„Googlet“ unser Gehirn?

- Rainer Greifeneder –

Auch in unserem Gehirn spielen Links eine wichtige Rolle.

Eines der spannendsten Rätsel unserer Zeit bleibt die Funktions­weise unseres Gehirns. Wie ist es möglich, dass wir uns an etwas erinnern? Warum können wir uns manche Dinge merken und andere nicht? Fragen wie diese sind ebenso interessant wie schwierig zu erforschen, weil wir unserem Gehirn nicht direkt beim Arbeiten zusehen können. Da helfen auch moderne bildgebende Verfahren wie zum Beispiel die Kernspintomographie wenig, da sie nur zeigen, welche Bereiche des Gehirns gerade aktiv sind, jedoch keinen Schluss darüber zulassen, wie gedacht wird.

Aufschlussreicher sind psychologische Modelle, die versuchen, das Ergebnis einer Gehirnaktivität vorherzusagen. Dafür werden Annahmen darüber getroffen, welche Prozesse im Gehirn während des Denkens ablaufen. Anschließend wird geprüft, wie gut die Vorhersage des Modells mit dem tatsächlichen Ergebnis des Denkprozesses übereinstimmt. Ein Beispiel: Welches Wort mit dem Anfangsbuchstaben „A“ fällt Ihnen als erstes ein? Apfel? Auto? Ein gutes Modell muss erklären, warum wir ausgerechnet spontan Apfel oder Auto nennen – und nicht etwa Arm oder Alge. Lange Zeit dachte man, dass uns solche Wörter als erstes einfallen, die im Alltag häufig auftreten. Doch dieses Modell stimmt nicht mit den Daten überein.  

Die Forscher Thomas Griffiths, Mark Steyvers und Alana Firl vermuten, dass unser Gehirn den Abruf von Informationen wie eine Internetsuchmaschine löst. Für diese Idee spricht, dass Wissen in unserem Kopf ähnlich wie Inhalte im Internet organisiert sind: Einzelne Informationen sind in Netzwerken gespeichert und dort untereinander „verlinkt“. Außerdem muss unser Gehirn beim Abruf von Informationen ein ähnliches Problem wie Internetsuchmaschinen lösen: Aus der Menge der verfügbaren Informationen sollen diejenigen gefunden werden, die auf die jeweilige Suchanfrage am besten passen. Google berücksichtigt dafür beispielsweise sowohl die Anzahl der Links, die auf eine Internetseite verweisen, als auch wie wichtig die Internetseiten sind, von denen die Links kommen. Anhand dieser Informationen werden anschließend alle Suchergebnisse beurteilt und geordnet dargestellt. Laut Griffiths und Kollegen geht unser Gehirn ähnlich vor, um aus allen möglichen Informationen die passende herauszusuchen.

Zur Prüfung dieser Idee baten die Forscher ihre Probanden, zu 21 Buchstaben jeweils das erste Wort zu nennen, das ihnen einfällt. Anschließend wurde anhand verschiedener Modelle versucht vorherzusagen, welche Wörter genannt wurden. Dafür griffen die Forscher auf andere Studien zurück, die untersucht hatten, wie verschiedene Wörter im Gehirn „verlinkt“ sind. Interessanterweise fanden die Autoren, dass die Google-Suchregel von allen getesteten Modellen am besten vorhersagen kann, welche Wörter den Probanden als erstes einfallen.

Bedeutet dies, dass unser Gehirn beim Abrufen von Information „googlet“? Wahrscheinlich nicht. Die Ergebnisse zeigen nur, dass die Google-Suchregel das beste momentan verfügbare Modell darstellt. Wie unser Gehirn tatsächlich vorgeht, und ob es nicht noch bessere Modelle gibt, bleiben weiterhin spannende Rätsel.

Griffiths, Steyvers & Firl (2007). Google and the mind: Predicting fluency with PageRank. Psychological Science, 18 (12), 1069-1076.

Dieser Artikel ist in Psychologie heute erschienen (März 2008). www.psychologie-heute.de

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