Wir sind alle so individuell!

- Anne Landhäußer –

Es bleibt teilweise doch ein Rätsel, warum wir andere Menschen für sozial beeinflussbarer halten als uns selbst.

Wenn es darum geht, einzuschätzen, wie sehr wir uns im Vergleich zu Anderen von gesellschaft­lichen Moden und sozialen Normen beeinflussen lassen, fühlen wir uns für gewöhnlich, als stünden wir als willensstarke Individuen inmitten einer Schafherde. Jeder Mensch hält sich selbst für ziemlich individuell und unbeeinflussbar, während alle Anderen jedem Trend hinterherzulaufen und sich von jeder Art von Gruppen­druck lenken zu lassen scheinen. Dass dem so ist, belegten die amerikanischen Forscher Pronin, Molouki  und Berger in zahlreichen Studien. Warum dem so ist, dafür fanden sie leider nur Teil­erklärungen.

Zum Beispiel scheint ein Grund darin zu bestehen, dass wir unser scheinbar konformes Verhalten mit einem Blick in unsere Gedanken – und den Begründungen für dieses Verhalten – als wohldurchdachten und selbstbestimmten Akt erklären können, während wir bei der Beobachtung Anderer immer an der Oberfläche kleben bleiben, da uns ein Blick in ihre Gedanken verwehrt bleibt. (Nachzulesen im Artikel „Ich, ein Herdentier?!“)

Allerdings scheint es auch nicht immer zu helfen, wenn man sich bei der Beurteilung Anderer, statt auf der Verhaltensebene zu verweilen, mit deren Gedanken beschäftigt. Die Forscher Pronin und Kollegen ließen bei einer Studie die eine Hälfte ihrer Teilnehmer drei politische Anträge lesen. Diese Anträge konnten inhaltlich nicht eindeutig einer der beiden großen US-amerikanischen Parteien zugeordnet werden, wurden aber als entweder von den Republikanern oder den Demokraten stammend bezeichnet. Die Teilnehmer wurden gebeten, ihre Gedanken bezüglich der Anträge haargenau aufzuschreiben. Im Anschluss sollten sie angeben, inwieweit sie dem jeweiligen Antrag zustimmten oder ihn ablehnten. Außerdem wurde ihre eigene Parteienpräferenz erfragt (Selbstscheinschätzung). In einer anderen Gruppe bekamen die Teilnehmer der Studie die aufgelisteten Gedanken eines Kommilitonen zu lesen und erfuhren dann von dessen Beurteilung der Anträge und der Parteienpräferenz (Fremdeinschätzung).

Zur Prüfung ihrer Annahmen verglichen die Autoren Selbsteinschätzungen und Fremdeinschätzungen bezüglich der Beeinflussung durch die präferierte Partei. Dabei zeigte sich, dass die Teilnehmer, die das Verhalten anderer Studierender einschätzten, die jeweiligen Urteile sehr viel stärker auf die Parteienpräferenz zurückführten als diese Studierenden das bei sich selbst taten. Und das, obgleich ein Einblick in die jeweiligen Gedanken zu den Anträgen gewährt war. Obwohl also die Gründe dargelegt waren, weswegen die einzelnen Personen einem Antrag zustimmten oder ihn ablehnten, glaubten Andere, sie hätten sich dabei stark von der Position ihrer präferierten Partei beeinflussen lassen.

Die Erklärung, dass wir die Gedanken Anderer für gewöhnlich nicht lesen können, ist also nur ein Teil des Rätsels Lösung. Offensichtlich schätzen wir andere auch dann falsch ein, wenn wir ihre vermeintlichen Gedanken kennen. Warum wir die Menschen in unserer Umgebung – ganz anders als uns selbst – für treudoofe Herdentiere halten, bleibt daher zumindest teilweise ein Mysterium, das auf ein kompliziertes Zusammenspiel von kognitiven und motivationalen Prozessen zurückzuführen ist.

Pronin, Berger & Malouki (2007). aAlone in a Crowd of Sheep: Asymmetric Perceptions of Conformity and Their Roots in an Introspection Illusion. Journal of Personality and Social Psychology, 92 (4), 585–595.

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