Vom Pyjama bis zur Aktentasche – Die vielen Facetten des Ichs und ihre Aus­wirkungen

- Bianca von Wurzbach –

Das Wohlbefinden einer Person wird von Anzahl, Wichtigkeit und Harmonie ihrer verschiedenen Identitäten beeinflusst.

Maja L., verheiratet und Mutter zweier Kinder, ist Marketingleiterin in einem kleinen Unternehmen. In ihrer Freizeit geht sie mit großem Engagement einer ehrenamtlichen Tätigkeit in einem Waisenhaus nach. Maja hat also allerhand Verpflichtungen und Wünsche, denen sie gerecht werden möchte. Doch lassen sich so viele verschiedene Tätigkeiten tatsächlich bewältigen? Oder endet das Ganze nicht doch irgendwann in Stress und Unbehagen?

Die Komplexität des menschlichen Selbst ist schon lange ein wichtiges Thema in der sozialpsychologischen Forschung. Vielfach konnte gezeigt werden, dass das Selbst einer Person unter anderem stark durch die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen definiert ist. Dabei gehören Menschen häufig zugleich vielen verschiedenen Gruppen an, die unterschiedliche Forderungen an sie stellen. So ist es zum Beispiel in zahlreichen Berufssparten nicht möglich, im légèren Outfit aufzutreten oder herumzualbern. Eine solche ungezwungene Art ist aber für viele Menschen Teil eines entspannten Familienlebens. Die hiermit verbundenen unterschiedlichen Rollen führen dazu, dass  Menschen verschiedene Identitäten entwickeln, um den vielfältigen Erwartungen gerecht zu werden.

Ein amerikanisches Forschungs­team um Amara Brook beschäftigte sich jetzt mit der Frage, ob diese multiplen Identitäten einer Person zu psychologischem Wohlbefinden führen oder gar das Gegenteil bewirken. Die Forscherinnen gingen dabei davon aus, dass der Einfluss multipler Identitäten auf das psychologische Wohlbefinden von drei Faktoren bestimmt wird: Erstens von der Anzahl der Identitäten, die eine Person in sich trägt, zweitens vom Ausmaß an Harmonie bzw. Konflikt zwischen den unterschiedlichen Identitäten, also ob sie ähnliche Verhaltensweisen fordern oder sich gegenseitig behindern, und drittens von der Wichtigkeit, die eine Person ihren einzelnen Identitäten beimisst.

Um diese Annahmen zu überprüfen, ließen die Forscherinnen amerikanische Studierende ihre verschiedenen Identitäten auflisten und im Anschluss auf mehreren Skalen bezüglich Wichtigkeit und Harmonie bewerten. Schließlich sollten die Versuchsteilnehmenden Angaben über ihr Wohlbefinden machen, also zum Beispiel ob sie in letzter Zeit häufig fröhlich oder eher verärgert gewesen waren.

Die Ergebnisse sind spannend: Der Zusammenhang zwischen den Identitäten einer Person und ihrem psychologischen Wohlbefinden hängt sowohl von Anzahl und Wichtigkeit der einzelnen Identitäten ab als auch, und zwar vor allem, von der Harmonie zwischen den verschiedenen Identitäten. So steigt das Wohlbefinden einer Person mit der Anzahl der Identitäten, wenn diese wichtig sind und miteinander harmonieren. Demgegenüber sinkt das Wohlbefinden einer Person mit steigender Anzahl der Identitäten, wenn diese wichtig sind, aber im Konflikt zueinander stehen.

Ob sich Maja über kurz oder lang gut fühlen wird, hängt also stark davon ab, ob sich ihr Familiendasein mit ihrem Marketingjob und ihrer ehrenamtlichen Helferseele vereinen lässt. Falls tatsächlich ein Konflikt  vorliegt, kann Maja nur geraten werden, einzelne Identitäten nicht ganz so wichtig zu nehmen oder aufzugeben, um ihr Wohlbefinden nicht dauerhaft zu gefährden.

Brook, Amara T., Garcia, Julie & Fleming, Monique (2008). The Effects of Multiple Identities on Psychological Well-Being. Personality and Social Psycholgy Bulletin, 34(12), 1588 – 1600.

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