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Wikipedia – emotional statt objektiv?

Emotionale Reaktionen auf Naturkatastrophen oder Terroranschläge sind verständlich in sozialen Netzwerken oder Gesprächen. Objektive Berichte sollten dagegen frei von emotionalem Einfluss sein. Die kollaborativ geschriebene Enzyklopädie Wikipedia beansprucht für sich, über verschiedene Prozesse eine möglichst objektive Darstellung erreichen zu können. Ein Forschungsteam um Hannah Greving überprüfte in diesem Zusammenhang anhand dreier Studien, ob auch in Wikipedia-Artikeln emotionale Reaktionen auf negative natur- und menschengemachte Ereignisse vorhanden sind. Das Team bezieht sich dabei auf bestehende Forschung, welche zeigen konnte, dass Terroranschläge vor allem die Emotion Ärger auslösen. Diese sind im Vergleich zu Naturkatastrophen stärker durch den Menschen als Verursacher geprägt. Auf Erdbeben oder andere negative Naturereignisse wird eher mit Traurigkeit reagiert.
In Studie 1 analysierten die Autorinnen und Autoren zunächst Wikipedia-Artikel über Terrorattentate und Erdbeben, welche ein, zwei oder drei Tage nach dem Ereignis geschrieben wurden. In Studie 2 betrachteten sie hingegen Artikel, welche im Vergleich zur ersten Studie deutlich später nach einem negativen Ereignis erschienen sind. Der emotionale Inhalt der Artikel wurde mit einem automatischen Sprachanalyseprogramm untersucht, welches die Häufigkeit der Wörter einer Wortkategorie, in diesem Fall Traurigkeit (z. B. Verlust, Kummer), Wut (z. B. offensiv, brutal) sowie Angst (z. B. Panik, verängstigt), zählt und anschließend den Prozentanteil dieser Kategorie in Relation zur Länge des Textes bestimmt.
Die erste Studie zeigte, dass Artikel über Terroranschläge mehr Worte bezüglich Ärger enthalten als Artikel über Erdbeben. Dieser Anteil nahm über die ersten drei Tage zu. Wider Erwarten zeigte sich kein Unterschied hinsichtlich der traurig gefärbten Worte. In der zweiten Studie zeigten sich diese Befunde auch in Artikeln, die in größerem zeitlichem Abstand geschrieben wurden. Zudem konnten hierbei mehr Wörter bezüglich Traurigkeit in Artikeln über Erdbeben festgestellt werden. Insgesamt war der Anteil der emotional gefärbten Worte am Gesamttext mit weniger als 1% jedoch sehr gering. In einer dritten Studie konnte das Forschungsteam überraschend zeigen, dass in den Diskussionsseiten der Editorinnen und Editoren weniger emotionale Wörter als in den dazugehörigen Artikeln verwendet werden.
Die Ergebnisse legen nahe, dass eine rein objektive Darstellungsweise schwierig sein kann, da sich Emotionen, ausgelöst von negativen Ereignissen, in der Sprache niederschlagen. Selbst die mit großem Aufwand verfassten Artikel der kollaborativen Enzyklopädie Wikipedia, können ihrem Anspruch der größtmöglichen Objektivität nur annäherungsweise nachkommen – es gibt auch hier einen geringen Anteil an emotionalen Worten. Inwieweit die Emotionen Einfluss auf die Interpretation des Inhaltes durch die lesende Person nehmen, ist Gegenstand weiterer Diskussionen. Dennoch sollten Sie beim Lesen des nächsten Wikipedia-Artikels im Hinterkopf behalten: Vielleicht steckt darin doch nicht nur trockenes Wissen, sondern auch ein paar Emotionen.
Greving, H., Oeberst, A., Kimmerle, J., & Cress, U. (in Druck). Emotional content in Wikipedia articles on negative man-made and nature-made events. Journal of Language and Social Psychology. doi: 10.1177/0261927X17717568.
Redaktion und AnsprechpartnerIn*: Mariela Jaffé*, Sebastian Butz
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