Die Macht der Gedanken an den eigenen Tod

- Rainer Greifeneder –

Vorstellungen von der eigenen Sterblichkeit erhöhen die Einhaltung gesellschaft­licher Normen.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie an den eigenen Tod denken? Welche Emotionen löst das aus? Fühlen Sie sich unwohl, sind Sie befremdet? Wahrscheinlich, denn Gedanken an den eigenen Tod sind für die meisten Menschen unangenehm und werden, wo möglich, vermieden. Treten sie dennoch auf, werden sie als bedrohlich erlebt und üben einen starken Einfluss auf menschliches Verhalten aus. Dieses Phänomen hat eine Forscher­gruppe um Matthew Gailliot in einer aktuellen Arbeit näher unter die Lupe genommen. Die Forscher untersuchten die Frage, ob Gedanken an die eigene Sterblichkeit die Einhaltung von Normen und Regeln verstärken. Dafür sprechen zwei Gründe: Zum einen erhöht die Einhaltung von gesellschaft­lichen Normen die Wahrscheinlichkeit, am Leben zu bleiben – man denke beispielsweise an das Einhalten etablierter Ess- und Hygiene­vorschriften, die vor Gesundheitsgefahren bewahren sollen. Zum anderen kann man durch die Einhaltung von Normen die Zugehörigkeit zur jeweiligen sozialen Gruppe verstärken, was der Bedrohung durch den eigenen Tod zumindest tröstend entgegen wirkt.

Zur Untersuchung ihrer Fragestellung baten die Forscher ihre Probanden, mehrere Minuten lang entweder über den eigenen Tod oder über einen Besuch beim Zahnarzt zu schreiben. Beides ist negativ besetzt, aber der Besuch beim Zahnarzt hat in der Regel keine tödlichen Folgen. Anschließend lasen alle Probanden vier kurze Geschichten, in denen jeweils eine Person auf Hilfe angewiesen war. Die Teilnehmer sollten bei jeder Geschichte angeben, ob sie Hilfe leisten würden oder nicht. Indirekt gaben sie damit an, inwiefern sie der sozialen Norm, dass man Hilfsbedürftige unterstützt, entsprechen würden. Wie erwartet zeigte sich, dass die Personen mit Todesgedanken sehr viel mehr helfen wollten als jene, die sich einen Zahnarztbesuch vorstellen sollten.

Ein ähnliches Ergebnis fanden die Autoren in einer weiteren Studie, bei der zwei verschiedene Gruppen beobachtet wurden. Die einen wurden angesprochen, während sie über einen Friedhof liefen (Todesgedanken), die anderen im selben Stadtteil, aber fernab vom Friedhof (Kontroll­gruppe). Beobachtet wurde, ob diese Menschen einem Fremden halfen, dem soeben ein Stapel Papier her­untergefallen war. Es zeigte sich, dass die Friedhofsbesucher sehr viel häufiger dem Fremden beim Aufheben des Papierstapels halfen.

Interessanterweise führten die Gedanken an die eigene Sterblichkeit in beiden Studien nur dann zu verstärktem Hilfe­verhalten, wenn die Norm des ‚Helfens’ zuvor bei den Probanden aktiviert worden war. Wenndies nicht der Fall war, unterschieden sich die Todes-Gedanken­gruppen nicht von den Kontroll­gruppen. Daraus kann man schließen, dass Gedanken an den eigenen Tod nur dann die Einhaltung von Normen wahrscheinlicher machen, wenn diese in der jeweiligen Situation zugänglich sind.

Gailliot, M. T., Stillman, T. F., Schmeichel, B. J., Maner, J. K., & Plant, E. (2008): Mortality salience increases adherence to salient norms and values. In: Personality and Social Psychology Bulletin, 34(7), 993-1003.

Dieser Artikel ist in Psychologie heute erschienen (November 2008). www.psychologie-heute.de

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