Das moralische Kind in uns

- Dennis Uhrig –

Durch Kindheitserinnerungen werden Assoziationen zu moralischer Reinheit geweckt, was wiederum Hilfe­verhalten fördern kann.

Ellenbogen­gesellschaften geprägt von Egoismus und Konkurrenzdenken sind heutzutage keine Seltenheit mehr. Hilfe­verhalten bleibt hierbei oft auf der Strecke. Es scheint  jedoch einen Weg zu geben, mit dem man ein hilfsbereites Miteinander fördern kann – durch Kindheitserinnerungen!

Kultur­übergreifend verbindet man mit Kindern moralische Reinheit, also Unschuld und Sittsamkeit. Zudem zeigt frühere Forschung, dass autobiographische Erinnerungen, also Erinnerungen an vergangene, selbstgezogene Erlebnisse, die Selbstwahrnehmung in einer Situation beeinflussen können. So konnte zum Beispiel festgestellt werden, dass Personen, die sich an Momente erinnern sollten, in denen sie extravertiert gehandelt hatten, sich selbst als extravertierter einstuften als Personen, die introvertiertes Handeln erinnern sollten. Daraus lässt sich ableiten, dass das Wecken von Kindheitserinnerungen, was auch Gedanken an moralische Reinheit auslösen sollte, beeinflusst, wie moralisch rein wir uns in einer bestimmten Situation wahrnehmen. Weiter lässt sich annehmen, dass prosoziale Verhaltensweisen, die mit der Idee der moralischen Reinheit übereinstimmen (wie zum Beispiel Hilfe­verhalten), durch Kindheitserinnerungen gefördert werden.

Diese Annahmen untersuchten Francesca Gino und Sreedhari Desai in einer Reihe von Studien. In einem Experiment beschrieb die Hälfte der Teilnehmenden positive Kindheitserinnerungen, während die andere Hälfte ihren letzten Einkauf im Super­markt darstellte. Im Anschluss daran gaben alle Personen an, inwieweit sie aktuell bestimmte positive und negative Emotionen sowie moralische Reinheit empfanden. Um abschließend zu messen, wie sich die jeweiligen Erinnerungen auf das Hilfe­verhalten der Personen auswirkten, wurden die Teilnehmenden am Ende der Untersuchung gefragt, ob sie auf freiwilliger Basis dazu bereit wären, dem Forschungs­team bei einem Test für ein anderes Projekt zu helfen. 

Tatsächlich zeigte sich, dass sich Personen, die über Kindheitserinnerungen geschrieben hatten, als moralisch reiner einschätzten als die anderen Teilnehmenden. Zudem waren sie bei der zusätzlichen Aufgabe deutlich hilfsbereiter. Da es bezüglich der empfundenen Emotionen aber keinen Unter-schied zwischen den beiden Gruppen gab, kann der Befund nicht auf durch Kindheitserinnerungen ausgelöste Emotionen zurückgeführt werden. In weiteren Studien zeigte das Forschungs­team, dass Kindheitserinnerungen eine höhere Bereitschaft auslösten, Geld für einen guten Zweck zu spenden und moralisch verwerfliches oder fragwürdiges Handeln anderer härter zu bestrafen. Das verstärkte moralische Handeln war dabei unabhängig davon gegeben, ob  positive oder negative Kindheitserinnerungen geschildert wurden. Die Befunde unterstützen also die Annahme, dass Kindheitserinnerungen  mit Gedanken an moralische Reinheit verknüpft sind, welche wiederum Hilfe­verhalten fördern können.

Wenn wir also durch Kindheitserinnerungen Gedanken an moralische Reinheit hervorrufen, also häufiger unser „inneres moralisches Kind“ zum Leben erwecken, werden wir vermutlich etwas hilfsbereiter sein und können so einen kleinen Beitrag dazu leisten, unsere Ellenbogen­gesellschaft etwas umgänglicher zu gestalten. 

Gino, F., & Desai, S. D. (2012). Memory lane and morality: How childhood memories promote prosocial behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 102(4), 743–758. doi:10.1037/ a0026565

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