Warum wir an die Existenz des freien Willens glauben wollen

- Laila Nockur –

Wenn Menschen mit einer unmoralischen im Vergleich zu einer moralisch neutralen Handlung konfrontiert werden, zeigen sie einen verstärkten Glauben an den freien Willen, vermutlich um ihr erhöhtes Bedürfnis nach Bestrafung der betreffenden Person rechtfertigen zu können.

Glauben Sie an die Existenz des freien Willens? Denken Sie also beispielsweise, dass Personen  grundsätzlich frei und bewusst denken und auch handeln können? Viele von Ihnen werden diese Frage vermutlich mit „Ja“ beantworten. Wissenschaft­lich geklärt ist diese Annahme jedoch bis heute nicht. Das Forschungs­team um Cory J. Clark beleuchtete das Thema nun aus einer anderen Perspektive und stellte nicht die Frage ob der freie Wille existiert, sondern warum so viele Menschen daran glauben.   

Schon Friedrich Nietzsche nahm an, dass Menschen das Grundbedürfnis haben, an den freien Willen zu glauben, um andere für ihr Fehl­verhalten moralisch verantwortlich machen zu können. Denn nur mit einem freien Willen hätte sich ein/e MissetäterIn auch moralisch „richtig“ verhalten können, was letztlich eine Bestrafung rechtfertige. Diese Annahme unterstützend konnte bisherige Forschung zeigen, dass Menschen Willensfreiheit oftmals als Voraussetzung für moralische Verantwortlichkeit und Strafwürdigkeit erachten. Zudem wurde dargelegt, dass das Bedürfnis, andere für ihr Handeln moralisch verantwortlich zu machen, dazu führen kann, dass Untaten im Nachhinein verstärkt als gewollt und kontrollierbar eingestuft werden.

Auf Nietzsches Vermutung und den Befunden aufbauend sagten die Forschenden vorher, dass die Beschäftigung mit einer unmoralischen im Vergleich zu einer moralisch neutralen Handlung zu einem erhöhten Bedürfnis der Bestrafung der betreffenden Person führe. Dies sollte wiederum den Glauben an die Existenz des freien Willens stärken, um so den Wunsch nach Bestrafung der ÜbeltäterIn rechtfertigen zu können. Dabei sollte sich der Glaube an die Willensfreiheit nicht nur auf die konkrete Person erstrecken, sondern allgemein  erhöht  sein.

Diese Vorhersagen wurden von dem Forschungs­team in mehreren Experimenten überprüft. Beispielsweise lasen die Teilnehmenden eine Fallstudie über einen Raub von Wertgegenständen (eine unmoralische Handlung) oder über die Entwendung von Müll aus einer Mülltonne (eine moralisch neutrale Handlung). Anschließend gaben die Befragten an, wie stark die betreffende Person ihrer Meinung nach bestraft  werden solle und wie sehr sie an die Existenz des freien Willens im vorliegenden Fall wie auch im Allgemeinen glaubten.

Wie vermutet sprachen sich die Teilnehmenden, die mit einer unmoralischen im Vergleich zu einer moralisch neutralen Tat konfrontiert worden waren, für eine höhere Bestrafung der Person aus. Dies führte wiederum zu einem erhöhten Glauben an den freien Willen. Dabei schrieben die Befragten sowohl der Person in der spezifischen Situation als auch Menschen im Allgemeinen mehr Willensfreiheit zu. Ein paralleler Zusammenhang ließ sich darüber hinaus beim Vergleich von Umfragedaten auf Länder­ebene finden: Personen in Ländern mit höheren Mordraten wiesen auch einen höheren Glauben an die Willensfreiheit auf. Damit sprechen die Befunde insgesamt dafür, dass Menschen verstärkt an den freien Willen glauben, wenn sie die Bestrafung unmoralischer Handlungen rechtfertigen wollen.

Ob der freie Wille nun tatsächlich existiert, kann und will diese Studie nicht beantworten. Aber wenn Sie das nächste Mal Ihr Gegenüber für „falsches“ Verhalten moralisch verantwortlich machen möchten, dann überlegen Sie doch zunächst, ob die Person in der Situation tatsächlich eine Wahl hatte oder ob Sie nur gerne eine unmoralische Tat bestraft sehen würden.


Clark, C. J., Luguri, J. B., Ditto, P. H., Knobe, J., Shariff, A. F., & Baumeister, R. F. (2014). Free to punish: A motivated account of free will belief. Journal of Personality and Social Pychology, 106(4), 501–513.

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Bianca von Wurzbach*, Svenja Seeger

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