Hätte, hätte, Fahrradkette!

- Malte Zimdahl –

Warum „Hätte ich doch“-Überlegungen nicht immer zielführend sind.

Jeder kennt wohl Gedanken wie: „Wenn ich heute Morgen fünf Minuten früher aufgestanden wäre, hätte ich noch meinen Zug bekommen“ oder „Wenn ich die Wettervorhersage gesehen hätte, hätte ich einen Regenschirm dabei und müsste jetzt nicht pitschnass zur Arbeit gehen“. Solche „Hätte ich doch“-Überlegungen (sogenannte kontrafaktische Gedanken) treten auf, wenn ein Ziel nicht erreicht wurde oder ein nicht erstrebenswerter Zustand beklagt wird. Diese Gedanken können durchaus sinnvoll sein: Wenn wir uns überlegen, was passiert wäre, wenn wir anders gehandelt hätten, reflektieren wir unser vergangenes Verhalten und mögen hierdurch erkennen, was wir das nächste Mal besser machen können.

Ein Forschungs­team um den Sozialpsychologen John Petrocelli nahm jedoch an, dass kontrafaktisches Denken auch negative Aus­wirkungen haben kann. Diese sollten sich besonders in Leistungs­situationen zeigen, wenn kontrafaktisches Denken falsche Ursachen für verbesserungs­würdige Ergebnisse aufdeckt. Hält man beispielsweise einen schlechten Vortrag und denkt, dass es besser gelaufen wäre, wenn man nur mehr geschlafen hätte, können solche Erklärungen die eigentlichen Ursachen verdecken – wie, dass man nicht gut vorbereitet war. Man mutmaßt also, dass man eigentlich kompetent ist und muss sich das nächste Mal nicht mehr anstrengen.

Zur Testung ihrer Annahmen untersuchte das Forschungs­team in einer Studie, wie kontrafaktisches Denken sich auf die Anstrengung und Leistung von Studierenden in einem  Leistungs­test auswirkte. Die Teilnehmenden bearbeiteten zunächst einen Übungs­durchgang zur Ermittlung ihres Leistungs­stands. Anschließend bekamen sie eine Rückmeldung darüber, welche Fragen sie falsch beantwortet hatten und was die richtige Lösung gewesen wäre. Nun wurden einige Teilnehmende gebeten, ihre ersten Gedanken zu der Rückmeldung aufzuschreiben, während die anderen beschreiben sollten, wie sie die Aufgaben richtig hätten lösen können. Letzteres sollte kontrafaktisches Denken hervorrufen. Danach konnten alle Teilnehmenden so lange sie wollten weiterüben, um in dem finalen Test eine optimale Leistung zu erzielen.

Die Ergebnisse entsprachen den Annahmen des Forschungs­teams: Teilnehmende, die in kontrafaktisches Denken, wie „Hätte ich die Frage besser durchgelesen“, versetzt wurden waren, zeigten keine Leistungs­steigerung vom ersten Übungs­durchgang zum finalen Test. Teilnehmende, die hingegen nur ihre ersten Gedanken notiert hatten, verbesserten sich deutlich. Obwohl beide Gruppen im Übungs­durchgang vergleichbar viele Fehler gemacht hatten, sahen jene mit kontrafaktischen Gedanken anscheinend keine Notwendigkeit, sich mehr anzustrengen – im Vergleich zu den anderen Teilnehmenden schätzten sie ihre Fähigkeiten als relativ hoch ein. So investierten sie tatsächlich weniger Zeit in weitere Übungen, was die ausbleibende Leistungs­steigerung teilweise erklären konnte.

Sollten Sie sich, wenn etwas nicht optimal verlaufen ist, also am besten gar keine Gedanken machen? Das sicher nicht. Die vorliegenden Befunde warnen allerdings davor, Misslungenes einfach weg zu erklären anstatt einen kritischen Blick auf sich selbst zu werfen und sich bei einem neuen Anlauf mehr anzustrengen.

Petrocelli, J. V., Seta, C. E., Seta, J. J., & Prince, L. B. (2012). “If only I could stop generating co­unterfactual thoughts”: When co­unterfactual thinking interferes with academic performance. Journal of Experimental Social Psychology, 48, 1117–1123. 

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