Dem Täter auf der Spur

- Stephan Bedenk –

Zeugen liegen beim Erkennen von Tätern auf Fotos eher richtig, wenn auffällige Gesichtsmerkmale bei allen Verdächtigen gezielt eingefügt werden.

Stellen Sie sich vor, Sie sind der einzige Zeuge einer Straftat und konnten für einen Moment das Gesicht des Täters erkennen. Ein Polizist legt Ihnen später Bilder von Verdächtigen vor, von denen einer ein Muttermal auf der Stirn trägt. „Das muss er sein“, rufen Sie, „der Täter hatte an der Stelle auch ein Muttermal!“ Der Kommissar nickt und der Mann auf dem Bild wird am selben Abend festgenommen.

Das hier beschriebene polizeiliche Vorgehen ist nicht selten. Einem Zeugen werden Aufnahmen von Verdächtigen vorgelegt und man hofft, dass der Zeuge dar­unter den Täter erkennt. Leider kann dieses Verfahren zu Falschurteilen führen. Das Problem: Zeugen können zum Tatzeitpunkt oft nur einen flüchtigen Blick auf die Täter werfen. Bei der Bildpräsentation orientieren sie sich dann an herausstechenden Merkmalen wie Narben, Piercings oder Muttermalen, da diese selbst bei einem kurzen Blick im Gedächtnis bleiben. So wird häufig die Person ausgewählt, die hinsichtlich eines auffälligen Merkmals dem Täter am ähnlichsten sieht. Weitere Merkmale werden nicht berücksichtigt, obwohl das bisweilen nötig wäre, um den Täter zweifelsfrei identifizieren zu können. Da dieses Problem von Fotogegenüberstellungen bekannt ist, werden bei solchen Zeugenbefragungen häufig hervorstechende Merkmale am Computer wegretuschiert. Theodora Zarkadi, Kimberly Wade und Neil Stewart zeigen jedoch in einer aktuellen Studie, dass es noch eine bessere Methode gibt, um Tätern auf die Spur zu kommen.

Sie präsentierten Versuchspersonen in einer Übungs­phase 32 Portraitbilder, auf denen manche Personen hervorstechende Merkmale besaßen. In der anschließenden Test­phase wurden Bilder von sechs „Verdächtigen“ vorgelegt. Nur eines der Bilder war aus der Übungs­phase bekannt und zeigte eine Person mit einem auffälligen Merkmal, beispielsweise einer Narbe. Aufgabe war es, das „bekannte“ Gesicht zu erkennen. Bei der einen Hälfte der Teilnehmenden wurde bei der bekannten Person – wie bei Polizeiermittlungen üblich – die Narbe wegretuschiert, so dass keine der Personen einen auffälligen Hinweisreiz aufwies. Bei der anderen Hälfte der Teilnehmenden wurde hingegen bei den anderen fünf Personen die Narbe hinzugefügt. Die Ergebnisse zeigen, dass die zweite Methode der ersten überlegen war: Die Teilnehmenden in dieser Gruppe konnten deutlich häufiger die richtige Person identifizieren.

Wie lässt sich das erklären? Das Entfernen einer Narbe kann bei Zeugen Verunsicherung auslösen. Denn auf dem Bild fehlt das entscheidende Merkmal, das der Zeuge mit dem Gesicht des Täters verknüpft. Wird die Narbe wie in der zweiten Gruppe bei allen Verdächtigen eingefügt, so bleibt hingegen die Ähnlichkeit zwischen erinnertem Täter und Täter auf dem Bild maximal bestehen. Gleichzeitig muss der Zeuge weitere Merkmale für sein Urteil heranziehen, da die Narbe alleine nicht zwischen den Verdächtigen unterscheidet. Das Verfahren unterstützt den Zeugen somit, sich gründlicher an weitere Merkmale zu erinnern und letztlich zuverlässiger den wahren Täter zu identifizieren.

Zarkadi, T., Wade, K. A., & Stewart, N. (2009). Creating fair lineups for suspects with distinctive features. Psychological Science, 20(12), 1448-1453.

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