Der Nachbar als Orakel unserer Gefühle

- Rainer Greifeneder –

Die Erfahrungen anderer erlauben es uns, zukünftige Gefühle besser vorherzusagen.

Für die meisten Entscheidungen wäre es hilfreich, wenn wir in die Zukunft blicken könnten. Dann wüssten wir beispielsweise, dass das lang ersehnte neue Auto irgendwie doch nicht zur Glückseligkeit führt. Und wir wüssten auch, dass das Date mit dem coolen Typen letzten Endes doch keinen Spaß macht. Interessanterweise liegen Menschen bei der Vorhersage solcher affektiven Gefühle nicht nur zufällig, sondern systematisch daneben. Denn wir überschätzen sowohl zukünftige Freude als auch zukünftigen Ärger ganz massiv. So glauben wir, dass der Gewinn eines Preises oder der Beginn einer Beziehung uns sehr viel glücklicher machen wird, als es dann letztlich tatsächlich der Fall ist – und wir glauben auch, dass der Verlust eines Gegenstands oder das Ende einer Beziehung uns in tiefes Unglück stürzen wird, doch das Tal der Tränen ist häufig weder so tief noch so lang wie erwartet. Gründe für diese systematisch verzerrten Vorhersagen gibt es gleich mehrere: Zum einen fokussieren wir auf die zentralen Eigenschaften von Ereignissen („Der Typ sieht ja gut aus“), vergessen aber Aspekte, die nicht auf den ersten Blick ins Auge springen („Aber er lacht ja gar nicht“). Zum anderen fokussieren wir auf die frühe Phase zukünftiger Ereignisse („Wie aufregend, mit so einem Typen ins Gespräch zu kommen.“), nicht jedoch auf spätere Phasen („Über was redet man mit dem nach zwei Minuten?“).

Wie kann man die Vorhersage affektiver Gefühle verbessern? Eine mögliche Lösung besteht darin, sich an anderen zu orientieren, die das Ereignis schon erlebt haben. Das Forscherteam um Daniel Gilbert hat diese Idee geprüft. Die Teilnehmerinnen der Studie nahmen an einem simulierten Speed-Dating teil, bei dem sie sich für fünf Minuten mit einem Mann unterhalten sollten. Vor dem Speed-Dating wurden die Frauen um eine Einschätzung gebeten, wie viel Spaß sie an dem Speed-Dating haben würden. Als Grundlage für diese Vorhersage hatten sie entweder eine Beschreibung des Mannes zur Verfügung oder aber den Bericht einer anderen Frau, die sich schon mit diesem Mann getroffen hatte. Anschließend hatte jede Teilnehmerin einzeln ein Date mit dem Mann und gab danach an, wie viel Spaß sie tatsächlich an diesem Gespräch gehabt hatte. Es zeigte sich, dass die Vorhersagen viel mehr mit dem tatsächlich erlebten Spaß übereinstimmten, wenn die Probandinnen den Bericht der anderen Frau, nicht jedoch die Beschreibung des Mannes für die Vorhersage genutzt hatten. Ironischerweise dachten die meisten Probandinnen jedoch, es müsse sich genau umgekehrt verhalten.

Doch warum verhilft der Bericht der anderen Frau zu einer guten Vorhersage, wenn Menschen doch so unterschiedlich sind? Zum einen sind uns Menschen in unserem Umfeld häufig ähnlicher, als wir denken, so dass auch deren Gefühle unseren häufig ähnlich sind. Zum anderen spiegeln die Erlebnisse anderer die Ereignisse eher als Gesamtes wider und sind weniger verzerrt als unser eigener Blick in die Zukunft.

 

D. Gilbert, M. Killingsworth, R. Eyre, & T. Wilson (2009). Science, 323, 1617-1619.

Dieser Artikel ist in Psychologie heute erschienen (Februar 2010). www.psychologie-heute.de

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