Wenn der Berg zum Hügel wird

- Rainer Greifeneder –

Was wir als Realität wahrnehmen, ist zum Teil nur Illusion.

Sie stehen vor einem Hügel. Das heißt, eigentlich stehen Sie nicht, sondern knien auf einem Skateboard. Ihre Aufgabe ist es, den Hügel mit dem Skateboard hochzufahren, indem Sie sich mit beiden Händen links und rechts abstoßen und so nach oben schieben. Kaum sind Sie oben, werden Sie gebeten, die Steigung des Hügels anzugeben, und das sogar ganz genau: Sie sollen die Steigung in ein Koordinatenkreuz einzeichnen. Dabei überschätzen die meisten Menschen die Steigung des Hügels bei Weitem. Weil es anstrengend war, den Hügel zu errollen, glauben sie, der Hügel sei steiler als er tatsächlich ist – der flache Hügel wird zum unbezwingbaren Berg.

Aus Studien wie diesen kann man lernen, dass Menschen die Realität nicht objektiv wahrnehmen, sondern diese für sich subjektiv konstruieren. Wie wir den Hügel einschätzen hängt nicht nur von der messbaren Steigung des Hügels ab, sondern auch von der jeweiligen Situation – wären Sie den Hügel einfach hinaufgelaufen anstatt ihn mit dem Skateboard zu ‚errollen’, hätten Sie den Hügel wahrscheinlich flacher eingeschätzt. Was wir als Realität wahrnehmen ist also teilweise nur eine Illusion.

Doch zurück zum Skateboard: Was passiert, wenn Sie sich ohne äußeren Zwang, also freiwillig, dazu entscheiden, auf das Skateboard zu knien und den Hügel hinauf zu robben? Die Forscher Emily Balcetis und David Dunning (Cornell University) nahmen an, dass die Probanden die Situation dann weitaus weniger unangenehm und anstrengend erleben und den Hügel daher weniger steil einschätzen. Sie begründen diese Hypothese mit dem Phänomen der kognitiven Dissonanz. Kognitive Dissonanz entsteht, wenn sich zwei Gedanken oder Einstellungen widersprechen. Bei der Skateboardaufgabe könnte der Widerspruch so aussehen: “Ich knie auf einem Skateboard, muss mich anstrengen und mache mich dabei unter Umständen lächerlich. Aber ich mache diese Aufgabe freiwillig.“ Eine solche Dissonanz empfinden Menschen unangenehm und möchten diese daher reduzieren. Auf dem Skateboard kann dies durch eine veränderte Wahrnehmung der Situation gelingen: Indem man die Skateboardaufgabe weniger anstrengend und unangenehm erlebt, den Hügel also nicht zum Berg macht, wird der Widerspruch zur freiwilligen Teilnahme reduziert. Und tatsächlich fanden die beiden Forscher, dass bei scheinbar freiwilliger Teilnahme der vermeintliche Berg wieder zum Hügel, die Steigung des Hügels also geringer eingeschätzt wird.

Die Studie von Balcetis und Dunning zeigt: Unsere Wahrnehmung der objektiven Realität ist teilweise verzerrt: Wenn wir unsere Umwelt wahrnehmen, so sehen wir nicht nur, was objektiv vorhanden ist, sondern auch, was wir sehen wollen – zum Beispiel einen Hügel, wo andere einen Berg bezwingen.

E. Balcetis, D. Dunning (2007).Cognitive dissonance and the perception of natural environments. Psychological  Science, 18 (10), 917–921.

Dieser Artikel ist in Psychologie heute erschienen (Januar 2008). www.psychologie-heute.de

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