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Unmoral am Nachmittag

- Martin Krentz –

Unmoralisches Verhalten am Nachmittag kann an nachlassender Selbstkontrolle liegen.

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie kommen völlig erschöpft aus einer beruflichen Sitzung und wollen sich am Kiosk etwas zu trinken kaufen. Beim Bezahlen merken Sie, dass Ihnen der Verkäufer zu viel Wechselgeld herausgibt. Was machen Sie? – Weisen Sie Ihr Gegenüber darauf hin oder handeln Sie zu Ihren Gunsten und nehmen das Geld ohne ein weiteres Wort einfach mit? Bisherige Forschung zeigt auf, dass wir uns in dieser Situation oftmals unmoralisch verhalten und das Geld einstecken würden, auch wenn viele von uns eigentlich moralisch handeln möchten. Doch wieso ist das so? Warum begehen selbst „gute“ Menschen manchmal „schlechte“ Taten?

Grund dafür scheint häufig zu sein, dass wir in unserem alltäglichen Leben vielen Belastungen ausgesetzt sind, welche unsere Selbstkontrolle – also die Kraft, unmittelbaren Wünschen und Impulsen zu widerstehen – beanspruchen. So stellen zum Beispiel das Treffen von Entscheidungen, das Planen von Aufgaben und der freundliche Umgang mit anderen Menschen häufig Anstrengungen dar, welche diese Fähigkeit stark strapazieren. Ein gewisses Maß an Selbstkontrolle ist jedoch Voraussetzung, um moralisch handeln können, da man dabei oftmals seine eigenen Interessen übergehen muss. So konnte experimentell gezeigt werden, dass Personen, die eine Aufgabe bearbeiten mussten, die ihnen starke Selbstkontrolle abverlangte, im Nachhinein meist ein geringeres moralisches Verhalten aufwiesen (zum Beispiel eher logen oder betrogen) als Personen, die keine solche Aufgabe bearbeitetet hatten.

In einer aktuellen Studie nutzten Maryam Kouchaki und Isaac Smith diese Befunde, um den Zusammenhang zwischen der Tageszeit und moralischem Verhalten zu unter­suchen. Da Personen von früh morgens an entscheiden („Was soll ich essen?“), planen („Wie erledige ich meine Aufgaben am besten?“) und Versuchungen widerstehen müssen („Nein, ich setze mich nicht in die Sonne, sondern an meinen Schreibtisch.“), sollten die Ressourcen zur Selbstkontrolle im Tagesverlauf abnehmen. Dementsprechend sollten auch unmoralische Verhaltensweisen am Nachmittag wahrscheinlicher werden als am Morgen, da sie zunehmend schlechter reguliert werden können.

Um diese Annahme zu überprüfen, wurden Studierende entweder morgens oder nachmittags zu einer Studie eingeladen. In dieser sollten sie Schätzaufgaben am Computer bearbeiten, wobei es ihnen einfach gemacht wurde, zu mogeln und so un­gerechter Weise eine höhere Entlohnung zu erzielen. Aufgrund reduzierter Selbstkontrolle sollten die Studierenden am Nachmittag stärker zu diesem unmoralischen Verhalten neigen als am Morgen.

In der Tat machten die Teilnehmenden nachmittags häufiger falsche Angaben zu ihren Gunsten als morgens. Die These der AutorInnen, dass im Tagesverlauf das moralische Verhalten abnimmt, konnte somit bestätigt werden.

Gemäß diesen Ergebnissen sollten wir versuchen, unsere Handlungen nachmittags verstärkt zu reflektieren, um nicht aus einem Impuls heraus unmoralisch zu handeln. In Zeiten der zunehmenden Belastung scheint dies besonders bedeutend zu sein. Und auch der Kiosk-Verkäufer sollte gerade bei fortgeschrittenem Tag sein Wechselgeld besser zweimal zählen, bevor er es herausgibt. Denn je später der Tag, desto eher macht Gelegenheit unmoralisch.

Kouchaki, M., & Smith, I. H. (2014). The Morning Morality Effect: The influence of time of day on unethical behaviour. Psychological Science, 25, 95–102.

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