„Atheistisch und trotzdem sozial“

- Friedrich Meixner –

Bei weniger religiösen Menschen hängt prosoziales Verhalten stärker von ihrem Mitgefühl ab als bei gläubigen Menschen.

Gelebte Nächstenliebe und Wohl­tätigkeit sind Grundmotive vieler Religionen. Der Glaube an diese Grundsätze motiviert viele religiöse Personen dazu, anderen zu helfen und sich für sie einzusetzen. Doch auch weniger gläubige Menschen können sich sozial verhalten. So etwa der bekennende Atheist und Großinvestor Warren Buffet, der zeitlebens über 40 Mrd. US-$ für Gesundheitswesen, Bildung und humanitäre Einrichtungen spendete. Doch was bewegt diese wenig oder nicht religiösen Menschen eigentlich zu solch selbstlosem Verhalten? 

Ein Forschungs­team um Laura R. Saslow vermutete, dass bei weniger religiösen Menschen Hilfe­verhalten stärker von ihrem Mitgefühl abhängt als bei gläubigen Menschen. Um diese Annahme zu überprüfen, wurde Mitgefühl experimentell hervorgerufen. Die Teilnehmenden sahen entweder ein Video über Kinderarmut, welches das Mitgefühl erhöhen sollte, oder ein neutrales Video. Anschließend wurde ihr soziales Verhalten erfasst. Hierfür sollten sich die Teilnehmenden vorstellen, einen Geldbetrag zu bekommen und angeben, wie sie diesen zwischen einem Fremden und sich aufteilen würden. Weiterhin sollten die Teilnehmenden angeben, wie viel Prozent eines Jahresgehalts ihrer Meinung nach an wohltätige Organisationen gespendet werden sollte. Die Ergebnisse entsprachen den Erwartungen des Forschungs­teams: Religiöse Menschen spendeten ähnlich viel, egal welches Video sie zuvor gesehen hatten. Bei weniger religiösen Menschen machte das durch das Video hervorgerufene Mitgefühl jedoch einen Unterschied: Diejenigen Teilnehmenden, die zuvor das Video über Kinderarmut gesehen hatten, waren bereit ebenso viel abzugeben und zu spenden wie die religiösen Menschen. Dagegen spendeten wenig religiöse Teilnehmende, die das neutrale Video gesehen hatten, deutlich weniger als alle anderen. 

In einer weiteren Studie wurde das aktuelle Mitgefühl mit Hilfe eines Fragebogens gemessen, außerdem teilten die Teilnehmenden echte Geldbeträge zwischen sich und einer anderen Person auf. Auch in dieser Studie bestätigte sich die Annahme, dass Mitgefühl nur bei weniger religiösen Menschen einen Einfluss auf die Bereitschaft zu teilen hat. 

Als eine mögliche Ursache für diesen Zusammenhang vermuten die Forschenden, dass wenig religiöse Menschen sich ihren Mitmenschen über eine emotionale Verbindung nahe fühlen, während religiöse Menschen sich möglicherweise eher aufgrund eines höheren Prinzips sozial verhalten. Dies schließt aber selbstverständlich Mitgefühl nicht aus. So ist es möglich, dass manche Menschen aufgrund von Mitgefühl, manche von einem moralischen Gebot und wieder andere durch beides motiviert sind, anderen zu helfen. Wie das Beispiel von Warren Buffet und die beschriebene Studie zeigt, ist der Glaube an einen Gott aber nicht zwingend notwendig, um Menschen zu Mitgefühl und Hilfe­verhalten zu bewegen.

Saslow, L. R., Willer, R., Feinberg, M., Piff, P. K., Clark, K., Keltner, D., & Saturn, S. R. (2013). My brother’s keeper? Compassion predicts generosity more among less religious individuals. Social Psychological and Personality Science, 4, 31–38.

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