Personaldiagnostik schafft ökonomischen Mehrwert, wenn sie vom Profi gemacht wird

- Marco Behrmann –

Der Fach­mann unterscheidet sich vom Laien-Interviewer nicht notwendigerweise in den Fragen, die er stellt, sondern darin, wie er sie stellt.

Personalauswahl ist eine verantwortungs­volle Aufgabe. Von der Entscheidung des Personalers im Unternehmen hängt es ab, ob sich die Firma „Humankapital“ sichert oder nicht. Beim ersten Besuch zum Vorstellungs­gespräch will der Interessent überprüfen, ob es stimmt, was in der Stellenanzeige versprochen wird. Und der Arbeitgeber will anhand aller gesammelten Informationen feststellen, ob der Bewerber für den Job geeignet ist. Passt er zur Firma? Wird er zum Unternehmens­erfolg beitragen? Es geht darum, sich ein Urteil zu bilden und die Personalentscheidung damit zu rechtfertigen. Falsche Entscheidungen verursachen „Kosten“ auf beiden Seiten: Der Bewerber ist enttäuscht oder fühlt sich nicht wohl, ist über- oder unterfordert. Das Unternehmen muss Kosten einer Weiterbildung tragen – oder hat gar einen High-Potential an die Konkurrenz verloren. Diese Kosten sind schwer zu beziffern, sind es doch immer nur „Was-wäre-wenn-Kosten.“ Schätzungen für den Mindest­wert einer fach­gerechten Auswahl ergeben aber, dass ein guter Mitarbeiter im Vergleich zu einem schlechten jährlich ein ganzes Jahresgehalt mehr an Nutzen für die Firma erwirtschaftet. Anders ausgedrückt: ein fach­männisch ausgewählter Mitarbeiter finanz­iert sich quasi selbst.

Das Ziel guter Personaldiagnostik besteht darin, die „Besten“ auszuwählen. Dafür müssen die geforderten Eigenschaften „gemessen“ werden. Nun gibt es kein Lineal für Kreativität, kein Thermometer für Team­orientierung und keine Waage für Motivation. Vielmehr werden für die Messung relevanter Persönlichkeits­eigenschaften und Fähigkeiten andere Messinstrumente benötigt. Ein Interview zum Beispiel. Unprofessionell ausgeführt ist das Interview jedoch weder ein genaues noch ein gutes Messinstrument, da eine Reihe von irrelevanten Eindrücken die objektive Entscheidung eher behindern. Forschung hat zum Beispiel gezeigt, dass Personen, die bei der Bewerbung mehr reden, eher eingestellt werden als Wenigredner – und das unabhängig von der Qualität ihrer Aussagen. Auch zählt oft der erste Eindruck, wie sympathisch der Bewerber auf den Recruiter wirkt. Hier achten Laien gerne auf Gemeinsamkeiten zwischen sich selbst und dem Bewerber. Denn Ähnlichkeit macht sympathisch. Unsympathische Bewerber erhalten häufig schwerere Fragen und haben damit schlechtere Karten. Attraktive Menschen haben Vorteile gegenüber weniger mit Schönheit begünstigten. Auch kann es eine Aus­wirkung haben, wenn sich in der Reihenfolge ein Bewerber stark von seinem Vorgänger unterscheidet. Würden Sie sich als Bewerber bei so vielen Störfaktoren wohlfühlen? (Nur am Rande sei erwähnt, dass eine etwaige Diskriminierung den Vorgaben aus dem Allgemeinen Gleichstellungs­gesetz und eine unsach­gerechte Anwendung von Auswahl­verfahren den Empfehlungen aus DIN 33430 zur Personalauswahl widersprechen würden). Gute Personaldiagnostik muss daher von Störeinflüssen wie Eindrücken des Interviewers, der Fähigkeit zur Informations­verarbeitung, Stimmungen und Sympathieeffekten unabhängig sein. Schließlich muss sie etwas über die Eignung des Kandidaten aussagen, also die geforderten Eigenschaften auch „messen“ können.

Die Qualität von Personalauswahl­verfahren steigt mit der Struktur, dem Grad der Standardisierung und damit dem Einsatz psychologischen Fach­wissens. Struktur beinhaltet dabei, dass ein bestimmter Gesprächsaufbau stattfindet, der über eine freundliche Begrüßung, nettes Geplänkel und eine höfliche Verabschiedung hinausgeht. Fragen zur Position, Berufswahl, den Vorstellungen und der beruflichen Erfahrung des Bewerbers gehören ebenso zu guten Interviews wie Fragen, die den Bewerber in Situationen versetzen, die er womöglich noch nicht erlebt hat. Erwiesen ist, dass sowohl vergangenes Verhalten als auch aktuelles Verhalten (das in Fragen simuliert wird) Vorhersagekraft für zukünftiges Handeln im Beruf hat. Außerdem ist es für strukturierte Interviews unerlässlich, dass die Beurteilung der Antworten vorher genau festgelegt ist.

Standardisierung bedeutet unter Anderem, dass der Wortlaut einer Frage möglichst ohne Hinweisworte formuliert ist, die verraten, „was man hören will“. Standardisierung heißt auch, dass eine Antwort immer gleich beurteilt wird, egal welcher Interviewer das Gespräch führt. Hierfür braucht es klare Vorgaben – oft in Form eines Interviewleitfadens. Was auf den Bewerber im ersten Moment vielleicht befremdlich wirkt, ist in Wirklichkeit ein faires Auswahl­verfahren. Interviews, die keine strukturierten Fragen beinhalten, können Berufserfolg weit schlechter als strukturierte Interviews vorhersagen – genauer gesagt, nur knapp halb so gut. Ebenso verbessert die Ausbildung und Expertise des Interviewers (Training und Erfahrung) die Qualität der Auswahl.

Eine weitere Verbesserung der Personalauswahl ist möglich, wenn die Wahrnehmungs­fehler, die jeder soziale Kontakt birgt, weiter reduziert werden. Deshalb ist es sinnvoll, zusätzlich zum strukturierten Interview Auswahltests einzusetzen, mit denen geforderte „Soft Skills“ und „Hard Facts“ erfasst werden können. Vor allem bei Führungs­positionen werden Interviews oft durch interaktive Aufgaben wie Assessment Center-Übungen ergänzt. Gute Idee, doch auch hier gilt: gut ist, was strukturiert und standardisiert abläuft und von Fach­leuten (Psychologen) eingesetzt wird. Denn was nun klar wird: Wie gut eine Frage im Interview, im Test oder im Assessment Center ist, hängt davon ab, ob sie gut konstruiert und strukturiert ist sowie korrekt angewendet, ausgewertet und interpretiert wird.

Was folgt daraus? Eine gute Personaldiagnostik schafft dem Unternehmen einen deutlichen ökonomischen Mehrwert. Damit eine Personaldiagnostik gut ist, muss sie weit über unstrukturierte Interviews hinausgehen. Die lange Tradition psychologischer Forschung zeigt auf, wie eine gute Personaldiagnostik zu gestalten ist.

Schuler, H. (2002). Das Einstellungs­interview. Göttingen: Hogrefe.

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