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Darf es noch ein Nachschlag sein? Das würde dich noch sympathischer machen

Bisher dachte ich nicht, dass mein Essverhalten sonderlich abnormal für das weibliche Geschlecht ist. Denn ich esse zwar gut, aber auch nicht übermäßig. Erst als ein kanadischer Bekannter meinte, dass er vor mir noch nie eine Frau gesehen habe, die sich den Teller zweimal füllt, habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie viel zu essen eigentlich „normal“ ist. Auch ein kanadisches Forschungsteam widmete sich diesem Thema und untersuchte, ob sich Personen an anderen Menschen orientieren, um die Angemessenheit ihrer gegessenen Menge einzuschätzen, wenn die Portion nicht, wie in der Kantine oder einem Restaurant, klar vorgegeben ist.
Tullia Leone und ihre KollegInnen nahmen an, dass Menschen die Menge an Speisen als Richtlinie für sich selbst nehmen, die andere essen. Bei einem gemeinsamen Essen mit anderen möchten die meisten Menschen ein positives Bild von sich vermitteln. Da Selbstkontrolle eine positiv bewertete Eigenschaft ist, könnte Essen im Übermaß negativ bewertet werden. Trotzdem möchte man soviel essen wie möglich oder zumindest satt werden und freut sich deswegen über andere Menschen am Tisch, die viel essen und einem damit einen Nachschlag ermöglichen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass man Menschen, die mehr essen als man selbst, im Gegensatz zu solchen Menschen, die weniger essen, positiver bewerten sollte.
Um diese Hypothese zu testen, lud das Forscherteam Studentinnen zur Teilnahme an einer Studie ein und erteilte ihnen die Aufgabe, so viele von 20 Pizzastücken zu essen, bis sie satt waren. Entscheidend dabei war, dass die Studentinnen nicht alleine, sondern vor einem Beobachtenden aßen. Nach Abschluss des Pizza- Snacks beantworteten die Studentinnen Fragen zu ihrer Person und sollten die Anzahl der Pizzastücke angeben, die sie gegessen hatten. Eine zweite Gruppe an Studentinnen hingegen bekam keine Pizza. Alle Teilnehmerinnen wurden dann gebeten, eine andere Person, die angeblich an der gleichen Studie teilnahm, als Teil einer Wahrnehmungsaufgabe auf Basis desselben Fragebogens spontan einzuschätzen, und zwar hinsichtlich Liebenswürdigkeit und Selbstkontrolle. Per Zufall wurden die Versuchspersonen dahingehend aufgeteilt, ob sie den Fragebogen einer Person erhielten, die 50 Prozent mehr oder 50 Prozent weniger als sie selbst gegessen hatte. Abschließend schätzten die Frauen die Angemessenheit ihres eigenen Essverhaltens ein.
Wie erwartet mochten die Studentinnen Personen, die mehr gegessen hatten als sie selbst, lieber als Personen, die weniger gegessen hatten. Zudem wurde die eigene Portion als angemessener eingestuft, wenn die andere Person mehr gegessen hatte. Dagegen mochten Personen, denen keine Pizza angeboten wurde, „Vielesser“ und „Wenigesser“ gleich gerne. Interessanterweise implizierte Mögen jedoch keine günstigere Bewertung der Person hinsichtlich ihrer Selbstkontrolle. Hier bewerteten beide, die Esser und die Nicht-Esser, die weniger essenden Personen als disziplinierter.
Im sozialen Kontext macht man also nicht automatisch einen besseren Eindruck, wenn man versucht, so wenig wie möglich zu essen. Denn Frauen, die am gleichen Tisch sitzen und mehr essen, könnte das verlegen machen.
Leone, T., Herman, C. P. & Pliner, P. (2008). Perceptions of Undereaters: A Matter of Perspective? Personality and Social Psychology Bulletin,34, 1737-1746.
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