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Die verkannte Lebensform

Es gab eine Zeit, da war es das größte Ziel im Leben eines jungen Menschen, jemanden zum Heiraten zu finden. Wer in einem bestimmten Alter noch nicht unter die Haube gebracht werden konnte, war für ein Leben gezeichnet. Doch die heutigen Verhältnisse entsprechen bei weitem nicht mehr denjenigen in den Romanen Jane Austens. Die Emanzipation der Frau, das Aufbrechen traditioneller Normen, berufliche Flexibilität sowie die Anonymität in Großstädten fördern das Singledasein, welches früher hauptsächlich unfreiwillig gelebt wurde und gesellschaftliche Stigmatisierung mit sich brachte. Einer repräsentativen Studie der Partneragentur „Parship“ zufolge lebten im Jahr 2005 11,2 Millionen Singles in Deutschland – das entspricht 20 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Obgleich das Singledasein heute von einigen mit Freude gelebt wird, unterstellt man alleinstehenden Personen noch immer gerne, sie würden eigentlich lieber in einer Partnerschaft leben und hätten aufgrund irgendwie gearteter sozialer Mängel niemanden gefunden, der es mit ihnen aushält. Wie viel Wahrheitsgehalt in solchen Unterstellungen steckt, untersuchte der Forscher Tobias Greitemeyer.
Seine Studien ergaben, dass befragte Singles – ganz so, wie es ihnen häufig unterstellt wird – sich einsamer fühlen als befragte Liierte, mit ihrem Beziehungsstatus weniger zufrieden sind und eine größere Sehnsucht danach haben, diesen zu ändern. Wohlgemerkt: im Durchschnitt. Der einzelne Single mag mit seiner Situation durchaus zufrieden sein. Der Unterschied zwischen den Selbstberichten von Singles und Liierten war außerdem zu gering, als dass man darauf schließen könnte, Alleinstehende würden unter ihrem Singledasein leiden.
Kein Anhaltspunkt fand sich dagegen für andere Vorurteile gegenüber Singles, wie beispielsweise, dass sie weniger attraktiv, weniger selbstbewusst oder mit ihrem Leben im Allgemeinen weniger zufrieden seien als Personen, die eine Beziehung führen. Sollten die Teilnehmenden fiktive Personen beurteilen, deren Beziehungsstatus neben anderen Informationen angegeben war, schnitten Singles deutlich schlechter ab als Liierte. Ihnen wurden geringere soziale Fähigkeiten, eine geringere Lebenszufriedenheit und ein geringeres Selbstwertgefühl zugeschrieben. Sollten sich die Teilnehmenden jedoch auf solchen Dimensionen selbst einschätzen, traten keine Unterschiede zwischen Singles und Liierten auf. Singles bewerteten sich selbst als ebenso sozial fähig, attraktiv, selbstbewusst und zufrieden wie Liierte. Und nicht nur das. Nach einem zehnminütigen Kennenlern-Gespräch sollten die Teilnehmenden sich hinsichtlich der genannten Eigenschaften gegenseitig bewerten, ohne den Beziehungsstatus der jeweils anderen zu kennen. Singles wurden dabei keinesfalls negativer beurteilt als liierte Personen.
Die Vorurteile, die Singles entgegengebracht werden, lassen sich also nicht bestätigen: Sie scheinen sich hinsichtlich zentraler Eigenschaften nicht von Liierten zu unterscheiden. Penetrante Verkupplungsaktionen, die dem Gedanken entspringen, Singles wären sozial untalentiert und bräuchten ganz dringend Hilfe, sind daher nicht zwangsläufig ein guter Freundschaftsdienst.
Greitemeyer, T. (2009). Stereotypes of singles: Are singles what we think? European Journal of Social Psychology, 39, 368–383.
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