„Ist es noch nicht fertig?“ – Warum der Chef beim Zeit­management versagt

- Selma Rudert –

Wenn Chefs zu enge Zeitvorgaben geben, liegt dies unter anderem an der Vernachlässigung möglicher Störungen.

Jetzt ist Eile angesagt: Bis Ende des Monats soll nach Vorgabe des Chefs das komplette Projekt abgeschlossen sein. Doch am Schluss dauert es noch einmal zwei Wochen länger bis tatsächlich alles fertig ist. Unverständig schütteln die Mitglieder des Projektteams den Kopf. „Das konnte doch ein Blinder sehen, dass der ganze Kram in der kurzen Zeit nicht mehr machbar ist!“

Ein Blinder vielleicht, der Chef jedoch nicht. Was nicht besonders ungewöhnlich ist, zumindest nach der Meinung des englischen Forschungs­teams um Mario Weick. Denn es spricht vieles dafür, dass sich gerade die Chefetage am gröbsten in der Zeitplanung verschätzt, obwohl sie eigentlich den besten Überblick über anstehende Projekte haben sollte. Grund dafür ist die Tendenz einflussreicher Menschen, sich zu stark auf die zu erreichenden Ziele zu konzentrieren und mögliche Störungen nicht einzukalkulieren.

Diesen Zusammenhang konnte das Forschungs­team in einer Reihe von Studien nachweisen. In einer der Studien wurden studentische Versuchspersonen gebeten, die Zeit einzuschätzen, die sie für eine bestimmte Aufgabe brauchen (zum Beispiel zum Formatieren eines Computer­texts oder zur Fertigstellung einer Hausarbeit). Die geschätzte Zeit wurde mit der anschließend tatsächlich benötigten verglichen. Im Schnitt fiel die Schätzung bei allen Studierenden zu optimistisch aus, insbesondere allerdings bei jenen, die zuvor experimentell in einen „einflussreichen“ Zustand versetzt worden waren. Dies geschah, indem den Probanden suggeriert wurde, dass die persönliche Meinung sehr bedeutsam für wichtige universitäre Entscheidungen sei. In einer weiteren Studie sollten 421 Studierenden angeben, wie viel Einfluss sie im alltäglichen Leben auf andere Menschen haben, und wie lange sie für ihre nächste Hausarbeit brauchen werden. Erneut nahm die Arbeit mehr Zeit in Anspruch als angenommen, besonders bei denjenigen, die sich als einflussreich beschrieben hatten.

Um solche Befunde auf die Realität übertragen zu können, bedarf es allerdings weiterer Über­prüfungen im Arbeits­alltag, da das reale Zeit­management eines Unternehmens, anders als in der Studie, natürlich nicht nur von der Anstrengung einer Einzelperson abhängig ist. Nichts desto trotz liefern die Ergebnisse Hinweise darauf, wie sich das Zeit­management in Unternehmen verbessern ließe: Weick und Guinote zeigen, dass sich die Fehleinschätzungen verringern lassen, wenn man die Aufmerksamkeit auf die Dauer ähnlicher Aufgaben in der Vergangenheit lenkt. Weiterhin ist es ihnen zufolge sinnvoll, bei Planungs­aufgaben zunehmend auch Angestellte, die nicht aus der Führungs­etage kommen, mit einzubeziehen. Diese haben nämlich häufig einen viel besseren Überblick, welche kleinen und großen Aufgaben zusätzlich zur Hauptaufgabe anfallen und hätten ihrem Chef von vorneherein klar machen können, dass seine hochfliegenden Pläne unrealistisch sind.

Weick, M. & Guinote, A. (2010). How long will it take? Power biases time predictions. Journal of Experimental Social Psychology, 46, 595 – 604.

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