Augenblick mal!

- Julia Hanft –

Menschen nehmen typische Eigenschaften einer Szenerie wahr noch bevor sie wissen, um was für eine Umgebung es sich genau handelt.

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im ICE von Mannheim nach München und machen ein Nickerchen. In einer Kurve werden Sie durch das Ruckeln des Zuges geweckt. Sie öffnen für einen kurzen Moment die Augen und werfen einen flüchtigen Blick aus dem Fenster. Dabei erkennen Sie, dass der Zug gerade an einem See vorbeifährt, mitten in einer weitläufigen Landschaft. Ein winziger Moment scheint also völlig auszureichen, um sich zu orientieren. Für uns Menschen ist es von höchster Wichtigkeit, die Bedeutung von Umgebungen und Situationen auf einen Blick zu erfassen. Diese Eigenschaft hilft uns dabei, ein Umfeld in kürzester Zeit als sicher oder bedrohlich einzustufen. Auch die Bedeutung sozialer Situationen, beispielsweise, ob uns ein Gegenüber freundlich oder feindselig gesinnt ist, wird so rasch erkannt. Auf diese Weise ist es uns möglich, schnell und angemessen zu reagieren.

Die Forscherinnen Michelle R. Greene und Aude Oliva haben sich mit der Frage beschäftigt, was genau in unserem Gehirn passiert, wenn wir nur mal „einen flüchtigen Blick auf etwas werfen“. Zu diesem Zweck hat das Forscherteam untersucht, wie lange Menschen eine Landschaft anschauen müssen, bis sie wissen, ob sie einen Wald, einen See oder eine Wüste sehen. Außerdem haben sie erforscht, wie schnell Personen bestimmte charakteristische Eigenschaften einer Landschaft erfassen können. Beispielsweise, ob es sich um eine heiße oder kalte Umgebung handelt oder ob es sich um einen beengten Ort oder eine weite Landschaft handelt.

Zu diesem Zweck bekamen Teilnehmende einer Studie Bilder lediglich für einige Millisekunden gezeigt. Zum einen sollten sie angeben, ob die Bilder zu einer vorher festgelegten Landschafts­kategorie  gehören – zum Beispiel eine Wüste, ein Gebirge oder einen See darstellen. Zum anderen sollten die Teilnehmenden beurteilen, ob die natürlichen Umgebungen bestimmte Eigenschaften aufweisen, also zum Beispiel, ob es sich um eine kalte oder warme Umgebung handelt.

Es zeigte sich, dass die Teilnehmenden typische Eigenschaften einer Landschaft wahrnahmen noch bevor sie erkannten, um welche Landschafts­form es sich genau handelt. Menschen nehmen also beispielsweise eine natürliche Umgebung als heiß und weitläufig wahr, noch bevor sie wissen, dass sie eine Wüste vor sich sehen.

Diese Er­kenntnis liefert interessante Hinweise, wie schnell bestimmte Informationen von Menschen verarbeitet werden können. Dies hilft dabei zu verstehen, was in uns Menschen vorgeht, wenn wir die Welt betrachten. Außerdem kann es von praktischem Interesse sein, beispielsweise für die Filmindustrie. Schon jetzt machen sich Filmproduzenten die menschliche Eigenschaft zunutze, Dinge und Situationen in kürzester Zeit zu erkennen. Viele Trailer zeigen Momentaufnahmen aussagekräftiger Szenen in rascher Abfolge. So wird in wenigen Sekunden eine inhaltlich sinnvolle Geschichte aus  scheinbar zusammenhangslosen Bildern von Leuten, Ereignissen und Plätzen erschaffen. Zusätzliches Wissen darüber, welche Informationen einer Momentaufnahme Kinobesucher besonders schnell erfassen, könnte beispielsweise dazu beitragen, Trailer noch schlüssiger und aussagekräftiger zu gestalten.

Greene, M. R., & Oliva, A. (2009). The briefest of glances: The time course of natural scene understanding. Psychological Sciene, 20(4), 465–472.

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