Das entspannende Gefühl der Macht

- Anne Landhäußer –

Menschen in Führungs­positionen sind weniger gestresst als Erwerbstätige ohne leitende Funktion.

Die Vorstellung vom Leben im Chefsessel ist lange nicht mehr so idealisiert, wie sie einmal gewesen sein mag: Das Bild vom autoritären Herrscher mit Zigarre im Mundwinkel, der das Geschehen von seinem Schreibtisch aus dirigiert und sich sämtlichen Stress mittels Sekretärin vom Leib zu halten weiß, ist angestaubt. Menschen in Führungs­positionen – in unserer heutigen Vorstellung sind das schlaflose Wesen mit mindestens 60-Stunden-Wochen, die von Termin zu Termin hetzen, selbst im Bett noch E-Mails schreiben und sich am nächsten Morgen fragen, in welcher Stadt sie sich denn nun gerade wieder befinden. Klingt nach Stress, nicht?

Aus der Forschung mit Menschenaffen weiß man jedoch bereits, dass Führungs­positionen mit einem Weniger an Stress einhergehen können: Bei dominanteren Tieren fanden sich beispielsweise geringere Werte von Kortisol, einem Hormon, das bei Stress ausgeschüttet wird. Dieser Zusammenhang zeigte sich insbesondere  bei stabilen Hierarchien, also wenn die mächtigen Affen nicht um ihre Position bangen mussten. Inwieweit man allerdings die täglichen Anforderungen an Chef-Affen mit denen an Chef-Menschen vergleichen kann, ist mehr als fraglich.

Ein Forschungs­team aus Harvard nahm in der Tat an, dass auch menschliche Führungs­personen weniger Stress empfinden sollten als Personen ohne entsprechende Macht. Zwar tragen sie mehr Verantwortung, aber damit geht auch mehr Kontrolle einher – und Kontrollempfinden beruhigt und verschafft Sicherheit. In einer ersten Studie untersuchte das Team Unterschiede im Stressniveau zwischen  fast 150 Führungs­personen und einer Vergleichs­gruppe von Menschen, die keine leitenden Funktionen erfüllten. Tatsächlich wiesen die Führungs­personen im Durchschnitt nicht nur deutlich geringere Kortisolwerte auf als die Vergleichs­gruppe, sie gaben auch in einem Fragebogen an, weniger ängstlich und angespannt zu sein.

In einer zweiten Studie ging das Forschungs­team der Annahme nach, dass der „Chefetage = weniger Stress“-Effekt auf die wahrgenommene Kontrolle und Macht in leitenden Positionen zurückzuführen ist.  Hierzu wurden 75 Personen untersucht, die alle eine leitende Position inne hatten. Wieder zeigte sich ein Zusammenhang zwischen Position und reduziertem Stress: Je höher die Position der Teilnehmenden – gemessen über die Anzahl an Untergebenen und das Ausmaß an Autorität über diese -, desto weniger ängstlich und angespannt berichteten sie zu sein und desto geringere Kortisolwerte wiesen sie auf. Zudem konnten die geringen Stresswerte in der Tat (bei  Kortisol teilweise und bei berichteter Anspannung komplett) auf das Gefühl von Macht und Kontrolle zurückgeführt werden, das mit Autorität und einer großen Anzahl von Untergebenen einhergeht.

Der Stress, der mit dem ständigen Reisen, der Verantwortung und all den Überstunden einhergeht, wird also durch das Gefühl, die Dinge in der Hand zu haben, nicht nur kompensiert, sondern übertrumpft. Kontrolle beruhigt. Aber auch hier gilt vermutlich, dass sich Mensch und Affe nicht allzu sehr voneinander unterscheiden: Ist die Führungs­position in Gefahr (und das war bei den Teilnehmenden der Studien in der Regel nicht der Fall), dürften die Stresswerte sicherlich steigen.

Sherman, G. D., Lee, J. J., Cuddy, A. J. C., Renshon, J., Oveis, C., Gross, J. J., & Lerner, J. S. (2012). Leadership is associated with lower levels of stress. Proceedings of the National Academy of Sciences.  

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