Vom Vorteil, ein Chamäleon zu sein

- Rainer Greifeneder –

Nachahmungs­verhalten fördert Sympathie und Hilfsbereitschaft.

Ein sonniger Samstagnachmittag, ein gemütliches Café und zwischen all den Besuchern eine Frau und ein Mann an einem Tisch. Sie nippt an einem Latte Macchiato, er führt seinen Milchkaffee zum Mund. Er lächelt ein wenig, sie lächelt zurück. Sie zieht fragend die rechte Augenbraue hoch, und er die linke. Und all das, ohne dass sich die beiden der chamäleonartigen Parallelität ihrer Mimik und Gestik bewusst sind. „Mimikry“ nennen Forscher dieses unwillkürliche gegenseitige Imitieren von Gestik, Sprache und Mimik des Interaktions­partners. Aber warum imitieren wir andere Menschen überhaupt?

Mimikry dient unter anderem dem Aufbau und Erhalt von Beziehungen mit anderen Personen. So zeigt eine Vielzahl von Forschungs­ergebnissen, dass wir Menschen, die uns nachahmen, sympathischer finden – zumindest, wenn uns das Nachahmungs­verhalten nicht bewusst als „Nachäffen“ auffällt. Wahrscheinlich liegt dies daran, dass Mimikry die wahrgenommene Ähnlichkeit zwischen Nachgeahmtem und Nachahmer erhöht, und wir Personen, die uns selbst ähneln, als sympathischer erleben. Doch nicht nur die Sympathie ist durch Mimikry beeinflusst: Kellnerinnen, die ihre Gäste nachahmen, erhalten zum Beispiel von diesen mehr Trinkgeld.

Neueste Forschungs­ergebnisse belegen nun, dass nicht nur Nachgeahmte, sondern auch Nachahmer ihr Verhalten ändern und dass Nachahmungs­verhalten Menschen hilfsbereiter machen kann. Wie ist das möglich? Marielle Stel, Rick von Baaren und Roos Vonk (Universität Leiden) spielten Probanden ein Video vor, in dem eine Person namens Marije zu sehen war, die entweder über ein lustiges oder ein trauriges Thema sprach. Die Hälfte der  Probanden wurde aufgefordert, Marije’s Mimik nachzuahmen, die andere Hälfte erhielt diese Instruktion nicht. Anschließend wurden alle Probanden gefragt, ob sie einen Teil des Geldes, das sie für ihre Teilnahme am Experiment erhielten, für einen guten Zweck spenden würden. Erstaunlicherweise zeigte sich, dass diejenigen Studien­teilnehmer, die Marije nachgeahmt hatten, deutlich mehr Geld spendeten. Die Autoren erklären dies damit, dass das Nachahmen von Marije zu größerem Einfühlungs­vermögen gegenüber den Belangen anderer führte. Denn um andere Menschen zu imitieren, müssen wir uns in sie hineinversetzen und werden somit sensibel dafür, wie andere sich fühlen. Die Nachahmer konnten sich also vermutlich besser in den guten Zweck hinein denken und spendeten aus diesem Grund mehr Geld. Eine andere Person nachzuahmen führt damit nicht nur zu Verhaltensänderungen beim Nachgeahmten, sondern auch beim Nachahmenden. In vielen Fällen ist dies vorteilhaft für beide Seiten – und, wenn es zu Sympathie und Hilfsbereitschaft führt, auch für die Gesellschaft als Gesamtes.  

Stel, M., van Baaren, R. B., & Vonk, R. (2008). Effects of mimicking: Actinc prosocially by being emotionally moved. European Journal of Social Psychology, 38 (6), 965–976.

Dieser Artikel ist in Psychologie heute erschienen (August 2008). www.psychologie-heute.de

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