Der Blick durch die „Statusbrille“

- Vanessa Borytzka –

Die Wahrnehmung eines höheren sozio­ökonomischen Status kann die Einschätzung der eigenen Kompetenz verzerren und die Bereitschaft erhöhen, Personen mit einer gegensätzlichen Meinung abzuwerten.

Meinungs­unterschiede, insbesondere zu politischen Themen, können zu gesellschaft­licher Polarisierung führen. Ein Forschungs­team um Brown-Iannuzzi ging nun der Frage nach, inwieweit die Wahrnehmung eines höheren sozio­ökonomischen Status zur Polarisierung von Meinungen beitragen kann. Die Forschenden nahmen an, dass die Wahrnehmung eines höheren Status auf eine höhere eigene Kompetenz zurückgeführt werde. In der Folge sollte dann die eigene Meinung eher als objektiv richtig wahrgenommen und Personen mit einer gegensätzlichen Meinung abgewertet werden.

Ihre Annahmen untersuchten die Forschenden mit einem Investmentspiel. Alle Teilnehmenden erhielten ein Startkapital von 0,40 US-Dollar, das sie in sechs fiktive Unternehmen investieren konnten. Das eigene Investmentergebnis am Ende des Spiels setzte sich angeblich aus guten Investmententscheidungen und zufälligen Markt­schwankungen zusammen. Außerdem basierte das Spiel angeblich auf einem System der Umverteilung von Vermögen: Den 33% reichsten Teilnehmenden sollten am Ende des Spiels 20% ihres Vermögens abgezogen werden, wohingegen die 33% ärmsten Teilnehmenden einen Bonus in Höhe von 20% ihres Vermögens erhalten sollten.

In Wahrheit war das zurückgemeldete Ergebnis am Ende des Spiels jedoch rein zufällig. Den Teilnehmenden wurde mitgeteilt, dass sie entweder besser oder schlechter als 89% aller bisherigen Spieler*innen abgeschnitten hatten. Dadurch sollten sie ihren eigenen sozio­ökonomischen Status im Spiel als hoch oder gering wahrnehmen. Anschließend schätzten sie ihre eigene Kompetenz ein und gaben eine Empfehlung für zukünftige Studien zum System der Vermögensumverteilung im Spiel ab. Danach sollten sie sich vorstellen, dass eine Person dieser Empfehlung widerspreche und diese Person hinsichtlich Unvoreingenommenheit und Kompetenz bewerten.

Wie von den Forschenden erwartet, schätzten die Teilnehmenden ihre Kompetenz höher ein und bewerteten die andere Person als voreingenommener und weniger kompetent, wenn sie ihren eigenen sozio­ökonomischen Status als hoch im Vergleich zu gering wahrnahmen. Eine weitere Studie zeigte, dass dies selbst dann der Fall war, wenn ihnen mitgeteilt wurde, dass die Ergebnisse des Spiels auf reinem Zufall beruhten.

Die Ergebnisse zeigen, wie die Wahrnehmung eines höheren sozio­ökonomischen Status zur Polarisierung von Meinungen beitragen kann: Sie kann die Bereitschaft erhöhen, Personen mit einer gegensätzlichen Meinung abzuwerten. Um diesem Einfluss entgegenzuwirken, könnte es helfen, sich bewusst zu machen, dass die eigene Meinung nicht unbedingt objektiv richtig sein muss, wenn der eigene Status als hoch wahrgenommen wird. Generell sollten wir unabhängig von der Wahrnehmung unseres Status auch Personen mit einer gegensätzlichen Meinung ernst nehmen und bereit sein, unsere eigene Meinung zu hinterfragen.

 

Brown-Iannuzzi, J. L., Lundberg, K. B., Kay, A. C., & Payne, B. K. (2021). A privileged point of view: Effects of subjective socioeconomic status on naïve realism and political division. Personality & Social Psychology Bulletin47(2), 241–256. https://doi.org/10.1177/0146167220921043

Redaktion und Ansprech­partner*in¹: Jennifer Eck¹, David Grüning

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