Mobilität macht unglücklich

- Rainer Greifeneder –

Warum häufige Wohnortwechsel zu weniger Lebens­zufriedenheit führen.

Arbeitgeber wünschen sich mobile Mitarbeiter. Für Arbeits­suchende kann es daher ein Plus sein, wenn sie nicht als heimatverliebte Nesthocker, sondern als berufliche Globetrotter wahrgenommen werden. Tatsächlich ist Mobilität fast schon ein gesellschaft­liches Ideal. Doch welche Aus­wirkungen hat sie auf das Wohlbefinden?

Ein Team um den Forscher Shigehiro Oishi hat in vielen Arbeiten festgestellt:Amerikaner, die in ihrer Kindheit häufig den Wohnort wechselten, sind unglücklicher und haben weniger positive soziale Beziehungen. Amerikaner, die als Erwachsene sehr mobil sind, empfinden ihr Leben als interessanter, berichten aber über weniger stabile Freundschaften. Eine Analyse von Facebookprofilen lässt noch tiefere Einblicke zu: Studierende, die als Kinder und Jugendliche häufig den Wohnort wechselten, haben insgesamt mehr Kontakte in ihrem Profil gespeichert, doch diese sind weniger intensiv.

Eine hohe Wohnortmobilität muss aber nicht zwangs­läufig zu einem niedrigeren Wohlbefinden führen. Vielmehr kommt es darauf an, wie zufrieden man mit den direkten Folgen der Ortswechsel ist. Häufige Umzüge führen beispielsweise dazu, dass man sich selbst eher auf der Basis der eigenen Fähigkeiten definiert, und weniger über die Zugehörigkeit zu Gruppen. Ein Fußballspieler, der immer wieder den Verein wechselt, sieht sich wahrscheinlich eher als ein guter Stürmer als ein wichtiges Mitglied des jeweiligen Clubs. Besonders diejenigen, für die soziale Bindungen wichtig sind, leiden daher unter häufigen Wohnortwechseln.

Außerdem haben die Forscher beobachtet, dass häufige Umzüge zu eher lockeren, weniger verpflichtenden Freundschaften führen. Wer aufgrund von Ortswechseln viele Freunde hat, kann es sich nicht leisten, im schlimmsten Fall für jeden da zu sein. Das bedeutet umgekehrt: Wenn man in schlechten Zeiten auf Freunde angewiesen ist, ist man wahrscheinlich auf sich selbst gestellt.

Diese Folge der Mobilität lässt sich übrigens auch auf gesellschaft­licher Ebene erkennen: In Ländern mit hoher Wohnortmobilität sind Familie und Freundschaften weniger wichtig und mit weniger Verpflichtungen verbunden als in Ländern mit geringer Wohnortmobilität, wie beispielsweise in vielen asiatischen Ländern. Und Wohngegenden mit hoher Wohnortmobilität haben häufig weniger Vereine und mehr Probleme mit Vereinsamung.

Oishi, S. (2010). The psychology of residential mobility: Implications for the self, social relations­hips, and well-being. Perspectives on Psychological Science, 5(1),  5–21.

Dieser Artikel ist in Psychologie heute erschienen (August 2010).www.psychologie-heute.de

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