Realität als Heilmittel

- Bianca von Wurzbach –

Ein realistisches Selbstbild schützt vor schlechter Stimmung nach negativem Feedback.

„Du bist die Größte und Beste auf der ganzen Welt! Alle Menschen finden, dass du toll bist!“ Mit solchen Aussagen motzen so manche Eltern das Selbstbewusstsein ihrer Zöglinge auf. Denn gerade im Kindesalter sehen sich Menschen einigen sozialen Bedrohungen ausgesetzt, vor denen Eltern ihre Kleinen schützen möchten – Kinder werden von Gleichaltrigen oftmals gehänselt, zum Narren gehalten oder gar ausgeschlossen. Ein zu geringes Selbstbewusstsein wird häufig als Ursache für die Verwundbarkeit durch solche sozialen Angriffe gesehen, ein übersteigertes demgegenüber als Schutz­möglichkeit. Doch ist klein Alex tatsächlich durch ein überhöhtes Selbstbewusstsein vor der Verletzung durch die Ablehnung von Spielkameraden abgesichert? Schützt ein überzogenes Selbstbild wirklich vor emotionaler Verwundbarkeit? Und was passiert, falls das Selbstbild schlicht dem Bild entspricht, das andere Menschen von einem haben?

Diesen Fragen widmete sich auch ein Forschungs­team um Sander Thomaes. Es untersuchte, wie sich das Feedback, nicht beliebt zu sein, auf die Stimmung auswirkt. Die Annahme war hierbei, dass negatives Feedback dann die Stimmung drückt, wenn man sich selbst unrealistisch einschätzt. Dafür ließ die Forschungs­gruppe Kinder im Grundschulalter angeben, wie sehr sie jeweils ihre Klassenkameraden mögen. Anschließend sollten die Kinder einschätzen, wie beliebt sie selbst bei den anderen sind. Je größer Differenz zwischen der Selbsteinschätzung und der Bewertung durch die Klassenkameraden, desto unrealistischer das eigene Selbstbild. Nach einigen Wochen nahmen die Kinder an einem Internet-Beliebtheitswettbewerb teil. Hierbei wurde zunächst die Stimmung aller Kinder gemessen. Anschließend ließen sie ihr Profil von anderen Teilnehmenden online bewerten. Das diesbezügliche Feedback für die einzelnen Kinder wurde jedoch von dem Forschungs­team bestimmt. Selbiges setzte die Hälfte der Kinder dem Feedback aus, am unbeliebtesten von allen zu sein, die andere Hälfte erhielt ein neutrales Feedback. Anschließend wurde wiederum die Stimmung aller Kinder gemessen. Am Ende wurden die Kinder ausführlich über das Experiment aufgeklärt.

Die Ergebnisse der Studie widersprachen den Erwartungen so mancher Eltern: Sobald die Kinder einem bedrohlichen Feedback ausgesetzt worden waren, führte nicht nur ein zu geringes Selbstbewusstsein zu einer negativen Stimmungs­veränderung. Auch bei einem übersteigerten Selbstbewusstsein schlugen sich geringe Popularitätswerte in einer Abnahme der Stimmung nieder. Kinder, die jedoch ein realistisches Selbstbild aufwiesen, ließen sich von schlechten Beliebtheitswerten nicht aus der Bahn bringen. Hier zeigte sich keinerlei Stimmungs­änderung nach Darbietung des schlechten Feedbacks.

Aus der Studie lässt sich erkennen, dass es nicht nur problematisch sein kann, seinen Kindern ein geringes Selbstbewusstsein mit auf ihren Lebens­weg zu geben. Auch das Anerziehen eines überzogenen Selbstbildes kann das Wohlbefinden des Kindes gefährden. Hilfreich mag es demgegenüber sein, Sprösslingen, die unter einem zu hohen oder zu geringen Selbstbewusstsein leiden, Wege aufzuzeigen, ein realistisches Selbstbild zu entwickeln.

Thomaes, Sander, Reijntjes, Albert, Orobio De Castro, Bram & Bushman, Brad J. (2009). Realiy Bites – or Does It? Realistic Self-Views Buffer Negative Mood Following Social Threat. Psychological Science, 20 (9), 1079 – 1080.

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