Der Wert der Gleichberechtigung

- Anne Landhäußer –

Mit zunehmender Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern nimmt auch die allgemeine Sorge um Mitmenschen und Natur zu.

 

Während sowohl die Linke als auch Grüne, SPD und NPD im letzten Wahlkampf für „soziale Gerechtigkeit“ warben, forderte die FDP schlicht „Leistung wählen“. Neben konkreten Wahl­programmen vertreten Parteien demnach auch abstrakte Werte, die sich zwar schwer greifen lassen, aber im Leben aller Menschen eine maßgebliche Rolle spielen: Werte, die wir verinnerlicht haben und die uns wichtig sind, wirken wie übergeordnete Ziele, die unser Handeln lenken und unsere Einstellungen prägen. Genau wie Parteien können sich natürlich auch Individuen in ihren Werthaltungen voneinander unterscheiden.

Gräben verlaufen dabei nicht nur zwischen links und rechts, sondern auch zwischen Männern und Frauen. Wie sich in vergangenen länder­übergreifenden Studien zeigte, sind für den typischen Mann primär Macht und Leistung von Bedeutung, Frauen dagegen besitzen stärkere universalistische Werte, das heißt, ihnen ist mehr am Wohl aller Lebewesen und der Natur gelegen. Doch Werthaltungen vererben sich weder über die Generationen, noch bleiben sie beim Einzelnen ein Leben lang stabil. Anzunehmen ist, dass die wachsende Gleichberechtigung der Geschlechter auch typische Werthaltungen von Männern und Frauen nicht unbeeinflusst lässt. Nur: Wie genau könnte dieser Einfluss aussehen? Werden für Frauen mit zunehmender Aussicht auf Erfolg in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft Werte wie Leistung und Macht wichtiger? Oder ist es vielmehr so, dass der mit der Gleichberechtigung oft einhergehende Wohlstand und die wachsende Autonomie sowie die sozialen Absicherungen dazu führen, dass Leistung und Macht an Relevanz verlieren?

Die israelischen PsychologInnen Shalom Schwartz und Tammy Rubel-Lifschitz konnten anhand mehrerer repräsentativer Stichproben aus 25 Ländern zeigen, dass in weitgehend gleichberechtigten Gesellschaften nicht etwa die Frauen an Macht- und Leistungs­bewusstsein zulegen. Vielmehr gewinnen Werte wie die Sorge um Nahestehende und Universalismus sowohl bei Frauen als auch bei Männern in solchen Ländern an Bedeutung. Werte wie Macht und Leistung verlieren dagegen für beide Geschlechter an Relevanz. Da sich der Effekt der Gleichberechtigung auf die Werthaltung bei Frauen jedoch deutlich stärker zeigt als bei Männern, vergrößert sich der Wertegraben zwischen den Geschlechtern sogar noch – und das, obwohl auch für die Männer das allgemeine Wohlergehen von Mensch, Tier und Natur immer wichtiger wird.

Dabei ist davon auszugehen, dass die zunehmende Bedeutung universalistischer Werte auch durch andere gesellschaft­liche Entwicklungen beeinflusst wird, die typischerweise mit einer zunehmenden Gleichberechtigung einhergehen. Wer abgesichert ist und optimistisch in die Zukunft blickt, kann seine Sorgen auf andere Menschen und die Umwelt richten. Dies gilt besonders für Frauen, vermutlich, weil sie ohnehin stärker dazu tendieren, universalistisch zu denken. Möglich wäre jedoch, dass durch die Wirtschafts­krise und die damit verbundene finanz­ielle Unsicherheit Werte wie Macht und Leistung wieder an Bedeutung gewinnen. Es bleibt also abzuwarten, ob die Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“ in zukünftigen Wahlkämpfen wieder mehr WählerInnen locken wird.

Schwartz, S. H. & Rubel-Lifschitz, T. (2009). Cross-national variation in the size of sex differences in values: Effects of gender equality. Journal of Personality and Social Psychology, 97 (1), 171–185.

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