Verwirrung in der Wahlkabine

- Nicole Fritz –

Die tatsächliche politische Einstellung junger Erwachsener in den USA ist meist liberaler als von ihnen selbst wahrgenommen.

Ob bei der Wahl des Klassensprechers, der Bürgermeisterin oder wie vor kurzem des Bundestags – stets werden wir erm­untert, unser Kreuzchen zu setzen und mitzubestimmen. Wahlen sind für uns eine Selbstverständlichkeit. Sie sind das Grundgerüst einer jeden repräsentativen Demokratie, in der ParlamentarierInnen oder auch PräsidentInnen gewählt werden, um eine gewisse politische Einstellung zu vertreten. Doch nehmen wir unsere politische Orientierung überhaupt immer korrekt wahr und wählen die KandidatInnen, die unsere Ansichten auch tatsächlich verfechten?

Die amerikanischen Psychologen Ethan Zell und Michael Bernstein würden diese Frage vermutlich eher verneinen. Sie trugen eine Reihe von Umfrageergebnissen zusammen und stießen dabei auf folgendes Paradoxon: Die meisten AmerikanerInnen gaben in den untersuchten Studien zwar an, politisch konservativ zu sein, äußern sich aber gleichzeitig meist liberal zu verschiedenen politischen Themen wie Armut und Bildung. Offensichtlich gibt es also eine Diskrepanz zwischen dem, was die Befragten als ihre politische Einstellung wahrnahmen und dem, was objektive Kriterien aussagen.

Um diesen Zusammenhang systematisch zu überprüfen, führten die Forscher zwei Umfragen mit Studierenden beziehungs­weise einer breiten Online-Stichprobe durch. Die Teilnehmenden gaben dabei zunächst ihre selbstwahrgenommene politische Einstellung auf einer Skala von „liberal demokratisch“ bis „konservativ republikanisch“ an. Anschließend äußerten sie ihre Meinung zu verschiedenen politischen Themen wie Abtreibung und Umweltschutz. Diese Angaben dienten den Forschern als objektives Maß der politischen Orientierung.

In beiden Studien war die selbstwahrgenommene politische Einstellung der Teilnehmenden im Durchschnitt  konservativer als deren objektiv erfasste. Befragte, die sich selbst als sehr konservativ wahrnahmen, unterschätzen dabei am stärksten, wie liberal ihre Ansicht zu politischen Themen objektiv gesehen war.

Doch beeinflusst diese verzerrte Wahrnehmung der eigenen politischen Einstellung auch das tatsächliche Wahl­verhalten? In einer weiteren Studie erfassten die Forscher neben der selbstwahrgenommenen und objektiven politischen Orientierung von Studierenden, auch deren Wahlentscheidungen bei der amerikanischen Präsidentschafts­wahl 2012. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass nicht nur die tatsächliche, sondern auch die verzerrte selbstwahrgenommene politische Meinung der Befragten Einfluss auf deren Wahlentscheidungen hatte.

Allerdings bestanden die Stichproben der Forscher größtenteils aus AmerikanerInnen im jungen Erwachsenenalter. Die selbstwahrgenommene politische Einstellung anderer Gesellschafts­schichten könnte somit auf eine andere Weise oder gar nicht verzerrt sein. Inwiefern diese Ergebnisse also Allgemeingültigkeit besitzen (und auf deutsche Verhältnisse übertragbar sind), kann nur durch weitere Forschung geprüft werden. 

Für zukünftige politische Wahlen scheint es aber in jedem Fall ratsam zu sein, sich schon vor dem Gang zum Wahllokal über seine konkreten Einstellungen zu verschiedenen politischen Themen Gedanken zu machen, um gezielt jene KandidatInnen zu wählen, die diese Einstellungen auch am ehesten vertreten. 

Zell, E., & Bernstein, M. J. (2013). You may think you’re right… Young adults are more liberal than they realize. Social Psychological and Personality Science. doi: 10.1177/1948550613492825

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