Der Aufstand der Entrechteten

- Anne Landhäußer –

Selbst in den repressivsten Systemen können die Unterdrückten unter bestimmten Randbedingungen erfolgreich Widerstand leisten.

Eine der vermutlich bekanntesten sozialpsychologischen Studien ist das 1971 unter der Leitung von Philip Zimbardo durchgeführte „Standford-Prison-Experiment“. Hierzulande gelangte es unter anderem durch den Film „das Experiment“ zu Berühmtheit, der stark an den Verlauf eben dieser Studie angelehnt ist. Im Zuge der Untersuchung wurde ein Gefängnis simuliert, wobei die Teilnehmenden entweder der Gruppe der „Gefangenen“ oder der „Wärter“ zugeteilt wurden. Diese rein zufällige Zuweisung unterschiedlicher Rollen hatte drastische Konsequenzen: Das Experiment musste – obwohl für zwei Wochen angelegt – nach sechs Tagen abgebrochen werden, unter anderem, weil es zu sadistischen Misshandlungen der „Gefangenen“ durch die „Wärter“ kam.

Diese Studie demonstriert damit sehr anschaulich die sozialpsychologische Kernannahme, dass menschliches Verhalten stark durch den sozialen Kontext bestimmt wird.  Stecke Menschen in eine Uniform, gib ihnen Macht über andere – und sie werden konform agieren und diese Macht nutzen. Ein Machtentzug dagegen – also die Zuschreibung einer „Opferrolle“ – sollte ebenso zu einer Rollenanpassung führen und unterwürfiges Verhalten zur Folge haben. So fügten sich die meisten „Gefangenen“ in die statusniedrige Rolle der Untergebenen und versuchten den Befehlen der „Wärter“ gehorsam Folge zu leisten.

Die Sozialpsychologen Alexander Haslam und Stephen Reicher setzen sich nun kritisch mit dieser fatalistischen Perspektive auseinander. Anhand mehrerer Beispiele aus der jüngeren Geschichte zeigen sie nicht nur auf, dass Opfer sich nicht immer in ihre Rolle fügen, sondern demonstrieren auch, dass Widerstand selbst unter den schwierigsten Voraussetzungen möglich ist und unter bestimmten Randbedingungen gar zu einem Sturz des repressiven Systems führen kann. So führen sie beispielsweise aus, dass es selbst unter einem der grausamsten Regime der Menschheitsgeschichte – nämlich dem der Nazis – zu zahlreichen Aufständen kam, obgleich Widerstand hier meist in den sicheren Tod führte.

Besonders eindrücklich ist der Fall Sobibor. In diesem Vernichtungs­lager ging es ausschließlich um die systematische Ermordung Gefangener in Gaskammern. Ihnen wurde nicht nur das letzte bisschen Menschenwürde genommen, die Nazis versuchten auch gezielt, sie gegeneinander auszuspielen, um Revolten zu verhindern. Nichts desto trotz gelang es einer Gruppe Gefangener einen Aufstand zu organisieren, der in einer Massenflucht resultierte. Möglich war dies, so Haslam und Reicher, weil diese Gefangenen – bei den Rebellen handelte es sich um Juden, die in der Roten Armee gedient hatten – die gleichen Überzeugungen vertraten, sich als Gruppe mit gemeinsamen Idealen betrachteten und eine gut funktionierende Gruppen­struktur aufwiesen, in denen unterschiedliche Personen unterschiedliche Positionen einnahmen und es auch eine Führungs­person gab, die bei der Planung der Revolte Leitungs­funktionen übernahm.

Die Autoren zeigen anhand dieses und anderer Beispiele auf, dass Opfer nicht immer Opfer bleiben müssen, sondern dass Widerstand möglich ist und erfolgreich sein kann. Die Chancen für erfolgreichen Widerstand steigen, wenn man sich mit gemeinsamen Idealen als Gruppe zusammenfindet und organisiert.

Haslam, S. A., & Reicher, S. D. (2012). When prisoners take over the prison: A social psychology of resistance. Personality and Social Psychology Review, 16, 154–179.

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