Zwölf Monate sind billiger als ein Jahr

- Rainer Greifeneder –

Schätzungen der persönlichen Jahresausgaben fallen höher aus als aufsummierte Monatsschätzungen.

Laut Statistischem Bundes­amt trinken die Deutschen im Durchschnitt jeden Tag ungefähr 0,3 l Bier und essen 250g Getreideprodukte. Über das Jahr hinweg kaufen sie Bücher im Wert von knapp 50 Euro und gehen 1,5 Mal ins Kino. Und was kostet das alles? Im Durchschnitt gibt jede und jeder Deutsche pro Monat knapp 1400 Euro aus. Das macht im Jahr das 12-fache, nämlich 16.800 Euro. Klingt logisch – doch es ist offensichtlich nicht psycho-logisch, wie das Forscherteam um Gülden Ülkümen herausgefunden hat. Denn Menschen unterschätzen ihre monatlichen Ausgaben drastisch, glauben also, sie gäben weniger aus, als sie es tatsächlich tun. Dafür gibt es viele Gründe, zum Beispiel dass den Schätzenden nicht mehr alle Ausgaben einfallen oder man sich schlicht in der Menge vertut. Wer erinnert sich schon am Ende des Monats an die 50 Cent Klokosten vom letzten Sonntag? In der Schätzung fehlen damit hier und da ein paar Kostenpunkte, und damit fällt sie geringer aus als die tatsächlichen Ausgaben. Was nun für den Zeitraum eines Monats gilt, sollte umso mehr für den Zeitraum eines Jahres gelten, oder? Offensichtlich nicht, denn während sich die Teilnehmenden einer Studie des Forschungs­teams um Ülkümen bei den monatlichen Ausgaben stark verschätzten, lagen sie mit den Schätzungen ihrer jährlichen Ausgaben ziemlich nah an der Realität, wie man anhand von Ausgaben-Tagebüchern berechnen kann. Warum ist das so?

Das Forscherteam nimmt an, dass Menschen ihre Ausgaben in zwei Schritten schätzen. Sie starten mit einem ungefähren Anfangswert, den sie dann nach oben oder unten korrigieren. Wie stark korrigiert wird, hängt davon ab, wie sicher sie sich der ersten Schätzung sind. Wer sich sicher ist, korrigiert nur wenig – wer hingegen Zweifel hat, korrigiert stärker. Die Sicherheit mit der Schätzung wiederum hängt davon ab, wie leicht oder schwer es gefallen ist, die erste Schätzung durchzuführen. Fiel die erste Schätzung leicht, kann man sich ihrer wohl sicher sein, ist die erste Schätzung hingegen schwer gefallen, scheinen Zweifel angebracht. Da den meisten Menschen die Schätzung für einen Monat leicht, die Schätzung für ein Jahr jedoch schwer fällt, sollte man sich der Monatsschätzung sicherer als der für das Jahr sein und daher die Jahresschätzung stärker korrigieren. Und genau das zeigt eine Serie von Studien. So fielen die Monatschätzungen geringer als die (natürlich durch zwölf geteilten) Jahresschätzungen aus. Und die Jahresschätzungen lagen deutlich näher an den tatsächlichen Ausgaben der Teilnehmenden als die Monatsschätzungen. Außerdem zeigte sich, dass die Jahresschätzungen schlechter wurden, wenn die Teilnehmenden mit anderen Aufgaben so beschäftigt waren, dass sie keine Kapazität mehr dafür hatten, die Schätzwerte zu korrigieren.

Menschen schätzen also die Ausgaben über ein Jahr besser ein als die eines Monats, weil sie sich der Jahresschätzung unsicherer sind und daher für Fehler korrigieren. Und das hat ganz praktische Folgen: Wer sich überlegt, ob die eigenen Einkünfte eine Erhöhung der Sparrate oder die Anschaffung eines neuen Kühlschranks erlauben, der tut gut daran, die Ausgaben gedanklich auf den Jahreszeitraum zu strecken, damit es nicht zu einer Fehlkalkulation kommt.

Ülkümen, G., Thomas, M., & Morwitz, V. G. (2008). Will I spend more in 12 months or a year? The effect of ease of estimation and confidence on budget estimates. Journal of Consumer Research, 35 (2), 245–256.

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