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Leisten wir weniger, wenn wir „Rot sehen“?

Stellen Sie sich vor, Sie schreiben eine Klausur. Sie sitzen in gespannter Erwartung vor Ihrem Klausurbogen, der noch, mit der Rückseite nach oben, unberührt auf Ihrem Pult liegt. Sie sind hellwach und bereit, den Bogen zu wenden, sobald der Prüfer das Signal gibt. Das Signal kommt. Sie wenden den Bogen und beginnen mit der Bearbeitung. Ein Zahlencode auf der ersten Seite der Klausur ist in Rot gedruckt, aber das fällt Ihnen bewusst gar nicht auf. Und trotzdem werden diese roten Ziffern Ihre Klausurleistung wahrscheinlich beeinflussen: Aktuelle Forschungsergebnisse an den Universitäten Rochester (USA) und München zeigen, dass die Farbe Rot leistungshemmende Wirkungen haben kann.
Die Forschergruppe um Andrew Elliot nimmt an, dass Farben unbewusst auf unser Denken wirken, weil wir bestimmte Verknüpfungen von Farbe und Bedeutung von klein auf gelernt haben (Rot signalisiert z. B. „Stopp“ und „Vorsicht“ – Grün dagegen „Start“ und „freie Fahrt“). Gerade in Leistungssituationen drängt sich bei Rot eine ganz bestimmte Assoziation auf: die Korrektur mit dem Rotstift, die uns seit dem Grundschulalter heimsucht. Rot sollte daher, so die Forscher, Vermeidungsmotivation und Angst vor Misserfolg auslösen und somit tatsächlich das Leistungsniveau senken.
In einem ersten Experiment ließen Elliot und Kollegen ihre Versuchspersonen Denkaufgaben lösen und zählten die Anzahl korrekter Lösungen. Für einen Teil der Probanden war ein bedeutungsloser Code auf der Titelseite des Aufgabenheftes in Rot geschrieben, bei den übrigen Personen war dieser Code grün oder schwarz. Die Ergebnisse zeigten, dass Versuchspersonen, die den roten Code gesehen hatten, ca. 20 Prozent weniger Aufgaben lösen konnten – obwohl sie nicht weniger intelligent waren als die übrigen Versuchspersonen, wie die Forscher durch einen im Vorfeld durchgeführten Intelligenztest feststellen konnten.
Dieses überraschende Ergebnis konnten die Forscher mit verschiedenen Personengruppen, in verschiedenen Situationen, mit verschiedenen Vergleichsfarben und mit diversen sprachlichen und mathematischen Aufgaben sowie Intelligenztests replizieren. Rot – wenn auch nur als kleine Markierung auf der Titelseite – führte durchweg zu schlechteren Leistungen. Die Forscher betonen, dass der Effekt der Farbe Rot in anderen – nicht leistungsbezogenen – Kontexten ganz anders wirken kann. So kennen wir Rot auch als Signal für Romantik (rote Herzen), Attraktivität (roter Lippenstift) und Sexualität (Rotlicht-Milieu). Insofern ist zu erwarten, dass Rot in Situationen, in denen es um zwischenmenschliche Beziehungen oder Attraktivität geht, eine Annäherungsmotivation auslöst. Einige noch unveröffentlichte Daten der Forschergruppe um Elliot scheinen dies zu bestätigen: Männliche Versuchspersonen sahen ein Bild einer weiblichen Person, das entweder in einem roten oder einem grauen Rahmen dargestellt war. Die Männer, die den roten Rahmen sahen, wollten die Dame auf dem Foto wesentlich lieber kennen lernen als die Versuchspersonen, die einen grauen Rahmen sahen. Es spricht also vieles dafür, dass wir im Laufe unseres Lebens bestimmte Farbassoziationen erwerben, die unser Denken, Fühlen und Handeln – und das der Personen um uns herum – stark beeinflussen können.
Elliot, A. J., Maier, M. A., Moller, A. C., Friedman, R., & Meinhardt, J. (2007). Color and Psychological Functioning: The Effect of Red on Performance Attainment. Journal of Experimental Psychology: General, 136, 154–168.
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