Spieglein, Spieglein an der Wand

- Ulrike Rangel –

Wir halten uns für schöner, als wir tatsächlich sind.

Eine Vielzahl psychologischer Forschungs­befunde zeigt, dass Menschen sich selbst gerne in einem positiven Licht sehen. Deshalb interpretieren wir unsere Umwelt oft so, dass wir vor uns selbst gut dastehen. Zum Beispiel neigen wir dazu, Erfolge uns selbst zuzuschreiben, während wir Misserfolge eher auf die widrigen Umstände schieben: Die sehr gute Note in Mathe spiegelt für uns das eigene Können wider – die Fünf in Geschichte halten wir dagegen für Pech bei der Klassenarbeit. In den meisten Fällen sind diese verzerrten Wahrnehmungen normal und gesund, denn sie tragen zu einem positiven Selbstbild und zu unserem Wohlbefinden bei. So hat sich beispielsweise gezeigt, dass Menschen, die solche positiven Illusionen von sich haben, besser mit negativen Lebens­ereignissen umgehen können.

Die beiden Forscher Nicholas Epley und Erin Whitchurch haben nun in aktuellen Studien getestet, ob diese Tendenz zur Selbstverschönerung auch die Wahrnehmung unserer äußeren Erscheinung betrifft. Sie untersuchten, ob wir das eigene Gesicht – einen Anblick also, den wir tagtäglich vor uns im Spiegel sehen – als schöner wahrnehmen, als es tatsächlich ist. Dazu fotografierten die Forscher die Gesichter ihrer Studien­teilnehmer. Mithilfe eines computer­gestützten Grafik­programms vermischten sie die Fotografien dann entweder mit dem Bild eines sehr attraktiven oder eines sehr unattraktiven Gesichts. Durch dieses Vorgehen erhielten Epley und Whitchurch schrittweise attraktivere und unattraktivere Versionen des Gesichts der Studien­teilnehmer. In mehreren Studien wurden dann die Versuchspersonen gebeten, aus einer Reihe von Fotos möglichst schnell dasjenige herauszusuchen, das einige Tage zuvor von ihnen aufgenommen worden war. Die Ergebnisse verblüffen: Nur ein geringer Prozentsatz der Studien­teilnehmer wählte sein tatsächliches Gesicht aus. Rund zwei Drittel der Versuchspersonen entschieden sich hingegen für eine der Fotografien, die mit dem attraktiven Gesicht vermischt worden waren. Auf der anderen Seite hatten die Studien­teilnehmer keinerlei Schwierigkeiten, das tatsächliche Gesicht eines Fremden, den sie nur kurz gesehen hatten, aus einer Reihe veränderter Fotos herauszusuchen. Aber wählten die Probanden die attraktive Version ihres Gesichtes wirklich deshalb aus, weil sie sich unbewusst schöner sahen, als sie waren? Die Forscher untersuchten dies, indem sie die Reaktions­zeiten ihrer Probanden auf die Fotos erfassten. Tatsächlich reagierten die Teilnehmer erheblich schneller auf die attraktive Version als auf das realitätsgetreue Foto – sie „erkannten“ die geschönte Version also leichter. Dies spricht dafür, dass sie tatsächlich unbewusst die attraktivere Variante für das eigene Gesicht hielten.

Wenn wir uns im Spiegel betrachten, sehen wir unter Umständen also kein objektives Bild, sondern eine etwas geschönte Variante. Wie die Forscher bemerken, ist es demnach kein Wunder, dass die meisten Menschen sich für nicht fotogen halten: Die Kameralinse kann die Schönheit nicht erfassen, die uns selbst ein Blick in den Spiegel offenbart.

Epley, N. & Whitchurch, E. (2008). Mirror, mirror on the wall – enhancement in self-recognition. Personality and social psychology bulletin, 34(9), 1159-1170.

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