Denn sie wissen nicht, was sie tun.

- Anna Kubat –

Unethisches Handeln führt dazu, dass zuvor gelernte moralische Regeln vergessen werden.

„Schuld ohne Be­kenntnis“, so betitelte die Zeit die Rücktrittsrede Karl-Theodors zu Guttenberg im März 2011. Der Ex-Verteidigungs­mister hatte sich in seiner Doktorarbeit massiver Plagiate schuldig gemacht. Doch zu einem Eingeständnis kam es nicht, es blieb bei einem vagen „Ich habe […] zu meinen Schwächen und Fehlern zu stehen […] bis hin zum Schreiben meiner Doktorarbeit.“. Kann er wirklich davon überzeugt gewesen sein, nicht unethisch gehandelt zu haben? Wirken bei der Vereinbarung moralischer Regeln und unmoralischer Taten vielleicht Mechanismen, von denen wir nichts mitbekommen?

Diese Fragen versuchten Lisa Shu und Francesca Gino zu beantworten. Sie nahmen an, dass unethisches Handeln den Zugang zu zuvor gelernten moralischen Regeln verschlechtert. Der Grund dafür ist das Bedürfnis, sich selbst als moralisch zu sehen. Widerspricht das eigene Verhalten aber moralischen Regeln, hat dies ein unangenehmes geistiges Spannungs­verhältnis zur Folge. Dieses kann beispielsweise gelöst werden, indem der Zugang zu den Erinnerungen blockiert wird. Ein solches „motiviertes Vergessen“ könnte auch im Falle unmoralischen Handelns stattfinden. 

Zur Untersuchung der Annahmen führten die Forscherinnen eine Studie durch. Alle Teilnehmenden bekamen zwei Texte zu lesen, zu denen sie später Fragen beantworten sollten: einen universitären Ehrenkodex, welcher akademischem Fehl­verhalten vorbeugen sollte und neutrale Richtlinien für den Führerschein. Anschließend bearbeiteten die Versuchspersonen einen Test zum logischen Schlussfolgern. Für jede richtig gelöste Aufgabe verdienten sie 0,50 $. Eine Hälfte der Teilnehmenden gab das bearbeitete Aufgabenblatt an den Versuchsleiter, der es auswertete und die verdiente Summe auszahlte. Die andere Hälfte bekam die Möglichkeit, unethisch zu handeln: Sie sollten die Anzahl richtiger Antworten selbst auszählen und sich den Gewinn aus einem Umschlag nehmen. Zum Schluss beantworteten alle Teilnehmenden Fragen zu den beiden Texten. 

Die Auswertung ergab, dass 32 Prozent der Versuchspersonen mit der Möglichkeit zu betrügen zu viel Geld genommen hatten. Wie erwartet erinnerten sich diese Teilnehmenden schlechter an den akademischen Verhaltenskodex als diejenigen, die nicht betrogen hatten. Die Erinnerung an den neutralen Text war bei beiden Gruppen gleich gut. Dieses Ergebnis legt nahe, dass bei unethischem Verhalten ethische Richtlinien vergessen werden. In weiteren Studien konnten die Forscherinnen zeigen, dass die Ursache für das Vergessen darin liegt, dass der Zugang zu ethischen Informationen unbewusst blockiert wird. 

Unbewusste Mechanismen begünstigen wohl also das Vergessen moralischer Regeln. Doch kann man sich zur Besänftigung seines Gewissens immer auf ein schlechtes Gedächtnis an geltende Regeln verlassen? Vermutlich nicht, denn das Vergessen in dieser Studie bezog sich auf einen zuvor präsentierten und unbekannten Verhaltenskodex. Eigene moralische Regeln sind wahrscheinlich viel tiefgründiger verankert und werden somit auch weniger leicht vergessen. 

Also wissen sie wohl doch, was sie getan haben! Und so bleibt nur zu hoffen, dass man doch aus seinen moralischen Fehltritten lernt, anstatt sie nur ins rechte Licht zu rücken.

“Ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht” (2011, March 1). Zeit Online. Retrieved from: www.zeit.de/politik/deutschland/2011–03/guttenberg-wortlaut-ruecktritt

Joffe, J. (2011, March 2). Schuld ohne Be­kenntnis. Zeit Online. Retrieved from www.zeit.de/politik/deutschland/2011–03/guttenberg-ruecktritt-rede-comeback

Shu, L. L. & Gino, F. (2012). Sweeping dishonesty under the rug: How unethical actions lead to forgetting of moral rules. Journal of Personality and Social Psychology, 102(6), 1164-1177. doi:10.1037/a0028381

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