Darf's ein bisschen mehr sein?

- Lena Liehe –

Die Figur anderer Menschen kann beeinflussen, wie viel wir essen.

Wer seine Mahlzeit in der Gesellschaft anderer Personen einnimmt, gleicht in der Regel seine Portions­größe an die der anderen an: Wir neigen dazu, weniger zu essen, wenn unsere „Mitesser“ kleine Portionen wählen, und essen mehr, wenn auch die anderen Heißhunger haben.  Dieser „Ankereffekt“ konnte bereits in vielen Studien nachgewiesen werden. Ein Forschungs­team um Brent McFerran fand in einer aktuellen Untersuchung nun allerdings eine Abweichung des bekannten Ankereffekts in die entgegengesetzte Richtung: Die Portion wird bedeutend kleiner gewählt, wenn wir uns an einer  übergewichtigen Person orientieren. Die ForscherInnen gehen davon aus, dass dieser Effekt Resultat des Wunsches ist, sich von übergewichtigen Personen abzugrenzen.

In ihren Untersuchungen wurde jeweils eine Studierende einer vermeintlich zweiten Teilnehmerin der Studie zugewiesen. Diese „Strohfrau“ gehörte allerdings zum Forschungs­team und trat bei der Hälfte der Versuchspersonen als „normalgewichtig“, bei der anderen Hälfte als „übergewichtig“ auf. Zu diesem Zweck trug sie einen speziellen Anzug, der Übergewicht täuschend echt simulierte. Außerdem wurde noch variiert, ob die Strohfrau eine große oder kleine Portion von den angebotenen Süßigkeiten wählte.

Das Forschungs­team untersuchte nun, wie viel die tatsächlichen Versuchspersonen an Süßigkeiten zu sich nahmen. In Übereinstimmung mit früheren Studien­ergebnissen fanden sie auch hier einen „Ankereffekt“: Die Teilnehmenden konsumierten mehr Süßigkeiten, wenn sich auch die Strohfrau zuvor eine große Portion genommen hatte.

Die Analyse ergab jedoch, dass dieser Ankereffekt vom Gewicht der Strohfrau abhängig war: Nahm die Strohfrau viel und war übergewichtig, korrigierten die Probandinnen die Menge deutlicher nach unten, als wenn es sich um eine normalgewichtige Strohfrau handelte. Nahm die Strohfrau dagegen wenig und war übergewichtig, so konsumierten die Probandinnen deutlich mehr, als wenn es sich um eine normalgewichtige Strohfrau handelte. Die Versuchspersonen wählten ihre Portions­größe also immer genau entgegengesetzt zur übergewichtigen Strohfrau, wahrscheinlich um sich von ihr abzugrenzen. Diese Abgrenzungs­tendenz trat unabhängig davon auf, ob es sich bei dem Snack um eine gesunde Alternative (Müsli) oder eine ungesunde Alternative (M&Ms) handelte.

Aber es gibt Hoffnung: In einer weiteren Studie konnte die Forschungs­gruppe zeigen, dass Personen, die ein hohes Selbstbewusstsein aufweisen und zufrieden mit ihrem Körper sind, weniger zu dieser Abgrenzungs­tendenz neigen. Für sie erscheint der soziale Vergleich auf der Ebene des Körpergewichts weniger relevant als für Menschen, die mit sich un­zufrieden sind.

Selbstbewusstsein ist also ein gutes Mittel, uns unabhängiger zu machen von den Entscheidungen anderer. Dies gilt, wie McFerran und sein Forschungs­team zeigen, letztlich auch für die Wahl unserer täglichen Mahlzeiten.

McFerran, B., Dahl, D.W., Fitzsimons, G.J. & Morales, A.C. (2010). I’ll Have What She’s Having: Effects of Social Influence and Body Type on the Food Choices of Others. Journal of Consumer Research, 36 (6), 915–929.

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