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Wenn Isolation gefühlstaub macht

- Birgit Gutzer –

Von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein, verhindert prosoziales Verhalten.

Heutzutage wird in den Medien immer öfter bemängelt, wir würden in einer Gesellschaft der Singles und Alleinkämpfer leben. Doch warum sollte die Ausgrenzung und damit das Alleinebleiben Einzelner negative Aus­wirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben? Natürlich fällt jetzt jedem das Problem des demographischen Wandels, also der gesellschaft­lichen Alterung und des Fehlens von Nachwuchs ein, aber der Gedanke, dass die steigende Single-Zahl negative Konsequenzen für Institutionen wie Unicef oder WWF haben könnte, liegt fern. Genauso scheint der Schluss, dass daraus eine unhilfsbereite, kompetitiv denkende Menschheit entsteht, eher weit hergeholt.

Doch genau dieses Phänomen haben die Forscher Twenge und Kollegen an amerikanischen Studenten unter­sucht. Sie überprüften die Hypothese, dass sozialer Ausschluss zu einem verminderten prosozialen Verhalten führt.
Generell fußt prosoziales Verhalten, also das Handeln zu Gunsten eines Anderen durch eigene Energie- oder Ressourcenaufwendung, auf der Erwartung des Individuums, von der Gesellschaft oder dem Begünstigten im Laufe der Zeit eine Art Rück­erstattung zu erhalten. Schließlich haben die Menschen schon früh gelernt, dass sie auf die Hilfe Anderer, sei es im Kampf oder bei der Nahrungs­beschaffung, angewiesen sind. Daher kann sich ein Individuum, das fest in eine Gesellschaft integriert ist, sicher sein, dass eigenes uneigennütziges Verhalten Vorteile für sein zukünftiges Dasein mit sich bringt.
Soziale Isolation aber führt letztlich dazu, dass das Individuum seinen Mitmenschen nicht mehr vertrauen kann, da kein gesellschaft­licher Rückhalt besteht, der garanti­ert, dass es vom Verhalten zu Gunsten eines Anderen auf längere Sicht hin profitiert. Dies hat zur Folge, dass ein isolierter Mensch eher anti­sozial handelt, aus der Angst heraus, ansonsten nur ausgenutzt zu werden. Das wiederum führt dazu, dass die Mitmenschen ihn weiter ausgrenzen, da sein Handeln als egoistisch angesehen wird, was seinen Weg aus der Isolation sehr schwierig gestalten kann.

Über­prüft haben die Psychologen Twenge und Mitarbeiter diesen Zusammenhang anhand experimenteller Manipulationen von sozialem Ausschluss und den Reaktionen der Probanden darauf. Die Forscher konnten zeigen, dass eine Rückmeldung, dass die Versuchsteilnehmer in Zukunft weniger sozialen Rückhalt haben werden oder dass sie von anderen Probanden als unbeliebt eingestuft wurden, zu weniger prosozialem Verhalten auf Seiten der vermeintlich Ausgeschlossenen führte. Dieses Verhalten äußerte sich in geringfügigeren Spenden für einen Studentenfonds, geringerer Bereitschaft für unentgeltliche experimentelle Teilnahme, weniger Hilfsbereitschaft bei einem Missgeschick des Versuchsleiters und seltenerem kooperativen Verhalten. Sogar in dem Bewusstsein, dass kompetitives Verhalten zu geringerem Versuchsentgelt führt, wurde es kooperativem Verhalten in einer Computer­simulation vorgezogen.

Die einzige Variable, die die Beziehung zwischen sozialem Ausschluss und prosozialem Verhalten beeinflussen konnte, war die Empathie, also das Einfühlungs­vermögen in andere Menschen, insbesondere was die einfühlende Reaktion auf ein negatives Ereignis eines Anderen betrifft. Es konnte gezeigt werden, dass soziale Isolation zu einer Art emotionaler Taubheit führt, die auch Empathie unmöglich macht. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um einen Schutz­mechanismus wie nach einem Unfall, um den Schmerz zu betäuben und den Menschen handlungs­fähig zu belassen. Jedoch ist Einfühlungs­vermögen eine Voraussetzung für prosoziales Verhalten, schließlich handelt man nur zu Gunsten eines Anderen, wenn man sich durch das Hineinversetzen in ihn sicher sein kann, dass er einen nicht ausnutzen möchte. Auf Grund dessen verhalten sich von der Gesellschaft Ausgestoßene sehr vorsichtig im Umgang mit anderen Leuten. Sie mögen zwar an Beziehungen zu Anderen interessiert sein, jedoch sind sie nicht bereit das Risiko einzugehen verletzt oder ausgebeutet zu werden. Deshalb wünschen sie sich, dass das Gegenüber den ersten Schritt macht und sie dadurch gute Absichten annehmen können. Nur so kann der Teufelskreis unter­brochen werden, was dazu führen würde, dass ausgeschlossene Menschen sich wieder trauen anderen zu vertrauen. Dann können sie geben und nehmen, ohne Gefahr zu wittern, dass dahinter ein ausgekochtes Spiel stecken könnte.

Twenge (2007). Social Exclusion Decreases Prosocial Behavior. Journal of Personalitiy and Social Psychology, 92 (1), 56–66.

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