Diskriminierung auf Abruf

- Anne Landhäußer –

Vorurteile gegenüber Homosexuellen kommen häufig erst dann zum Vorschein, wenn ein Anderer den Anfang macht.

Deutschland im Jahr 2008: Einerseits wird die Hauptstadt von einem Schwulen regiert, die hierzulande wichtigste Politik-Talkmasterin hat sich als Lesbe geoutet und überhaupt könnte man meinen, Männer, die Männer lieben, und Frauen, die Frauen lieben, würden nun endlich als das wahrgenommen, das sie sind: ganz normale Menschen, deren Geschmack in Liebesdingen nur nicht dem der Mehrheits­gesellschaft entspricht. Andererseits jedoch haben Lesben, Schwule und Bisexuelle auch hierzulande nicht nur mit Stereotypen und Vorurteilen zu kämpfen, viele von ihnen fühlen sich auch offen diskriminiert oder können gar von körperlichen Angriffen berichten. Zwar ist  Toleranz gegenüber allen Mitmenschen – egal, welcher Nationalität, Religion oder sexuellen Orientierung sie auch sein mögen – heutzutage eine gesellschaft­liche Norm, die beispielsweise durch die Anti-Diskriminierungs­gesetze gestützt wird und deren Nichtbefolgung einem zumindest böse Blicke eintragen kann. Dass sich ein Großteil der Deutschen tolerant verhält, bedeutet aber nicht automatisch, dass der Großteil der Deutschen auch tolerant denkt.

Schon lange wird in der Sozialpsychologie die Ansicht vertreten, dass Menschen, die sich nach außen hin gerne vorurteilsfrei darstellen, in Wahrheit aber Vorurteile besitzen, ihren Gefühlen und Gedanken dann freien Lauf lassen, wenn sie glauben, entsprechende Vorurteile würden in der gegebenen Situation toleriert oder gar honoriert. Der Sozialpsychologe Jeffrey Goodman und seine KollegInnen von der University of Maine konnten nun anhand amerikanischer Studierender zeigen, dass ein kleines Signal tatsächlich reichen kann, um Vorurteile und Diskriminierung in Gang zu setzen. Diskriminierung auf Abruf sozusagen.

Die amerikanischen ForscherInnen führten ein Experiment durch, bei dem kleine Gruppen von Studierenden gemeinsam eine Problemlöseaufgabe durchführen sollten. Scheinbar per Zufall wurde ein männlicher Teilnehmer zum Gruppen­leiter bestimmt, der in Wahrheit jedoch ein Verbündeter der Versuchsleitung war. Bei einem Teil der Durchgänge trug er gut sichtbare Buttons der Schwulenbewegung am Rucksack, zeigte stereotyp schwule Gestik – also zum Beispiel ausladende Handbewegungen – und erwähnte seinen Freund. In anderen Gruppen kam er ohne Buttons, verhielt sich neutral und erwähnte im Gespräch seine Freundin. Abgesehen davon legte er in allen Gruppen das gleiche Verhalten an den Tag. Insbesondere im Hinblick auf die Leitung der Gruppe war er im Vorfeld dahingehend geschult worden, in jedem Fall ein gutes Führungs­verhalten zu zeigen.

Bei der Hälfte derjenigen Versuchs­gruppen, in denen der Gruppen­leiter den Homosexuellen mimte, äußerte die Versuchsleiterin  während dessen kurzzeitiger Abwesenheit den Satz: „Er ist sooo schwuuul!“ Bei der anderen Hälfte und auch in den Fällen, in denen sich der Verbündete heterosexuell gab, verhielt sie sich dagegen gänzlich neutral.

Eine Videoaufnahme des Verhaltens der TeilnehmerInnen zeigte, dass die Mitglieder der Gruppen, in denen die Versuchsleiterin den angeblich Homosexuellen zuvor beleidigt hatte, diesem gegenüber ein negativeres nonverbales Verhalten an den Tag legten, als das in den anderen Gruppen der Fall war. Das heißt, sie lachten ihn häufiger aus, starrten ihn häufiger un­freundlich an, schüttelten häufiger ablehnend den Kopf oder hoben häufiger die Augenbrauen. Die Gruppen, bei denen der Gruppen­leiter angeblich homosexuell war, aber nicht von der Versuchsleiterin beleidigt wurde, unterschieden sich hingegen in ihrem nonverbalen Verhalten nicht von den Gruppen, in denen sich der Verbündete heterosexuell gab. Vorurteilsbehaftete TeilnehmerInnen schienen die verächtliche Bemerkung der Versuchsleiterin als Freischein für diskriminierendes Verhalten zu interpretieren.

Die schlechte Nachricht ist nun: Diese in Amerika durchgeführte Untersuchung hätte in Deutschland vermutlich ähnliche Ergebnisse zutage gefördert. Die gute Nachricht: In anderen Studien hat sich bereits gezeigt, dass nur tatsächlich vorurteilsbehaftete Menschen in solchen Situationen diskriminierend agieren, während sich tolerante Menschen von Signalen wie dem der Versuchsleiterin nicht beeindrucken lassen. Es ist wünschenswert und zumindest vorstellbar, dass der ein oder andere Teilnehmer der beschriebenen Untersuchung nicht das Verhalten des angeblichen Gruppen­leiters negativbewertete, sondern das der Versuchsleiterin.

Goodman, J. A., Schell, J., Alexander, M. G., Eidelman, S.(2008).The Impact of a Derogatory Remark on Prejudice Toward a Gay Male Leader. Journal of Applied Social Psychology, 38, 542–555.

© Forschung erleben 2008, alle Rechte vorbehalten

Zurück