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Sei doch mal rational! – Oder besser doch nicht?

- Markus Wache –

Rationalität als moralische Tugend zu betrachten schützt nicht vor dem Teilen von Fake News – im Gegenteil.

Viele kennen diese Situation: Jemand postet einen Artikel von einer zwielichtigen News-Seite. Liest man ihn, wird einem schnell klar: Fake-News. Während man enttäuscht den Kopf schüttelt, fragt man sich: Wie kann jemandem Wahrheit nur so egal sein? Vielleicht stellt man sich auch eine bessere Welt vor, in der Rationalität sogar als moralisch angesehen wird. Wäre diese Welt aber tatsächlich besser? 

 Antoine Marie und Michael Bang Petersen unter­suchten den Zusammenhang zwischen moralizing rationality – also, dass man es als moralisch geboten sieht, die eigenen Über­zeugungen in Logik und Fakten zu begründen – und dem Teilen von feindseligen Nachrichten über den politischen Gegner. Dazu befragten sie in drei Studien insgesamt 4.800 US-Amerikaner*innen zu ihrer politischen Einstellung und zeigten ihnen anschließend verschiedene Nachrichten: republikanerfeindliche (wahre und erfundene), demokratenfeindliche (wahre und erfundene) sowie wahre, neutrale Nachrichten. Nach jeder Nachricht sollten die Befragten angeben, wie sehr sie bereit wären, diese zu teilen.

Es zeigte sich, dass die Bereitschaft, feindselige Nachrichten über den politischen Gegner zu teilen – egal, ob wahr oder falsch – umso höher war, je stärker eine Person Rationalität als moralische Tugend betrachtete. Dies erscheint zunächst paradox. Warum sollten Menschen falsche Nachrichten teilen, wenn ihnen Fakten und Logik so wichtig sind? Zum einen können die Forschenden nicht ausschließen, dass die betroffenen Personen an die Wahrheit der Nachrichten glaubten. Zum anderen konnte in den Studien gezeigt werden, dass ein großer Teil des Zusammenhangs durch das Streben nach Status erklärt werden kann: Personen, die ihre Über­legenheit demonstrieren wollen, können durch das Moralisieren von Rationalität ihr feindseliges Verhalten dem politischen Gegner gegenüber als moralisch darstellen, da die anderen ja vermeintlich einem „irrationalen Glauben“ anhängen.

Was kann dann gegen das Verbreiten von Fake News helfen, wenn selbst das Moralisieren von Rationalität eher schadet als hilft? Eine Antwort ist intellektuelle Bescheidenheit, also die Bereitschaft anzuerkennen, dass die eigenen Intuitionen unzuverlässig sein können und dass man auf das Urteil anderer, insbesondere das von Fach­leuten, hören sollte. Denn das reduzierte in den Studien die Bereitschaft, feindselige Nachrichten zu teilen. Die Forschenden erklären sich das so, dass intellektuelle Bescheidenheit quasi als Puffer gegen das Streben nach Status wirkt. Außerdem macht sie weniger anfällig für kognitive Vereinfach­ungen und Verzerrungen.

Im Kampf gegen Fake News ist es also vielleicht gar nicht zielführend, Rationalität und Faktentreue als moralischen Wert hochzuhalten. Insbesondere, wenn Personen tatsächlich an die Wahrheit der Nachrichten glauben oder nach Status streben, hilft das wenig. Hilfreich wäre stattdessen, gesellschaft­lich eine innere Haltung der intellektuellen Bescheidenheit zu fördern, mit der man dem eigenen Bauchgefühl auch mal misstraut und sich die Argumente anderer anhört. 
 

Marie, A., & Petersen, M. B. (2025). Moralization of rationality can stimulate sharing of hostile and false news on social media, but intellectual humility inhibits it. Political Communication42(1), 57–84. https://doi.org/10.1080/10584609.2024.2363542

Redaktion und Ansprech­partner*in¹: Jennifer Eck¹, Anne Landhäußer

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