Aufnahmeritual „Verprügeln“

- Matthias Blümke –

Wieso lassen sich Studierende misshandeln, um Studentenverbindungen anzugehören?

Immer wieder nehmen Studierende in US-amerikanischen Universitäten schwere Aufnahmerituale auf sich, um einer Studentenverbindung beitreten zu können. Diese Rituale können von massivem Alkoholkonsum oder sexuellem Missbrauch geprägt sein. Die Aufnahme­prüfung für die Marschkappelle der Florida A&M University sah vor, zusammengeschlagen zu werden. Am 19. November 2011 kam der 26-jährige Robert Champion dabei ums Leben. 

Das Phänomen des Missbrauchs von neuen Gruppen­mitgliedern wird „Hazing“ (engl.)  genannt. Aber was bringt Menschen dazu, einer Gruppe angehören zu wollen, die sie schlecht behandelt? Was veranlasst sie, diese Gruppe zu mögen und ihre Rituale zu unterstützen? Warum findet Hazing überhaupt statt? 

Aronson und Mills starteten ein Experiment, bei dem Studentinnen die Möglichkeit hatten, an einer Diskussions­gruppe zum Thema Sex teilzunehmen. Da nicht alle Teilnehmerinnen offen über Sex reden würden – die Studie stammt aus dem Jahr 1959 –, mussten sie zunächst eine Aufnahme­prüfung bestehen. Die Studentinnen wurden entweder einem schweren, einem leichten oder gar keinem Ritual (als Kontrollbedingung) zugelost. Beim schweren Aufnahmeritual mussten sie dem männlichen Versuchsleiter eine Liste von unanständigen Wörtern und peinliche Beschreibungen von Sexszenen vorlesen. Beim leichteren Ritual lasen sie sachliche sexuelle Wörter vor. Nachdem alle Studentinnen das Aufnahmeritual „bestanden“ hatten, fand eine Gruppen­diskussion statt, die sich als extrem langweilig entpuppte. Abschließend bewerteten die Teilnehmerinnen, wie sie die Diskussions­gruppe empfanden. 

Teilnehmerinnen mit schwerem Ritual bewerteten die Gruppe hinterher viel positiver als Teilnehmerinnen, die ein leichtes oder gar kein Ritual erlebt hatten. Aber warum? Die Theorie der kognitiven Dissonanz besagt, dass unvereinbare Gedanken eine innere Spannung erzeugen, die wir auflösen müssen. Wenn man ein unangenehmes Erlebnis auf sich nimmt, um einer Gruppe anzugehören, steht dieser Gedanke in Spannung zu der Er­kenntnis, dass die Gruppe eigentlich völlig uninteressant ist. Die Unvereinbarkeit von Gedanken erzeugt in den Personen also ein unangenehmes Gefühl, die sogenannte kognitive Dissonanz. Der bereits erlittene Gesichtsverlust würde erträglicher, wenn die Gruppe wenigstens attraktiv bzw. die Diskussion interessant wäre. Unbemerkt vermindern Personen diese Spannung, indem sie sich die Gruppe „schön reden“ bzw. diese besser bewerten. Schwere Aufnahmerituale bewirken also, dass die Gruppe hinterher – zumindest bei den Mitgliedern – beliebt ist und die Zugehörigkeit attraktiver erscheint als für Außen­stehende.

In einer jüngeren Studie zeigte eine Forschungs­gruppe um Caroline Keating: Je schwerer oder schadenfroher das Aufnahmeritual wird, desto wichtiger wird die Gruppe für ihre Mitglieder. Hazing führt also dazu, dass Mitglieder sich mehr engagieren und emotional stärker mit ihrer Gruppe verbunden fühlen. Der Fall Robert Champion erinnert uns jedoch daran, dass Aufnahmerituale so extrem werden können, dass die Integrität der Betroffenen beschädigt wird. Ein Verständnis dieser psychischen Prozesse kann helfen, dem Druck der Gruppe zu widerstehen, sich derartig entwürdigenden und lebens­gefährlichen Ritualen zu unterziehen.

Aronson, E. & Mills, J. (1959). The effect of severity of initiation on liking for a group. Journal of Abnormal and Social Psychology, 59, 177–181.

Keating, C., Pomerantz, J., Pommer, S., Ritt, S., Miller, L. & McCormick, J. (2005). Going to college and unpacking hazing: A functional approach to decrypting initiation practices among undergraduates. Group Dynamics: Theory, Research, and Practice, 9, 104–126.

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