Und führe uns in Versuchung!

- Moritz Rüller –

Die Stärke unseres Verlangens bestimmt, ob wir uns durch verführerische Reize in Versuchung führen lassen oder uns sogar noch mehr selbst kontrollieren.

Erliege ich schon wieder der Verführung durch die nächste Zigarette, oder fange ich jetzt und hier damit an, im Interesse meiner Gesundheit weniger Kippen anzurühren?  Jeden Tag erleben wir Situationen, in denen wir uns zwischen den aufkommenden Reizen akuter Bedürfnisse und unseren langfristigen Interessen entscheiden müssen.

Die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit, Emotionen und Handlungs­impulse zu kontrollieren, wird als Selbstregulation bezeichnet. Manche Menschen beherrschen dies besser als andere. Dies liegt auch daran, dass das, was für den einen ein starkes Bedürfnis ist, für den anderen keinerlei Reiz hat – wie zum Beispiel das Rauchen.  Grundlegende Bedürfnisse wie Hunger, Durst und Sexualität sind allerdings für jeden Menschen relevant. Diese Bedürfnisse haben gemeinsam, dass immer wiederkehrend auf Phasen der Befriedigung  („kalter Zustand“) Phasen der Nichtbefriedigung („heißer Zustand“) folgen, während denen unser Verlangen sehr stark ist. Loran Nordgreen und Eileen Chou von der von der Northwestern University stellten sich die Frage, inwiefern die Fähigkeit zur Selbstregulation davon abhängt, ob wir uns gerade in einer „heißen Phase“ befinden, also ein sehr starkes momentanes Bedürfnis haben, und ob es möglich ist, auch starken Verführungen zu widerstehen.

In ihrem Experiment zeigte das Forscherteam männlichen Studenten, die sich alle in einer festen Partnerschaft befanden, entweder einen Film mit erotischem Inhalt oder einen nicht-erotischen Bericht. Anschließend wurde allen Probanden ein Set von Fotos mit jungen, attraktiven Frauen vorgelegt und gemessen, wie viel Zeit sie mit der Betrachtung der einzelnen Bilder verbrachten. Bei einem zweiten Termin wurde denselben Männern wieder der Film gezeigt und sie bekamen ein neues Set von Fotos vorgelegt, diesmal jedoch mit der Zusatz­information, dass die Frauen bald ebenfalls an ihrer Uni studieren würden. Wenn die Studenten damit rechnen mussten, mit den Frauen bald im Seminar zu sitzen, sollte die Verführung besonders groß sein.

Wie erwartet blickten die Männer, die sich durch den erotischen Film in einem Zustand großen Verlangens befanden, länger als die nicht-erregten Männer auf die Fotos. Insbesondere betrachteten sie die Bilder dann lange, wenn sie erwarteten, die Frauen bald zu treffen. Die  Männer, deren Verlangen nicht akut durch einen erotischen Film geweckt worden war, blickten jedoch sogar kürzer auf die Fotos, wenn sie annahmen, die abgebildeten Frauen bald in ihrer Nähe zu haben. Offenbar waren sie in der Lage, sich den Wert ihrer langfristigen Partnerschaft ins Gedächtnis zu rufen und verringerten ihre Verführbarkeit dadurch, dass sie den attraktiven Alternativen weniger Aufmerksamkeit schenkten.

Diese Ergebnisse zeigen, dass die Verführbarkeit im Zustand eines stark geweckten Bedürfnisses besonders groß ist. Ist dies jedoch nicht der Fall, können wir einen kühlen Kopf bewahren und reagieren nicht so stark auf die Reize, die in unserer Umgebung lauern. Mehr noch: Gerade wenn die Verführung groß ist, können wir uns bewusst machen, was unser eigentliches Ziel ist, und ihr umso stärker widerstehen.

Nordgreen, L.F. & Chou, E. (2011). The push and pull of temptation: The bidirectional influence of temptation on self-control. Psychological Science, 20(10), 1–5.

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