Die Weisheit steckt in Dir

- Stephan Bedenk –

Betrachten Personen ihre Urteile aus verschiedenen Perspektiven, kommen sie in vielen Fällen zu besseren Ergebnissen.

Sich nach der Meinung anderer zu richten, passt nicht immer in unser individualistisches Lebens­konzept. Aber manchmal ist die Meinung der anderen eine gute Orientierungs­hilfe. Zu viele Entscheidungen müssen wir täglich treffen, in zu kurzer Zeit. Umfragen und Ratings, die die Meinung anderer zum Beispiel zu Büchern, Videos und Kochrezepten widerspiegeln, helfen hier weiter. Dieses kollektive Wissen ist nicht nur nützlich, sondern häufig auch treffsicher. Gerade wenn die Einschätzung eines Urteilsobjektes zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führt, ist die gebündelte Meinung häufig genauer als ein Einzelvotum. Denn wenn im Extremfall der eine nur die Vorzüge berücksichtigt, und der andere nur die Nachteile, kommt das gemittelte Urteil der Realität relativ nahe. Statistisch gesehen sogar immer näher, je mehr vielfältige Schätzungen kombiniert werden.

Nun können wir leider nicht immer unterschiedliche Personen nach ihrer Meinung fragen. Die Entscheidungs­forscher Stefan Herzog und Ralph Hertwig fanden jedoch einen wirkungs­vollen Ausweg aus diesem Dilemma. In einer Studie der beiden Forscher wurden Personen gebeten, die Jahreszahlen verschiedener geschichtlicher Ereignisse zu schätzen. Nach kurzer Zeit sollten die Personen ein weiteres Mal Schätzungen für dieselben geschichtlichen Daten vornehmen. Die eine Hälfte der Teilnehmenden konnte damit direkt loslegen; die andere Hälfte sollte sich zunächst vorstellen, dass ihre erste Schätzung falsch war und dann Gründe finden, warum diese erste Schätzung zu hoch oder zu niedrig gewesen sein könnte. Im Anschluss daran gaben die Teilnehmenden dann ihre zweite Schätzung ab. Herzog und Hertwig nennen das die „Unterstelle mal das Gegenteil“-Strategie. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Strategie tatsächlich in der Mehrzahl der Fälle zu besseren Schätzungen führt.

Wie lassen sich die Ergebnisse erklären? Herzog und Hertwig hatten das Erfolgsprinzip kollektiver Gruppen­entscheidungen genau analysiert und in eine mentale Strategie umfunktioniert. Anstatt einen zweiten „leibhaftigen“ Urteiler zur Verfügung zu stellen, simulierten die Teilnehmenden die zweite Meinung mental selbst. Somit gaben diese Teilnehmenden Schätzungen ab, die sie zwar alleine überlegt, aber dennoch wie in einer Gruppen­entscheidung durch verschiedene Perspektiven ermittelt hatten. Und das führte zu besseren Ergebnissen.

Herzog, S. M., & Hertwig, R. (2009). The wisdom of many in one mind: Improving individual judgments with dialectical bootstrapping. Psychological Science, 20, 231–237.

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