschließend stellt sich die Frage, wo diese Geschlechts­unterschiede herrühren – möglicherweise spielen Vorurteile eine entscheidende Rolle. So ist es beispielsweise ein weitverbreitetes Klischee in westlichen Kulturen, dass Männer Schwierigkeiten haben, Gefühle zu zeigen, während Frauen ihre Gefühle angeblich gern ausgiebig kundtun und diskutieren. Die Ergebnisse der Studien könnten also damit zusammenhängen, dass von Männern eher Zurückhaltung in Gefühlsdingen erwartet wird – von Frauen hingegen nicht. Eines scheint jedenfalls klar: ein „typisch männlicher“ Umgang mit Gefühlen scheint nur Männern zum Vorteil zu gereichen.

Hess, U., David, S., & Hareli, S. (2015). Emotional restraint is good for men only: The influence of emotional restraint on perceptions of competence. Emotion, 16(2), 208–213. doi: 10.1037/emo0000125

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Mariela Jaffé*, Judith Tonner

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