Teil­projekt 2: Literarische Darstellungen des Augustinus als postkoloniale Sinnstiftung im Maghreb

Das Projekt nimmt sich die Analyse ausgewählter moderner Darstellungen und Bezugnahmen auf Augustinus in der frankophonen Maghrebliteratur vor, wobei die seit der Jahrhundertwende entstandenen Auseinandersetzungen vor allem im algerischen Kontext sowie ihr Vergleich im Zentrum stehen sollen. Ziel ist es, die relevanten Texte auf der Basis literatur- und medien­wissenschaft­licher Methoden zu erschließen und dabei am Beispiel der Bezüge auf Augustinus die Strategien der Wiederaneignung antiker Gegenstände als eigenes Erbe im Dienst kultureller Selbstdarstellung herauszuarbeiten. Während der geographische Bezug auf Augustinus' nordafrikanische Herkunft und seine Autobiographie des ersten Lebens­abschnitts, die Confessiones stets eine zentrale Referenz bilden, unter­scheidet sich der literarische 'Umgang' mit diesen Quellen zumeist grundlegend und gibt Aufschluss über autor­spezifische poetische Formen der Aneignung, markiert aber zugleich die jeweilige Verortung der nordafrikanischen Antike im Identitätsdiskurs der Gegenwart. Das Projekt wird eine breite Auswahl der literarischen Augustinus-Darstellungen als Beiträge zum gegenwärtigen Maghrebdiskurs interpretieren und die für eine solche makroperspektivische Unter­suchung notwendigen Kontexte, beispielsweise die literarische und historiografische Darstellung des Augustinus im Kolonialdiskurs aufarbeiten. Dabei werden vor allem Kategorien der Topologie Eingang in die Unter­suchung der literarischen Texte finden. Wir gehen davon aus, dass es keineswegs Zufall ist, dass sich gerade AutorInnen der französischsprach­igen Maghrebliteratur, die wie Augustinus über eigene muttersprach­liche Idiome verfügen, für das augustinische Wirken in der Spätantike interessieren. Die kulturellen Brüche in Augustinus' Vita, der in einer Zeit tiefster religiöser Auseinandersetzungen lebte, der seine eigene Konversion zum Lebens­thema erhebt und als Bischof von Hippo gleichwohl in steter Distanz zu Rom lebte und schrieb, bieten diesen Autoren Anlass, das eigene Schaffen im Kontext trans­kultureller Erfahrungen zu reflektieren. Das lateinische Erbe des südwestlichen Mittelmeerraums wird bevorzugt in der frankophonen Literatur Nordafrikas aufgegriffen, die mit der Ablösung vom kolonialen Frankreich entsteht und somit selbst hybriden Ursprungs ist. Dabei werden häufig trans­kulturelle Formen maghrebinischer Autorschaft postuliert. Augustinus gilt hier als Vorbild und als Figur der Trans­gression. Die Rückbesinnung auf Augustinus im Maghreb ist eng mit der Frage kultureller Standorte und Legitimationen verbunden ist. Anhand der literarischen Bezugnahmen wird sich zeigen lassen, dass er für verschiedene Identitätsdiskurse auch verschiedene Raumkonzepte wie Berbertum, Latinität, Mittelmeerdenken in Anspruch genommen werden. Dass das kulturelle Spannungs­feld der Auseinandersetzung mit Augustinus auch politische Diskurse einschließt, erscheint daher keineswegs ungewöhnlich. Das Teil­projekt unter­sucht systematisch-vergleichend, welche biografischen und inhaltlichen Bezüge auf Augustinus in die literarische Struktur Eingang finden und mit welcher Zielsetzung das geschieht.