Ich denke, dass du denkst, dass ...

- Anne Landhäußer –

Eine empathische Perspektive kann verhindern, dass in einer sozialen Interaktion Vorurteile abgebaut werden.

Dass rechts­radikale Einstellungen im Osten Deutschlands stärker verbreitet sind als im Westen, obwohl dort vergleichsweise wenige Menschen mit Migrations­hintergrund leben, ist kein paradoxer Zufall. Wer tagtäglich mit Immigranten zu tun hat, weil er beim Türken um die Ecke einkaufen geht und die Tochter mit den italienischen Nachbarskindern spielen lässt, der hat in der Regel auch weniger Vorurteile seinen ausländischen Mitbürgern gegenüber.

Die Sozialpsychologinnen Jacquie Vorauer und Stacey Sasaki machten nun allerdings darauf aufmerksam, dass ein solcher Kontakt Stereotype unter Umständen noch verstärken kann – auch dann, wenn diese nicht durch entsprechendes Verhalten bestätigt werden. Den kanadischen Forscherinnen zufolge kann es gerade dann zu Problemen kommen, wenn man versucht, sich in die stereotypisierte Person hineinzuversetzen, und das, obwohl Empathie im Hinblick auf soziale Beziehungen normalerweise als extrem förderlich betrachtet wird. Wie das?

Wenn ich mich mit meinem türkischen Nachbarn unterhalte und versuche, die Welt aus seinen Augen zu sehen, dann sehe ich vermutlich als erstes: mich selbst. Wenn ich nun denke, der Nachbar denke: „Diese eingebildete Deutsche, alles Nazis!“, dann ist das unserer Beziehung vermutlich nicht besonders förderlich. Das Problem sind also Metastereotype – Stereotype über die Stereotype eines Anderen – bei denen man selbst meistens nicht besonders gut dasteht. Sich in die Position des anderen zu versetzen kann also gefährlich sein, wenn man Annahmen über die Annahmen des anderen macht.

Dieses Phänomen konnten Vorauer und Sasaki in einer Studie mit kanadischen Studierenden bestätigen. Die Teilnehmer sahen eine kurze Dokumentation über die schlechten Wohn­verhältnisse einer kanadischen Aborigine, über die sie später angeblich eine Diskussion führen sollten – und zwar entweder mit einem anderen weißen Teilnehmer oder aber mit einem dunkelhäutigen Aborigine. Darüber hinaus erhielt die Hälfte der Probanden die Instruktion, den Inhalt der Dokumentation ganz objektiv zu betrachten, während sich die andere Hälfte empathisch in die gezeigte Aborigine hineinversetzen sollte. Anschließend kommunizierten die Teilnehmer schriftlich mit ihrem angeblichen Gesprächs­partner. Auf diese Weise simulierten die Forscher eine reale Kommunikation in objektiv überprüfbarer Weise.

Um den Einfluss dieser Kommunikation auf Stereotype überprüfen zu können, hatten die Forscherinnen bei ihren Teilnehmern schon Wochen zuvor per Fragebogen Vorurteile gegenüber ethnischen Minderheiten gemessen. Als man den Probanden dieses Maß nach der schriftlichen Interaktion erneut vorlegte, zeigte sich: Ein empathisches Hineinversetzen in die dokumentierte Aborigine hatte die Vorurteile verringert. Das war allerdings nur dann der Fall, wenn der Proband nicht glaubte, gerade mit einem Aborigine kommuniziert zu haben. Glaubte er, mit einem Aborigine kommuniziert zu haben, verringerten sich die Vorurteile nicht, und das lag wie erwartet an der Bildung von Metastereotypen. Diejenigen, die glaubten, Aborigines würden ihnen als weißen Kanadiern mit negativen Vorannahmen gegenübertreten, behielten also auch ihre eigenen Vorurteile den Ureinwohnern gegenüber bei. Gerade bei vorurteilsbehafteten Menschen kann persönlicher Kontakt demnach auch zur Verhärtung der Fronten führen.

Vorauer & Sasaki (2009): Helpful only in the abstract? Ironic effects of empathy in intergroup interaction. Psychological Science,20 (2), 191–197.

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