„Im Netz sein“: Tor zur Einsamkeit oder Freundschafts­schmiede

- Rainer Greifeneder –

Während Internetnutzung früher als Risikofaktor für soziale Vereinsamung von Jugendlichen galt, ist das Bild heute differenzierter.

Auf seinem Feldzug durch die Gesellschaft und in die Jugendzimmer wurde (und wird) das Internet oft verteufelt, teilweise zurecht. Studien in den neunziger Jahren zeigten, dass Internet-Nutzer meist nur oberflächliche Bekanntschaften mit anderen Nutzern schlossen, gleichzeitig aber aufgrund der Internetnutzung weniger Zeit für Kontakte im realen Leben hatten. Die Folge waren bei den jugendlichen Internetnutzern weniger trag­fähige soziale Beziehungen und ein geringeres Wohlbefinden „im realen Leben“.

Doch seit den Neunzigern hat sich einiges getan, gerade im Internet. Während in den Anfängen die eigenen Freunde nur selten online zu finden waren, sind heute die meisten Freunde „im Netz“. Wurden damals Netzwerke und Freundschaften hauptsächlich mit Fremden geknüpft und waren daher häufig oberflächlicher Natur, so dient das Internet heute wie Telefon oder Handy (auch) dazu, bestehende Kontakte zu pflegen. Dies wird durch einen Wandel der Softwarewelt unterstützt. Dominierten früher anonyme Chatrooms, die kaum zum Knüpfen und Halten persönlicher Kontakte dienen konnten, nutzen die Massen heute Kommunikations­tools, die gerade diese Bedürfnisse erfüllen (z.B. Skype, Facebook). Bei so viel Veränderung lohnt sich ein zweiter Blick, wie Patti Valkenburg und Jochen Peter fanden: Macht das Internet die Jugendlichen immer noch einsam?

Jein: Nutzen die Jugendlichen das Internet vor allem, um existierende Bekannt- und Freundschaften zu pflegen, dann geht eine hohe Internetnutzung mit einer besseren (und nicht schlechteren) sozialen Einbindung und höherem Wohlbefinden einher. Wird das Internet dagegen hauptsächlich dafür genutzt, um mit Fremden in Kontakt zu treten, dann sind die Ergebnisse nicht besser als früher. Es kommt also auf die Nutzung des Internets an. Doch wie kann es sein, dass mehr online-Kontaktpflege zu höherem offline-Wohlbefinden führt? Die Autoren argumentieren, dass die Jugendlichen im Netz mehr über sich preisgeben, als sie es offline tun würden. Das muss nicht immer gut sein, hat jedoch häufig den positiven Effekt, dass Beziehungen intensiver und von den Beteiligten als belohnender wahrgenommen werden. Tatsächlich messen viele Menschen ‚Freundschaft’ daran, was und wie viel man vom anderen weiß. Wenn das Internet dem förderlich ist, dann sollte mit der Häufigkeit des Aufenthalts im Netz auch die wahrgenommene Qualität und Nähe der Freundschaften steigen. Die Qualität von Freundschaften wiederum beeinflusst das Wohlbefinden, und zwar häufig in beträchtlichem Ausmaß, gerade bei Jugendlichen. Über den Umweg einer größeren Offenheit und als besser erlebter Freundschaften kann die Internetnutzung also auch zu mehr und nicht weniger sozialer Einbindung und Wohlbefinden führen. Studien aus verschiedenen Bereichen stützen diese Annahmen.

Ein Internetzugang ist damit nicht zwangs­läufig die Eintrittskarte zum sozialen Ausschluss. Vielmehr scheinen Jugendliche auch im „realen Leben“ von den Aufenthalten im Internet zu profitieren, insbesondere wenn sie im Internet ihre bestehenden sozialen Kontakte pflegen und intensivieren. Das gilt übrigens besonders für Jungen, die sich offline sehr viel weniger öffnen als die Angehörigen des anderen Geschlechts.

Valkenburg, P. M. & Peter, J. (2009). Social consequences of the internet for adolescents. Current Directions in Psychological Science,18(1), 1–5.

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